Joseph Roth - Die Geschichte von der 1002. Nacht (ab 21. Sep)

  • VII
    Taittinger ist tatsächlich so, wie ich ihn schon in IV beschrieben habe: Ein Aufschneider, einer, der ein Ziel anvisiert und schnurstracks darauf zuläuft. Auch wenn er dafür am Ende fast 100 nutzlose Pfeifen besitzt.
    Bei Frauen scheint er es einfach zu haben, erst Gräfin W., dann Mizzi. Im Hintergrund hört man, ohne dass Roth es explizit schildern muss, das Gesäusel, mit dem Taittinger die Frauen betört und für sich einnimmt, dabei uninteressiert an dem, was das Mädchen zu erzählen hat.


    VIII
    Die Idee ist nicht schlecht: Anstelle Alimente zu bezahlen kauft der Mann der Frau, die er geschwängert hat, ein kleines Geschäft. Sie kann sich und das Kind in Zukunft selbst versorgen. (Ist doch besser als jeden Monat zu bangen, ob das Geld, das einem zusteht, auch wirklich ankommt. :-s )
    Aber: Man trifft sich immer zweimal im Leben. Taittinger und Mizzi auch. „Der Baron hatte ein kleines Herz, aber es war ebenso schnell gerührt, wie vergesslich.“ Mit ein paar Worten weiß man über Taittinger Bescheid: Seine einzigen Emotionen sind sentimentale Gefühlchen, die kurzlebig sind und sich nur um sich selbst drehen.
    Jetzt, wo Mizzi käuflich ist, gefällt es Taittinger mit ihr. Er macht ein Geschäft und ist damit aus dem Schneider, braucht sich selbst als Person nicht einzubringen und wird keine Scherereien mit ihr haben.


    IX
    Nur eine Kleinigkeit: Taittinger hält „penibel“ für eine Steigerung von „peinlich“, und folgerichtig verwendet Roth im weiteren Verlauf des Kapitel das Wort „penibel“, wenn „peinlich“ angebracht wäre. So dass Taittinger in seiner Bedrängnis in immer peniblere Situationen gerät und sich durch das Wort allein schon blamiert.
    Der Schah geht durch den Ballsaal, die Leute bilden eine Gasse. Wem kommen an dieser Stelle nicht die Bilder vom Wiener Opernball in den Sinn?
    Graf W., auch dessen Charakterisierung gefällt. Ein Mann ohne Eigenschaften, weil ohne Laster, der von der Eifersucht lebt.


    X
    Es geht rund. Man schafft die Gräfin weg und Mizzi herbei, plündert die Requisiten des Burgtheaters, baut ein Bordell im Handumdrehen so um, dass es dem Schah als Palast erscheint, gibt hier Befehle, sorgt dort für Stillschweigen. Mittendrin dirigiert Taittinger das Chaos.
    Das Abendland offenbart dem Schah seinen Umgang mit Frauen – monogam zwar, aber man verleiht seinen Besitz – und er fühlt sich im Himmel.
    Ein Österreicher, der nach Persien käme, würde dort auch nicht die Realität hinter Gold und Glanz sehen (wollen), denn das Exotische erfrischt und erfüllt (vgl. Urlaubsreisen), und man meint, woanders lebten die Menschen besser, weil ursprünglicher. Wie schnell ist man begeistert, nur weil Umgebung, Häuser, Menschen anders sind als zuhause und verkennt, was wirklich dahinter steckt. Manche (Natur, Häuser, Menschen) machen sich wirklich nur fein, um denen von außerhalb zu gefallen.


    XI
    Der post-koitale Kater des Schahs. Die Offenbarung bleibt aus, und Mizzi war anscheinend nicht anders als seine eigenen 365 Frauen.
    Auch hier wieder die Widersinnigkeit: Der Schah glaubte, an eine echte Gräfin geraten zu sein, der Eunuch, der eigentlich vom Geschlechtsleben nichts zu verstehen hat, erkennt sofort das Bordell. Und bezahlt natürlich auch die Wirtin. Der Eunuch weiß, was sich gehört, und wenn im ersten Kapitel behauptet wurde, dass er die Welt kennt, obwohl er den Palast nie verlassen hat, beweist er es hier.


    XII
    Der Schah scheint raus aus der Geschichte, aber mit den Folgen seines Besuches haben alle zu kämpfen. Allen geht es schlecht. Dem Taittinger, weil er aus unerfindlichen Gründen von den speziellen Aufgaben entbunden und zu seinem Regiment zurück beordert wird, der Mizzi, weil sie von dem unerwarteten Geldsegen in Verwirrung gestürzt wird. Taittinger beginnt, mehr und mehr zu trinken, verhält sich also wie der Autor, der selbst, nicht lange nachdem er diese Geschichte geschrieben hat, an den Folgen seiner Sucht stirbt.
    Mizzi jedoch, der die Welt offen steht, weiß nichts mit ihren neuen Chancen anzufangen, auch wenn sie es zunächst genießt, dass Leute wie z.B. ihr Vater, die sich nach der Geburt des unehelichen Sohnes abgewandt hatten, sie mit offenen Armen empfangen. Geld ist ein wichtiges Argument für Liebe.
    Was macht das dumme Mädchen? Will wieder zu Taittinger zurück. Sie soll froh sein, dass er nicht auf ihre Briefe antwortet und ihre Annäherung damit zurückweist.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Übrigens, mir ist bei der erwähnten Ähnlichkeit zwischen Mizzi und Gräfin W. sofort die berühmt-berüchtigte Halsbandaffäre bzw. der Roman von Dumas eingefallen, als um die Ähnlichkeit zwischen Marie-Antoinette und ihrer Doppelgängerin sowie der Verliebtheit des Kardinals de Rohan eine böse Intrige gesponnen wurde. Und auch hier - um es schon mal zu vorauszuschicken - spielt ein Halsband eine Rolle...

    Das ist ja cool, daran musste ich auch denken!

    Kein Wunder, war ja auch nicht das Original, sondern nur ein Imitat - aber ich wage mal die Behauptung, dass auch die "Eisprinzessin" Gräfin W. eine Enttäuschung geworden wäre.

    So ist es. Marie hat das so schön beschrieben (und mir damit den ersten Lacher des Tages beschert :) ).


    Ist doch besser als jeden Monat zu bangen, ob das Geld, das einem zusteht, auch wirklich ankommt.

    Das stimmt, so gesehen hat (hätte :roll: ) sie eigentlich Glück gehabt.

    Nur eine Kleinigkeit: Taittinger hält „penibel“ für eine Steigerung von „peinlich“, und folgerichtig verwendet Roth im weiteren Verlauf des Kapitel das Wort „penibel“, wenn „peinlich“ angebracht wäre.

    Das war mir gar nicht aufgefallen! Danke für den Hinweis!

    Der post-koitale Kater des Schahs.

    Das war mein Lacher des Tages :applause:




    Ich genieße die Leserunde sehr. Da entdeckt man so viele Details, die einem beim eigenen lesen einfach entgeht bzw. Blickwinkel, die man so gar nicht wahrgenommen hatte bzw. ausdrücken würde! :D

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  • Kapitel 13
    Mizzi ist in ihrer Naivität doch unschlagbar. Man könnte doch meinen, dass sie genügend Erfahrungen über das männliche Geschlecht sammeln konnte. Ihre Menschen(Männer-)kenntnis lässt allerdings arg zu wünschen übrig. Und ein Heimweh hat sie nach ihren Lieben. Was natürlich grundsätzlich überspielt wird. Will sie doch jedem zeigen, wie gut es ihr jetzt ginge.
    Wenn ich mir jetzt so die Zeilen durchschaue und lese was ich mir da markiert habe, hauptsächlich fehlt es Mizzi an Selbstbewusstsein. Ein wirkliches "umsonst" lieben ist das nicht. Die Männer nehmen sie wie eine Weihnachtsgans aus. Und sie sucht das auch noch: "Sie glich einem armen Wild, das sich selbst seine Jäger sucht." Was sucht sie eigentlich wirklich? Wahre Liebe und am liebsten natürlich Baron Taittinger? Da wird sie doch niemals nie bekommen. Man frägt sich wann sie endlich wach wird.


    Und auch ihre Liebe zum Sohn ist mittlerweile arg unterkühlt, weil er ein so ganz anderer Mensch ist, wie sich es sich vorgestellt hatte. Egal wohin sie ihn mitnimmt, er "prüfte (...) die neuen Welten, still, mit einer unheimlich stummen Gehässigkeit. Niemals weinte er."
    Das geht Mizzi absolut gegen den Strich, sie ist der Meinung, dass er nur bösartig werden könnte und versucht ihn durch "Schläge" (ich erspare mir ein Kommentar dazu, was ich von Schlägen, vermeintlich verdient oder unverdient, halte) zu ändern. Erziehen kann man es ja nicht nennen. Wenn ich jetzt noch mal so drüberlese, man könnte fast meinen, der Kleine hat einen besseren Blick auf das was er sieht, wie seine eigene Mutter. Da frägt man sich doch, wer ist erwachsen, wer das Kind? Wenn es auch ein wenig weit hergeholt klingen mag. Es erinnert mich ein wenig an das Abhängigkeitsverhältnis Schah-Eunuch. Der Eunuch war dem Leben näher, als der Schah. Das Kind versteht mehr, als die Mutter.
    Mizzi gesteht sich ein, dass ihr Sohn ihr fremder war als jedes fremde Kind und empfindet es als ihre zweite Enttäuschung ihres Lebens. Sie bringt ihn in das erstbeste Erziehungsheim unter.


    Ich liebe die Formulierungen wie z.B. "Es peinigte sie nicht nur, daß dieser Mann (Lissauer) wartete, sondern auch, daß alle anderen Männer zu warten schienen. Alle warteten auf sie: nur nicht der Taittinger. Der wartete nicht." Und mit Lissauer nimmt das Unglück seinen weiteren Lauf. Er weiß wie man mit ihr umgehen muss und hat einen entsprechenden Plan um an das beste von ihr heranzukommen, an ihr Geld. Es geht um Brüsseler Spitzen und um weitaus günstigeren Nachahmungen. Und Lissauer war dicke im Geschäft drin und wollte noch mehr für sich herausschlagen, da kam Mizzi, mit ihrem Geld und ihrer Naivität, ihm gerade recht. Einen Satz habe ich mir markiert, den ich bezeichnend fand, als Lissauer mit ihr ins Hotelzimmer ging: "Man begann, die großen Lichter in der Hotelhalle auszulöschen." Und wie die Lichter ausgingen, so ging es auch mit Mizzis Leben.... Und eine kurze Erkenntnis durchhuschte Mizzi. Sie erkannte die Trostlosigkeit ihrer Lage.


    Ich mache später weiter, die Arbeit ruft :wink:

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  • Kapitel 14
    Frau Josephine Matzner ereilt das Schicksal aller, sie altert. Und damit verändert sich auch ihr Wesen, Obwohl sie damit -immerhin hat sie zwei Füße auf dem Boden- gerechnet hatte, eines hatte sie nicht erwartet, dass sie geiziger und "geldgefräßiger" wurde. (Geldgefräßiger was für eine Wortschöpfung :lol: ) Das Geschäft lief nicht mehr, das Leben geht nun mal weiter, die "Mode" ändert sich. Frau Matzner sah sich schon im Armenhaus oder noch schlimmeres landen. Um sich zu beruhigen geht sie zu ihrem Bankier, Herrn Efrussi. Und damit bin ich zur nächsten phantastischen Beschreibung von Roth gelandet. Und habe ein neues Wort in meinem Wortschatz einverleiben können: Pleureuse. Am Hut erkennt man wunderbar den Zustand Frau Matzner.
    Wie auch immer, der Bankier beruhigt sie. Macht sie auf ihr Vermögen aufmerksam und auf ein gewisses Geschäft, das wir ja schon kennenlernen durften, die Pfaidlerei einer gewissen Dame. Und so schaut Frau Matzner nach dem Rechten und stellt zu ihrem Entsetzen den Betrug fest. Lissauer hält sie zuerst so naiv wie Mizzi, was sich als kapitaler Fehler herausstellt. 8) Und hier wird der Hut quasi als Waffe beschrieben. Man spürt die Kampfeslust der Matzner. Und Frau Matzner handelt, ordert mit einem richtig guten Trick Mizzi herbei.
    Hier noch ein kleiner Schwenk zu dem Kind von Mizzi. Was für ein armes Kerlchen, der aus der Not eine Tugend macht und auch von seiner Mutter nur das wünscht, was sie geben kann, ihr Geld.


    Kapitel 15
    Frau Matzner erlebt einen Aufschwung ihrer Kräfte, im Kampf für ihr Geld oder um wenigstens den Verlust desgleichen zu rächen. Und neue Fähigkeiten werden entdeckt, nämlich Gesetze zu begreifen und auszulegen. Und ein alter Kollege und "Freund" steht ihr zur Seite, Sedlacek, der sich durch den Rummel eine Beförderung verspricht. Nebenbei erfährt man, dass der Schah vielleicht eine zweite Reise nach Wien plant. Der Prozess wird gemacht, Mizzi und Lissauer verurteilt.
    Und auch hier war -während des Prozesses- wieder so eine wunderbare Beschreibung des Hutes, der an Gefährlichkeit noch zulegte: Rechts und links starrten zwei scharfe Hutnadelspitzen, blitzten bedrohlich. :lol:


    Kapitel 16
    Matzner schwelgt in ihrem Ruhm, der schneller verging als ihr lieb war :lol: So ist das nun mal im Leben. Das hat Roth so toll beschrieben! Sie verkauft ihr "Haus" und wird "bürgerlich". Um sich ein wenig heimischer zu fühlen holt sie sich ein Teil des Geldes nach Hause. Witzig fand ich noch, wie die Hausmeisterin versucht hatten mehr über sie herauszufinden indem sie ihr alles durchsuchte und schließlich das Suchen aufgab. Besser gesagt "man gab das Suchen auf".
    Und eines schönen Tages trifft sie wieder auf .... Taittinger. Auch er mittlerweile stark gealtert. Wobei das eher eine verblüffende Einsicht war. "Gingen die Jahre so schnell? Oder gingen die Jahre des einen schneller als die anderen? Oder wr der Baron krank oder unglücklich?" Tolle Worte! Frau Matzner macht ihm einen beinahe militärischen Bericht von den Geschehnissen. Und was erfährt man auch noch? Mizzi versucht weiterhin in Kontakt mit Taittinger zu bleiben, indem sie ihn Briefe aus dem Gefängnis schreibt #-o Was dem Guten natürlich sehr peinlich ist und ihn an Dinge erinnert, die ihn arg plagen. Da gibt es noch so viel Sachen in dem Kapitel, die mir so gut gefallen hatten, wie z.B. Taittingers Steigerung von Langeweile: "ennuyeux"-der höchste Grad von Langeweile. Und er bekommt auch noch so was ähnliches wie Reue :shock:

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  • Kapitel XIII - XVI

    Ach, Mizzi, Mizzi, was bist du für eine Enttäuschung, wenn ich dich mit Marcel Prousts großartiger Odette de Crécy vergleiche, die zwar den gleichen "Beruf" ausübt wie du, aber doch entschieden mehr Format und Grips hat! Mizzi, was bist du doch naiv: "Es konnte also nicht fehlen, dass sie Hochstapler und Taugenichtse für solide Herrschaften aus guter Gesellschaft hielt.". Und dann enttäuscht sie noch ihr kleiner Sohn - was das soll, schließlich ist er doch noch so klein, wie kann er da böswillig sein - nur weil er "nicht weint"? Und dann schlägt sie ihn noch - nun, dann ist es wohl doch besser, wenn nicht sie sich um ihn kümmert, sondern ihn "abgibt" und nur noch einmal im Jahr sieht. Armes Hascherl, seinem Papa ist er offenbar auch völlig gleichgültig. Im Internat scheint es ihm auch nicht so tut gefallen, seine Zeugnisse sprechen ja wohl eine eindeutige Sprache.
    Jedenfalls, kein Wunder, dass die naive Mizzi eine leichte Beute für solche schmierigen Typen wie den Lissauer wird. Und kein Wunder, wie leicht es ihm fällt, ihr solche "genialen Geschäftsideen" wie gefälschte Brüsseler Spitzen unterzujubeln. Von Brüsseler Spitzen hat sogar Mizzi schon gehört, andererseits "kann sie keinen Musselinvorhang von einem Brautschleier unterscheiden.".
    Wie dem auch sei, der Lissauer bringt Mizzi dazu, die gefälschte Brüsseler Spitze in ihrem Geschäft zu verkaufen, und das bringt Frau Matzner auf den Plan.


    Diese hat zwischenzeitlich festgestellt, dass sie altert. Und das der schlechten Nachrichten nicht genug, nein, die Geschäfte gehen nicht mehr so gut (sind ihre Mädels auch gealtert? Das sollte sie eigentlich nicht so sehr überraschen :P ), und sie hat doch Angst um ihre Altersversorgung. Ihr Notar (mal eine Frage an die Österreicher in dieser Runde: ich arbeite beim Notar, und dort werden eigentlich "nur" Verträge beurkundet. Ist Notar in dem Fall ein Synonym für Bankier?) beruhigt sie jedoch, und weil sie schon mal unterwegs ist, schaut sie in der Pfaidlerei von Mizzi nach dem Rechten. Und was sie dort sieht, erschreckt sie doch sehr: keine Knöpfe, keine Haken, nur noch gefälschte Brüsseler Spitzen. Tja, und so kommt das ganze vor Gericht.
    Und auch dort offenbart Mizzi mal wieder ihre Naivität (kann man aber auch verstehen: die Atmosphäre vor Gericht kann schon sehr furchteinflößend sein). Wenigstens wird sie nur wegen "Beihilfe" verurteilt. Und natürlich schreibt sie aus dem Gefängnis stapelweise Briefe an Taittinger, der - ebenso natürlich - nicht antwortet. Ich glaube, schlau wird sie nicht mehr werden.


    Und Frau Matzner? Nun, zuerst lässt sie sich feiern als diejenige, die den Betrug entdeckt hat, kauft stapelweise Zeitungen - und fällt dann auf den Boden, als sie am dritten Tag sieht, dass die Zeitungen, die ihren Ruhm verkünden, nur noch zum Einwickeln des Einkaufs benützt werden. Und sie überlegt, in wievielen Häusern die Ruhmesblätter auf der Toilette hängen und nur noch als Toilettenpapier dienen - welch ein Abstieg!
    Tja, aber die Geschäfte gehen immer noch schlecht, so veräußert sie ihr rosa Häuschen und zieht als Private in eine Wohnung. Dort kennt man sie nicht als "Hurenwirtin", sondern als einfache, wenn auch wohlsituierte Frau. Zu schön, wie beschrieben wird, als ihre Putzfrau erstmal ihre Wohnung durchsucht, um mehr über sie herauszufinden, und nichts findet. Was auch sehr schön beschrieben wird, wie sie Geld holt und sich zu Hause hinlegt - dann hat man was Schönes, wenn man nach Hause kommt. Tja, manche Alleinlebende haben Tiere (dazu gehöre ich), manche legen sich Geld hin - jeder so, wie er mag :totlach: .
    Und dann trifft sie den Taittinger wieder und erschrickt, wie alt und grau er doch geworden ist. Sie erstattet ihm Bericht, sie verabreden sich.


    Dabei fällt mir übrigens eine Ähnlichkeit zu Marcel Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit" auf: genau wie in der "Suche" werden in der "Geschichte" keinerlei Jahreszahlen genannt, und auch nicht, inwieweit die Zeit im Verlauf der Erzählung voranschreitet, es wird nur anhand von Äußerlichkeiten erzählt, wie Frau Matzner älter wird, und dem grauen (melierten) Schnurrbart von Baron Taittinger (lustig: meinem Vater habe ich, als seine schwarzen Haare immer grauer wurde, auch immer gesagt, er sei meliert :mrgreen: ).

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • Da entdeckt man so viele Details, die einem beim eigenen lesen einfach entgeht

    Ja, die MLR ist prima; hätte nicht gedacht, das man bei so einem knappen Buch so viele Dinge entdecken kann ! Die Halsbandaffäre war mir bislang unbekannt, vielen Dank für Euren Hinweis. Wieder was dazu gelernt, und ein weiteres Buch auf der WuLi...
    Mizzi ist wirklich unfassbar. Empfand ich sie vorher nur als naiv, wird sie mir jetzt richtig unsympathisch. Taittinger war schon von Beginn an oberflächlich, und auch Frau Matzner macht sich mit ihrer "Geldgefrässigkeit" auch nicht beliebter. Das Buch ist voll mit unausstehlichen Charakteren.
    Der Schah-in-Schah ist abgereist und spielt derzeit auch keine Rolle mehr. Zu Beginn dachte ich noch, es ginge um seine "Heilung" von der Langeweile und Sehnsucht nach weiteren Abenteuern. Aber wie der Obereunuch schon zu Beginn sagte, echte Abwechslung gibt es keine, und die Erkenntnis haben wir ja schon nach einem Drittel des Buches gewonnen. Egal ob echte Gräfin oder Mizzi - dem Schah hätte nichts helfen können.
    Der Fokus des Romans hat sich somit komplett verschoben auf Mizzi, Taittinger und Frau Matzner.


  • Kapitel 9
    . Da konnte nur noch einer helfen, Taittinger. Der zu dem Zeitraum, ähm, anderweitig "beschäftigt" war.

    Interessant fand ich an der Stelle vor allem, dass es dem lieben Taittinger so rein gar nicht peinlich ist - er ist offensichtlich hinlänglich bekannt- nur um wen es sich handelt, das will er lieber nicht so an die große Glocke hängen. Nämlich die Tochter des mit einem (mir leider entfallenen) großen Titel geschmückten Garderoben"meisters".

  • Noch ein Satz vorweg: Ich lese eure Kommentare zu den einzelnen Kapiteln erst durch, wenn ich sie beendet habe; daher schreibe ich vielleicht Gedanken auf, die ein anderer schon geäußert hat.


    Mizzi Schirnagl taucht als Name bereits in Joseph Roth Erstling, der Novelle „Der Vorzugsschüler“ auf. Nur eine Namensgleichheit oder dieselbe Figur? Hat einer von euch die Novelle gelesen?


    Habt ihr schon gesehen, dass Joseph Roth eine eigene Homepage hat? :lol:


    (Na gut, das waren jetzt drei Sätze …)



    XIII
    Der Abstieg beginnt. Es rächt sich, dass Mizzi nie die Möglichkeit hatte, über ihre Zukunft eigenverantwortlich zu bestimmen, und dass sie nur über geringes Selbstbewusstsein verfügt. Dass sie im Grund nur eine Sorte Männer kennt und sich allzu leicht um den Finger wickeln lässt.
    Brüsseler Spitzen: Die Welt brauchte nicht China, um Plagiate herzustellen. :-,
    Man spürt: Es wird rapide bergab gehen. Nicht umsonst erzählt Roth in einem langen Abschnitt, wie das Licht im Hotel ausgeht. Er verwendet Begriffe wie „blutrot, plötzlich schwärzlich“, Friedhof“, „verstorben, verwelkt, giftig“ – Wörter, mit denen der Leser in eine düstere Stimmung rutscht. Kein durchschimmernder Humor mehr, keine Ironie, nur tiefe Traurigkeit. Und das nur mit einer einfachen Schilderung einer Hotelhalle, in der die Lichter ausgemacht werden.


    XIV
    Anscheinend geht es mit allen, die in die Affäre mit dem Schah verwickelt waren, bergab. Mit dem Taittinger schon lange; er trinkt. Mit Mizzi, der der Reichtum nur Ungemach brachte. Und zuletzt mit Josephine Matzner, die an nichts anderem leidet als an ihrem Alter, womit sie im Bordellbetrieb immer schlechtere Karten hat. Doch sie besitzt, was der Mizzi abgeht: Selbstvertrauen, Initiative und Geschäftssinn. Wer sich ihr in den Weg stellt, bekommt die Hutnadel zu spüren.
    Matzners Vermögensberater ist ein Mann von „berechnender Gutherzigkeit“ – nein, kein Widerspruch, im Gegenteil, Roth sagt von dieser Gutherzigkeit, sie sei die einzige, „die auf Erden kein Unheil anrichtet“. Sehr schön. Wenn man sich all das ansieht, was an vermeintlich selbstlosem Guten eher für das persönliche gute Gefühl von Selbstlosigkeit herhalten muss (ich denke z.B. an Politiker oder Kirchenobere) als für Altruismus, hat Roth recht. Sobald Berechnung im Spiel ist, wird die Gutherzigkeit kalkulierbar und ist damit keine Gefahr mehr.


    XV
    Bewundernswert, wie Roth innerhalb weniger Sätze den Tonfall ändert und damit seine Einstellung zu seinen Figuren verdeutlicht. Für Mizzi bringt er Mitleid und Verständnis auf; niemals würde er sie in dieser Situationen mit Ironie betrachten. Die hebt er sich für Josephine auf, die in ihrem Element ist. Sie sichert sich nach allen Seiten ab, autorisiert einen zweiten Anwalt, um dem Hofadvokat, den sie für ihr Ansehen ausgewählt hat, auf die Finger zu sehen. Im Gerichtssaal lässt sie strategische Tränen fließen und schlüpft in eine Opferrolle. Natürlich eine, die unter dem Strich Ausdruck ihrer Stärke ist. Denn ihr Geld ist jetzt wieder sicher, während Mizzi alles verloren hat.
    Inzwischen taucht auch der Sedlacek wieder auf, der Mann, der der beim Schahbesuch vor dem Bordell Wache zu schieben hatte. Seine Pflicht zur Geheimhaltung verbietet ihm, Informationen zu Mizzis Reichtum weiter zu geben.
    Die Zeitungen stürzen sich auf die Geschichte. Man kann es sich genau vorstellen, wie die Artikel aussehen: Eine Prostituierte, die auf unbekanntem Weg zu Geld gekommen ist, die ihren Sohn vernachlässigt und sich einem verheirateten Mann an den Hals wirft. Alles eine Frage der Interpretation. Denn die Fakten stimmen ja.
    Mizzi werden im Gefängnis als erstes die Haare geschoren. Für mich – als Frau ? 8-[ – ein fürchterlicher Gedanke. Da nutzt auch das Wissen nichts, dass Haar nachwachsender Rohstoff ist.


    XVI
    Zumindest Matzner ist auf die Füße gefallen. Ausgerechnet die Frau, die dafür gesorgt hat, dass Mizzi hinter Gitter kam und die im Endeffekt von deren Geld lebt. Aber der Ruhm, von dem sie gekostet hat und der ihren Namen in die Zeitungen brachte: Nach zwei Tagen nicht mehr aktuell. Kennt man bis heute.
    Matzner lebt nun in der Jasomirgottgasse. Diese Straße gibt es wirklich, obwohl sie an dieser Stelle so klingt, als hätte Roth sie erfunden.
    Auch schleicht sich das Taittinger wieder in die Geschichte. Man glaubte ihn schon dem Suff ergeben und irgendwo verkommen. Aber er ist nur älter geworden und sein Leben ennuyeux. Sagt mans auf Französisch, so klingt das Banale (und Dasselbe) gleich viel bedeutsamer. Auch wenn man das Wort nur für sich selbst gebraucht.
    Er scheint ein wenig gerupft, der Baron. Vorbei das selbstherrliche Auftreten, vorbei das schnittige Aussehen in der glanzvollen Uniform, vorbei auch die Wirkung auf Frauen. Ob man es ihm positiv anrechnet, dass die Affäre um Mizzi und den Schah ihn immer noch beschäftigen? Nicht wirklich tief, denn er reagiert nicht auf ihre Briefe aus dem Gefängnis. Eher wie ein dauerndes Unbehagen, das aber nicht einmal zur Reue reicht.

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  • Was auch sehr schön beschrieben wird, wie sie Geld holt und sich zu Hause hinlegt - dann hat man was Schönes, wenn man nach Hause kommt

    Wozu Ehemann oder Haustier? Geld wärmt ja bekanntlich am besten. :loool:

    Empfand ich sie vorher nur als naiv, wird sie mir jetzt richtig unsympathisch.

    Echt? :shock: Mir tut die arme Socke leid. Auch ihr Verhalten gegenüber ihrem Sohn: Ich kann es nicht gut finden, aber wie soll jemand, der keine Nähe, keine Zuwendung kennt (ihr Vater hatte sie vor die Tür gesetzt, als sie schwanger war), solche Gefühle weiter geben? Außerdem hat sie etwas Selbstzerstörerisches an sich. Sie wirft Taittinger ihre Liebe nach, obwohl er sie schon wer-weiß-wie-oft zurückgewiesen hat. Sie verkauft sich an die Bordellbesucher. Sie sucht sich die falschen Freunde, und ... und ... und. Ihr fehlt ein fester Halt. Leider erwartet sie diesen Halt von anderen Menschen - Männern - und sucht ihn nicht bei / in sich selbst.

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  • Mizzi Schirnagl taucht als Name bereits in Joseph Roth Erstling, der Novelle „Der Vorzugsschüler“ auf. Nur eine Namensgleichheit oder dieselbe Figur? Hat einer von euch die Novelle gelesen?

    Nein, die Novelle "Der Vorzugsschüler" habe ich noch nicht gelesen. Aber als ich "Mizzi Schinagl" daraufhin googelte, kam als Ergebnis das dritte Kapitel des "Radetzkymarsches". Hier sitzt der Bezirkshauptmann von Trotta mit seinem Sohn Carl Joseph im Volksgarten und schwelgt in Erinnerungen. Hier hatte er ein kleines Mädel kennen gelernt, Mizzi Schinagl hat's geheissen, aber auf die Rückfrage, ob sie noch lebt, kommt als Antwort "Hoffentlich! Zu meiner Zeit, weisst Du, war man nicht sentimental. Man nahm Abschied von Mädchen und auch von Freunden..." Also taucht der Name auch hier auf, aber ob es sich um die gleiche Dame mit dem aussergewöhnlichen Namen handelt...

    Echt? Mir tut die arme Socke leid

    Ja, ein bisschen leid tun, kann sie einem schon. Aber sie hatte ja mit dem neuen Vermögen und den gut gemeinten Ratschlägen der Matzner auch eine gute Möglichkeit endlich etwas aus sich zu machen. Schwere Kindheit und Erfahrungen hin oder her, sie hat die Möglichkeit zur Besserung nicht genutzt, hängt immer noch an Taittinger und ihr armes Kind erhält (zumindest bei ihr) auch keine bessere Zukunft. Da ärgere ich mich mehr, als ich Mitleid empfinde.

  • Mizzi Schirnagl taucht als Name bereits in Joseph Roth Erstling, der Novelle „Der Vorzugsschüler“ auf. Nur eine Namensgleichheit oder dieselbe Figur? Hat einer von euch die Novelle gelesen?

    Nein, habe ich nicht. ich wusste noch nicht einmal, dass es diese Novelle gibt, geschweige denn das Mizzi Schirnagl darin -zumindest der Name- auftaucht. Das ist ja unglaublich, was du da alles ausgräbst! Danke! Und die Homepage habe ich mir als Lesezeichen gesetzt.


    @Castor Wenn ich dich wieder über Proust schreiben sehe, werde ich direkt daran erinnert, dass ich mir ja noch die nächsten 6 Bände von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vornehmen wollte. Ich habe irgendwie gar nicht mitbekommen, dass Odette de Crécy auch eine Hure war. Vielleicht sollte ich doch noch mal den ersten Band lesen :geek:



    Kapitel 17
    Baron Taittinger wird selbständig 8) Nichts mit, ich befolge nur Befehle, sondern eigenes Handeln ist gefragt. "Im zivilistischen Leben aber hatte man sehr oft Schritte zu unternehmen." Und so sucht er sich Hilfe beim Polizeiarzt Doktor Stiasny um Mizzi das Briefeschreiben verbieten zu können. Und so bringt ihn dieser zum Gefängnisdirektor Regierungsrat Smekal. Egal wie "langweilig" es ihm werden wird, da darf er durch. Und erfährt, dass es unmöglich sei, ihr das Briefeschreiben zu verbieten. Und so wird ihm nahegelegt, doch selbst mit Mizzi zu reden. Tja, so ist das mit der Eigenverantwortung :loool:
    Für Mizzi war es erst mal hochnotpeinlich und am liebsten wäre sie direkt weggerannt, als sie Taittinger erblickt. Gleichzeitig durchströmt sie heiße Freude, wie auch Scham. Für Taittinger auch eine recht ungewohnte Situation. Und dann passiert ihm etwas, mit dem er bestimmt nicht gerechnet hätte. "Eine unbekannte Stimme diktierte ihm plötzlich, eine Stimme, die er noch niemals vernommen hatte." Er empfiehlt Mizzi "unter H.v.T. poste restante!" zu schreiben. Ist doch postlagernd, nicht wahr? Und es kommt für ihn noch "schlimmer". Als er Mizzis Haube herunterzieht, entdeckt er ihr geschorenes Haupt, gerade mal die ersten Haarbüschelchen. Und er empfindet Mitleid. Richtiges Mitleid. Und darüber hinaus erinnert er sich noch an seinen Jungen. Und kann sich noch nicht einmal daran erinnern, dass er Mizzi ja die Pfaidlerei gekauft hatte und deshalb keine Alimente zahlt. Und bei diesen "erinnern" bleibt es auch.
    Er fährt zur Matzner und lässt sich die ganze Geschichte erzählen. Und -zur eigenen Verblüffung- er verstand alles. Das Geschäft, den Betrug, die Rolle die Frau Matzner spielte, alles.
    Unbewusst habe ich mir diesen Satz markiert: "Als die Matzner sich erhob, um zur Pferdebahn zu gehn, fühle sie einen leichten Schwindel im Kopf und einen frostigen Schauer im Herzen." Erst dachte ich, dass es wohl etwas mit Gewissensbissen zu tun hätte? Aber ich glaube das waren die ersten Vorboten von dem was man im nächsten Kapitel erfährt.



    Kapitel 18
    Die Frau Matzner lebt weiter ihr Leben. Plant ihren Tag. Und unter anderem bekommt sie das Bedürfniss Sedlacek mitzuteilen, dass sie den Baron Taittinger getroffen hatte und geht ins Café Wirzl. Die ersten Spekulationen nach dem Warum und Wieso werden erörtert. Auch Redakteure sitzen in dem Café, bekommen das Gespräch mit und einer davon sollte man sich schon merken, Lazik.


    Da habe ich eine Frage an die Runde hier: Frau Matzner bekommt eine Schale Gold mit Mohnkipfel. Was Mohnkipfel sind habe ich schon herausgefunden, aber was ist eine Schale Gold? Tee?


    Und jetzt kommt der größte Schrecken für unsere Frau Matzner. Das grauenvollste was ihr passieren konnte - Efrussi ist nicht mehr im Dienst, sondern wurde gerade eben am Blinddarm operiert. Es ginge um Leben oder Tod. Und an was denkt die liebe Frau direkt? Nein, doch nicht, wie es Efrussi geht. :roll: Sondern was mit ihrem Geld geschieht! Auch die Versicherung, dass ihr Geld ihr Geld bleibt, kann sie nicht beruhigen. Und so stürmt sie zur Klinik, nur um zu erfahren, dass Efrussi verstorben ist. Der schlimmste Alptraum für Frau Matzner. Der absolute Zusammenbruch. Sie schwankt nach Hause und wird sehr krank. Die Angst um ihr Geld setzt der Ärmsten wohl ziemlich zu (pure Ironie meinerseits). Und es kommt wie es bei solchen Nervenzusammenbrüchen kommen muss, sie wird sehr krank und leistet sich einen Arzt. Schmunzeln ließ mich immer wieder Beschreibung von dem Strumpf mit dem Geld. Wie auch immer, die Diagnose ist Rippenfellentzündung.
    Tatsächlich fühlt sie sich derartig krank, ihre Gedanken schweifen hier hin und dorthin, dass sie sogar einen Priester kommen lässt. Dazwischen immer wieder ihre Gedanken ums Geld. Was es kosten wird.
    Die Szene mit dem Priester hatte mir richtig gut gefallen. Die Gespräche um Sünde. Das nichtverstehen um was es eigentlich ging beim Priester. Naja, das ganze hin und her halt. Frau Matzner ging sogar soweit, an ihr Erbe zu denken. Ein Drittel ihres Geldes sollten die Armen erhalten, ein Drittel die Kirche, das letzte Drittel sollte Mizzi bekommen.
    Und so lässt sie noch den Notar kommen. Nachdem sie von dem Notar (wieder) erfährt, dass ihr Geld sicher ist und wie hoch ihr Vermögen tatsächlich ist, vermindert sie die Summe, 300 für die Armen, 300 die Kirche, 300 für Mizzi und 100 für die restlichen Kosten (wie Beerdigung und so 8) ).
    Bei aller Tragik, dass war ein ziemlich amüsantes Kapitel. Die Geldgier, plötzliche Heilung und wieder völliger Geiz, das Probesterben. Als könnte man "zur Probe" sterben. Irgendwie erinnert sie mich ein wenig an eine sehr bekannte Ente, namens Dagobert Duck. Schade, dass sie sich keinen Geldspeicher bauen konnte :-,:roll:
    Frau Matzner stirbt tatsächlich. Den Rest ihres Vermögens erbt ihr Neffe.
    Und ein findiger Reporter, der von ihrem Tod erfuhr, hat einen Plan.....


    Kapitel 19
    Langeweile ist im Reich. Es herrscht Frieden, nichts schlimmes passiert. Die Reporter warten im Café und hoffen bei jedem eintreten der "Geheimen" auf spannende Nachrichten.Nichts passiert, Lethargie beherrscht alle. Alle? Nein, der Reporter Lazik verfolgt seinen Plan, weil er da etwas wittert. Ich schreibe es mal schon vorab. Er erinnert mich mit allen drum und dran an einen BILD-Reporter :loool:
    Er spinnt Fäden zwischen allem was er erfahren hatte über Zusammenhänge zwischen dem Tod vom Bankier Efrussi und der Frau Matzner. Er konnte zwar -noch- keine Zusammenhänge zwischen den Perlen, dem Schah und dem Rest machen, aber es ist nur noch eine Frage der Zeit. Lazik verfolgt den Verbleib der Perlen.
    Alleine schon die weiteren Abläufe sind einfach köstlich, alleine schon wie Lazik seine "Reportagen" schreibt. Die Beschreibung des Heftchens "auf dem ein sympathisch halbentkleidetes Mädchen auf einer giftgrünen Chaiselongue zu sehen war". Den Lebenslauf des Reporters. Und wie er Taittinger aufgespürt hatte. Dieser war anfänglich noch recht skeptisch Lazik gegenüber, aber das änderte sich recht schnell. Er lässt sich sogar die ersten drei Heftchen mit einer Widmung versehen schenken und bekundet das Interesse an weiteren Lesestoff, darüber hinaus unterstützt er das Ganze noch mit einer (völlig überzogenen) Geldspende :totlach:
    Ich bin gespannt was es mit dem dringlichen Brief auf sich hat und freue mich schon aufs weiterlesen.




    Apropo lesen. Soweit ich sehe, klappt das ja ganz gut mit der Einteilung. Oder sollen wir pausieren?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • @Castor Wenn ich dich wieder über Proust schreiben sehe, werde ich direkt daran erinnert, dass ich mir ja noch die nächsten 6 Bände von "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit" vornehmen wollte. Ich habe irgendwie gar nicht mitbekommen, dass Odette de Crécy auch eine Hure war. Vielleicht sollte ich doch noch mal den ersten Band lesen :geek:

    Odette de Crécy war eine so genannte Halbweltdame. Angefangen hat sie als "kleine Hure", aber hat sich dann weiter entwickelt und ihre Dienste sozusagen exklusiv angeboten mit nur noch einem offiziellen Freier (und noch so ein paar nebenbei). Als sie älter wurde und ein Kind bekam, hat sie eine gute Heirat gemacht (hat es also ein wenig schlauer angestellt als die gute Mizzi) und sich auch in der Gesellschaft immer weiter nach oben bewegt.


    Was Mizzi selbst anbelangt, bin ich ein wenig zwiegespalten. Klar, wenn man es von unserer Warte aus betrachtet, gerade auch in der heutigen Zeit, kann man nur die Hände über den Kopf zusammenschlagen und mit dem Kopf auf die Tischkante hauen. Von außen ist es immer leicht, den Finger zu heben und zu sagen, was man selbst anders gemacht hätte. Aber @Marie hat schon recht mit dem, was sie geschrieben hat. Wahrscheinlich ist ihr Grundproblem wirklich das geringe oder nicht vorhandene Selbstbewusstsein. Wenn ich nicht selbst weiß, dass ich was wert bin, suche ich meine Bestätigung bei anderen.
    Und irgendwie verständlich, dass sie an Taittinger hängt, hat er doch schließlich um sie geworben und aus ihrer Beziehung ist ein Kind entstanden (seine Absichten mal außer Betracht lassend). Wieviele misshandelte Frauen bleiben bei ihren Männern, weil sie sich fast dasselbe sagen? Wenn man erstmal in so einer Spirale drin ist, kommt man nur sehr schwer wieder raus. Und der erste Weg ist die Selbsterkenntnis, dass sich was ändern muss. Da kann man sich von außen den Mund fusslig reden (oder, wie Frau Matzner, Briefe um Briefe schreiben) :-, .
    Was die Chance betrifft, mit dem neuen Vermögen was aus sich zu machen - ach je, ich denke da nur an die ganzen Lottogewinner (wahlweise Gewinner bei "Wer wird Millionär?"), die nur zusehen, das Geld so schnell wie möglich durchzubringen. Geld und Intelligenz bzw. Erkenntnis hat leider meistens nicht allzuviel miteinander zu tun :twisted: .


    Pausieren müssen wir meinetwegen nicht. Ich habe die Kapitel vorhin noch gelesen und poste nachher meine Eindrücke. Ich richte mich aber nach euch!

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • Pausieren müssen wir meinetwegen nicht.

    Nein, ich muss auch nicht pausieren. Kann höchstens sein, dass ich heute Abend das Pensum nicht ganz schaffe, weil ich mir gern "Father Brown" anschaue. Aber morgen früh kann ich es nachholen. Ich finde das Tagespensum gut gewählt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Die Kapitel hast Du wieder toll zusammengefasst, @Farast! Was mir bei Kapitel 17 noch auffiel, war dass Taittinger beim Polizeiarzt anscheinend so verwirrend und aufgeregt erzählt hatte, dass der Arzt zuerst glaubte, es handle sich um eine sogenannte "geheime Krankheit" oder um so eine verbotene "Hebammen-Sache". Meine Güte, was wirft das für ein Licht auf die damalige Oberschicht. Es klingt, als hätten die Barone & Co diverse inoffizielle Wege gehabt, ihre Liebschaften zu beseitigen. Da ist die Pfaidlerei ja noch harmlos.
    Und in Kapitel 18 gibt es tatsächlich einen raschen Absturz für Frau Matzner. Mir gefiel noch sehr gut das Bild des Ballons, der seinen Ballast abgeworfen hat und nun frei davonfliegen kann. Sie hat also ihre Informationen gestreut und schwebt nicht nur zur Tür hinaus.

  • Die Zusammenfassung hat @Farast schon so schön erledigt :friends: , da gebe ich noch meinen eigenen Senf dazu.

    aber was ist eine Schale Gold? Tee?

    Laut Wikipedia eine Kaffeespezialität:


    Zitat von Wikipedia
    • Schale(rl) Gold – Kaffee mit Kaffeeobers, etwas heller als ein Brauner (Wien)

    Unbewusst habe ich mir diesen Satz markiert: "Als die Matzner sich erhob, um zur Pferdebahn zu gehn, fühle sie einen leichten Schwindel im Kopf und einen frostigen Schauer im Herzen." Erst dachte ich, dass es wohl etwas mit Gewissensbissen zu tun hätte? Aber ich glaube das waren die ersten Vorboten von dem was man im nächsten Kapitel erfährt.

    Beides, denke ich. Wahrscheinlich erstmal seelisch = Gewissensbisse, und die wirken sich dann noch körperlich aus :roll: .

    Und jetzt kommt der größte Schrecken für unsere Frau Matzner. Das grauenvollste was ihr passieren konnte - Efrussi ist nicht mehr im Dienst, sondern wurde gerade eben am Blinddarm operiert. Es ginge um Leben oder Tod. Und an was denkt die liebe Frau direkt? Nein, doch nicht, wie es Efrussi geht. Sondern was mit ihrem Geld geschieht!

    Nun ja - man muss Prioritäten setzen. Was interessiert sie der Gesundheitszustand von Efrussi, wenn es doch um das wichtigste in ihrem Leben geht - ihr Geld! Zumal ja eine Verarmung ihrerseits in greifbare Nähe rückt :mrgreen: .

    Schade, dass sie sich keinen Geldspeicher bauen konnte

    :totlach:

    Er erinnert mich mit allen drum und dran an einen BILD-Reporter

    Mich auch. Auch


    die Beschreibung des Heftchens "auf dem ein sympathisch halbentkleidetes Mädchen auf einer giftgrünen Chaiselongue zu sehen war".

    deutet darauf hin - war/ist die BILD nicht das Blatt mit dem Nackedei auf Seite 1?

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • XVII
    Spricht dieses Kapitel für Taittinger oder gegen ihn? Es scheint, als könnte er Mitgefühl entwickeln, denn er schafft es nicht, seinen Plan umzusetzen und Mizzi das Briefeschreiben zu untersagen. Irgendwas bewegt sich in ihm, wenn es auch sehr verwoben ist mit seinem Narzissmus. Dass er vergisst, nach seinem Sohn zu fragen: Ärgerlich, weil unhöflich. Aber kein inneres Bedürfnis.
    Immer noch findet Taittinger eine Situation „penibel“, wenn er „peinlich“ meint.
    Dass Taittinger sie ohne Haare gesehen hat, ist für Mizzi vermutlich schlimmer als wenn sie ihm nackt begegnet wäre. Es scheint, als hätte sie keine Wünsche mehr. Taittingers Besuch verwirrt sie eher als dass er sie freut. Und schnell flüchtet sie wieder in das Alleinsein in ihrer Zelle.
    Taittinger, der sich bisher als schlechter Zuhörer und Gesprächspartner erwies, kann auf einmal die Ohren spitzen: Er lässt sich von der Matzner den Verlauf von Mizzis „Verbrechen“ und Urteil schildern. Man ahnt, dass er irgendetwas vorhat.


    XVIII
    Ein prallvolles Kapitel. Leider versagen sich die grundlegendsten Dinge im Leben einer Probe. Man kann nicht auf Probe gebären, lieben, sterben. Auch bei der Matzner geht’s schief. Die Probe gelang ihr noch gut, aber bei der Aufführung verpasste die Hauptperson ihren Einsatz. Sie wäre noch gar nicht dran gewesen. Erst hätte sie ihr Geld gut anlegen müssen.
    „Der Friede kam über die Josephine Matzner.“ Wenn das mal nicht ein gelungenes Euphemismus für das Sterben ist. Vor allem, wenn es um eine Frau geht, die in den letzten Jahren ihres Lebens für Unfrieden gesorgt hat.
    Die beiden Abschnitte, in denen von der Verteilung der Erbschaft am Ende des Kapitels die Rede ist, klingen völlig sachlich. Der Erzähler berichtet je nur, was passiert. Und dennoch ist die Häme spürbar. Auch die schwarze Seele des Lesers fühlt sich auf Äußerste befriedigt. Das ist echte poetische Gerechtigkeit. (Auch wenn Mizzi bis auf 300 lumpige Kröten nichts mehr davon hat.)


    XIX
    Nein, einen Menschenfreund kann man Roth nicht nennen. Schon wieder so ein unsympathischer Zeitgenosse, der in die Handlung eingreift, der Redakteur Lazik.
    Gibt es überhaupt eine Figur, die dem Leser ans Herz wachsen, ihn für sich einnehmen kann? Ich sehe nur Egoismus, Geiz, Aufschneiderei, Übervorteilung und Berechnung. Sogar Mizzis Kind ist davon nicht ausgenommen.
    Auch wenn ich die Ironie und Roths Sprache mit Genuss lese, auch wenn die Handlung spritzig ist und sich konsequent entwickelt, berührt mich das Ganze relativ wenig. Vor allem, wenn ich an „Hiob“ denke. Dass man die beiden Bücher nicht vergleichen kann, ist klar; dennoch hätte ich mir hier mehr davon gewünscht, was „Hiob“ im Überfluss bereit hielt: Verbundenheit mit den Figuren.

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  • Auch wenn ich die Ironie und Roths Sprache mit Genuss lese, auch wenn die Handlung spritzig ist und sich konsequent entwickelt, berührt mich das Ganze relativ wenig.

    Ja, das geht mir auch so. Die Geschichte ist recht unterhaltsam, die Sprache und die Ironie grandios, und es macht mir Spass sie mit Euch in der MLR zu lesen, aber allzu bewegend finde ich sie nicht. Ich frage mich, ob wir von der Erzählung so wenig berührt sind, weil die Figuren so "unsympathisch" angelegt sind (egoistisch, aufschneiderisch,...)?
    Ein ähnliches "Problem" hatte ich mit einem ganz anderen Buch, an das ich die letzten 1-2 Tage denken muss, und das man noch viel weniger als "Hiob" mit dieser Erzählung vergleichen kann: "Die Blendung" von Elias Canetti

    Gibt es überhaupt eine Figur, die dem Leser ans Herz wachsen, ihn für sich einnehmen kann? Ich sehe nur Egoismus, Geiz, Aufschneiderei, Übervorteilung und Berechnung.

    Auch in der "Blendung" von Canetti gibt es keine Figur, die einem ans Herz wächst, in die man sich hineinversetzen möchte. Auch da sind alle Beteiligten egoistisch, berechnend und völlig selbstbezogen. Auch die Blendung enthält viel Ironie und witzige Szenen, obwohl der "Witz" durch die absurden Handlungen der Personen entsteht und nicht durch die ironische Erzählweise. Interessanterweise wurden beide Werke (Blendung und 1002. Nacht) Ende der 1930er Jahre geschrieben, Roth und Canetti sind beide aus Osteuropa, jüdischer Abstammung und hatten mehrere Jahre in Wien gelebt.

  • war/ist die BILD nicht das Blatt mit dem Nackedei auf Seite 1?

    Genau!

    Auch wenn ich die Ironie und Roths Sprache mit Genuss lese, auch wenn die Handlung spritzig ist und sich konsequent entwickelt, berührt mich das Ganze relativ wenig.

    Ein ähnliches Gefühl habe ich beim lesen auch.

    Ich frage mich, ob wir von der Erzählung so wenig berührt sind, weil die Figuren so "unsympathisch" angelegt sind (egoistisch, aufschneiderisch,...)?

    Eine sehr interessante Frage! Inwieweit lässt man sich als Leser dann doch von symphathisch/unsympathisch beeinflussen. Selbst wenn der Kopf zeigt, wie toll eine Geschichte aufgebaut ist, so ein klitzekleinwenig mag ich ja doch insgeheim einen sympathischen Charakter. Und trotzdem merke ich, dass ich bei Büchern -wie das von dir genannte "Die Blendung"- zwar arg zu kämpfen hatte, weil da ja wirklich niemand positiv aufgefallen war, aber die Geschichte einfach grandios dargestellt wurde. Ich muss aber zugeben, da hat es etliche Jährchen meines Leserlebens gedauert, bis ich überhaupt soweit war, dafür offen zu sein :uups: Dafür ist der Lesegenuss dann bei mir ein recht tiefer geworden, wenn ich gegen die Figuren und ihre Handlungen wettere und gleichzeitig eine gut (!) aufgebaute Geschichte genießen kann, ohne das Buch "an die Wand zu werfen".

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  • :-k Hmm? Muss ein Protagonist sympathisch sein, um als Identifikationsfigur zu dienen? Ich denke z.B. an "Das Parfüm". DER unsympathische Protagonist schlechthin. Und doch ist das Buch faszinierend (für mich jedenfalls).

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