Suzanne Dixon - Cornelia. Mother of the Gracchi

  • Cornelia, eine Frau der römisch-republikanischen Umbruchszeit, die mit den bekanntesten der Bekannten aus dieser Zeit zu tun hatte.




    Tochter des großen L. Scipio Africanus, Schwiegermutter des erfolgreichen L. Scipio Aemilianus, Frau des berühmten Ti. Sempronius Gracchus und Mutter der beiden berüchtigten Gracchen. Diese Namen sagen euch vielleicht nichts, aber das sind für die Römer dieser und späterer Zeiten ganz große Persönlichkeiten. Diese 5 Männer haben im 2. Jh. v. Z. große Politik betrieben und damit unsterbliche Geschichte geschrieben.


    Eventuell stößt Ihr, werte Leser, euch auch an dieser Aufzählung nicht, aber die beiden Forscher aus unserer heutigen Zeit Ronnie Ancona und Sarah Pomeroy wollen nicht zulassen, dass ausschließlich "Männer" im Lichte der Vergangenheit stehen. Deshalb haben sie eine Bücherserie herausgebracht, die die wichtigen (?) Frauen aus der Antike hervorheben sollen: "Women of the Ancient World". Die Frauen der Antike sind nämlich entweder völlig unsichtbar für uns oder, falls sie mal in der antiken Literatur vorkommen, anders dargestellt, als sie tatsächlich einmal waren. Mit dieser Buchserie sollen antike Frauen also nicht nur überhaupt einmal sichtbar gemacht werden, sondern es soll auch versucht werden, die "echten" Frauen dahinter zu erkennen.



    Dieses Buch "Cornelia. Mother of the Gracchi" (2007) ist von Suzanne Dixon geschrieben, die hier eine Frau der mittleren römischen Republik vorstellt. Tatsächlich ist Cornelia allerdings schon so durch Anekdoten und Vereinfachungen überlagert, dass die Autorin Dixon der Meinung ist, man könne die "echte" Cornelia gar nicht mehr rekonstruieren. Tatsächlich habe sie sich (so schreibt sie in ihrem Preface) davor ursprünglich geweigert, dieses Buch zu schreiben. Dementsprechend handelt sie auch alle sicheren Lebensdaten und -informationen auf 1 Seite (!) ab. Dixon schreibt ab hier dann tatsächlich auch eine Anti-Biographie, denn sie analysiert nicht das Leben der Person "Cornelia" (das kennen wir ja nicht !), sondern die Bilder und Darstellungen späterer Menschen VON Cornelia. Eine ähnliche "Biographie" habe ich erst letztens von William Reiter über L. Aemilius Paullus gelesen, die ich euch entweder schon vorgestellt habe oder es noch will (das weiß ich gerade nicht ganz genau). Denn auch wenn die eigentliche Person (vorher Aemilius Paullus; hier Cornelia) eigentlich dabei nicht wieder erkannt werden kann, zeigt diese Art der Biographie trotzdem, wie Menschen der Vergangenheit, egal wie berühmt und erfolgreich sie damals waren, einfach vergessen werden. Oder noch schlimmer: wie sie völlig uminterpretiert werden.




    Cornelia. Lasst mich nun weg von der ganzen Methodik hin zur Frau wechseln. Diese Frau war nicht nur verwandt und bekannt mit den einflussreichsten und mächtigsten Männer ihrer Zeit (seht nochmal in meinen 1. Satz :>), sondern sie soll auch selbst Dreh- und Angelpunkt der Politik und der Kultur gewesen sein, so die These Dixons. Doch wie beweist sie das ? Gar nicht. Denn beweisen kann man es ja auch gar nicht mehr. Stattdessen nähert sich Dixon dieser Frau auf anderen Wegen. Sie untersucht, was noch an Beziehungsgeflechten und Einflüssen um Cornelia herum erkennbar ist. Die Beziehungen zu jeder der von mir oben genannten Personen versucht sie daraufhin zu analysieren, was wir daraus für Rückschlüsse auf Cornelia ziehen können.


    Dixon beginnt also mit dem Aussortieren und Katalogisieren, was es an Anekdoten über Cornelia gibt ("1. Fact and fable. Sorting out the sources", S. 1-14). Beispielsweise sollen aus dem Ehebett des frischen Ehepaares Cornelia und Sempronius Gracchus (eben wollte ich schreiben "junges Ehepaar", aber Sempronius wird zu diesem Zeitpunkt schon weit über 30 gewesen sein) 2 Schlangen gekrochen sein. Die eine weiblich, die andere männlich. Sempronius Gracchus habe daraufhin Priester befragt, was das bedeute. Nachdem diese meinten, die Schlangen stünden symbolisch für ihrer beider Lebenspannen (von Sempronius Gracchus und Cornelia) habe er seine direkt töten lassen, damit Cornelia länger lebt als er selbst. Eine andere Geschichte ist die vom Besuch einer kampanischen Dame bei Cornelia. Die Dame trägt teuren Schmuck und exquisite Juwelen, von denen sie auch die ganze Zeit erzählt. Cornelia hält das Gespräch aufrecht, bis ihre beiden Söhne Tiberius und Gaius von der Schule nach hause kommen. Cornelia zeigt daraufhin auf ihre beiden Kinder und meint "DAS sind meine Juwelen."


    Von solchen Anekdoten gibt es mehrere, doch die sind höchstwahrscheinlich allesamt entweder verändert oder schlichtweg erfunden. Denn sie sollen nichts über die Frau Cornelia aussagen, sondern eine "Moral von der Geschicht" vermitteln. Die Schlangen-Geschichte soll die Aufopferungsbereitschaft des Mannes in einer funktionierenden Ehe gegenüber einer tugendhaften Frau aufzeigen. Die Juwelen-Episode zeigt die Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit von materiellen Besitztümern und hebt die Wichtigkeit der Kindeserziehung durch eine Mutter (nicht speziell Cornelia ! Sie dient hier lediglich als Beispiel) hervor.


    Folgerichtig fragt unsere Autorin Dixon in diesem Kapitel, warum es eigentlich ausgerechnet Cornelia geschafft hat, als beispielhafter Name in das Gedächtnis der Nachwelt aufgenommen zu werden und nicht zB ihre Schwester oder eine völlig andere Frau dieser Zeit. Hier sollen Cornelias Kinder Gaius und Sempronia eine wichtige Rolle gespielt haben. Denn in seinen politischen Auftritten habe Gaius immer wieder auf Cornelia Bezug genommen. Und nachdem er 121 umgebracht worden war, hat Sempronia die Geschichten publik gehalten. Doch das ist reine Spekulation, da es dazu kaum Belege gibt. Die Vermutung ist zwar plausibel, bleibt allerdings spekulativ.



    Auf ebenso spekulative, aber plausible Weise stellt Dixon Cornelia als Frau dar, die durch ihre familiären und hocharistokratischen Familienbeziehungen tief in die zeitgenössische Politik eingebunden war - und zwar aktiv ("2. People, politics, propaganda", S. 15-32). Das ist besonders, da röm. Frauen natürlich per se, weil sie Frauen waren, keine Politik betreiben konnten/durften. Doch bewegt sich Cornelia noch im Rahmen des zu der Zeit möglichen durch Einflussnahme auf ihre männlichen Verwandten und durch ihre umfassende Bildung.
    In diesem Sinne bewegt sich Cornelia auch durch ihre Eltern Africanus und Aemilia in einer kulturellen Umbruchszeit ("3. Culture wars", S. 33-48), in der durch die Ostexpansion neue Ideen und neue Reichtümer nach Rom kommen. Bildung und verfeinerte Kultur erhalten Einzug ins römisch-aristokratische Leben und Cornelia gehört zu den ersten Römern dieser Art, was sie auch an ihre beiden Söhne Gaius und Tiberius durch intensive Erziehung weitergibt. So wandelt sich auch ihr Villaleben im kampanischen Misenum von einem typisch römischen Entspannungs-/Rückzugsort zu einem Ort von kultureller Relevanz und Zentrum von geistiger Betätigung. Sie zog sich nach den Toden ihrer beiden Söhne also dorthin zurück, blieb aber weiterhin kulturell und politisch aktiv.
    Doch von dieser Frau ist nicht viel übriggeblieben ("4. The icon", S. 49-59), da sie von späteren Menschen instrumentalisiert oder als Beispiel auf einzelne Aspekte heruntergebrochen worden ist. Cornelia sei durch den Verlust von 11 ihrer 12 Kinder (!) ein Beispiel für Standhaftigkeit und für das Ertragen von schlimmer Trauer. Diese Instrumentalisierung führte so weit, dass sogar Kaiser Augustus, der sich als Verteidiger der Tradition darstellte, diese Mutter von 2 aristokratischen und revolutionären Unruhestiftern/Rebellen als große Römerin feiern ließ.



    Und diese universelle Brauchbarkeit Cornelias in jedem erdenklichen Sinne (eine sich aufopfernde Mutter; eine gute Ehefrau; Beispiel für Umgang mit Trauer; etc.) zieht sich bis in die heutige Zeit hinein ("5. Afterlife", S. 60-64). In christlicher Zeit wird sie oft für künstlerische Darstellungen herangezogen und heute (Dixon sieht sich dafür im Internet nach Cornelia um) hat sich das nicht verändert.
    Doch die Frau Cornelia ist als Mensch für uns völlig verloren gegangen.




    Ja, als Anti-Biographie kann dieses Buch durchaus mit sehr großer Berechtigung bezeichnet werden. Während die Biographie zu Aemilius Paullus (von William Reiter, falls ihr euch noch erinnert :D) noch so teils teils den Menschen erahnen lässt, ist hier von Cornelia nichts übrig. Persönlichkeit, Werdegang, Beziehungen. Alles ist verloren. Diese Biographie ist gescheitert. Und das war sie von Anfang an, doch dass Suzanne Dixon diese Frau trotzdem behandelt hat, obwohl klar war, wie das aufgehen muss, macht das Buch noch lange nicht unlesenswert und schon gar nicht schlecht.
    So hat sich meine Befürchutung am Anfang tatsächlich bewahrheitet. Cornelia ist ein trauriges Beispiel wie große Menschen der Vergangenheit einfach in ihrer Person verloren gehen. Da ist es fast schon ein Wunder, dass wir überhaupt noch ein wenig mehr über sie wissen, als lediglich ihren Namen.



    Allerdings muss ich noch eingestehen, dass Suzanne Dixon hier noch der Lob gebührt, Cornelia als hochpolitische Person und die Rolle ihres Villaaufenthalts in Misenum hervorgehoben zu haben. Dass Cornelia hochgebildet war, findet sich auch bei anderen Autoren, doch diese beiden Erkenntnisse waren (zumindest mir) neu.







    Doch das Buch ist auch noch in Bezug auf seinen Rahmen und seine Gesamtkonzeption durchaus gut gelungen: die Indeces sind sehr ausführlich und die Bibliographie wirkt umfassend (ob aktuell, kann ich nicht beurteilen). Eingeleitet ist das Buch außerdem, was hilfreich und sinnvoll ist, neben einem Preface mit Kartenmaterial, einem Stammbaum und Zeittafeln.



    Schaut doch unter Umständen noch in eine weitere Rezension, die ich mir zusätzlich noch angesehen habe. Sie ist zwar leider nur (?) deskriptiv, aber trotzdem ganz gut.
    Rezension von Harders, in: Sehepunkte 8, 2 (2008): http://www.sehepunkte.de/2008/02/10125.html




    Alles in allem ist dieses Buch also informativ auf Cornelia bezogen sehr unbefriedigend (was Dixon mehr als rechtfertigt !), aber als Buch an sich doch wiederum sehr lesenswert.


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