Ludwig Bechstein - Hexengeschichten

  • Zuerst wollte ich dieses Buch gar nicht kaufen. Hexen interessieren mich generell schon, doch vermutete ich hinter dem Titel Hexengeschichten eher fantastische Geschichten, eben wo Hexen tolle Abenteuer erleben. Und auch das Cover schreckte mich ab: Eine nackte Figur sitzt da auf Flügeln mit Eierstöcken breitbeinig, mit Schwanz und Krallen als Füßen und aus dem Schritt blickt einem eine Abbildung des Teufels entgegen. Alles in einem alten Stil gezeichnet auf den ersten Blick langweilig, bei genauem Hinsehen echt verstörend :-s


    Hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass es sich bei den Geschichten um tatsächliche Legenden und Erzählungen aus der deutschlandigen Neuzeit handelt, hätte ich bedenkenlos und überaus interessiert zugegriffen.


    Ich stellte das Buch also zurück, um in dem Trödel vielleicht noch ein anderes interessantes zu entdecken, da rutschte Hexengeschichten vom Regal und auf den vom Regen benässten Boden, was an einer Ecke eine kleine schmutzige Stelle verursachte. 'Na gut', also kaufte ich es doch :geek:


    Die ersten Seiten trieben mir den Schweiß in die Augen - Altdeutsch!
    Eigentlich bin ich ganz talentiert im Umgang mit Sprache aber die Zeit, in der ich mich mit Stilen dieser Art beschäftigte, liegt eine Ewigkeit zurück. Doch man gewöhnt sich schnell daran und ich hatte bald Spaß an den alten Wortspielen, Synonymen und Wendungen.
    Man fühlt sich der Zeit damals so nah, weil man weiß, dass einst genau so erzählt wurde. Kaum verändert, jedoch minimal durch den Herausgeber angepasst an die Gegenwart (1987) in orthografischer und grammatischer Hinsicht. Das steht auch in der Nachbemerkung. Diese ist übrigens gut gelesen zu haben, denn sie blickt von außen auf das Buch und erklärt die Umstände des Entstehens.


    Auch sechs der neun Geschichten haben genauere Erklärungen und einige Hintergründe, so erfährt man zum Beispiel, dass die erste Erzählung Teufelsbuhlschaften aus einem ausführlich handgeschriebenen Bericht stammt, den Ludwig Bechstein bei Nachforschungen fand und diese auch schon in Grimms Deutsche Sagen auftaucht.
    Oder Die Hexenkönigin. Sie beruht auf einem Gedicht eines Pastors.


    Es werden genaue Beschreibungen der Ortschaften geliefert mit Ortsnamen. Und auch die Namen der handelnden Personen sind genau definiert.


    Soweit ich das erkennen konnte, sind die Geschichten chronologisch geordnet und man erkennt deutlich die Unterschiede und für den Kenner auch die Verbindung zum damals entstandenen Hexenhammer und Hexenbulle. Läuft man in der Ersten um 1500 noch Gefahr, schon wegen eines Verdachts zu Tode gefoltert zu werden, gibt es später lange Briefwechsel bis zu einem Urteil und nicht jedes Wort wird mehr auf die Goldwaage gelegt.
    Die Foltern werden übrigens gut detailliert dargestellt. :twisted: Schwache Nerven, nehmt euch in Acht! :)


    Im Buch gibt es siebzehn Bilder im selben Stil wie das des Schutzumschlags, genauso eigenartig und auf ihre Weise gruselig, düster. Doch sie passen zu der Stimmung, die vermittelt wird.
    Die Erstausgabe von 1854 enthielt diese Bilder nicht. Heinz Zander illustrierte sie für die Ausgabe in 1986.


    Ludwig Bechstein, ein mir bis dahin unbekannter Geschichtensammler, erzählt in Hexengeschichten zugleich kritisch und objektiv von Hexenverfolgung und den Gesetzen dieser Zeit und schaffte ein wertvolles Werk, das die Sicht der Bürger von damals gut einfängt und eher unbekannte Aufzeichnungen prosaisch und volksnah konserviert.


    Es macht Spaß zu überlegen, was wohl die Wahrheit dahinter sein kann, wie alle Interpretationen jemals zu diesen Schilderungen führen konnten.


    Die Sprache ist schwierig für Ungeübte, doch faszinierend, weil die sie Ursprünge deutlich aufzeigt und Merkmale des Umgangs miteinander und gar Aberglaube.


    Hier ein paar besondere Beispiele:

    ..."Guten Morgen!" rief sie in der Strumpfen-Hof. "Ist die Bäuerin schon zu Markt?"


    Weder der Knecht, noch Magd antworteten: Ja! - Beide fürchteten, die alte Hebamme wollte ihnen das Ja abgewinnen, dann habe sie Macht über sie den ganzen Tag. Beide antworteten aus einem Munde: "Sie ist nach Köln gefahren!"...

    Für den vermeintlichen Teufel:

    Zitat von ebenso

    "Frag' ihn doch, wie es beschaffen sei um die Lehre Lutheri?"


    Diese Frage konnte im Jahre 1533, da Doktor Lutherus noch lebte und lehrte, in einem südländischen Schwarzwaldstätdlein, dahin Lutheri Lehre noch keineswegs gedrungen war, gar wohl aufgeworfen werden und von großer Wichtigkeit erscheinen; denn billigte sie der Teufel, so war sie vom Teufel, und verwarf sie der Teufel, so taugte sie erst recht, nach dem Sprichwort, dem Teufel nichts.

    Oder am Allerbesten Sachen wie:

    Zitat

    "Ei pfui dich an!" und "Jetzt trollst du dich alsobald aus dem Hause..."

    Das wirkt heute belustigend und niedlich, doch zeigt es perfekt, wie Worte bestehen bleiben und wiederentdeckt werden.


    Wer sich für deutsche Geschichte und Hexenverfolgung und Legenden darüber oder unsere Sprache interessiert, wird von Hexengeschichten genauso fasziniert sein wie ich. Potenzial für einen Klassiker der Neuzeit hat es allemal. Mir ist es eines der kostbarsten Bücher geworden.


    :thumleft:




  • Ludwig Bechstein, ein mir bis dahin unbekannter Geschichtensammler,

    Gut, dass dir das Buch vor die Füße gefallen ist und du auf diese Weisen Bechstein kennen gelernt hast, der neben den Grimms als der bedeutendste Märchen- und Sagensammler der deutschen Literatur gilt.


    Vielleicht hast du auch an seiner Märchensammlung Spaß?

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)