Krankheit Perfektionismus?

  • Hallo,


    ich bin bei meinem Buchprojekt etwas abgedriftet und wollte plötzlich unbedingt für das Volk meiner Protagonistin eine Sprache entwickeln.
    Eh ich mich versah, hab ich auch schon einiges zusammengeschrieben, von der Deixis bis zum Vokabular und sogar Sonderformen, wie zum Beispiel ein exklusives und inklusives WIR.
    Ich war so richtig im Rausch und hab mich durch das Thema tagelang ablenken lassen und über Satzbau und Grammatikformen geschrieben sowie schon Listen für Wortarten gebildet.


    Das passiert mir ständig :scratch::-k


    Seien es jetzt nun Mini-Geschichten, um die Hintergrundgeschichte noch mehr auszumalen, oder wie hier in dem Beispiel eine Sprache entwickeln.
    Ich mache mir ständig Gedanken, wie ich die Geschichte weiter spinne, aber trotzdem ist das .... ich will nicht sagen störend, aber wenn ich über ein neues Thema stolpere bin ich oft der Überzeugung, das wäre dem Buch insbesondere für das Ambiente zuträglich.


    Ist das Perfektionismus, den ich mir da über die Jahre angelacht habe?
    Und wie werde ich den los?
    Beziehungsweise habt ihr da einen Tipp für mich, wie ich für mich einen objektiven Blickwinkel auf eine neue Idee/Aspekt/etc entwickeln kann?
    Ich meine, letztenendes werde ich mit meinem Buch so ja gar nicht fertig. :!::-k
    Mittlerweile habe ich drei mal mehr Text über den Hintergrund als Story-Text. :totlach:


    Ich danke
    VG
    Soulprayer

  • Auch wenn sich die Sache mit der Sprache hier vielleicht etwas verselbstständigt hat, halte ich die Fragestellung


    st das Perfektionismus, den ich mir da über die Jahre angelacht habe?
    Und wie werde ich den los?

    für einen großen Fehler. Einen ausführlichen Hintergrund zu haben ist bei hoch fiktiven Texten (und ein solcher muss es ja sein, wenn eine eigene Sprache vorkommen kann) enorm wichtig. Es sollte als Teil der Recherche begriffen werden. Ich würde mich eher fragen: Warum habe ich überhaupt schon Storytext, wenn mir doch so viele brennende Fragen des Hintergrunds noch nicht klar sind und ausformuliert werden wollen?


    Beziehungsweise habt ihr da einen Tipp für mich, wie ich für mich einen objektiven Blickwinkel auf eine neue Idee/Aspekt/etc entwickeln kann?

    Das sollte viel eher der Knackpunkt sein. Den objektiven Blickwinkel bekommt man daher, dass man sich die Frage stellt, welche Hintergrundelemente man denn wirklich braucht, um seine Geschichte überzeugend schreiben zu können. Generell ist das IMMER eine sehr klare Vorstellung von allen Protagonisten und Antagonisten. Dazu gehören auch die Lebensumstände all dieser Personen, die Frage, in was für einer Gesellschaft sie eigentlich leben, wie sich so ein Leben anfühlt und welchen Widerständen sie realistischerweise ausgesetzt sein können und sollen. Vieles hängt von den speziellen Anforderungen des Plots ab.
    Zu einem Spezialthema etwas mehr auf der Pfanne zu haben, als realistischerweies benötigt wird, schadet überhaupt nicht. Es kann sogar die besondere Würze einer Geschichte ausmachen, das durchblitzen zu lassen. Zur ständigen Ablenkung kann es nur werden, wenn man sich nicht vorher hinsetzt, sich einen Plan macht, was wichtig sein dürfte und das dann konsequent abarbeitet.


    Nichts gegen Spontanschreiber, denen alles zum richtigen Zeitpunkt zufließt, doch wenn man vor diesem Problem steht, ist man ganz offensichtlich kein solcher Spontanschreiber und sollte es lieber ausführlicher angehen und erst dann die eigentliche Geschichte zu Papier bringen.

  • Ok, ist schon etwas beruhigend, dass ich das nicht als "Krankheit" sehen darf :)
    Das ist noch ein wenig aus der Ära, als ich noch Dokumentationen für meine Firma schreiben musste. xD


    Habe durchaus schon einige Pläne, die ich im Buch-Projekt verwirklichen will.
    Vor allem, wenn ich dann die Fäden zwischen den HG-Infos ziehe.
    Aber ja, du hast recht, die meisten Punkte, die ich so als Hintergrund-Info für mich sammle, sind die Knackpunkte, die Du angesprochen hast.


    Es hat mich nur etwas gestört, dass ich mit der Story nicht weiter kam und ich mich plötzlich fragte, ob ich mich zuviel mit der Ausarbeitung auseinander setze.
    Aber dann schätze ich, ist das wohl eine "gute Angewohnheit" für einen Autor? ;)

  • Hm, natürlich kann es sich bei deinem Phänomen um eine besondere Form des Perfektionismus handeln. Andererseits könnte es auch sein, dass du dich einfach durch solche Dinge ablenken lässt, um das Schreiben der Geschichte noch etwas aufzuschieben. Manche Autoren prokrastinieren, indem sie sich mit anderen Dingen beschäftigen, die nichts mit ihrem Buch zu tun haben, andere stürzen sich dagegen auf Einzelheiten, die zwar zu der Geschichte passen, sie aber nicht wirklich weiterbringen. Im letzteren Fall kann dieses Ausarbeiten auch als Ausrede gelten, frei nach dem Motto: Ich bin ja nicht wirklich vom Thema weg, und damit das schlechte Gewissen beruhigen, weil man nicht weiter schreibt.


    Als Krankheit würde ich das nicht bezeichnen, das hat wohl jeder Mensch irgendwann, dass er etwas aufschiebt aus diesem oder jenem Grund. Bei mir kommt das besonders dann vor, wenn ich an eine sehr schwierige Szene komme. Dann brauche ich Ablenkung, um zu einer Lösung zu kommen. Da mir aber kein Verlag im Nacken hängt, finde ich das nicht sonderlich schlimm :)

    "deine beschreiebung alleine lässt vermuten, dass es sich um schmöckerroman einzigartiger klasse handelt, nämlich übertriebenem bullshid, der mit der wirklichkeit keinene hinreichenden effekt auf die wirklichkeit erstreckt." (Simon Stiegler)

    Stimmt! Ich schreibe spannende Unterhaltungsliteratur, die den Leser aus der Wirklichkeit entführt, bis zum Ende gelesen wird und bei der der Leser am Ende fragt: Wann erscheint der nächste Band? Schreiben will halt gelernt sein

  • Es hat mich nur etwas gestört, dass ich mit der Story nicht weiter kam und ich mich plötzlich fragte, ob ich mich zuviel mit der Ausarbeitung auseinander setze.
    Aber dann schätze ich, ist das wohl eine "gute Angewohnheit" für einen Autor? ;)

    Nun ja, erst die ausführlichst Plotten mit Recherche der realen wie auch der phantastischen Aspekte, dann schreiben hat generell große Vorteile. Einer davon ist, dass man sich dann nicht mehr während des Schreibens dauernd unterbrechen muss, um einen Hintergrundaspekt, wie etwa eine Sprache grundlegend durchzuplanen und sich davon ablenken zu lassen. Abgesehen davon, dass die Geschichte dadurch schon vor Beginn Struktur bekommen kann und viele Fehler in der Grundidee auffliegen, steigert es aber auch die Kreativität des Werkes, weil man ja gleich 2x kreativ ist.


    Als Faustregel in Ratgebern liest man oft 1/4 Recherche + plotten, 1/4 schreiben, 1/2 Korrektur oder Ähnliches. Und auch der Hinweis, dass man von seiner Recherche und Planung 80% nicht verwenden kann, dass man es aber trotzdem benötigt, um sich auszukennen, ist mir schon untergekommen. Die konkreten Zahlen sind natürlich variabel. Aber die Ansicht, eine Vorbereitung könne nicht ausführlich genug sein, ist zumindest verbreitet.


    Vielleicht konkret zu meiner eigenen aktuellen Vorgehensweise, schließlich bin ich derzeit mit Plotten befasst:
    Schon parat hatte ich ein Dokument mit einer Grundidee und einigen möglichen Handlungselementen, eine kurze Skizze dessen, was die Fantasywelt ausmachen (vor allem Landschaften und Stimmung betreffend) sollte und ein drittes Dokument das sich mit den Bewohnern dieser Welt befasst. In letzterem habe ich später noch die Grundzüge von 5 verschiedenen Völkern skizziert. Dazu kommen eigene Ausarbeitungen der Grundzüge der Religion und der Spielarten und Funktionsweisen der Magie auf dieser Welt. Je ein eigenes Dokument befasst sich mit der Konzeption der Hauptfigur und mit den Antagonisten. Ich habe auch schon skizziert, wie ich mir den Einstieg vorstelle. Hatte ich schon erwähnt, dass es auch ein Konzept zur Namensgebung und damit zu Sprachen in den 5 Völkern gibt? Und das Konzept zur Zeitrechnung auf dieser Welt? Grundideen zur Biologie?
    Erst auf dieser Grundlage konnte ich ein erstes brauchbares Konzept zum Spannungsverlauf und den wichtigsten Wendepunkten erstellen, das denen der ersten Ideensammlung teils deutlich widerspricht. Auf dieser Grundlage habe ich begonnen, ein Register mit ausführlicheren Informationen zu Personen und wichtigen Handlungsorten anzulegen. Wenn das weit genug fortgeschritten ist, werde ich in der Lage sein, das Konzept zum Handlungsablauf zu optimieren und alle Einzelideen zu überprüfen, zusammenzustreichen und wo nötig auszubauen. Vermutlich kommen auch noch einige Einzeldokumente zu weiteren Aspekten hinzu, die für diese Welt oder die Story besonders wichtig sein könnten.


    Dann erst kommt der wunderbare Moment, in dem die Geschichte lebendig werden darf, die Personen durch ihre tatsächliche Rolle an Tiefe gewinnen, die Welt von einem Konzept zu etwas Erlebbarem wird. Teile der Konzeption werden dem nicht standhalten, viele Daten und Fakten werde ich nicht benötigen und tausende Einzelheiten werde ich erst während des Schreibens erfinden. Unnötig wird die Vorbereitung nicht gewesen sein.

  • Hallo Soulprayer,
    ich kenne das Problem, habe nämlich dasselbe in einer etwas abgeschwächten Form.
    In meiner Welt gibt es auch eine fiktive Sprache, für die ich mir allerlei Vokabeln ausdenke. Allerdings ist deren Grammatik ziemlich einfach gehalten. Die Sprache sollte ursprünglich nur eine winzige Nebenrolle spielen, dann habe ich mich aber auch irgendwie darin verloren.
    Ich mache mir auch (zu) viele Gedanken über meine Geschichte. Erfinde Hintergrundgeschichten, komponiere Lieder, schreibe Sagen und Legenden zur Welt, zeichne Karten, etc. Nicht einmal 50% davon taucht im fertigen Buch auf, aber es macht mir Spaß, die Welt und die Geschichte darin weiterzuspinnen.
    Alle Gedanken in das Buch zu packen sehe ich als problematisch, da es schnell zu einer Infodump werden kann und zur eigentlichen Geschichte nichts oder kaum etwas beiträgt. Nicht jeder Leser liebt die Figuren und die Welt so sehr wie der Autor es tut, deswegen werden zu viele Informationen den ein oder anderen schnell langweilen.
    Ich sehe das Ganze schon wie eine Art Perfektionismus, dass jede Frage in der Welt irgendwo geklärt werden kann, aber nicht jeder Leser möchte das auch wissen. Halte es deswegen so, dass ich manchmal Anrisse dieser ganzen Überlegungen in die Geschichte einbaue. So merkt der Leser: "Aha, da steckt irgendetwas hinter, da hat sich jemand Gedanken gemacht", aber es bleibt so gesehen im Dunkeln. Aus diesen ganzen Infos kann man ein nettes Trivia-Büchlein zusammenstellen o.Ä. wenn man Lust hat.


    Ich bin mir übrigens sicher, dass Quentin Tarantino weiß, was bei PulpFiction im Koffer ist. Der Koffer existiert in der Geschichte, die Erklärung, was tolles drin ist nicht, gerade das macht den Koffer interessant. So sehe ich das auch mit Infoanrissen in Geschichten.

  • Hm, ist so auch dein Märchen-Buch entstanden?
    Oh man, jetzt will ich noch mehr Dein Buch lesen :mrgreen:


    Danke für Deine Tips, ich werde sie mir zu Herzen nehmen.


    Wenn mein Buch letztendlich irgendwann erscheint, wird mein Hang zum Perfektionismus in einem Trivia-Büchlein gesammelt worden sein.
    Jeder Erstausgabe meines Buches wird dann einen Coupon dafür beiliegen. :lol:

  • Ist das Perfektionismus, den ich mir da über die Jahre angelacht habe?

    Perfektionismus ist normal - du bist Autor! :wink: