Judy Blume - Im unwahrscheinlichen Fall / In the Unlikely Event

  • Die Buchrückseite:


    WENN EIN AUGENBLICK DAS GANZE LEBEN ÄNDERT


    1951: Die 15-jährige Miri Ammerman wächst wohlbehütet im Städtchen Elizabeth, New Jersey, auf. Ihr Vater hat sich zwar früh aus dem Staub gemacht, aber ihre liebevolle und kämpferische Mutter, ihre weise Oma, ihre beste Freundin Natalie und all die anderen Menschen in ihrem Umfeld stehen ihr bei ihren Schritten ins Erwachsenenleben zur Seite. Als sie ihre erste große Liebe Mason kennenlernt, scheint das Glück perfekt zu sein. Doch dann stürzt ein Flugzeug ab, und nichts ist mehr, wie es war.


    Meine Meinung:


    Die Stadt der Flugzeugabstürze


    Die Autorin Judy Blume war 1951/1952, als die drei Flugzeugabstürze in Elizabeth, New Jersey, innerhalb von nur zwei Monaten geschehen sind, in der 8. Klasse und hat diese katastrophalen historischen Ereignisse viele Jahre versucht zu verdrängen. Sie hat weder ihrer Tochter, die als Pilotin gearbeitet hat, noch ihrem Mann etwas davon erzählt, so sehr verschüttet hat sie ihre Erinnerungen daran. Trotzdem haben diese Geschehnisse sich eines Tages ihren Weg an die Oberfläche gebahnt und so wusste sie dann, dass sie eine Geschichte zu erzählen hat, die nun hier in diesem Buch zu finden ist.


    Mir waren diese drei nacheinander folgenden Flugzeugabstürze in Elizabeth in so kurzer Zeit bisher noch nicht bekannt, umso neugieriger habe ich mich ans Lesen gemacht.
    Der Titel des Buches passt wirklich optimal: wie wahrscheinlich ist es denn bitte, dass in nur zwei Monaten gleich drei Flugzeugabstürze in ein- und derselben Stadt passieren? Ich bin, als ich das alles gelesen habe, lange der Meinung gewesen, dass das doch ein wenig zu viel Zufall gewesen sein muss ... Oder doch nicht? - Jedenfalls wirkte all das sehr mysteriös und äußerst unwahrscheinlich auf mich!


    ~ Als Miri sie fragte, ob sie an Gott glaubte, was hätte sie da denn sagen sollen? »Natürlich glaube ich an Gott«, hatte sie gesagt.
    »Aber wie kann Gott es zulassen, dass so schreckliche Dinge geschehen?«
    »Gott entscheidet nicht, was passiert, er hilft dir, es durchzustehen«, hatte Rusty ihr erklärt. ~

    (S. 62/63)


    Von Anfang an werden recht viele mehr und weniger wichtige Charaktere vorgestellt, aus deren Sicht (kapitelweise) dann auch immer erzählt wird. Sehr hilfreich war in der Hinsicht das Lesezeichen, das beim Buch dabei war. - Darauf findet man nämlich die wichtigsten Namen inklusive einer kurzen Notiz, wie die Charaktere zueinander in Verbindung stehen. Ohne diesem Lesezeichen wäre ich wohl leicht aufgeschmissen gewesen.


    Pro Kapitel, die meist sehr kurz waren, kommt also jeweils ein anderer Charakter zu Wort, wobei man gemerkt hat, dass die 15-jährige Miri am öftesten dran war und aus meiner Sicht somit die Hauptprotagonistin dargestellt hat.
    Henry Ammerman ist Miris Onkel und Reporter bei der Elizabeth Daily Post, und er hat zwischen die Kapitel, in denen die Charaktere abwechselnd ihre Sicht der Dinge geschildert haben, immer wieder Zeitungsartikel über die Flugzeugabstürze geschoben, die ich sehr interessant zu lesen fand, denn auch hier hat sich die Autorin an Zeitungsausschnitten von damals orientiert.


    ~ Das Leben geht weiter für die, die Glück gehabt haben. ~
    (S. 486)


    Das Tragische an dieser Geschichte sind eindeutig diese unwahrscheinlichen Flugzeugabstürze mit ihren zahlreichen Opfern. Man kann sich an dieser Stelle jetzt vielleicht denken, dass dies kein einfacher Lesestoff ist ... Ich persönlich habe das allerdings nicht so empfunden. In meinen Augen lag der Fokus gar nicht so sehr auf den Abstürzen - die waren ziemlich schnell geschehen und dann ging es auch schon wieder mehr um die Beziehungen der Charaktere, um Liebe, Freundschaft, Fremdgehen und so weiter. Klar, zwischendurch waren die Abstürze auch immer wieder Thema, denn solche Ereignisse beschäftigen die Menschen in der Regel doch sehr, trotzdem kamen mir andere Themen in dem Buch viel mehr beleuchtet und emotionaler vor, als diese verheerenden Unglücke. Ein bisschen mehr Fokus auf diese Abstürze und ihre Folgen hätte ich mir also schon erwartet, dennoch kann ich mich nicht wirklich beklagen, die Leben der Charaktere waren nämlich echt nicht unspektakulär oder langweilig, nein, deren persönliche Geschehnisse und Schicksale waren auch recht spannend zu verfolgen!


    ~ Für den unwahrscheinlichen Fall ... Aber das ganze Leben ist ja nichts als eine Abfolge von
    unwahrscheinlichen Fällen, oder? Ihres jedenfalls. Ein unwahrscheinlicher Fall nach dem anderen,
    die sich zu einem vielschichtigen Ganzen verbinden. Und wer weiß, was da noch alles kommen mag? ~

    (S. 501)


    Positiv aufgefallen ist mir auch, dass die Sprache sehr authentisch und das Denken und Verhalten der Protagonisten auf jeden Fall zeitgerecht war. Aber da die Autorin selbst ja aus dieser Zeit stammt, war das sowieso zu erwarten.


    Eine lesenswerte historische Dokumentation, bei der das Hauptaugenmerk aber nicht vorrangig auf den Flugzeugabstürzen liegt, sondern sehr stark auf den mitunter sehr spannenden Leben der unterschiedlichen Charaktere.
    Wer glaubt, dass es in den 1950er Jahren noch kaum Sorgen, Ängste, Untreue oder Scheidungen gegeben hat, der irrt. So verschieden die Figuren hier alle sind, genauso vielseitig und lesenswert sind auch deren persönliche Geschichten.


    (Weitere Buchzitate findet ihr HIER!)


    5 :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: !

  • Im Dezember 1951 stürzt in der kleinen Stadt Elizabeth in New Jersey ein Flugzeug in den Fluss. Die ganze Stadt ist in heller Aufregung, so auch die 15jährige Miri Ammerman, der es schwerfällt, den Schrecken zu verarbeiten, vor allem auch die Überlegung, was noch alles hätte passieren können, wäre der Flieger nicht über dem Fluss, sondern über der nahegelegenen Schule abgestürzt.


    Miris Freundin Natalie kommt noch schlechter mit den Ereignissen zurecht, sie entwickelt eine Art Psychose, glaubt die Stimme einer bei dem Unglück umgekommenen TV-Tänzerin zu hören und betreibt ihr eigenes Tanztraining immer exzessiver.


    Nur wenige Wochen später geschieht erneut ein Unglück. Wieder ein Flugzeugabsturz, diesmal mitten in der Stadt, neben den Insassen sterben auch einige Bewohner der zerstörten Häuser. Es ist schwer zu fassen, dass das Zufall gewesen sein soll, Verschwörungsgerede macht die Runde, die Ängste wachsen, eine Bürgerbewegung formiert sich und protestiert gegen den Verlauf der Landebahn des nahegelegen Flughafens Newark.


    Miri steckt gerade in einem ziemlichen Gefühlsdurcheinander. Zum einen stößt sie auf eine Spur von ihrem leiblichen Vater, zum anderen ist sie frisch verliebt in Mason, einen verwaisten Jungen, der wenig später zum Helden werden wird - denn es kommt unglaublicherweise noch zu einem dritten Flugzeugunglück in der Stadt, und Mason ist einer der Teenager aus dem Waisenhaus, die helfen, Überlebende aus dem Wrack zu befreien.


    Was im Roman schon beinahe unglaubwürdig klingt, ist wirklich passiert. Die drei Abstürze innerhalb kürzester Zeit in Elizabeth, der Heimatstadt von Judy Blume, hat es tatsächlich gegeben. Um diese wahren Begebenheiten herum hat die Autorin die fiktiven Geschichten einiger Stadtbewohner gestrickt und erzählt multiperspektivisch von den schicksalhaften Monaten 1951/52.


    Neben Miri und ihrer Mutter Rusty, die ihre unehelich geborene Tochter mit Hilfe ihrer eigenen Mutter alleine großgezogen hat, kommen zahlreiche andere Stimmen zu Wort: Natalie, Mason, eine junge Frau griechischer Abstammung, die in Masons Bruder verliebt ist, womit ihre Familie nicht einverstanden ist, weil er kein Grieche ist, Natalies Bruder Steve, der ebenfalls mit den Nachwehen der Abstürze nicht fertig wird, Miris Onkel Henry, der als Reporter über die Unglücksfälle berichtet und viele andere.


    Diese kaleidoskopartige Erzählweise gefiel mir sehr gut, weil sie nicht nur die Ereignisse aus diversen Blickwinkeln zeigt, sondern wir auch sämtliche Figuren immer wieder aus einer anderen Perspektive erleben und ich es sehr spannend fand, wie unterschiedlich die Menschen mit den traumatischen Geschehnissen umgehen. Ich mochte auch die (fiktiven) Zeitungsartikel, mit denen die Kapitel jeweils eingeleitet wurden.


    Ein wenig schade nur, dass eine m. E. eher überflüssige Entwicklung im letzten Viertel das Buch beherrscht und in eine etwas unglaubwürdige Richtung zieht. Die letzten Kapitel habe ich deshalb nicht mehr ganz so gerne gelesen wie den Rest. Der Epilog wiederum, der viele Jahre später spielt und einen schönen Ausblick in die Zukunft bietet, hat mir dann wieder ganz gut gefallen (bis auf einen kleinen Kitschfaktor).