Richard Wright - Black Boy / Ich Negerjunge / Black Boy

  • Der Autor (nach Wikipedia): Der US-amerikanische Schriftsteller Richard Nathaniel Wright wurde am 4. September 1908 auf einer Plantage in Roxie nahe Natchez im US-Bundesstaat Mississippi geboren, wo sein Vater Nathaniel Kleinpächter war; die Mutter Ella war Lehrerin. 1914 zog die Familie nach Memphis. Nachdem der Vater die Frau und seine beiden Jungen verlassen hatte, musste die Mutter als Köchin arbeiten. Als seine Mutter erkrankte, lebte Richard Wright für einige Zeit in einem Waisenhaus, bis er schließlich mit Mutter und Bruder zu seiner Großmutter nach Jackson, Mississippi zog. In Jackson besuchte er erst eine Schule der Siebenten-Tags-Adventisten, dann eine staatliche Schule. 1924 erschien seine erste Erzählung in einer afro-amerikanischen Zeitung. 1927 zog er nach Chicago, wo er als Angestellter bei der Post arbeitete. Er las während dieser Zeit viel und wurde besonders beeinflusst von den Werken des Literaturkritikers Henry Louis Mencken und des naturalistischen Romanciers Theodore Dreiser. Durch die Weltwirtschaftskrise verlor er seine Stelle und musste sich in der Folge mit Jobs durchschlagen. In dieser Zeit entwickelten sich seine Kontakte zur Kommunistischen Partei, in deren Organen Wright wiederholt veröffentlichte. 1937 zog er nach New York, wo er Herausgeber des kommunistischen Blattes „Daily Worker“ wurde. 1938 erschien sein erstes Buch „Uncle Tom’s Children“, eine Sammlung von Erzählungen über den Rassismus in den Südstaaten. 1942 trat er aus der Kommunistischen Partei aus. 1945 erschien seine Autobiografie „Black Boy“ und wurde ein Bestseller. 1946 wurde Wright nach Frankreich eingeladen. Das Erlebnis Europas, wo er nicht als minderwertiger Schwarzer, sondern in erster Linie als Amerikaner gesehen wurde, überzeugte ihn davon, endgültig nach Frankreich überzusiedeln; in die USA kehrte er danach nicht wieder zurück. In den 1950er-Jahren reiste er viel, unter anderem 1953 die Goldküste, 1954 Spanien und 1955 anlässlich der Konferenz von Bandung Indonesien. Er veröffentlichte eine Reihe politischer und soziologischer Texte, unter anderem 1954 „Black Power“ – womit Wright dieses Schlagwort der 1960er-Jahre prägte. Gegen Ende seines Lebens war Wright schwer krank. Er starb am 28. November 1960 in Paris an einem Herzinfarkt und wurde auf dem Friedhof Père Lachaise beigesetzt.


    Seine wichtigsten Werke in deutscher Übersetzung sind „Uncle Tom’s Children“ (1938/1940, dt. 1949 als „Onkel Toms Kinder“), „Native Son“ (1940, dt. 1941 als „Sohn dieses Landes“), „12 million black Voices: A Folk History of the Negro in the United States“ (1941, dt. 1952 als „Schwarz unter Weiß“), „Black Boy“ (1945, dt. 1947 als „Ich Negerjunge“ und 1981 als „Black Boy“), „Pagan Spain“ (1957, dt. 1958 als „Heidnisches Spanien“), „The Long Dream“ (1959, dt. 1960 als „Der schwarze Traum“), „Eight Men“ (1960, dt. 1961 als „Der Mann, der nach Chikago ging", Erzählungen) und „American Hunger“ (1974 aus dem Nachlass herausgegeben, 1944 vollendet, dt. 1980 als „Schwarzer Hunger“).



    Wright verfasste das Manuskript zu seinem Roman „Black Boy“ im Jahr 1943. Es trug den Arbeitstitel „Black Confession“. Im Dezember 1943 änderte sein Agent den Titel in „American Hunger“. Zu diesem Zeitpunkt umfasste der Roman 20 Kapitel, von denen die ersten vierzehn unter dem Titel „Part One: Southern Night“ Wrights Kindheit und Jugend in Mississippi beschreiben und die letzten sechs Kapitel unter dem Titel "Part Two: The Horror and the Glory" Wrights Erlebnisse in Chicago fortführen und sich mit seinen Erfahrungen mit der Kommunistischen Partei der USA auseinandersetzen. Im Januar 1944 akzeptierte der Verlag Harper and Brothers, alle zwanzig Kapitel zu veröffentlichen. Auf Wunsch der Subskriptions-Buchgemeinschaft „Book of the Month Club“ wurde der zweite Teil des Manuskriptes, also die letzten sechs Kapitel, weggelassen. Dieser Teil wurde erst 1977 unter dem Titel „American Hunger“ postum veröffentlicht. So wurde also 1945 nur die Rumpfversion des Romans „Black Boy. A record of childhood and youth“ bei HarperCollins veröffentlicht. Die 1947 im Züricher Steinberg-Verlag erschienene deutschsprachige Ausgabe trug den Titel „Ich Negerjunge. Die Geschichte einer Kindheit und Jugend“. Der Übersetzer war Rudolf Frank, allerdings unter dem Pseudonym Harry Rosbaud. 1981 wurde der Roman in einer neuen Übersetzung von Kurt H. Hansen als „Black Boy. Bericht einer Kindheit und Jugend“ bei Dtv in Münschen und danach noch bei Kiepenheuer&Witsch veröffentlicht. Ich las die ungekürzte Ausgabe in der alten Übersetzung als "Ich Negerjunge", die erstmalig im März 1964 in der Fischer-Bücherei als Taschenbuch erschienen ist. Diese Ausgabe umfasst 272 Seiten.



    Dieser autobiografische Roman, in Amerika eine beliebte Schullektüre, ist eine chronologische, sehr konkrete, insofern einfach gestrickte, aber ziemlich aufregende und wütend machende Beschreibung eines erbärmlichen Lebens als armer, junger Afroamerikaner in den Südstaaten der USA in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Nach und nach werden die einzelnen Stationen geschildert, die den jungen Richard aus seinem angestammten Elternhaus heraustreiben, zur Großmutter, ins Waisenhaus und zu entfernten Verwandten verschlagen und schließlich nach einer armseligen Jugend ohne rechte Schulbildung über den Zwischenhalt Memphis – zwar noch in den Südstaaten gelegen, aber wenigstens eine größere Stadt – bis in den Norden in die Metropole Chicago bringen. Hier endet der Roman. Richards so sehnsüchtig erträumte Flucht in den Norden ist gelungen, doch inwieweit mit dieser Hoffnung eine wirkliche Verbesserung seiner Lage in Aussicht gestellt ist, bleibt offen ...


    Richards Kindheit steht im Zeichen von Armut und Gewalt. Der Umgangston ist rauh, Kinder haben zu gehorchen, demütig, fleißig und ruhig zu sein. Ihnen wird absolut kein Vertrauen entgegen gebracht. Jeder eigene Gedanke gilt schon als Anmaßung. Wer etwas anders machen will als seine Ahnen oder seine Umwelt, ist schon ein Aufwiegler; jemand der denkt, besser zu sein als der Rest der Welt. Ständig wird dem jungen Richard der Mund verboten; er wird von „Erziehungsberechtigten“ geprügelt und ins Gesicht geschlagen, damit er still ist. Besonders unangenehm wird sein Leben, als er – dessen verarmte und ausgezehrte Mutter einen frühen Schlaganfall erleidet und nicht mehr für sich und ihre Kinder sorgen kann – zu seinen sehr religiösen Verwandten kommt, seiner Großmutter und eine seiner Tanten. In dieser leidigen Zeit stellt er fest, nicht an Gott und die christlichen Gebote zu glauben – und ab da ist jeder seiner Handgriffe in den Augen seiner Umgebung des Teufels und eine Schande, so dass er in letzter Konsequenz von seiner Tante, einer Sieben-Tags-Adventistin, völlig ignoriert wird. Er wird einige Male fast von der Familie totgschlagen und verteidigt sich gegen seine Verwandtschaft mit Messern und Handgreiflichkeiten. Wie man in den Wald hineinruft, schallt es heraus. Als ein geistiger Ausweg aus der Misere beginnt er, Romanheftchen zu lesen und selber fiktive Geschichten zu verfassen, die tatsächlich bald in einer schwarzen Tageszeitung veröffentlicht werden. Doch bei seinen streng religiösen Verwandten gilt Fiktives als sinnloser Zeitvertreib und Teufelszeug. Es ist schwer, bei einer solchen Umgebung nicht völlig verschüchtert als Duckmäuser zu enden!


    Neben diesen desaströsen Erziehungsmethoden gewährt der Roman Einblicke in die Diskriminierung der Schwarzen in Amerika und den vor allem in den Südstaaten tobenden Rassenhass, in Beleidigungen, Gängeleien, Herablassung und Lynchmorde. Willkürlich herausgepickte Schwarze können als Fußabtreter weißer Selbstherrlichkeit dienen, werden zu Boden gestoßen und bleiben unten im Staub liegen. Wer dabei nicht lächelt, wird aufgeknüpft. Gleichzeitig erfährt man den hinuntergeschluckten Hass der Schwarzen auf die weiße Bevölkerung samt antisemitischer Anwandlungen. Der „gute Schwarze“ lebt in Demut, erhebt nie die Stimme, ist einverstanden, dienstfertig und fügt sich. Der Weiße, zu dem ihm ein wirklicher Zugang verwehrt wird, den er noch nicht einmal berühren darf, ist ihm ein großes Rätsel – ein Rätsel wie schon sämtliche anderen familiären und schulischen Autoritäten. Und auch hier unter der schwarzen Bevölkerung herrscht ein Gruppenzwang, den Mund zu halten, um ja keine schlafenden Hunde zu wecken. Nur nicht den Zorn der Rassisten auf die Gruppe lenken! Alle beäugen einander, keiner traut dem anderen. Jede Ambition ist gefährlich und muss in vorauseilendem Gehorsam erstickt werden.


    Genauso wie die Kinder in ihrem Elternhaus in einem mentalen Klima aufwachsen, das im Grunde dem Verhältnis von Herr zu Vieh gleicht, in dem sie als unfertige Nichtsnutze angesehen werden, die zur Last fallen, gestaltet sich auch das Verhältnis der weißen zur schwarzen Bevölkerung, die als ähnlich hilfsbedürftig, untätig, emotional unzuverlässig, schändlich und minderwertig angesehen wird. Der junge Richard versucht zu verstehen, was alle bloß immer von ihm wollen, warum er von allen Seiten angebrüllt und belästigt wird. Die meisten Vorhaltungen der Eltern, Lehrer und Prediger – denen die Religion, die im Herze wohnen sollte, wohl zu Kopf gestiegen ist – sind aus der Luft gegriffener Schwachsinn, unbarmherzig, hinter harten Worten und Schlägen verborgen, schlimme Unterstellungen, die auch der demütigste Geist bei tatsächlicher Unschuld nicht auf sich nehmen könnte. Die Strafen und Einbußen für den Uneinsichtigen sind entsprechend drakonisch - und die Erschwernisse, die ihm Armut, Gewalt und Hass aufbürden, sind genug, auch wirklich jedes Leben zu ruinieren.


    Auch dieser Roman ist ein Musterbeispiel über den Kampf des Individuums um seinen Platz in der Gesellschaft, aber im Gegensatz etwa zu Ralph Ellisons Roman „Der unsichtbare Mann“, den ich kurz danach gelesen habe, und der die Unterdrückung der Schwarzen in einer weißen Gesellschaft auf eine abstrakte, parabelhafte Ebene hebt, ist „Black Boy“ viel stärker in der Wirklichkeit seiner Zeitläufte verhaftet, was den Roman zu einer zwar einfachen, aber nichtsdestotrotz durchschüttelnden, drastischen Lektüre macht. Auf jeder Seite schreit einem das gequälte Individuum sein Leid entgegen; man erlebt seine Wut und sein Kopfschütteln bei dem lebenslangen Versuch, seine Umwelt zu verstehen und zu verändern. Diese Gedankenstimme, die seine Erfahrungen in einem ständigen Akt der Selbstbeobachtung durchdringen und auf eine kognitive Ebene heben, machen aus diesem Lebensbericht mehr als eine reine, emotionale Ansammlung von Schlechtigkeiten. Sie geben der Wut eine politische und psychologische Richtung, dem Leser gewissermaßen ein Handwerkszeug des Protestes an die Hand.


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  • Eine englische Taschenbuchausgabe, erschienen als Vintage Classic im Jahr 2000.

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  • Die deutschsprachige Erstausgabe aus der Schweiz von 1947 sah so aus.

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  • Und das ist die Fischer-TB-Ausgabe von 1964 in der alten Übersetzung von H. Rosbaud.

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