Frederik Schodt - Manga! Manga!: The World of Japanese Comics

  • Die erste westliche Einführung zu einem erstaunlichen und neuen Phänomen: japanische Comics !




    Werte Leser, ihr wisst es bereits. Ich bin ein Fan von japanischen Comics. One Piece, Fullmetal Alchemist, X, Tokyo babylon, Hunter X Hunter, Sandland, GTO und zahlreiche, nein zahllose weitere Comics gehören dazu und über einige davon habe ich hier auch schon etwas geschrieben. Deswegen dachte ich mir mal so, dass ich doch auch mal ein Buch ÜBER japanische Comics lesen könnte. Was ich vorher jedoch nicht wusste, ist, dass "Manga! Manga! The World of Japanese Comics", Tokyo 1983, von Frederik Schodt DAS Buch zu japanischen Comics ist. Es ist tatsächlich das erste westliche Buch, das dieses Thema bespricht und das zu einer Zeit, als dieses literarische Phänomen bei uns im Westen noch keinen wirklichen Fuß gefasst hatte. Jedenfalls nicht in der Art, wie das heute der Fall ist. So begegnet der Leser dieses Buczhes auch keinem einzigen der Comics, die ich gerade aufgelistet habe, in dem Buch selbst (da es sie zu dem Zeitpunkt natürlich noch gar nicht gab). Dafür schreibt er neben vielen anderen über "Phoenix", "Ghost Warrior", "The Rose of Versailles" und "Barefoot Gen". Zu diesen 4 hat er auch Kostproben von mehreren Seiten hinten in das Buch mitabdrucken lassen.



    Tatsächlich schreibt Schodt jedoch nicht ausschließlich über die Comics selbst. Um ehrlich zu sein thematisiert sogar nur das 1. Kapitel ("A Thousand Million Manga!", S. 12-27) die Comics an sich (und das nicht mal vollständig !). Hier stellt er einige Hauptthemen vor (zB Abenteuer, Sport, Geister, Mah jongg, Liebe), sowie die interessante narrative Struktur (zB von rechts nach links lesen). Stattdessen rücken in diesem Buch hauptsächlich alle anderen Themen in den Vordergrund, die das Thema der japanischen Comics betreffen. Erst in ihrem Themenverlauf wird die Darstellung der Comics dauerhaft eingebunden. So stellt Schodt im 2. und längsten Kapitel ("A Thousand Years of Manga", S. 28-67) die literarische Geschichte des Comics vor und stellt ihn in eine Reihe mit der lockeren Religion des Buddhismus, der erst durch seinen nicht sehr ausgeprägten Fundamentalismus Humor und Parodie kulturell ermöglichte. In den drei folgenden Kapitel gibt uns der Autor einen Einblick in 2 Entwicklungen oder eher Einflüsse des Mangaphänomens. Denn wenn wir nicht die ideelle Bedeutung und die Ausrichtung des "Samurai" (den er hier ideell und kulturell präsentiert), verstehen, der nicht nur einfach die elitäre Kaste Japans, sondern vielmehr eine Lebenseinstellung war, können wir auch einige grundlegende Elemente des Comics nicht verstehen. Warum dem Sport eine solche Ernsthaftigkeit entgegengebracht wird, bleibt sonst für uns unverständlich ("The Spirit of Japan", S. 68-87). Zweitens spielt das weibliche Geschlecht eine wichtige Rolle. Das überrascht uns heute evtl. nicht mehr so sehr, doch war der japanische Comic in seiner Themenwahl früher stark nach Geschlechtern getrennt. Das Paradoxe dabei war, dass auch die Comics für Mädchen von Männern gezeichnet wurden. Da diese Comics jedoch nicht gut ankamen und die Trennung der Themen nach Geschlechtern natürlich (wie wir heute wissen) nicht so einfach geht, war hier ein Ansatzpunkt für weibliche Zeichner ("Flower and Dreams", S. 88-105). Drittens spielt die Wirtschaft eine ungemein wichtige Rolle für die japanischen Menschen des normalen japanischen Alltags. Der Beruf sei ungemein einnehmend und gleichzeitig sehr unterdrückend (Kollektiv geht vor Individuum !), sodass sich viele Zeichner auch daran orientieren, indem zB ein eigenes Untergenre für Salarymen entstanden ist oder indem Zeichner das Thema Mahjongg aufgreifen, das als Spiel eine sehr wichtige individuelle Kompensation für viele Arbeitende im beruflichen Alltag bedeutet ("The Economic Animal at Work and at Play", S. 106-119). Was uns auch hier und heute noch manchmal etwas befremdlich vorkommt, ist die Verbindung zwischen Comic und Brutalität oder Comic und erotischer Explizität (wer mal in "Berserk" oder "Alice in Sexland" reingelesen hat, weiß genau, was ich meine). Diese Verbindungen widersprechen ziemlich heftig unserem Comic-Verständnis, da nach der hiesigen literarischen Entwicklung dieses Genres der Comic primär und ausdrücklich für Kinder ist. Abgehackte Körperteile und leidenschaftlicher Sex (wobei man mehr als alles sieht ! Fragt "was bedeutet denn 'mehr als alles'?" bitte nur dann, wenn ihr euch wirklich sicher seid, dass ihr die Antwort ertragen könnt ! :D ) hier nichts zu suchen. Darüber spricht Schodt im 6. Kapitel ("Regulation versus Fantasy", S.120-137). Zuletzt wirft unser Autor noch einen Blick auf die Comic-Industrie mit seinen Künstlern, Verlegern und der Wirtschaftlichkeit ("The Comic Industry", S. 138-147) und einen Blick in die Zukunft von 1983 aus ("The Future", S. 148-158), wobei er mit der letzten Unterüberschrift "First Japan, Then the World?" (S. 153) völlig recht behalten hat. ;)



    Gekrönt ist das Buch noch, wie angedeutet, mit 4 Lesebeispielen von Comics, über die er ua auch im Fließtext spricht, auf ca. 90 Seiten, sowie von einem Index und einer Bibliographie.



    Leider erscheint mir seine gesellschaftliche Analyse des Ursprungs, woher dieses Phänomen des heutigen Comic-Konsums speziell in Japan komme ("Why Japan?", S. 25-27), ein wenig einseitig. Er beruft sich auf den russ. Filmproduzenten Sergei Eisenstein und sieht mit diesem die Ursache vor allem in der Art der Schulbildung der Kinder. Da die Schule unglaublich einnehmend, zeitaufwendig und dominant sei, haben die Kinder kaum Chancen auf eine ausgeprägte Freizeit oder auf soziale Kontakte. Daher beziehen sie ihre Kompensation aus den sehr kurzweiligen Comics, die dadurch wiederum in einen Boom kommen. Ich selbst bin keineswegs gebildet in japanischer Kultur, doch klingt das etwas zu einfach, auch wenn überzeugend. Vor allem ist Schodts Sicht auf weibliche/männliche Comics sehr stereotypisiert und überholt.


    Genug der Kritik. Es gibt zwar noch ein paar andere Punkte, doch will ich noch ein paar Worte der Preisung sagen: das Buch geht wunderbar runter, sein Englisch ist gut lesbar, die Übergänge sind nett abgestimmt. Er arbeitet recht wissenschaftlich, übrtreibt es allerdings nicht und bindet es uns Lesern auch nicht auf die Nase.
    Schodts Themenwahl ist interessant abgestimmt und ebenso interessant angeordnet. Keine Frage: man hat hier einen begeisterten Anhänger des japanischen Comics vor sich.




    Und meine Begeisterung hat Frederik Schodt erfolgreich bekräftigt.



    In nächster Zeit werde ich bestimmt mal in ältere Comics reinlesen und vielleicht auch nochmal zu Werken ÜBER japanische Comics greifen (Andrea Ossmann und Jacqueline Berndt sollen auch noch ganz gute Bücher dazu geschrieben haben). ;)