Ladislav Fuks - Die Mäuse der Natalie Mooshaber / Myši Natálie Mooshabrové

  • Der Autor (Wikipedia): Der tschechische Schriftsteller Ladislav Fuks, Verfasser psychologischer Romane, die sich vor allem mit dem Faschismus, moralischen Dilemmata und den charakterlichen und sozialen Ursprüngen von Grausamkeit, Unmenschlichkeit und Gewalt auseinandersetzten, wurde am 24. September 1923 in Prag als Fuks als Sohn eines Polizisten geboren. Er studierte Philosophie, Psychologie und Geschichte. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er als Verwalter in Hodonín, einer Stadt in Südmähren. Im Jahre 1949 erhielt er seinen Doktortitel und arbeitete bis 1959 in der staatlichen Denkmalverwaltung der Nationalgalerie. Nach seinem auch im Ausland sehr erfolgreichen Erstlingsroman "Herr Theodor Mundstock" widmete er sich ganz dem Verfassen von Prosatexten und lebte als freier Schriftsteller. Obwohl er im In- und Ausland Anerkennung fand, blieb er im Alter einsam und ohne Freunde. Er starb am 19. August 1994 in Prag.[/i]


    In deutscher Übersetzung liegen folgende Werke vor:
    "Herr Theodor Mundstock" (Pan Theodor Mundstock), 1963. Der Roman wurde 1984 von Waldemar Dziki in Polen unter dem Titel „Kartka z podrózy“ (engl. „Postcard from a Journey“) verfilmt.
    "Variationen für eine dunkle Saite" (Variace pro temnou strunu), 1966
    "Der Leichenverbrenner" (Spalovač mrtvol), 1967. Der Roman wurde 1968 von Juraj Herz nach einem Drehbuch von Ladislav Fuks verfilmt. Der Film liegt seit 2011 in einer hervorragenden deutschen DVD-Edition vom Label „Bildstörung“ vor.
    "Die Mäuse der Natalie Mooshaber" (Myši Natálie Mooshabrové), 1970
    "Der Fall des Kriminalrats" (Příběh kriminálního rady), 1971
    "Die Toten auf dem Ball" (Nebožtíci na bále), 1972
    "Der Hütejunge aus dem Tal" (Pasáček z doliny), 1977. Der balladenhafte Roman wurde 1983 von Frantisek Vlácil verfilmt.
    "Das Bildnis des Martin Blaskowitz" (Obraz Martina Blaskowitze), 1980
    "Reise ins gelobte Land" (Cesta do zaslíbené země), 1990


    Inhalt (Klappentext): Auf den ersten Blick unterscheident sich Frau Natalie Mooshaber kaum von anderen bejahrten Damen, die im Lauf der Zeit betulich und ein wenig wunderlich geworden sind. Doch nicht nur die ständigen Besuche der Polizei in Frau Mooshabers bescheidener Wohnküche, auch viele andere befremdliche Einzelheiten deuten darauf hin, dass das scheinbar so ereignislose Leben der freundlichen Matrone Geheimnisse birgt. Fast hat es den Anschein, als bedrohe Frau Mooshabers bloße Existenz die Sicherheit des allmächtigen Diktators Albin Rappelschlund, dessen Herrschaft dem Land zwar den Linienflug mit dem Mond, zugleich aber auch die Angst aller vor allen und die Verkümmerung der menschlichen Beziehungen beschert hat. Doch welche Gefahr kann von schon einer siebzigjährigen Witwe ausgehen, die durch die Pflege einiger Gräber auf dem Zentralfriedhof ein paar Groschen zu ihrer kargen Pension hinzuverdient, sich als ehrenamtliche Mitarbeiterin der Fürsorge um gestrauchelte Jugendliche bemüht und mit Fallen und vergiftetem Speck einen vergblichen Kampf gegen Scharen von zudringlichen Mäusen führt?



    Der Roman erschien unter dem tschechischen Titel „Myši Natálie Mooshabrové“ im Jahr 1970. Die deutsche Übersetzung besorgte Gustav Just. Sie wurde 1982 unter dem Titel „Die Mäuse der Natalie Mooshaber“ beim Verlag Rütten & Loening in Ostberlin veröffentlicht. Mit einer Vorbemerkung des Autors, in der er unter anderem erklärt, warum er sich als Teil des sozialistischen Literaturbetriebes nicht einem Problem der Gegenwart zuwendet, sondern stattdessen einen fantastischen, grotesken Stoff spinnt, bevölkert mit lauter „negativen und sogar abwegigen Gestalten“. Außerdem enthält das hartgebundene Buch ein informatives Nachwort von Miloš Pohorský. Diese Ausgabe umfasst 453 Seiten.


    "Die Mäuse der Natalie Mooshaber" ist ein sehr seltsamer und latent bedrohlich wirkender Roman, der in einer ungreifbaren, leicht verfremdeten, mitunter auch recht grotesken Wirklichkeit spielt, die meiner Ansicht nach keine bekannte Wirklichkeit oder historische Situation widerspiegelt. Manches wirkt übertrieben, vieles fratzenhaft und wie eine Theateraufführung: Die bösen Gestalten verhalten sich typengerecht, von der einen Seite ständig zu lautes, hysterisches Gekicher, das jede Moral verhöhnt, auf der anderen Seite vermeintliches Entgegenkommen, hinter dem sich um so schlimmere Absichten verstecken mögen, von einer dritten Seite her pure Einschüchterung.


    Das Buch verfügt über keine besonders spannende äußere Handlung, besticht aber durch seine befremdliche Atmosphäre und seine suggestive Kraft: Bestimmte Formulierungen und Beschreibungen der Wirklichkeit oder des Seelenlebens der Figuren werden, auch von den handelnden Figuren selbst, immer wieder verwendet, so als ob sie sich einreden wollten, die Situation der Gesellschaft oder ihre eigene Psyche entspräche ihrer Beschreibung - und sei nicht in Wahrheit ganz anders und viel furchtbarer! Wie ein naives, gepfiffenes Kinderlied im dunklen Wald. Traum und Vorstellung und Wirklichkeit scheinen zu verschwimmen. Der Roman entwickelt gewissermaßen einen seltsamen, manchmal einlullenden Sog, aus dem man dann durch Störlaute umso intensiver aufgeschreckt wird.


    In diesem Roman, der anscheinend in einer Art Polizeistaat spielt, in dem sich momentan allerdings einige aufrührerische Kräfte auf den Straßen versammeln, wimmelt es vor lauter passiven Menschen, die vor etwas Angst haben oder Angst haben müssen. Viele Wege und Entscheidungen scheinen vorbestimmt. Gefahr lauert im Gegenüber oder hinter der nächsten Straßenecke. Alles ist trübe und leicht modrig. Die Menschen tragen grau. Die Kinder der Titelfigur sind böse und treiben Schindluder mit der alten Mutter, hänseln sie, bedrohen sie, unterziehen sie gemeinen Streichen, die ihre freundlich-entgegenkommende Art und Blauäugigkeit schamlos ausnutzen. Ob sie Verbrecher sind oder doch "etwas anderes", von dem die Mutter nichts weiß, bleibt lange offen. Jedenfalls liegen Gewalttätigkeit und Grausamkeit in der Luft. Die Absichten der Mitmenschen sind nicht immer klar. Man muss aufpassen, was man sagt oder tut. Die Hauptfigur, verschreckt wie ein geblendetes Reh, ist dabei von einer sträflichen Naivität, die dem Leser beim Fortgang der Geschehnisse manches Mal fast wehtun kann. Sagt man ihr: "Tu dies, tu das!", wird sie es gewissenhaft und folgsam zu erledigen versuchen. Dennoch wird sich zeigen, dass die so passiv wirkende Natalie Mooshaber ein Geheimnis umweht, eine dunkle, fremde Seite, die sie selber vielleicht kaum noch ahnt ...


    Ein Roman über Ohnmacht und Ängste in einer Atmosphäre der Unsicherheit, angesiedelt in einer im Kern niederträchtigen und überreglementierten Gesellschaft. Ein Buch über die Doppelbödigkeit des Menschen, das im Unbewussten schlummernde Böse und die psychosozialen Wege der Verdrängung der eigenen Mitschuld. Dass alles so derart uneindeutig bleibt, erhöht die Faszination, die der Roman auf den Leser ausüben kann. Ich sage kann, denn so manchen Leser wird der Roman ganz bestimmt langweilen - und ihn für repetetiv und nichtssagend halten. Ich gehöre zur ersten Fraktion, auch wenn ich noch nicht weiß, was ich von allem halten soll, bin ich von der präsentierten Düster-Atmosphäre doch recht angetan. Der langsame und eher lange Roman packte mich auf einer reinen Lese-Erregungsebene nicht völlig, doch ich las stets staunend weiter und betrachtete das Szenario „von außen“ mit viel Interesse. Ein Buch, das aufzeigen kann, welche Kräfte die Menschlichkeit und das humane Miteinander bedrohen. Und das ein unangenehmes Gefühl zurücklasst, als hätte man etwas Schmutziges oder Schleimig-Feuchtes angefasst.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Eine englische Übersetzung (von Mark Corner) erschien 2014 unter dem Titel "Of Mice and Mooshaber" im Verlag der Karls-Universität Prag. Es gibt auch eine Kindle-Ausgabe! :thumleft:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Da Amazon Deutschland das tschechische Original nicht führt, hier ein Link zum Original "Myši Natálie Mooshabrové".

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (189/365)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)