Samuel R. Delany - Dunkle Reflexionen/ Dark Reflections

  • Ich habe das englischsprachige Original gelesen, finde den deutschen Klappentext aber passender (ein treffender Klappentext ist ja auch eher selten):


    Zitat von Klappentext vom Golkonda Verlag

    Der alternde Schriftsteller Arnold Hawley blickt auf sein Leben zurück: auf seine prekäre Existenz als Dichter, seine Homosexualität und sein Selbstverständnis als Schwarzer. Klarsichtig und altersweise registriert und analysiert er die Homophobie und den Rassismus der amerikanischen Gesellschaft, aber auch die eigenen Ängste in einem aussichtslos scheinenden Kampf um Anerkennung.
    "Dunkle Reflexionen" ist ein poetischer Roman über das Wechselspiel von Armut und Kreativität, Schönheit und Angst, Hoffnung und Resignation - und den Durchhaltewillen in einer immer unbarmherzigeren Welt. Eines jener seltenen Bücher, die ehrlicher sind als das Leben selbst.


    Samuel R. Delany ist vor allem als Science-Fiction-Schriftsteller bekannt geworden, ebenso als Literaturkritiker und Literaturwissenschaftler, versucht sich außerdem ab und an an pornographischer Grenzüberschreitung wie in Hogg oder The Mad Man.


    Dunkle Reflexionen, im Original Dark Reflections, ist dagegen reine Belletristik.
    Es passiert nicht viel in diesem Roman. Er ist vor allem, wie im deutschen Klappentext beschrieben, ein Rückblick auf das Leben eines alternden, afro-amerikanischen, homosexuellen Dichters in New York City, episodenhaft erzählt in umgekehrter chronologischer Reihenfolge:

    • Im ersten und meiner Meinung nach stärksten Teil, „The Prize“, der in den 1980ern beginnt und bis ins Jahr 2007 reicht, gewinnt der Dichter Arnold Hawley einen unbedeutenden Preis für Poesie – und hat einige Jahre später die Chance, ihn ein zweites Mal zu gewinnen.
    • Der zweite Teil, „Vashti in the Dark“, gibt einen kurzen Einblick in die 1970er Jahre und in die desaströse Ehe Arnolds mit einer obdachlosen Frau.
    • Der dritte Teil schließlich, „The Book of Pictures“, führt zurück in die 1950er und 1960er Jahre, in Arnolds Jugend, wo wie so oft der Schlüssel zum restlichen Leben liegt.


    Dark Reflections ist ein Roman über verpasste Gelegenheiten, über ein nicht gelebtes Leben, über die Angst vor dem Leben, dem Sich-ausleben. Delany kommt dabei seiner Figur ganz nah und oft konnte ich ihn vor mir sehen: diesen fülligen, introvertierten schwarzen Jungen, der aus der Ferne hübsche Männer anhimmelt und sich aufgrund seiner sexuellen Orientierung für fürchterlich krank hält; der zu einem fülligen, introvertierten Dichter heranwächst, einem durch und durch sympathischen, aber durch und durch einsamen Menschen; einem Menschen, der viel zu privat ist, um sich auszuleben in einer Zeit, in der das Private extrem politisch – und extrem öffentlich - ist.
    Ja, es ist ein trauriges, melancholisches Buch, aber nie depressiv. Dafür steckt zu viel Kraft und Einsicht in dieser Erzählung, in dieser Prosa. Delany zeigt sich hier wesentlich zurückgenommener, wesentlich weniger ausschweifend als in den meisten seiner anderen Bücher. Mit ihrer ruhigen, zurückhaltenden Poesie ist die Sprache des Romans ein hervorragendes Spiegelbild des Protagonisten.
    Dark Reflections ist auch eine Geschichte über den Literaturbetrieb und die Bedeutung von Poesie und erzählt zudem ein Stück New Yorker Zeitgeschichte, bei dem die großen Ereignisse – der Stonewall-Aufstand 1969, 9/11 – ganz bewusst ausgelassen werden. Arnold war nämlich nicht dabei, die Auslassung bekommt dadurch ihre eigene Bedeutung.


    Der Roman ist aber auch ein Experiment. Der Titel Dark Reflections bezieht sich nicht nur auf den Titel, den Arnold, eher unwillentlich und nur auf Drängen seines Verlegers, einem seiner Gedichtbände gibt. Er deutet auch darauf hin, dass dieses Buch eine Art umgekehrtes Spiegelbild von Delanys eigenem Leben zeigt: Delany ist zwar Afro-Amerikaner und homosexuell, aber erfolgreich, hat eine Vielzahl von Preisen gesammelt, hatte schon mit 25 zwei Nebula-Awards gewonnen (einen renommierten US-amerikanischen Preis für Sci-Fi und Fantasy-Literatur), seine Ehe mit Dichterin und Lektorin Marylin Hacker, der das Buch u.a. gewidmet ist, war vermutlich wesentlich friedlicher als Arnolds Ehe, und Delany lässt niemanden, aber auch wirklich niemanden im Zweifel über sein sehr aktives Sexualleben.


    Delany selbst schreibt dazu (unten in den Kommentaren):


    Zitat

    *Dark Reflections* is more or less the companion work of fiction for my recent non-fiction volume *About Writing.* I wanted to explore some facets of the life of someone, very different from me in most ways, that in this country often goes along with committing oneself to some of the tennets (sic!) implied in that book.


    In diesem Experiment liegt auch meine winzige Kritik an diesem Buch: Ich kenne andere Werke des Autors, ich weiß, was er kann. Hier fehlt mir ein Stückchen literarischer Größenwahn, der viele seiner Werke auszeichnet. Der Autor scheint mir hier mit weniger persönlicher Begeisterung, weniger persönlichem Engagement zu Werke gegangen zu sein. Vielleicht ist das unfair, literarischer Größenwahn hätte zu dieser Geschichte überhaupt nicht gepasst; dennoch, etwas fehlte mir.
    Das ist aber wie sagt nur eine winzig kleine Kritik an einem ansonsten großen Buch und etwas, das andere Leser kaum stören wird. Eines wird jedenfalls deutlich in diesem Roman: die große Liebe des Autors zur Poesie. Und das, obwohl keine einzige Gedichtzeile im Text vorkommt.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:


    Ich habe auf Amazon auch mal einen Blick auf die deutsche Übersetzung von Andy Hahnemann geworfen und die scheint mir recht gut gelungen.


    Über den Autor:
    Samuel R. Delany, geboren 1942, gilt als eine der bedeutendsten schwarzen Stimmen der US-amerikanischen Science-Fiction und zählt neben Norman Spinrad, Harlan Ellison und Roger Zelazny zu den wichtigsten Vertretern der amerikanischen New Wave, einer literarisch ambitionierten, experimentellen Strömung der Science Fiction-Literatur – er selbst zählt sich allerdings nicht dazu. 1962 veröffentlichte Delany seinen ersten Roman, 1985 auf Deutsch als Die Juwelen von Aptor erschienen. Immer wieder beschäftigt sich Delany in seinen Romanen mit Sprache und ihren Auswirkungen auf unser Denken, mit Sexualität und sexueller Orientierung und mit sozialen Fragen, wenn auch meist verklausuliert. Von 1975 an lehrt Delany an Universitäten, von 1988 bis 2015 als Professor an der Temple University.

    "Selber lesen macht kluch."


    If you're going to say what you want to say, you're going to hear what you don't want to hear.
    Roberto Bolaño