Anne Jacobs - Die Töchter der Tuchvilla

  • 1916 Augsburg. Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wenn in der Melzer’schen Tuchvilla alles seinen normalen Gang geht, doch auch hier sind die Auswirkungen des ersten Weltkrieges zu spüren. Während Sohn Paul seine Frau Marie kurz nach der Geburt der Zwillinge allein zurücklassen muss, weil er für den Wehrdienst eingezogen wird, dient Kittys Mann bereits an der Front. Auch Elisabeths Ehemann Klaus befindet sich auf dem Schlachtfeld. Ebenso leiden die Dienstboten unter dem Krieg, da die Lebensmittel immer knapper werden und die Versorgung immer schwieriger wird. So bleibt den Frauen nichts weiter übrig, als sich um die Belange des Haushalts zu kümmern. Doch Marie möchte Pauls Bitte erfüllen und ihrem eigensinnigen Schwiegervater bei der Führung der Tuchfabrik unter die Arme greifen, was leider leichter gesagt als getan ist. Elisabeth eröffnet ein Lazarett in der Eingangshalle der Tuchvilla, um sich um die Verletzten zu kümmern, und Kitty widmet sich erst ihrem Nachwuchs und dann entdeckt sie die Kunst neu für sich. Das Schicksal schlägt hart zu, als Paul vermisst wird, Kittys Mann fällt und auch das Familienoberhaupt plötzlich stirbt.


    Anne Jacobs hat mit ihrem Buch „Die Töchter der Tuchvilla“ die Fortsetzung zu ihrem Roman „Die Tuchvilla“ vorgelegt. Der Schreibstil ist wunderbar flüssig zu lesen, nimmt den Leser sofort mit auf eine Reise in die Vergangenheit zu liebgewordenen altbekannten Charakteren, um zu sehen, wie ist ihnen nun in diesen Kriegszeiten ergeht und was sie so erleben. Die Lebensumstände und Entbehrungen wurden von der Autorin sehr lebensnah beschrieben, so dass man sich die Not und Verzweiflung gut vorstellen kann. Da die Familie Melzer privilegiert ist durch ihren Wohlstand, trifft sie die Härte des Krieges nicht so sehr wie die ärmeren Familien und Arbeitern, die zum Teil in der Tuchvilla schuften. Trotzdem empfindet man an der einen oder anderen Stelle Mitleid und kann auch ihren Kummer sehr gut nachvollziehen, wenn es wieder einmal einen Verlust oder eine traurige Nachricht zu beklagen gab. Auch die persönlichen Entwicklungen der einzelnen Charaktere werden im Zuge des langandauernden Krieges von der Autorin sehr anschaulich beschrieben. So wächst Marie regelrecht über sich hinaus, kümmert sich um jegliche Belange in der Fabrik und auch um ihre Schwägerinnen und ihre Schwiegermutter, dabei hat sie noch zwei Kleinkinder zu versorgen und ist auch dem Dienstmädchen Hanna eine wirkliche Freundin. Marie ist eine sehr sympathische Person, die sich nicht in Selbstmitleid ergeht und überall anpackt, wo es nötig ist. Sie besitzt auch den Mut, sich ihrem Schwiegervater entgegen zu stellen. Elisabeth ist eher zurückhaltend, bekommt von ihrem nichtsnutzigen Ehemann Hörner aufgesetzt und wird von ihm und ihren Schwiegereltern nur ausgenutzt. Dabei wünscht sie sich nichts mehr als ein eigenes Kind. Kitty dagegen ist regelrecht überschäumend, laut und von ihren Stimmungsschwankungen abhängig. Sie wirkt oberflächlich und egoistisch, doch dann gibt es wiederum Momente, wo man fast glaubt, dass sie auch anders sein kann.


    In „Die Töchter der Tuchvilla“ geht es hauptsächlich um die Frauen der Familie Melzer, deren Schicksal und das ihrer Dienstboten. Anne Jacobs zeigt auf sehr eindringliche Weise auf, wie schwer es die Frauen zur damaligen Zeit hatten und wie sie mit wenigen Mitteln immer wieder versuchten, für alle das Beste herauszuholen. Vielen Fragen bleiben am Ende des Buches noch offen und ungeklärt, so kann man nur hoffen, dass es noch einen dritten Band geben wird, der auch die letzten Fragezeichen ausräumt und die inzwischen vertrauten Charaktere noch einmal zum Leben erweckt. Dieses Buch ist eine sehr schöne Fortsetzung des ersten Romans. Alle, die Familiengeschichten lieben, sind hier bestens aufgehoben. Zur Einstimmung sollte allerdings der erste Band gelesen werden, damit man der weiteren Familiengeschichte auch folgen kann. Auf jeden Fall eine Leseempfehlung!


    Schöne :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: !

    Bücher sind Träume, die in Gedanken wahr werden. (von mir)


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    Albert Einstein


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    gelesene Bücher 2020: 432 / 169960 Seiten

  • Ich habe schon mit begeisterung "Die Tuchvilla" gelesen, also war es für mich ein muss auch die fortsetzung "Die Töchter der Tuchvilla" zu lesen!


    Augsburg 1916 im ersten Weltkrieg: Fast alle Männer sind an der Front, auch die Männer der Tuchvilla wurden nicht verschohnt und käpfen für ihr Vaterland!
    Die Frauen der Familie versuchen alles zusammen zu halten! Außerdem richten sie in der Villa ein Lazarett ein in dem fast alle fleißig mitarbeiten! Die Kriegsjahre sind für alle schwer! Alle leiden darunter nicht genug zu essen zu haben, sie erleiden schwere Schicksalschläge!


    Auch mit der Firma steht es nicht zum besten! Johann Melzer ist zunächst mit der Situation überfordert, findet sich mit der Zeit aber in die Lage ein, und auch Marie ist ihm eine sehr große Hilfe!


    Sie versuchen das beste aus ihren leben zu machen! Einige sind im Krieg gefallen, andere kehren zu ihren Familien zurück und wieder andere sind in Kriegsgefangenschaft!


    Anne Jacobs hat es geschafft wunderbar an den ersten Teil anzuschließen!
    Ich war vom ersten moment an wieder mitten drin im geschehen! Das hat mir besonders gut gefallen! Auch Super fand ich das auch das leben der Hausangestellten beschrieben wurde, und sie eine große Rolle in dem Buch spielen!


    Es war wieder ein erlebnis und ich bin schon ein bisschen traurig das ich die Melzers vorerst verlassen muss! Auf den dritten Teil der Tuchvillen Saga freue ich mich jetzt schon sehr!

    :study: Ich lese gerade:

    :study: Gelesen 2017: 41 Bücher, 18.932 Seiten :study:
    :study: Gelesen 2018: 61 Bücher, 28.642 Seiten :study:

    :study: Gelesen 2019: 68 Bücher, 31.721 Seiten:study:

    :study: Gelesen 2020: 58 Bücher, 34.207 Seiten :study:

    :study: Gelesen 2021: 22 Bücher, 1.216 Seiten :study:

  • Der zweite Teil der Tuchvilla-Saga beginnt mitten im 1. Weltkrieg und hat mir beinahe noch besser gefallen als der Vorgängerband.

    Am Schicksal der bereits bekannten und liebgewonnenen Protagonisten habe ich regen Anteil genommen, zumal niemand von den Auswirkungen der schrecklichen Kriegsjahre verschont bleibt.

    In der Tuchvilla versuchen die Melzers zwar das alte Leben trotz aller Einschränkungen so gut wie möglich aufrecht zu erhalten, doch kann dieses Vorhaben nur begrenzt gelingen. Die meisten Männer sind im Krieg, während die Frauen in der Heimat ihren Beitrag leisten müssen. In der Tuchvilla wird sogar ein Lazarett eingerichtet, und die vornehmen Damen der Gesellschaft sehen sich mit unvorstellbarem Elend konfrontiert. Die sich ändernde Stellung des weiblichen Geschlechts, aber auch das neue Verhältnis zwischen Herrschenden und Dienenden wird im Roman immer wieder sehr gut thematisiert.

    Anne Jacobs kann auch in diesem Buch mit Originalität und ihrem Einfallsreichtum punkten. Besonders gut hat mir die Darstellung des ehemaligen Hausdieners Humbert gefallen. Mit seiner vornehmen Art und seinem Sinn für Ästhetik ist er ein denkbar schlechter Kriegsteilnehmer, dessen Erlebnisse im Einsatz für das Vaterland trotz aller traurigen Ereignisse für erheiternde Momente sorgen.

    Am wenigsten gefällt mir bisher eine der Hauptpersonen, nämlich Marie Melzer. Charakterlich ist sie mir zu wenig mit Ecken und Kanten versehen, wirkt zu lieblich, zu geduldig, und trotz ihres Interesses an der Tuchfabrik zu farblos. Ihre Schwägerinnen Lisa und Kitty sind mir mit ihren Eigenheiten, ihren Plänen, Wünschen und Hoffnungen viel authentischer erschienen.

    Das Buch konnte mich sowohl inhaltlich als auch stilistisch überzeugen, weshalb ich die Protagonisten sehr gerne auf ihrem weiteren Lebensweg begleiten möchte.

  • Augsburg 1916 - 1920:

    Die Auswirkungen des Krieges sind mittlerweile auch in der Tuchvilla zu spüren. Die Lebensmittelknappheit macht sich überall bemerkbar, und die Arbeit in der Fabrik leidet unter dem Starrsinn von Direktor Melzer, der sich mit keinen Alternativen anfreunden kann.

    Paul Melzer erhält nur wenige Tage nach der Geburt seiner Zwillinge den Einberufungsbefehl, die Ehemänner seiner Schwestern Lisa und Kitty stehen ebenfalls bereits im Feld und auch das männliche Dienstpersonal muss an die Front.

    Umso fester halten die Frauen der Tuchvilla zusammen und geben in den schweren Zeiten ihr Bestes. Auf Lisas und Alicias energisches Betreiben wird im Haus der Melzers ein Lazarett eingerichtet. Pauls Ehefrau Marie versucht sich gegen den Willen ihres Schwiegervaters mit neuen Ideen in der Fabrik einzubringen.

    Das Kriegsende erweckt zwar neue Hoffnungen, doch die Zukunft bleibt ungewiss. Die Verluste schmerzlich vermisster Angehöriger wiegen schwer, und Marie wartet immer noch auf Nachricht von Paul.


    Der zweite Teil der Tuchvilla-Saga, der mitten im 1. Weltkrieg einsetzt, hat mich bereits von der ersten Seite an gefangen genommen.

    Alte Bekannte tauchen auf, und man sieht sie aufgrund der detaillierten Beschreibung ihrer Charaktereigenschaften sofort wieder bildhaft vor sich. Die persönliche Entwicklung, die die Melzertöchter Kitty und Lisa im Laufe des Krieges durchmachen, wird sehr einfühlsam und realistisch beschrieben. Im Gegensatz zu den modernen Sichtweisen ihrer Töchter, die berufstätig werden wollen, kurze Haare und kurze Röcke bevorzugen, steht Alicia Melzer für alte Wertvorstellungen. Mit dem Untergang des Kaiserreiches sieht sie auch ihre Welt zerbrechen.

    Die politische Entwicklung in der ersten Zeit nach dem Krieg wird nur am Rande erwähnt und spielt für die Geschichte keine große Rolle.

    Besonders lebendig wird das Personal der Tuchvilla beschrieben. Es sind vor allem liebenswerte, teils auch schrullige Charaktere, deren Leben eng mit dem ihrer Herrschaften verbunden sind. Ihre Arbeiten und Pflichten im Haushalt, ihre Anteilnahme am Schicksal der Familienmitglieder, aber auch kleine Bosheiten und Eifersüchteleien untereinander werden so glaubwürdig und vielfältig beschrieben wie im ersten Teil. Der Autorin gebührt jedenfalls Bewunderung für die vielen unterhaltsamen Szenen, die den Leser gerne bei der Dienerschaft in der Küche verweilen lässt oder den armen Humbert bei seinem Kriegseinsatz begleitet.

    Die Geschichte ist leicht und flüssig zu lesen, bleibt abwechslungsreich und spannend. Ich freue mich darauf, die Bewohner der Tuchvilla auf ihrem weiteren Lebensweg begleiten zu dürfen.

    Liebe Grüße von Lorraine :)


    "Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen." (Karl Kraus) :study: