Umberto Eco - Das Foucaultsche Pendel

  • #-o auf Lord Jim hätte ich auch kommen können. Also mischt Eco da wieder kräftig herum, denn Kurtz bezieht sich klar auf Herz der Finsternis.

    Da bin ich absolut deiner Meinung,
    Der Text lässt jedoch noch weitere Interpretationen zu, denn der nette Herr Eco scheint es darauf angelegt zu haben mich als Leser komplett "kirre" zu machen und die Orientierung zu verlieren. Man beachte den Namen Marlow im Roman "Herz der Finsternis"

    Zitat

    Herz der Finsternis Die Novelle ist in eine Rahmenhandlung eingebettet: Auf der nächtlich an der Themsemündung in Gravesend stillliegenden Seeyacht Nellie erzählt der ehemalige Seemann Marlow seinen vier Freunden, die das Band der See eint, eine Episode aus seinem Leben.
    Zum Namen Marlow gibt es im englischen Text zu Heart of Darkness erweiterte Antworten.

    Binah 11 File Name: Surabaya-Jim Im Text den Namen William S.

    Zitat von Umberto Eco

    Und kaum bist du angekommen, entdeckst du, daß die Buchläden deine Bücher anpreisen, dein ganzes Werk, in kritischen Neuausgaben, dein Name prangt über dem Tor der alten Schule, in der du lesen und schreiben gelernt hast. Du bist der Große Verschollene Dichter, das Gewissen der Generation. Romantische Mädchen begehen Selbstmord an deinem leeren Grab.

    Zitat von Umberto Eco

    Geh nur, geh hinaus in die Welt, William S. Du bist berühmt, und wenn du an mir vorbeikommst, erkennst du mich nicht. Ich murmele vor mich hin »Sein oder Nichtsein« und sage mir: »Bravo, gut gemacht, Belbo!« Geh, alter William S. hol dir deinen Anteil am Ruhm: du hast nur geschaffen, ich aber habe dich perfektioniert!

    Die Marlowe-Theorie geht davon aus, dass das im Mai 1593 tödlich bedrohte Dramatikergenie Christopher Marlowe seinen Tod vortäuschte, dauerhaft in der Anonymität weiterlebte und unter zahlreichen Pseudonymen einschließlich William Shakespeare schrieb. Das Pseudonym Shakespeare wurde 1593 erwählt, da ein realer Strohmann William Shakspere aus Stratford gegen Honorierung sich in London bereitfand, Marlowe zur Erhöhung seiner Sicherheit „leibhaftig“ zu maskieren.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • @serjena , jedes Mal, wenn ich auf ein unbekanntes Wort oder einen Zusammenhang, den ich nicht einordnen kann, stoße, denke ich mir: Das hat serjena bestimmt wieder ausgekundschaftet. Meistens ist es tatsächlich so. Du ersparst mir eine Menge Arbeit. :friends:


    Binah 11

    Zitat von Umberto Eco

    Nie zuvor bin ich einem begegnet, der sich selber mit solcher Verachtung bemitleiden konnte.

    (S. 85)
    Ist das nicht das normale Gefühl, das jeden befällt, der sein Selbstmitleid als Selbstmitleid erkennt?


    Belbon fordert Shakespeare heraus. Sich selbst phantasiert er in der Rolle des Lektors, der die Shakespeare-Dramen erst zu den Kunstwerken macht, wie sie berühmt wurden. Maßlose Selbstüberschätzung oder Neid?
    Ich gebe zu: Bisher werde ich aus Belbo nicht klug. Manchmal erscheint er mir als ein überheblicher und selbstverliebter Dummschwätzer, manchmal als einer, der vom Leben nie das bekommt, was er sich am innigsten wünscht. Oder sich nicht das genommen hat, was er sich ersehnt. Denn was hätte ihn gehindert, selbst zu schreiben? Die Äußerungen, mit denen er ein Schreiberling-Dasein weit von sich weist, triefen doch vor Ironie, Sarkasmus und Unlauterkeit.


    @Nungesser, die Files nicht lesen? Oder erst, wenn man den Rest schon gelesen hat? :shock: Diese Passagen machen doch am meisten Spaß. Und wenn Eco es so gewollt hätte, so hätte er sich bestimmt seinen Spaß daraus gemacht und irgendwo verkündet, er habe ein Buch geschrieben, von dem man nur Abschnitte lesen sollte und danach den Rest.
    Kann sein, dass die Files nicht notwendig für den Ablauf sind. Aber um sich zu amüsieren braucht man sie.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • zu Teil 3 Binah, Kapitel 11

    Nix für ungut, und wir tagträumen alle einmal (oder eben auch öfter oder regelmäßig oder was auch immer), aber ich würde doch vermuten, dass das Gros der Menschheit vernünftig genug ist, um solche Phantasien nicht ernst genug zu nehmen, um sie auch noch schriftlich niederzulegen

    Hast du noch nie "was wäre wenn" gespielt? Ich fand diesen Abschnitt einfach köstlich. Warum soll er es denn nicht aufschreiben? Diese Files waren ja nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern eher eine Art Tagebuch. Oder hab ich das falsch verstanden? Und einem Tagebuch darf man eben auch anvertrauen, dass man gern den Herrn William S. auf die richtige Spur gebracht hat.
    :wink:

    Ist das nicht das normale Gefühl, das jeden befällt, der sein Selbstmitleid als Selbstmitleid erkennt?

    Aber dafür muss man es eben erstmal als solches erkennen. Die wenigsten, die sich selbst bemitleiden, sind sich dessen bewusst. So gesehen ist unser Freund Belbo doch was besonderes.

    Kann sein, dass die Files nicht notwendig für den Ablauf sind. Aber um sich zu amüsieren braucht man sie.

    Auf jeden Fall! Da kommt man mal zum Durchatmen.
    Allerdings hab ich mich eh entschlossen, das Buch nicht ganz so ernst zu nehmen. Nicht jeder Spur nachzugehen, die Herr Eco irgendwo versteckt hat oder haben könnte - das ist mir echt zu anstrengend. Aber ich bewundere euren Enthusiasmus und eure Geduld und freue mich über viele Infos und Zusammenhänge, die ich sonst nie gefunden hätte. :friends:

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  • Wenn man dieses beiden Begriffe einzeln interpretiert "Der Name Surabaya taucht in dem Stück Happy End (Stück mit Musik) von Kurt Weill und Bertolt Brecht in dem Lied "Surabaya-Johnny" auf.

    Ups, ich stehe schon wieder auf dem Schlauch: beim Text aus dem Surabaya-Johnny kriege ich irgendwie schon wieder den Zusammenhang mit den Files nicht gebacken ... ich blicke öfter mal einiges nicht ... :uups:

    Deine Bemerkung zu Joseph Conrad hat mich auf die Idee gebracht diesen Autor in der fast allwissenden Wikipedia mal näher zu bterachten, und siehe da Romane
    Lord Jim: A Tale (1900), dt. Lord Jim

    Kurz vor dem Weggehen heute früh habe ich auch "Surabaya" und Jospeh Conrad zusammen gegoogelt und den "Lord Jim"-Wikipedia-Eintrag gefunden. Da freut man sich wie ein Schneekönig, wenn man plötzlich wieder einer von Eco gelegten Fährte auf die Spur kommt. Um ehrlich zu sein, wäre ich nie von selbst auf Joseph Conrad gekommen, weil ich nur "Das Herz der Finsternis", die Geschichte "Jugend" und "The Secret Agent" von Conrad gelesen habe, aber der Barde lag tatsächlich intuitiv wieder mal goldrichtig. Mein lieber @taliesin, wir müssen Dich uns warmhalten mit Deinen literarischen Querverweisen (ich weiß noch, wie Du gleich die Intertextualitäten zu Tennyson und Byron (?) bei Robert McLiam Wilson erkannt hast). Mir bringt das unheimlich viel, wenn Ihr wie @serjena und @Nungesser in den Begriffen wühlt oder dass @Marie das Motiv des Kupferstiches gefunden hatte, weil ich schon vor Jahren wissen wollte, wie das Ding eigentlich genau aussah. Und danke auch an @Hirilvorgul beim Auf-die-Sprünge-helfen mit den Zitaten oder gestern mit dem "Adress"-Zusammenhang.

    #-o auf Lord Jim hätte ich auch kommen können. Also mischt Eco da wieder kräftig herum, denn Kurtz bezieht sich klar auf Herz der Finsternis.

    Ich kann's eigentlich immer noch nicht fassen, dass Du hinter Kurtz über die "Apocalypse now" Joseph Conrad gesehen hast und damit auch richtig lagst ... schon irgendwie amüsant.

    Denn was hätte ihn gehindert, selbst zu schreiben? Die Äußerungen, mit denen er ein Schreiberling-Dasein weit von sich weist, triefen doch vor Ironie, Sarkasmus und Unlauterkeit.

    Ich denke, Du hast tatsächlich recht mit deiner Feststellung bezüglich des Selbstmitleids. Der Sarkasmus scheint wirklich ein Zeichen dessen zu sein, dass er tief drinnen weiß, dass er kein Talent hat, weil ihm mit seiner Bildung eigentlich zangsläufig klar sein muss, wie kitschig sie sind und damit bestenfalls zu für sub-literarische Erzeugnisse taugen würden.

    Hast du noch nie "was wäre wenn" gespielt? Ich fand diesen Abschnitt einfach köstlich. Warum soll er es denn nicht aufschreiben? Diese Files waren ja nicht für die Öffentlichkeit gedacht, sondern eher eine Art Tagebuch.

    @Hirilvorgul, willst Du allen Ernstes darauf eine Antwort? Tu' mir doch sowas nicht an, bitte:
    Ja, ich habe das vor vielen Jahren probiert. Bereits beim Tippen weniger Seiten wurde mir bewusst, was für einen unerträglichen, weil unechten und absolut realitätsfernen Kitsch ich da in die Tasten klopfte; wenn "realitätsfern" wenigstens einen Anklang von "Phantastik" gehabt hätte, aber das war so offensichtlich die Rumtipperei einer völlig unbegabten Person, dass ich den Text noch nicht einmal abspeichern konnte, ich habe das nicht über mich gebracht.
    Egal wo, ob privat oder sonstwo, wenn etwas aufgeschrieben ist, kann es irgendwann einer lesen, ob berechtigter Zugriff oder nicht, ob das nun ein Casaubon ist oder Google, die CIA oder der BND. Und dass ich einen Text abspeichern würde, von dem ich schon beim Tippen sehen konnte, dass ich ihn nie mehr öffnen würde, dass ich sogar den Filenamen nicht ohne ein peinliches Gefühl würde lesen können, hätte das nicht von einer total verdrehten Eitelkeit gezeugt? Soviel Humor, dass ich später mal über solche Peinlichkeiten lachen würde, hätte ich mir (zu Recht) nicht zugetraut.


    Zum Fall der Textdatei von Belbo: Sie zeugt auf jeden Fall von einer absolut treffsicheren Menschenkenntnis bei Umberto Eco. Und wenn ich drüber nachdenke, ist sie sogar ein geschicktes schriftstellerisches Mittel, um genau diese Schwäche aufzuzeigen. Die Datei wirkt nicht absichtlich an dieser Stelle in die Handlung (OK, "Handlung" ist kein allzu guter Ausdruck, wie @Marie schon ein paar Mal angemerkt hat). Außerdem muss ich zugeben, dass diese Art zu schreiben her den Anschein einer wohlwollenden Belustigung seitens des Autors erweckt, aber nicht von Häme. Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass es Eco mal passiert sein könnte, peinliche Textentwürfe geschrieben zu haben. Oder etwa doch? Das wäre etwas, was ich Herrn Eco wirklich gerne selbst gefragt hätte, ob er denn auch irgendwann mal selbst solche Träumereien hatte und sie sogar in Formvon Textdateien abgespeichert hatte; ja, das wüsste ich zu gerne, wenn ich ehrlich bin.


    Ich weiß, dass wir noch nicht weit im Buch sind, und die Figuren zu erfassen, ist bisher gar nicht so schwer, wie wir anscheinend alle merken. Die Sache mit den ganzen versteckten Referenzen und Bezügen empfinde ich aber als brutal schwer an diesem Roman. Und trotzdem bewundere ich die humorvolle Leichtigkeit und den durchdachten Aufbau, wie er diese unglaubliche Fülle von Gedanken, Ideen und detailkonzepten unterzubringen versteht, ohne dass es künstlich gepropft wirkt. Von daher sind die Textdateien eine wirklich gute Idee, muss man Herrn Eco lassen. Es fallen mir nicht gerade viele Schriftsteller ein, die so eine gute Lösung gefunden hätten.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Egal wo, ob privat oder sonstwo, wenn etwas aufgeschrieben ist, kann es irgendwann einer lesen, ob berechtigter Zugriff oder nicht, ob das nun ein Casaubon ist oder Google, die CIA oder der BND. Und dass ich einen Text abspeichern würde, von dem ich schon beim Tippen sehen konnte, dass ich ihn nie mehr öffnen würde, dass ich sogar den Filenamen nicht ohne ein peinliches Gefühl würde lesen können, hätte das nicht von einer total verdrehten Eitelkeit gezeugt? Soviel Humor, dass ich später mal über solche Peinlichkeiten lachen würde, hätte ich mir (zu Recht) nicht zugetraut.

    Okay, vielleicht liegt es daran, dass ich meine Tagebücher früher noch von Hand geschrieben habe. Da war das mit dem Zugriff durch Google und Co. noch nicht so einfach. Auf jeden Fall amüsiere ich mich heute köstlich über das, was ich damals so von mir gegeben habe. Auch über die Peinlichkeiten.

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  • Auf jeden Fall amüsiere ich mich heute köstlich über das, was ich damals so von mir gegeben habe. Auch über die Peinlichkeiten.

    Inzwischen ja. Aber es gab eine Zeit - ich glaube, so zwischen 20 und 30 -, da fand ich meine alten Ergüsse so schrecklich. Weniger die Sprache; an der habe ich immer schon Freude gehabt, aber die Inhalte ... wie ernst man seine Gefühle nahm, wie schnell man verletzt war, wie man unter der Welt litt ... ach, und die Liebe und die Liebe und die Liebe.


    Heute stehe ich drüber. Dennoch habe ich meiner Tochter den Auftrag gegeben, meine Tagebücher nach meinem Tod ungelesen zu verbrennen.

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  • Dennoch habe ich meiner Tochter den Auftrag gegeben, meine Tagebücher nach meinem Tod ungelesen zu verbrennen.

    Ich glaube, wenn ich irgendwann der Meinung bin, dass niemand das lesen darf, dann verbrenne ich sie selbst. Aber das bringe ich eh nicht über's Herz :-,


    ... ach, und die Liebe und die Liebe und die Liebe.

    Tagebücher sind doch eh nur erfunden worden, um dieses ewige "himmelhoch-jauchzend-zu-Tode-betrübt" irgendwie verarbeiten zu können :wink:

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  • dann verbrenne ich sie selbst

    Und wenn du eines Tages umfällst und es nicht mehr schaffst? Für diesen Fall habe ich meine Tochter instruiert - meine Söhne wären zu neugierig. Wenn ich wüsste, dass ich nicht mehr lange zu leben hätte, würde ich sie natürlich selbst verbrennen.


    Na, jetzt sind wir aber weit von Eco abgekommen. :-#

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  • Na, jetzt sind wir aber weit von Eco abgekommen.

    Naja - der Herr Eco schreibt ja auch nicht so ganz geradlinig. Von daher wird man uns den kleinen Exkurs bestimmt verzeihen, :wink:

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  • @serjena , jedes Mal, wenn ich auf ein unbekanntes Wort oder einen Zusammenhang, den ich nicht einordnen kann, stoße, denke ich mir: Das hat serjena bestimmt wieder ausgekundschaftet. Meistens ist es tatsächlich so. Du ersparst mir eine Menge Arbeit.

    Dafür kann ich eure ( @Marie, @Hypocritia, @taliesin, @Nungesser, @Hirilvorgul ) klugen, interessanten Erlärungen des Gelesenen lesen, somit liest sich dieses eigentlich „unmögliche“ Buch viel leichter.

    Ups, ich stehe schon wieder auf dem Schlauch: beim Text aus dem Surabaya-Johnny kriege ich irgendwie schon wieder den Zusammenhang mit den Files nicht gebacken ... ich blicke öfter mal einiges nicht

    Darum war ich so gespannt auf deine Meinung. Surabaya – warum hat Herr Eco ausgerechnet diese Stadt gewählt? wegen des wohlklingenden Namen? man kann zwar folgendes in Binah 11 nachlesen, aber reicht das aus um daraus eine wohlklinge Erzählung mit dem Namen Surabaya-Jim zu machen?

    Zitat von Umberto Eco

    Dein Ruhm verbreitet sich durch den ganzen Archipel, von Surabaya bis Port-au- Prince

    warum ansonst den Namen als zusammenhängender Filename notiert? wie beschrieben in -Binah 11
    Erst wie ich mir das Lied anhörte kam die Assoziation -habe dann noch hin und her "gegoogelt" - fand die Überlegung wert notiert zu werden, sogar einige Seiten Text der Erzählung Lord Jim (nachzulesen im Projekt Gutenberg ) gelesen. Kapitel 45- Schlüsselszene

    Zitat von Joseph Conrad

    »Es gibt kein Entrinnen«, sagte er und blieb stehen, und auch sie stand still, schweigend, und verzehrte ihn mit ihren Blicken. »Und du wirst gehen?« fragte sie langsam. Er neigte den Kopf. »Ah!« rief sie aus, ihn gleichsam durchbohrend. »Du bist wahnsinnig oder falsch. Gedenkst du der Nacht, da ich dich bat, mich zu verlassen, und du sagtest, du könntest es nicht? Es sei unmöglich! Unmöglich! Erinnerst du dich, daß du sagtest, du würdest mich niemals verlassen? Warum? Ich habe kein Versprechen von dir verlangt. Du hast es mir ungefragt gegeben, denk' daran.« – »Genug, mein armes Mädchen«, sagte er. »Es würde sich nicht lohnen, mich noch zu haben.«

    Lord Jim
    Jim gewinnt die Liebe einer Frau, die er Jewel nennt. „In ihrem ganzen Wesen mischten sich auf merkwürdige Weise Scheu und Wagemut.“ Er ist „zufrieden ... beinahe“

    Zitat von Umberto Eco

    …eines Abends kommt ein Mädchen mit bernsteinfarbener Haut in deine Hütte und sagt: »Ich deine, ich mit dir. « ja, es ist schön, am Abend auf der Veranda zu liegen und das Kreuz des Südens zu betrachten, während sie dir die Stirne streichelt.

    Zitat von Umberto Eco

    Doch eines Abends, während das Mädchen dich auf der Veranda streichelt und das Kreuz des Südens am Himmel erglänzt wie noch nie, aber ach, so ganz anders als der Große Bär, da begreifst du: es zieht dich zurück in die Heimat.

    Diese Liebesgeschichte ist nicht nur kompliziert, sondern ebenso tragisch, und das Lied interpretiert dies, meiner Meinung nach sehr intensiv.


    Deswegen kann ich mir gut vorstellen dass Herr Eco um das Verwirrspiel auf die Spitze zu treiben, diese Geschichte in der Geschichte in dieser Form präsentiert, obwohl es allenfalls mit den eigentlichen Geschehnissen gar nichts zu tun hat, mal abwarten. :wink:

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Deswegen kann ich mir gut vorstellen dass Herr Eco um das Verwirrspiel auf die Spitze zu treiben, diese Geschichte in der Geschichte in dieser Form präsentiert, obwohl es allenfalls mit den eigentlichen Geschehnissen gar nichts zu tun hat, mal abwarten

    Ecos Anspielungen, die eventuell etwas bedeuten können und dann vielleicht wieder doch nicht, machen mich auch ganz wirr. Du hast wohl recht damit, dass wir weiterlesen müssen, um zu sehen, wohin er uns mit all seinem Überfluss an Informationen und Anspielungen führt. Aber es könnte tatsächlich gut sein, sich auf einer gewissen Basis mit Informationen abzudecken.



    Macht niemand weiter mit Kapitel 12? Dann versuche ich das nochmal.


    Teil 3 Binah, Kapitel 12, (S. 89 bis 97):


    Casaubon besucht am nächsten Tag Belbo in seinem Verlag. "Gudrun" mit dem nibelungischen Äußeren wird auch in ihrer Art zu sprechen und in ihrer Funktion im Verlag witzig beschrieben. Es stellt sich heraus, dass der Verlag, für den Belbo arbeitet, ihm ein gesichertes Einkommen bei ziemlich geringem Arbeitsaufwand ermöglicht.


    Dann lernen wir endlich den bereits mehrfach erwähnten Diotallevi kennen, der in Belbos Verlag die Lehrbuchabteilung betreut. Das Wort "Verlag" kommt nach Belbos Verständnis von "verlegen", was relativ häufig bei Garamond zu passieren scheint ... naja, das passiert sogar im sächsischen Landtag ab und an mal, und sogar unser Verfassungsschutz verlegt jahrelang ein Mobiltelefon eines V-Mannes - im Vergleich zu solchen Nachrichten klingt Belbos Verlag doch fast normal. Allzu viel scheint auch Diotallevi nicht zu tun zu haben, denn zusammen mit Belbo ersinnen sie alle möglichen "Contradictiones in adjecto", und der Abwechslung halber kriegen wir sogar mal Erklärungen / Übersetzungen einiger Fremdbegriffe geliefert. Casaubon lässt sich von solcherlei zugegebenermaßen recht witzigen Dummheiten sofort anstecken. So wie es in diesem Kapitel klingt, wurde Casaubon am Vorabend in der Bar anscheinend doch nicht von Belbo mit hämischer Verachtung abgestraft:

    Zitat von Umberto Eco

    »Gut«, bekräftigte Diotallevi mit Überzeugung.»Sie müssten mitarbeiten. Der Junge hat Talent, was, Jacopo?«
    »Ja, hab ich gleich gemerkt. Gestern abend hat er mit großem Scharfsinn dumme Gedankengänge ersonnen. Aber machen wir weiter, wo das Projekt ihn ja scheint's interessiert.«

    Da scheinen sich wirklich die richtigen Drei für eine "Reform des Wissens" zusammengefunden zu haben. Eine "Fakultät der Vergleichenden irrelevanz, in der man unnütze oder unmögliche Fächer studieren kann" - würde mich schon interessieren, wie der Mastertitel davon hieße! So ein Studiengang täte der ganzen Organisation gemäß Bologna-Prozess mit all seiner straffen Hetze und der allzu ernsthaften Ausrichtung auf unbedingte Anwendbarkeit wahrscheinlich sogar ganz gut. Das würde bestimmt zur zweitbeliebtesten Traumkarriere nach übergewichtigem Drohnenpilot bei der Luftwaffe avancieren!
    Ja, da glaubt man das folgende doch gleich unbesehen:

    Zitat von Umberto Eco

    ... ohne es zu wollen, haben wir das ideale Profil eines wirklichen Wissens gezeichnet. Wir haben die Notwendigkeit des Möglichen demonstriert.
    (S. 93)


    Doch wenn man sich bis hierher schon kopfschüttelnd wundert, wie Herr Eco sich so viel Unsinn hat ausdenken können, muss man jetzt auch noch lesen, dass das Projekt der Wissensreform nicht die einzige Marotte von Diotallevi darstellt. Er scheint nämlich außerdem von der fixen Idee besessen, er sei durch und durch Jude, entgegen aller dagegensprechenden Argumente. Diotallevi ist "ein treuer Jünger der Kabbala".


    Auf der letzten Seite des Kapitels legt Casaubon seine Ansicht über die angeblich gängige und allseits akzeptierte Templertheorie dar (Ich gebe zu, dass auch ich ähnliches gelesen zu haben glaube, weiß aber nicht, ob ich damit vor Jahren etwas Repräsentatives gelesen habe oder nicht):

    Zitat von Umberto Eco

    Auch der hier behauptet, den Ursprung des Freimaurertums in jener Flucht der Templer nach Schottland gefunden zu haben. Eine Mär, die seit zweihundert Jahren ständig wiedergekäut wird, reinste Phantasie. Kein Beweis weit und breit, und ich könnte Ihnen ein halbes Hundert Bücher anschleppen, die alle denselben Stuss erzählen, eins vom andern abgeschrieben.
    Sehen Sie hier, das hab ich aufs Geratewohl aufgeschlagen: >Der Beweis für die schottische Expedition liegt in der Tatsache, dass sogar heute, nach sechshundertfünfzig Jahren, noch immer Geheimbünde in der Welt existieren, die sich auf die Tempelritter berufen. Wie lässt sich die Fortdauer dieser Erbschaft anders erklären?<
    Verstehen Sie? Wie sollte es möglich sein, dass der Marquis von Carabas nicht existiert, wo doch auch der Gestiefele Kater beteuert, in seinen Diensten zu stehen?

    Tja, nun kommt's ans Licht - nicht nur durchgeknallte Intellektuelle befleißigen sich krummer Syllogismen, sondern auch ein paar von denen, welche unter die Bezeichnung "ernsthafte Wissenschaftler und Historiker" fallen. An genau dieser Stelle ist mir wieder eingefallen, wie sehr sie mich schon vor Jahren beeindruckt hat. Wie leicht wir uns selbst überzeugen lassen, dass etwas so sein muss, wie es uns dargestellt wird, wenn wir es nur mehrfach an unterschiedlichen Stellen lesen.
    Diese Stelle im "Pendel" hat bei mir im Hirn einen kleinen Schalter umgelegt. Vor kurzem, als ich "The Great Escape" von Angus Deaton las, der 2015 mit dem Nobelpreis für Ökonomie ausgezeichnet wurde, hat mich bsw. eine Stelle im Buch aufhorchen lassen, an der der Autor Bezug nimmt auf eine neuere Theorie, gemäß derer der anthropologische Schritt vom Nomadentum zur Sesshaftigkeit nicht unbedingt freiwillig und aus der Einsicht eines besseren Lebensstandards erfolgt sein muss, sondern dass wahrscheinlich die Jagdmöglichkeiten und Erntemöglichkeiten von wildwachsenden Nahrungsmitteln durch Abschöpfung durch den Menschen so dezimiert waren, dass der Mensch nun selbst und mithilfe von Planung und Arbeit seine Nahrungsmittel an einem festen Ort züchten musste. Somit war dieser Schritt nicht unbedingt als eine bahnbrechende Neuerung in der damaligen Zeit zu sehen, sondern eher als eine Lösung für eine Notsituation, die der Mensch in Zeiten, als ihm noch alles "wie im Paradies" von der Natur ohne größere Mühen dargeboten wurde, durch Überjagung etc. selbst verschuldet hatte. Dabei war mir dies in diversen Büchern, in der Schule und in Dokus immer als wichtigen, weil quasi evolutorisch in freier Entscheidung gewählten Schritt dargestellt worden. Aber jetzt kann ich mir durchaus vorstellen, dass eher andersrum ein Schuh draus wird.
    Ich denke, dass der obige Absatz aus dem "Pendel" auch dafür verantwortlich ist, dass ich die ewig gleichen Anschuldigungen der "Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte", die so oft zitiert wird, um den Russen die Schuld für sämtliche Anschläge und Tote auf syrischem Gebiet in die Schuhe zu schieben, in Zweifel ziehe und sage: nichts genaues wissen wir nicht. Denn auch wenn diese Instanz die einzige sein mag, auf die sich Medien berufen können bezüglich Nachrichten aus Syrien, so muss man sich doch immer vor Augen halten, dass sieaus einem eiinzigen Mann irgendwo in London besteht, der seine Meldungen angeblich ausnahmslos aus Nachrichten von direkten Kontakten mit Menschen in den syrischen Kriegsgebieten zusammenstellt. Aber wer sagt uns mit Bestimmtheit, dass er nicht evtl. von dubiosen Quellen aus Arabien, der Türkei oder gar aus dem Westen finanziert wird? Mit Bestimmtheit wissen wir weder dies noch dass seine Meldungen, die nicht unabhängig überprüft werden können, authentisch sind. Seit der famosen "Brutkastenlüge" im Zusammenhang mit dem Irak sollte man wissen, dass man wirklich alles dreimal hinterfragen sollte, bevor man es als gegeben akzeptiert. Und mit "hinterfragen" kann kein dreimaliges Lesen in unterschiedlichen Medien gemeint sein, die ihre Infos alle aus derselben Quelle der syrischen Beobachtungsstelle beziehen, oder?


    Fazit: Kapitel 12 ist bisher mein absolutes Lieblingskapitel im Buch: lustig, auf intelligente Weise witzig und einfallsreich, und, für mich zumindest, gedanklich äußerst anregend. Das Trio Belbo, Casaubon und Diotallevi ist mir in diesem Kapitel ziemlich sympathisch.




    Edit: Will nicht wieder mal jemand anders mal das nächste Kapitel übernehmen? Ich komme mir schon ein bisschen blöd vor, immer diejenige zu sein, die zum jeweils nächsten Kapitel postet ... :lol:

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  • Ich komme mir schon ein bisschen blöd vor, immer diejenige zu sein, die zum jeweils nächsten Kapitel postet ...

    Na na, bisher habe ich zu jedem Kapitel was gesagt. Nicht immer viel und nicht immer schlau, aber ein paar Sätze waren es doch jedes Mal.


    Binah 12


    "Füll eine Badewanne mit Fremdwörtern und wirf den Leser rein", so könnte der Tipp des Lektors an den Autor gewesen sein. Tatsächlich existieren manche dieser Wörter nur in diesem Buch von Eco. Ich habe ein paar dieser grotesken Begriffszusammensetzungen aus Spaß an der Freud gegoogelt, und bei nicht wenigen erschienen ausschließlich die entsprechenden Zeilen aus diesem Buch. Andere gibt es wirklich, und sie lassen sich auf irgendeinem Online-Wörterbuch finden, einer wurde sogar als Facebook-Nick übernommen. :loool:


    Ich finde das Kapitel wunderbar. Es belästigt den Leser nicht mit überflüssigem Geschwafel, nicht mit merkwürdig philosophischen Abschweifungen oder (vermeintlich?) tiefsinnigen Gedanken, sondern unterhält ihn mit Absurditäten und Wortspielereien. Ich habe mich jedenfalls gut amüsiert.
    Um aus den drei Protagonisten das Dreigespann Casaubon-Belbo-Diotallevi zu machen, wird, glaube ich, hier der Grundstein gelegt.


    Auch gut, dass man endlich ein paar Informationen zu den schon oft erwähnten Templern bekommt. Sie scheinen, wie meine oberflächlichen Recherchen ergeben haben, tatsächlich zu stimmen. Hier findet man die ganzen 72 Regeln aufgelistet, bei denen Bernhard von Clairvaux, dieser dogmatische und kriegerische Mönch, seine Finger im Spiel hatte. - Nein, Bernhard gehört nicht zu den historischen Männern, die auf meiner Beliebtheitsliste stehen. Er spielte einige sehr unrühmliche Rollen. -


    Verlag - verlegen - verlieren. Das müsste im Italienischen (bedauerlich, dass @mofre wieder verschwunden ist) ähnlich möglich sein; ich schließe einfach mal von der Übersetzung auf das Original. Natürlich verwendet jeder das Wort in beiden Sinnen, aber mir ist die Doppeldeutung erst bei diesem Abschnitt aufgegangen. :idea:
    Über allem wacht die teutonische Gudrun. So haben die Nibelungen es also auch in Ecos Buch geschafft. :-s


    Diotallevi möchte Jude sein. Hier sehe ich einen Querverweis zu den Templern, die während des 1. Kreuzzugs gegründet wurden. Es ging um die Befreiung Jerusalems, und die Kreuzritter nahmen 1099 Jerusalem, die Hauptstadt der Juden ein, obwohl sie auch unter den Muslimen und koptischen Christen ein Gemetzel anrichteten. Jerusalem als zentraler Punkt der drei monotheistischen Religionen sollte allein den Christen gehören, der einzig selig machenden Religion.
    Mal sehen, ob meine Assoziationen übers Ziel hinausschießen, oder ob Diotallevis Wunsch, Jude zu sein, im weiteren Verlauf eine Rolle spielt.



    (Zu Binah 13 werde ich frühestens übermorgen etwas sagen können, denn ich habe das Kapitel heute nicht geschafft, und ich lasse jedes Kapitel einen Tag sacken, ehe ich mich dazu äußere.)

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  • Wie immer bin ich begeistert von eueren Ausführungen des Gelesenen. Persönlich fand ich Binah 12 richtig leicht zu lesen, keine überflüssigen Schnörkel. Endlich lässt mich der Autor nicht schon wieder zweifeln ob ich seinen Worten "gewachsen bin" (Im Sinn von "ist die Messlatte für dich nicht zu hoch angelegt"). Jedoch wie immer "stolpere" ich über irgend was.

    Verlag - verlegen - verlieren. Das müsste im Italienischen (bedauerlich, dass @mofre wieder verschwunden ist) ähnlich möglich sein; ich schließe einfach mal von der Übersetzung auf das Original

    Leider gibt es diese "Wortspielereien" im italienischen nicht.
    Verlag = casa editrice
    Somit lautet der Text im italienischen schlicht und einfach.

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    Horst Lichter

  • Leider gibt es diese "Wortspielereien" im italienischen nicht.

    Dann hat sich also der Übersetzer Burkhart Kroeber die Freiheit herausgenommen, etwas zu übersetzen, was Eco in diesem Sinne nicht vorgegeben hat, bzw. nicht vorgeben konnte. Meine Hochachtung! :applause:


    Auf die Idee, dass Übersetzer so frei sind, bin ich noch nicht gekommen. Wieder was gelernt.


    @serjena, manchmal dauert es eine Zeitlang, bis mein Hirn sich einschaltet. Daher hatte ich wohl vergessen, dass Du ja auch italienische Bücher im Original liest. #-o Heißt also: Wenn wieder sprachlich strittige Stellen kommen, kannst Du im Originaltext nachsehen und ggf. die wörtliche Übersetzung liefern.

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  • Heißt also: Wenn wieder sprachlich strittige Stellen kommen, kannst Du im Originaltext nachsehen und ggf. die wörtliche Übersetzung liefern.

    Kann ich machen, gerne :flower:

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Entschuldigt bitte, dass ich so lange nichts mehr geschrieben habe. Aber ich hatte durch Krankheit (nicht ich, glücklicherweise) etwas viel zu tun - längere Fahrten zu Besuchen, viele Gespräche usw. Ich hoffe, ich komme jetzt schnell wieder rein und bin schon kräftig am Nachholen. Buch lesen und natürlich hier.

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Aber dafür muss man es eben erstmal als solches erkennen. Die wenigsten, die sich selbst bemitleiden, sind sich dessen bewusst. So gesehen ist unser Freund Belbo doch was besonderes.


    Ich denke, Du hast tatsächlich recht mit deiner Feststellung bezüglich des Selbstmitleids. Der Sarkasmus scheint wirklich ein Zeichen dessen zu sein, dass er tief drinnen weiß, dass er kein Talent hat, weil ihm mit seiner Bildung eigentlich zangsläufig klar sein muss, wie kitschig sie sind und damit bestenfalls zu für sub-literarische Erzeugnisse taugen würden.

    Interessant, wie unterschiedlich Belbo auf uns Lesende wirkt. Ich finde ihn ungemein sympathisch und er tut mir auch leid. Denn ich halte ihn wie auch @Hirilvorgul für etwas Besonderes, der als einer der Wenigen die Erkenntnis hat, dass er nichts Besonderes ist. Wenn er schreiben würde, dann sollten es zumindest nur Werke wie von Shakespeare sein oder etwas in dieser Liga. Mittelmaß will er nicht und verzichtet darauf - Hut ab, wenn das mehr Autoren beherzigen würden, wäre unser Buchmarkt garantiert wesentlich übersichtlicher :wink:

    Fazit: Kapitel 12 ist bisher mein absolutes Lieblingskapitel im Buch: lustig, auf intelligente Weise witzig und einfallsreich, und, für mich zumindest, gedanklich äußerst anregend. Das Trio Belbo, Casaubon und Diotallevi ist mir in diesem Kapitel ziemlich sympathisch.

    Geht mir auch so, ich habe mich richtig amüsiert über diese intelligenten und phantastischen Wissenschaftszweigerfindungen. Es erinnert mich ein bisschen an die Methode, soviele Fremdwörter wie möglich zu benutzen, bis kein Mensch mehr etwas versteht und schwupps, ist etwas hochwissenschaftliches entstanden und alles nickt nur voller Ehrfurcht :lol:


    Die Studienjahre der 68er und ihrer Kommilitonen in der Folgezeit - die Zeit wird konkret und die Person Casaubon fassbarer. Er schien während seiner Studienzeit das gewesen zu sein, was man hierzulande einen „Radieschenrevoluzzer“ nannte: Außen rot, innen weiß.

    So 'ernst' würde ich das gar nicht sehen. Immerhin äusserte er seinen Kommentar zu 'Materialismus und Empiriokritizismus' völlig offen und kassierte dafür eine Tracht Prügel. Meiner Meinung nach hat er in seinen jungen Jahren bereits erkannt, dass es nicht nur schwarz und weiß gibt, sondern auch jede Menge Grautöne. Und er hat den Kant'schen Imperativ offenbar bereits verinnerlicht.


    ...ich warf keine Steine und schleuderte keine Stahlkugeln, weil ich immer Angst hatte, dass die andern mit mir machen würden, was ich mit ihnen machte,...

    Ich bin nun auch bei Kapitel 13 angelangt und kann wieder mitmischen :lol:

    :study: Das Eis von Laline Paul

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  • Es erinnert mich ein bisschen an die Methode, soviele Fremdwörter wie möglich zu benutzen, bis kein Mensch mehr etwas versteht und schwupps, ist etwas hochwissenschaftliches entstanden und alles nickt nur voller Ehrfurcht

    Ich sehe das jetzt schon als einen vorsichtigen HInweis auf den von den Herren bald begonnenen Großen Plan, das Spiel das sie später erfinden werden. Casaubon bemerkt
    nämlich sehr treffend, dass wahrscheinlich ob all der pseudowissenschaftlichen Erfindungen irgendwann jemand kommt und die Sache ernst nimmt und folglich etwas ernsthaftes
    darüber schreibt. Und schon kann aus Spiel Ernst werden, aus Fiktion Realität. Das ist schon sehr gut eingefädelt Herr Eco.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Ich sehe das jetzt schon als einen vorsichtigen HInweis auf den von den Herren bald begonnenen Großen Plan, das Spiel das sie später erfinden werden. Casaubon bemerkt
    nämlich sehr treffend, dass wahrscheinlich ob all der pseudowissenschaftlichen Erfindungen irgendwann jemand kommt und die Sache ernst nimmt und folglich etwas ernsthaftes
    darüber schreibt. Und schon kann aus Spiel Ernst werden, aus Fiktion Realität. Das ist schon sehr gut eingefädelt Herr Eco.

    Daran musste ich auch gleich denken. Da haben sie sich einen wunderbaren Großen Plan zusammengesponnen und plötzlich nimmt es jemand (oder vielleicht sogar sie selbst?) ernst, erzählt anderen davon und dann greift eins ins andere...

    Gelesen in 2024: 7 - Gehört in 2024: 5 - SUB: 598


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark

  • Binah 13
    Eine erste Kurzfassung dieses doch recht umfangreichen Kapitels, welches mit einer Füllung an Informationen aufwartet.

    Am Abend trifft sich Casaubon mit Belbo und Diotallevi bei Pilade um ihnen "Die Geschichte der Templer" zu erzählen.

    Zitat von Umberto Eco

    "Was sind es für Leute?" "Hugo und die ersten acht sind wahrscheinlich noch Idealisten, von der Kreuzzugsmystik durchdrungen. Aber später sind es dann junge Kerle, zweitgeborene Adelssöhne auf der Suche nach Abenteuern. Das neue Reich von Jerusalem ist ein bisschen das Kalifornien jener Epoche, da kann man sein Glück machen...

    Die Frage verleitet ihn eine saloppe Geschichte welche bevölkert ist von einer Bande voller Halunken, ohne Zucht und Ordnung zu erzählen, indem er sich ziemlich hinein steigert mit seinen Übertreibungen.
    Kalifornien jener Epoche, sicher eine Anspielung des Autors auf die ersten europäischen Entdecker.
    Er bemerkt es selbst und ergänzt

    Zitat von Umberto Eco

    „Vielleicht mach ich's ein bisschen zu sehr auf Western“.

    Hält ihn jedoch nicht davon ab mit seiner „hanebüchen“ Erzählung weiter zu fahren. Ein Schelm wer hier nicht denkt Herr Eco, spielt hier ein wenig Dan Brown. :)


    Sein Fokus richtet sich ins besonders auf den „Heiligen“ (ich persönlich habe es nicht besonders mit diesen von der katholischen Kirche erhobenen „Heiligen“, aber das ist eine andere Geschichte) Bernhard von Clairvaux, welchen er wie aus seinen Worten ersichtlich wird abscheulich findet, der jedoch eine wichtige Rolle spielt in der Geschichte des Tempelorden wobei man unterscheiden muss zwischen der literarisch- fiktiven und historiografischen Schilderung.

    Zitat von Umberto Eco

    1128 läßt er extra ein Konzil in Troyes einberufen, um zu definieren, was genau diese neuen Mönchssoldaten sein sollen,

    Dadurch das Casaubon die Geschichte ausschmückt stacheln sich die Gesprächspartner an was sie verleitet aus der Objektivität zu entgleiten.

    Zitat von Umberto Eco

    "Trinkend und fluchend wie Templer ...", ergänzte Belbo.
    "Gottverflucht, Gottverdammt, Herrgottsakrament, Himmelnochmal, Potzblitzdonnerundschwefel,


    Jesusmariaundjoseph!" dramatisierte ich. „Kein Zweifel, unser Mann gerät außer sich, er... zum Teufel, was macht ein Templer, wenn er außer


    sich gerät? "Er läuft blauviolett an", erwog Belbo."Genau, du sagst es, er läuft blauviolett an, reißt sich die Kleider vom Leib und wirft sie zu Boden ...""Und brüllt: Behaltet dies elende Dreckshemd, ihr und euer Scheißtempel! " schlug ich vor. "Oder vielmehr, er haut mit dem Schwert auf das Siegel, zerbricht es und brüllt: Ich haue ab zu den Sarazenen!"

    Bis es Casaubon bewusst wird und er beginnt zu relativieren und er beginnt die Tatsachen in einer milderen Form zu erzählen.

    Zitat von Umberto Eco

    "Nein", sagte ich, "es ist meine Schuld, wenn dieser Eindruck entstanden ist, ich habe versucht, die Geschichte möglichst lebendig zu machen..."

    Wie er weitere Erläuterungen zu den Schenkungen welche die Regenten Europas dem Orden zugestanden abgibt, fragt Diotallevi, nicht ganz zu Unrecht

    Zitat von Umberto Eco

    "Waren es denn bloß Rodomontaden?"

    (nach dem prahlerischen König der Sarazenen Rodomonteim Epos „Orlando Furioso“ (Der rasende Roland) des italienischen Dichters Ludovico Ariosto (Ariost) (1474–1533)
    Wieder etwas dazu gelernt, danke Herr Eco :wink:


    Wobei er anschliessend die Geschichte von Askalon erzählt. Und hier bringt er einige Daten durcheinander, aber ich denke diese ist nicht wichtig für das was die drei Herren später in ihrem „Grossen Plan“ verwenden werden.


    Schliesslich sagt er den bedeutenden Satz

    Zitat von Umberto Eco

    Ich bereute. Schließlich lebte ich seit zwei Jahren mit den Templern und mochte sie. Erpresst vom Snobismus meiner Zuhörer, hatte ich sie als Comicfiguren dargestellt

    Jedoch Schwupps gibt er einem andern Chronist Guillaume von Tyrus die Schuld.


    In der weiteren Erzählung schwingt er sich zu einer Euphorie degenüber den Templer auf welche sie als Helden grosser Taten und Ehre darstellt unter den jeweiligen Anführern der Kreuzzüge. Somit

    Zitat von Umberto Eco

    ... als der Mythos bereits verdämmert, kommt Ludwig der Heilige auf den Thron, der König, der als Tischgenossen den Aquinaten hatte; er glaubt noch an den Kreuzzug, trotz zweier Jahrhunderte voller Träume und gescheiterter Ansätze wegen der Dummheit der Sieger. Lohnt es sich, noch einen Versuch zu wagen? jawohl, es lohnt sich, sagt Ludwig der Heilige, die Templer stimmen ihm zu und folgen ihm ins Verderben, denn das ist ihr Beruf, wie wäre der Tempelorden zu rechtfertigen ohne Kreuzzug?

    Schon wieder ein "Heiliger". Denkt wohl jeder Papst, während meiner Karriere muss ich unbedingt jemanden heilig sprechen, das erhöht doch sicher meine Chancen „oben“. Somit geht er auf die Suche nach geeigneten Kandidaten, „na wer hätten wir den da wer hat noch nicht, wer will…“ (Aber ich schweife ab)


    Obwohl den Templer bewusst wird dass die Gesinnung den jeweiligen Regenten welche die Kreuzzüge führten nicht immer ehrenvoll ist, folgten sie ihnen bis zum bitteren Ende.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter