Ferdinand von Schirach - Terror

  • Titel: Terror
    Autor: Ferdinand von Schirach
    Seiten: 164
    ISBN: 978-3-492-05696-0
    Verlag: Piper


    Autor:
    Ferdinand von Schirach wurde 1964 in München geboren und ist ein deutscher Strafverteidiger und Schriftsteller. Schirach besuchte das Jesuiten-Kolleg St. Blasien und stuiderte in Bonn Rechtswissenschaften. Nach seinem Referendariat ließ er sich 1994 als Rechtsanwalt nieder und spezialisierte sich auf Strafrecht. er vertrat dabei den BND-Spion Norbert Juretzko und u.a. Günter Schabowski, und machte sich damit einen Namen als "Prominentenanwalt". Mit 45 Jahren veröffentlichte er erste Kurzgeschichten und avancierte schnell zu einem der erfolgreichsten deutschen Schriftsteller. Seine Bücher sind international Bestseller und erscheinen in über 40 Ländern.


    Inhalt:Ein Terrorist kapert eine Passagiermaschine und zwingt die Piloten, Kurs auf ein voll besetztes Fußballstadion zu nehmen. Gegen den Befehl seiner Vorgesetzten schießt ein Kampfpilot der Luftwaffe das Flugzeug in letzter Minute ab, alle Passagiere sterben. Der Pilot muss sich vor Gericht für sein Handeln verantworten. Seine Richter sind die Theaterbesucher, sie müssen über Schuld oder Unschuld urteilen. Ferdinand von Schirachs »Terror« ist ein Theaterstück von bedrückender Aktualität. Es stellt die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen. Werden wir uns für die Freiheit oder für die Sicherheit entscheiden? Wollen wir, dass die Würde des Menschen trotz der Terroranschläge noch gilt? ... (Text der Verlagsseite)


    Rezension:
    Ein Gedankenspiel als Theaterstück aufgeführt. Eine vollbesetzte Passagiermaschine wird entführt und von Terroristen auf ein Stadion gelenkt, in welchem sich 70.000 Menschen befinden. Die Verantwortlichen haben nur Sekunden, um sich zu entscheiden. Entweder das Flugzeug abzuschießen und damit ein paar 100 Menschen zu töten oder das Leben von 70.000 Menschen zu riskieren. Die Verantwortlichen handeln, schießen die Maschine ab und stehen nun vor Gericht. Sicher ist, die Verfassung, das Grundgesetz verbietet es Menschenleben gegen Menschenleben aufzuwiegen. Egal, wie viele sterben und wie viele dagegen gerettet werden können.


    Die Menschenwürde ist unantastbar. Sicher ist auch, keiner kann wissen, ob es den Passagierern nicht doch gelingt, in letzter Minute die Entführer zu überwältigen und das Flugzeug unter Kontrolle zu bringen. Oder ob es nicht zuerst gelingt, das vollbesetzte Stadion zu evakuieren. Immerhin gibt es Evakuierungspläne. Es kann aber auch niemand mit Sicherheit sagen, ob die Verantwortlichen nicht richtig gehandelt und reagiert haben. Und der Theaterzuschauer muss am Ende entscheiden. Verurteilung oder Freispruch?


    Ferdinand von Schirach stellt mit diesem Theaterstück die Grundsätze unseres Denkens und unserer Moralvorstellungen auf Probe und so entschieden die Zuschauer in den allermeisten Vorführungen, den Angeklagten Herr Koch, Major der Luftwaffe freizusprechen. Der Abschuss zwar nicht mit dem Grundgesetz vereinbar aber eben doch in dem Moment die richtige Option. Nur in einer Aufführung bisher wurde der Angeklagte von den Zuschauern frei gesprochen. Im vorliegenden Buch, Drehbuch zum theaterstück kann man, wenn man keine Chance hatte, das Theaterstück zu verfolgen, der Verhandlung beiwohnen und selbst entscheiden, ob man der Argumentation des Angeklagten und seines Verteidigers oder eher der staatsanwältin und der Nebenkläger folgt. Gute Argumente gibt es für beide Seiten.


    Schirach hat dabei das Drehbuch so entworfen, dass man sich als Leser nicht vom Autor zu einer Antwort, die so einfach ja nicht ist, gedrängt fühlt, sondern nach dem Lesen erst einmal in Ruhe darüber nachdenken muss. Das Für und Wider aller Beteiligten abzuwägen und dann eine Entscheidung zu treffen. Je nach dem, wie diese ausfällt, kann man dann entweder Freispruch oder Verurteilung lesen. Das Ende selbst bestimmen, gleichwohl es Bauchschmerzen verursacht. Egal, wie man sich entscheidet.


    Der Schreibstil und der Wechsel, die aufgeführten Diskussionen lassen eine Gerichtsverhandlung sehr gut nachvollziehbar sein, auch für juristisch weniger versierte. Technische und juristische Fachtermini, die auch mal vorkommen, letztere nicht so arg, werden für den Laien schnell geklärt, durch die Erklärungen der handelnden Personen. Das Drehbuch lässt sich als solches gut lesen. Man kann sich vorstellen, in der Gerichtsverhandlung zu sitzen.


    Ich habe mich nach langen Überlegungen für eine Verurteilung entschieden.


    Hier zu den Abstimmungsergebnissen nach Theaterstücken: http://terror.kiepenheuer-medien.de/

  • Im Vorfeld der in meinen Augen rundum gelungenen ARD-Verfilmung dieses Theaterstückes habe ich mir das "Büchlein" zu Gemüte geführt und ich muss sagen: Schirach hat mich nicht überrascht - es war das erwartete 5 Sternebuch mit viel Potential zum Nachdenken, grübeln und philosophieren.


    Zum Inhalt muss ich wohl nichts mehr schreiben, ich komme direkt zu meinem Eindruck:
    Schirach greift hier ein Thema von unglaublicher Brisanz auf, beide vertretenen Seiten haben ihre nachvollziehbaren und guten Argumente. Dass es trotzdem in fast allen Theaterstücken (ca. 60 % für Freispruch) und beim Fernsehexperiment in den Ländern Deutschland, Österreich und Schweiz zu einem so eindeutigen Abstimmungsergebnis (ca. 83 % für Freispruch) überrascht mich sehr.


    Ich persönlich glaube, es gibt hier weder richtiges noch falsches Verhalten, es gibt nur das weniger schlimme und das schlimmere Ergebnis.
    Aufgrund der geltenden Rechtslage gibt es keine Frage: Das Urteil hätte "Schuldig" lauten müssen. Nach ebenfalls langer Überlegung habe ich mich in diesem speziellen Fall allerdings für einen Freispruch entschieden, mich haben die meisten Argumente der Verteidigung mehr überzeugt und im Zweifel hätte ich mich wohl ebenso entschieden wie Major Koch.

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Wie hättet ihr entschieden ? (Bitte nur abstimmen, wenn ihr das Buch gelesen habt) 6

    1. Verurteilung (3) 50%
    2. Freispruch (3) 50%

    Noch eine Bitte an zukünftige Rezensenten: Schreibt doch bitte hinein, ob ihr euch für Freispruch oder Verurteilung entschieden hättet.

    Aufgrund deiner Bitte, die ich voll und ganz unterstütze und sehr interessant fände, habe ich mal eine Umfrage erstellt. :wink:

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Ich habe mir heute die Hörbuchversion gegönnt. Eine separate Rezension mag ich aber nicht erstellen, weil ich die Diskussion gern zusammenhalten möchte. Buch und Verfilmung kenne ich beide nicht.

    Eigentlich stand meine Meinung ziemlich schnell fest. Natürlich habe ich dann doch immer wieder hin und her überlegt, aber letztendlich gab das Plädoyer der Staatsanwältin bei mir den letzten Ausschlag für "Freispruch". Ihr Ansatz, die Verfassung über alles und jede moralische Entscheidung zu stellen, hat bei mir einfach nicht gegriffen. Ja, auch ich wüsste nicht, wie ich ihre Frage "Hätten sie auch geschossen, wenn ihr Frau und ihr Kind in der Maschine gesessen hätten?" beantworten würde. Das weiß wohl keiner. Aber für mich stellt sich diese Frage eher aus der Sicht der Angehörigen der Opfer: könnte ich damit leben, dass meine Angehörigen in der Maschine waren und jetzt tot sind, dafür aber 70.000 Menschen überlebt haben. Und für meine Entscheidung für Freispruch war die Überlegung entscheidend, dass die Maschine so oder so abgestürzt wäre und die Passagiere auf jeden Fall gestorben wären. Somit hat er nicht 146 Menschen getötet, sondern 70.000 gerettet.


    Auf jeden Fall ein Thema, das nachdenklich macht. Als Hörspiel auch gut inszeniert. So gut, dass ich ständig meine Kommentare dazu lautstark äußern musste, auch wenn mich niemand gehört hat. :wink:


    Dazu mal die Kolumne von Thomas Fischer. http://www.zeit.de/gesellschaf…schirach-fischer-im-recht

    Ich bin aus der Kolumne wieder ausgestiegen, als klar wurde, dass es um die Verfilmung geht. Da ich die nicht gesehen habe, kann ich dazu nichts sagen.

    Gelesen in 2024: 9 - Gehört in 2024: 6 - SUB: 626


    "Wenn der Schnee fällt und die weißen Winde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt." Ned Stark