Sebastian Faulks - Die Liebe der Charlotte Gray/Charlotte Gray

  • Charlotte Gray, Tochter aus gutem Hause, arbeitet während des 2. Weltkriegs eher lustlos in einer Arztpraxis in London, teilt sich eine Wohnung mit zwei anderen jungen Frauen und lernt eines Tages den Luftwaffenpiloten Peter Gregory kennen, der sie fasziniert, obwohl oder gerade weil er so verschlossen ist.


    Nach einem hochgeheimen Einsatz in Frankreich gilt Peter als vermisst, und als der britische Geheimdienst Charlotte als Kurier zu rekrutieren versucht, weil sie dank eines längeren Frankreichaufenthaltes fließend und fast akzentfrei Französisch spricht, willigt sie ohne großes Zögern ein, weil sie eine Chance wittert, sich auf die Suche nach ihrem verschollenen Geliebten machen zu können.


    Vor Ort ist zunächst keine Spur von Peter zu finden, doch sie entwickelt große Sympathie für Julien, ihren Kontaktmann im Städtchen Lavaurette, bleibt viel länger als vorgesehen, weil sie immer noch hofft, etwas über Peters Verbleib zu erfahren, und nimmt an Widerstandsaktionen teil, während die Lage in Lavaurette unter der Vichy-Regierung immer ungemütlicher wird. Die Rationierung bringt die Menschen an den Rand der Verzweiflung, und die unerbittliche Verfolgung von Menschen jüdischen Glaubens oder auch nur jüdischer Abstammung nimmt gnadenlos ihren Lauf.


    Charlottes Quereinstieg als Geheimdienstkurier und ihr Aufenthalt in dem kleinen Ort, der gespalten ist zwischen Pétain-Anhängern und denen, die das Regime eher kritisch sehen, sind perfekter Stoff für einen packenden Weltkriegsroman. Die angespannte Lage, die Lebensmittelknappheit, das ständige Misstrauen der Menschen untereinander und die Angst um geliebte Menschen im Kriegseinsatz lässt Faulks denn auch greifbar lebendig werden und erfindet einige interessante Charaktere.


    Was das Zwischenmenschliche angeht, bleiben die Gefühle und Beweggründe seiner Figuren aber oft vage, verschwommen, schwer nachvollziehbar. Die große Liebe zwischen Charlotte und Peter wird zwar häufig wort- und gedankenreich beschworen, ist aber nicht wirklich spürbar, auch Charlottes Probleme mit ihrem Vater und überhaupt ihr Seelenleben werden oft thematisiert, berühren aber nicht, was auch daran liegen mag, dass Dialoge oft zu gestelzt und eloquent daherkommen, um sich echt anzufühlen. Überhaupt die Sprache - ein großer Wortschatz, mit Bedacht eingesetzt, ist ja sehr schätzenswert, aber Faulks übertreibt es manchmal mit seinen Formulierungen, wählt zu geschwollene Worte und erzählt dabei oft langatmig, vor allem in der ersten Hälfte des Buches.


    Schade auch, dass man nicht mehr über Peters Hintergrund erfährt und nie aufgelöst wird, weswegen er so melancholisch und in sich gekehrt wirkt, als kämpfe er mit den Geistern der Vergangenheit. Die Problematik zwischen Charlotte und ihrem Vater, der seine Erlebnisse im 1. Weltkrieg nie verarbeiten konnte, wäre interessant, wenn ihr mehr als fünf Seiten und ein schwülstiger Vater-Tochter-Dialog gewidmet würden.


    Hätte man die vielen zähen Stellen gestrafft und auf ein paar Dosen Pathos verzichtet, wäre es ein wirklich fesselndes Buch über Geheimaktionen, Widerstand und Judenverfolgung geworden. Dass Faulks auch anders kann, beweist er schließlich in einigen zu Herzen gehenden Szenen, aber um dorthin zu gelangen, braucht es erst einmal langen Atem.