Haruki Murakami: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt / Sekai no owari to Hādoboirudo Wandārando

  • "Hard-boiled Wonderland and the End of the World" von Haruki Murakami


    Haruki Murakamis Roman aus dem Jahre 1985 spielt wie der Titel schon andeutet in zwei getrennten Welten, die in alternierenden Kapiteln beschrieben werden.


    Hard-boiled Wonderland spielt in einem Tokio, das von einem Datenkrieg heimgesucht wird. Der 35-jährige Icherzähler (geschieden, ohne sozialen Kontakte) ist ein "Calcutec", er verschlüsselt Daten mit Hilfe seines Unterbewußtseins. Ein Auftrag führt ihn zum unterirdischen Labor des "Professors", einem Mann, der nicht nur diese Verschlüsselungsmethode erfunden hat, sondern der die Lautstärke der umgebenden Welt beeinflusst und Tierschädeln merkwürdige Töne entlocken kann - und das Leben des Icherzählers völlig auf den Kopf stellen wird.


    Dagegen ist "The End of the World" oberflächlich sehr ruhig: Eine Stadt, umgeben von Wald und einer hohen unüberwindlichen Mauer, keine Geräusche, keine Menschen auf den Strassen. Der Torwächter nimmt eine führende Position ein, er ist für die dort lebenden Einhörner zuständig, er schneidet dem Icherzähler bei dessen Ankunft seinen Schatten ab, er weißt ihm die Arbeit eines Traumlesers zu. Nur wenige andere Menschen wird der Icherzähler kennenlernen: den Oberst, bei dem er wohnt, der ihm die Stadt erklärt, in der nur Menschen ohne "mind" leben, die Bibliothekarin, die ihm bei seiner Aufgabe Träume aus Einhornschädeln zu lesen assistiert. Doch sein Schatten schmiedet Fluchtpläne für sie beide, obwohl ihm der hereinbrechende Winter zu schaffen macht...


    Meine Meinung: Das ist die abgedrehteste Story, die ich von Murakami gelesen habe und es mir schwer gefallen eine Inhaltsangabe zu geben, da das Buch auch davon lebt, dass die beiden Icherzähler ihre jeweilige Welt im Laufe des Romans immer besser verstehen lernen und der Leser den Zusammenhang der beiden immer genauer versteht. Gerade die Amazon-Inhaltsangabe verrät meiner Meinung nach bereits zu viel.
    Schon früh sind die beiden Geschichten durch bestimmt Motive (Einhörner, Büroklammern) verbunden, zu denen sich im Verlauf immer mehr gesellen (die Bibliothekarin). Die Musik, die in Murakamis Roman meist eine Rolle spielt, ist dagegen vorerst ein trennendes Element: während der Icherzähler im Hard-boiled Wonderland, Bob Dylan u.a. hört, ist Musik am "Ende der Welt" zunächst unbekannt. Mir hat es Spaß gemacht, diese Parallelen und Unterschiede zu entdecken.
    Spannung kommt auf zwei Arten zustande: zunächst sind die Abenteuer in Tokio per se spannend, da gibt es "Semiotecs" (die Gegenspieler der "Calcutecs") und Inklings, Wesen die Tokios Unterwelt unsicher machen; anderseits wollte ich den Zusammenhang zwischen den beiden Handlungssträngen entdecken - wobei man schon ab der Mitte des Romans relativ genau bescheid weiß - und dann wissen will, wie die Geschichte ausgeht...
    Wie gesagt, diese Geschichte ist abgedreht, an manchen Stellen war mir das auch ein bißchen zu dick (z.B. der Professor für den die wissenschaftliche Neugierde fast über allem steht, die fantastische Unterwelt im ansonsten völlig realistischen Tokio), trotzdem mag ich das Buch sehr, Murakamis typische Themen wie Unterbewußtsein, Erinnerungen usw. werden hier sehr radikal dargestellt, und es macht einfach Spaß den Zusammenhang zwischen den beiden Welten zu entdecken.


    Noch eine Anmerkung: In Jay Rubins "Murakami und die Melodie des Lebens" habe ich gelesen, dass im japanischen Original die beiden Icherzähler sehr klar unterscheidbar sind -- im "End of the Word"-Teil wird "boku", ein informelles "Ich" verwendet, das eigentlich nur junge Männer in geprochener Sprache benutzen, während im "Hard-boiled Wonderland" das formellere (und in der Literatur üblichere) "watashi" verwendet wird. In der englischen Übersetzung wurde versucht wenigstens einen Teil dieses Effekt zu erhalten, indem Präsenz bzw. Vergangenheit benutzt wurden. So bekommt der von "watashi" ausgeprochene Satz "Wunderbar- und was wird dann aus mir (boku)?" eine ganz neue Zweideutigkeit! (Siehe jay Rubin: Murakami und die Melodie des Lebens S. 134)


    Im Forum "Ich lese gerade" gibt es schon von Azreal einen Thread zu dem Buch.


    Katia

  • Die deutsche Ausgabe des Buchs von Suhrkamp ist leider nicht mehr erhältlich, im August erscheint die Neuausgabe bei Dumont.

  • Schreibe jetzt mal keine so große Anekdote dazu,da das meiste von Katia schon ganz gut zusammengefasst wurde und man hier vorsichtig sein muss, da man sehr schnell wichtiges spoilern kann.
    Das es mir sowohl von der Geschichte,den Charackteren und vor allem der von Murakami wie so oft perfekt beschriebenen Stimmung mehr als gut gefallen hat muss an dieser Stelle reichen =)


    Kennt übrigens jemand, der das Buch gelesen hat den japanischen Film 'Marebito' ?
    Da meine ich nämlich dieses Buch als große Inspirationsquelle zu erkennen. Nicht von der Geschichte her, aber das mit der unheimlichen,dunklen und beklemmenden Unterwelt unter Tokyo,die mit dem U-Bahnnetz verbunden ist, dass kam mir doch schon von irgendwo her bekannt vor ^^

    "Greatness evolves from trust–in yourself, in your ideas, and in your ability to know, deep down, what’s best for you. We must not betray that trust, because the moment we do, we betray our own potential."


  • >Gewöhnungsbedürftig!<


    Und damit meine ich zu einem den Aufbau, der in zwei konstant
    gegliederten Strängen abläuft und darüber hinaus die fiktive Handlung.
    Diesmal ist es nicht der magische Realismus, sondern pure Phantasie mit
    einem Hauch Wirklichkeit, darauf sollte sich der Leser einstellen.


    Ich wusste es nicht, lese ja meist den Klappentext nicht, und hatte
    zunächst meine Schwierigkeiten mit dem Roman, vor allem mit dem Strang
    >hard-boiled wonderland<, der zudem noch wie ein Abenteuerroman
    aufgebaut ist, was ich gar nicht gerne lese. Grundsätzlich würde ich
    behaupten, dass Murakami seine Probleme mit dem Spannungsbogen hat,
    durch seine eher kühle Sprache und distanzierte Herangehensweise, kann
    er keine großen Emotionen vermitteln. Die Dialoge sind dazu zu flach,
    ohne menschliche Hektik oder Aufregung, meist geht die Spannung unter.
    Aber diese Ebene hätte es gebraucht.


    In >hard-boiled wonderland< ist der Protagonist Kalkulator des
    Systems, der Gegenpol ist die Fabrik, beide Mächte bekriegen sich um
    eine neue Art von Datensicherung, die irgendwie durch Gehirnmanipulation
    stattfindet – verstanden habe ich das Ganze nicht, spielt aber auch
    keine große Rolle. Also dieser Protagonist kommt in die Situation von
    beiden gejagt zu werden, nur der Professor, der diese Speicherart
    erfunden hat, hilft ihn ein wenig … Also wie gesagt, ein wenig
    unspektakulärer und dafür ein bisschen echter – täten dem Roman gut.


    >Manchmal glaube ich, dass jeder von uns früher an einem
    anderen Ort gelebt und ein ganz anderes Leben geführt hat. Und aus
    irgendwelchen Gründen haben wir das alles vollkommen vergessen und leben
    jetzt, ohne davon zu wissen.<


    So – der andere Strang >Das Ende der Welt<, das ist wieder der
    Murakami, das was er kann, ruhig, ausgeglichen, leise – diese Welt liest
    sich insgesamt besser und ist die rein unbewusste Ebene des
    Protagonisten, dorthin muss er fliehen und es dauert recht lange, bis
    dieser das kapiert, der Leser ist ihm da schon einige Schritte voraus.


    >Die Gestalt der Welt hängt ab von der Art und Weise, wie sie gesehen wird.<


    Zum Schluss obwohl beide Stränge nie zusammen kommen, hat man dennoch
    ein tolles Leseerlebnis, weil sie sich ineinander fügen – er kann nicht
    außerhalb seiner begrenzten Welt leben!


    > “Kann ich auch mit hinein in deine begrenzte Welt?“ […]
    „Jeder kann hinein, und jeder kann sie wieder verlassen […] Nur bitte
    beim Hereinkommen die Schuhe gut abtreten, und beim Verlassen die Türe
    schließen.“<


    Da man am Ende noch einige Tage das Gelesene durch den Kopf gehen
    lässt, weil man noch mit den Gedankengängen spielt, erhält der Roman von
    mir 4 Sterne, auch wenn mir der Part >hard-boiled wonderland< so
    gar nicht gefallen hat.


    >Was man gibt, stimmt nicht mit dem überein, was der andere braucht.<

  • Eigene Meinung:
    Ich hab ziemlich lange gebraucht bis ich in die Geschichte reingefunden habe. Entweder habe ich am Anfang des Romans eine wichtige Information verpasst (zu der Zeit war ich im Krankhaus) oder die Verbindung der zwei Welten wird tatsächlich erst am Ende enthüllt.Es war jedenfalls interessant die beiden verschiedenen Erzählstränge zu verfolgen, auch wenn sie in meinen Augen in dem Moment keinen wirklichen Sinn machten und kaum miteinander zu vereinbaren waren.Murakami schafft eine richtige Phantasiewelt, allerdings hat mir der Klappentext auch nicht wirklich geholfen, das Buch zu verstehen. Erst die letzten Seiten offenbarten mir das Geheimnis des Romans. Und hier bin ich dann auch wirklich froh nicht vorher aufgegeben zu haben (nicht, dass ich das vorhatte, aber ich habe mich tatsächlich öfter nach der Intention des Buches gefragt). Denn nun habe ich das Buch seit gestern mittag ausgelesen und denke aber dennoch darüber nach.


    Fazit:
    Murakami hat mit „Hardboiled Wonderland und das Ende der Welt“ bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Es ist gewöhnungsbedürftig zu lesen, aber wenn man durchhält, hat man einen interessanten Roman mehr gelesen.
    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Der Originaltitel lautet: 世界の終りとハードボイルド・ワンダーランド / Sekai no owari to Hādoboirudo Wandārando

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker:

  • ### Inhalt ###

    Der namenlose Protagonist ist Kalkulator beim System. Für einen besonderen Auftrag muss er in ein geheimes schwer zugängliches Labor eines Professors, um dort einige Daten zu bearbeiten. Den wichtigsten Teil, das Shuffling, eine verbotene Berechnungsmethode, möchte er zuhause in seiner Wohnung auf die Daten des Professors anwenden. Nach getaner Arbeit wird er von den Semioten überfallen, den Gegnern des Systems. Die Enkelin des Professors kommt einige Zeit später in seine Wohnung und bittet ihn, sie nochmals zu ihrem Opa zu begleiten, da er sich in großer Gefahr befinde - die Welt hänge davon ab. Nach einer abenteuerlichen gefährlichen Irrfahrt unter der Erde gelangen sie zum Professor und unser namenloser Held muss erfahren, dass sein Gehirn Objekt eines schiefgelaufenen Experiments war, dass ihn bald den Kontakt zur bekannten Realität verlieren lässt.


    ### Meinung ###

    Eine sehr surreale Welt, in die uns Murakami da abtauchen lässt. Wir sind Zeuge des steten Wechsels zwischen den Welten oder Realitäten, in denen der Protagonist sich aufhält. Die eine Welt ist die uns bekannte Welt in irgendeiner Stadt in Japan, naja, auch hier und da mit sonderbaren Gestalten gespickt. Die andere Welt ist eine seelenlose von einer hohen Mauer umgebenen Welt, das "Ende der Welt", in der die Menschen keine Schatten haben.

    Der Hauptcharakter betrachtet seinen nahenden Übergang in die andere Welt, in das "Ende der Welt" sehr gelassen, lässt dabei sein Leben Revue passieren. Auf der einen Seite hängt er an seinem wirklichen Leben, auf der anderen Seite liebt er das begrenzte, eingeschneite Ende der Welt, die Fantasiewelt in seinem Kopf. Seine letztendilche Entscheidung hat etwas gelassenes, surreales und trauriges zugleich. Ich vermute, der Roman steht metaphorisch für einen watteweichen geistigem Übergang, vom Leben zum Tod, von geistiger Klarheit zur geistigen Umnachtung oder für irgendeine Art von Abschied.


    ### Fazit ###

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:


    Surreale Geschichte über eine geistige Veränderung. Gelassene, fast gleichgültige Erzählstimme.

    Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen. -- Horaz


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  • Squirrel

    Hat den Titel des Themas von „Haruki Murakami: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt / 世界の終りとハードボイルド・ワンダーランド / Sekai no owari to Hādoboirudo Wandārando“ zu „Haruki Murakami: Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt / Sekai no owari to Hādoboirudo Wandārando“ geändert.