Heike Gewi - Haiku-Pick

  • Klare Momente der Stille


    Von Zeit zur Zeit findet ihr auf meinem Blog Haiku, die ich geschrieben habe. Heute dagegen stelle ich euch ein Buch mit Gedichten vor, die nicht aus meiner Feder stammen, mich aber sehr begeisterten und meine eigene Haiku-Schreibe-Lust vergrößerten.


    Schon das Cover hat mich angesprochen. Es ist in seiner Einfachheit ausdrucksstark und zeigt sich auch - wie ich finde - im passenden (japanischen) Origami-Stil. Es erinnert mich daran, dass ich Störche schon das eine oder andere Mal auf der Wiese direkt vor meiner Haustür habe schreiten sehen, suchend den Kopf nach vorne gebeugt, in Erwartung eines Leckerbissens, den sie sich herausPICKEN können. Dazu muss allerdings nicht einmal Wasser ihre langen Beine umspülen.


    Was macht ein gelungenes Haiku aus? Das Haiku ist zunächst einmal kurz und legt in der traditionellen japanischen Form einen Text vor, der in Wortgruppen von fünf, sieben und fünf Moren = Lauteinheiten gegliedert ist. Da sich die Lauteinheiten jedoch nicht ohne Weiteres auf die deutsche Sprache übertragen lassen, haben sich in der Vergangenheit freie Formen entwickelt, die in der Regel dreizeilig sind und mit zehn bis siebzehn Silben auskommen. Ein Haiku ist zudem konkret und gegenwärtig. Es thematisiert meist ein beobachtetes Geschehen, die momentane Wahrnehmung, das Erleben eines Augenblicks, oft mit Hilfe eines Jahreszeitenwortes (Kigo). Letztlich wird beim Haiku nicht alles gesagt. Das Unausgesprochene, Angedeutete, Ausgesparte ist wichtiger als das klar Ausgedrückte. Der Leser soll sich den Zusammenhang selbst erschließen.


    Heike Gewi legt in diesem Band über zweihundert zweisprachige (deutsch und englisch) Haiku vor, die dem Leser auf einer traditionellen Reise durch die Jahreszeiten einen direkten, auf den Punkt gebrachten Blick auf die Welt im Kleinen öffnen, dabei die Bodenhaftigkeit nicht verlieren und die Vision eines klaren Moments in der Stille sichtbar machen.


    Kirschblüten schaun-
    der Mond schlüpft
    in meine Schuh


    Kirschblüten
    der rastlose Wind ändert
    seine Farbe


    Frieden
    in rosa Wolken atme ich
    Kirschbüten


    Frühlingsland
    mit jedem Schwarm kehren
    mehr Farben zurück.


    Stille
    Pferd und Reiter
    in einer andren Welt


    Halte mich nicht auf...
    auch Blüten und Blätter
    lernen tanzen


    Schneeflocken tanzen.
    Wo hört die Erde auf,
    wo fängt er Himmel an?


    Wolken reißen
    ihre Bäuche an kahlen Zweigen auf -
    Schneefall


    Zu diesem Jahresreigen durch Frühling, Sommer, Herbst und Winter gehören auch Senryu. Diese Form der kurzen Gedichte beschäftigt sich mit alltäglichen Dingen und unserem Seelenleben. Das Natur- und Jahreszeitenelement muss kein Bestandteil mehr sein. Humor und Zweideutigkeit spielen eher eine Rolle, was sie manchmal etwas komplexer im Verständnis erscheinen lassen, da sie viel persönlicher sind.


    Sie können ein Lächeln hervorzaubern...


    Chinesisch Essen –
    aus dem Teich quakt
    meine Bestellung


    ... oder sind emotional...


    Nach dem Regen -
    auf Wolken
    gehen


    ... melancholisch?


    Am Abend
    den Tag zurückholen.
    Nur ein paar Zeilen.


    Ergänzt werden Haiku und Senryu durch sechsundzwanzig Haiga, meist farbigen Zeichnungen, die auf tiefgreifenden Beobachtungen der Alltagswelt basieren. Die Haiga von Heike Gewi fügen sich ausgezeichnet in die Gestaltung des Buches ein (auch wenn nicht alle meinen persönlichen Geschmack ansprechen). Mir gefällt aber, dass sie einige Haiku bildhaft vor Augen führen und damit den Kern treffen. Nicht nur durch die Wahl der unterschiedlichen Farben treten sie ausdrucksstark vors Auge. Die Mischung von Bild und Text finde ich ebenso gelungen wie die "Spielereien" mit Wörtern, die gleichfalls auflockernd hinzugefügt sind.


    Die Poesie von Heike Gewi sagt geradeheraus, was Sache ist. Sie ist ein Erlebnis. Sie FASZINIERT. Sie BERAUSCHT. Sie ENTZÜCKT. Sie BERÜHRT. Und vor allem: Sie INSPIRIERT.


    LichtBlick -
    Gedanken in die Stille legen
    (Svanvithe)


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Vielen Dank, Svanvithe! Da gab es auch einige schöne einleitende Bemerkungen allgemeiner Art über die Kunst der Haikus. Indirekt wurde es ja angesprochen, aber da kann man sicherlich auch mal direkt(er) die japanischen Meister erwähnen. Ich verlinke mal eine Ausgabe mit/von Basho:

  • Du sagst es, die alten Meister dürfen in diesem Zusammenhang durchaus erwähnt werden. Meine erste Begegnung hatte ich mit "Vollmond und Zikadenklänge", ein kleines Büchlein, das mir eine Bloggerin geschenkt hat, nachdem sie auf meinen Blog des Öfteren Haiku - damals noch die der japanischen Meister - gelesen hat.