Irena Brežná - Die undankbare Fremde

  • Klappentext:

    Eine junge Frau flieht aus einer Diktatur in ein reiches Land. Sie rebelliert gegen das Gästeland, das ihr seine Regeln aufzwingt und sie nicht sie selbst sein lässt. Zuhause ist dort, wo man motzen darf, und so macht sie reichlich Gebrauch davon. Aber sie trifft auch auf viele andere Gestrandete, die hoffen, etwas aus ihrem Leben machen zu können: kleine Diebe, Depressive, Schlawiner, Kriegsflüchtlinge, Ausgebeutete, Überangepasste und Naive. Und sie lernt, Exil und Fremdheit als Reichtum zu erfahren, sie wird Brückenbauerin zwischen den Kulturen.


    Zur Autorin (nachAmazon):
    Irena Brežná, geboren 1950 in der Tschechoslowakei. 1968 Emigration in die Schweiz. Journalistin, Schriftstellerin, Slawistin, Psychologin, Menschenrechtlerin. Zuletzt erschien ihr autobiographisch gefärbter Roman „Die beste aller Welten”. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den EMMA-Journalistinnenpreis und den Theodor-Wolff-Preis für ihre Kriegsreportagen aus Tschetschenien.


    Meine Meinung:
    Dieses Buch ist mit seinen 140 Seiten ein sehr gutes Beispiel dafür, dass auch dünne Bücher den Leser erschlagen können. Es ist in zwei sich abwechselnde Teile gegliedert. Zum einen die Geschichte einer jungen Fremden, die mit dem Kulturschock umgehen lernt, sich auflehnt, um ihre eigene Identität kämpft, gleichzeitig Teil der neuen Gesellschaft sein will, partizipieren will, aber einer Assimilation mit allen Mitteln trotzt. Andererseits werden auch, in einer zweiten Zeitebene, viele Geschichten anderer Migranten erzählt, mit denen die Dolmetscherin, die aus dem Mädchen wurde, Erfahrungen machte. Viele dieser Geschichten hatten für mich etwas bedrückendes und hoffnungsloses. Hinzu kommt auch die Sprache, die sehr eigen ist, zwar wunderschön, präzise und poetisch wirkt, nach einer Zeit aber auch sehr mühsam wird, weil die Geschichte nicht als solche erzählt wird, sondern eher als eine lose zusammengebundene Aneinanderreihung vieler Erlebnisse, Erfahrungen und Beispiele, die teilweise abstrakt geschildert werden und wirklich Aufmerksamkeit vom Leser verlangen.


    Ich habe euch hier einen kleinen Auszug rausgeschrieben, damit ihr einen Eindruck vom Sprachstil bekommt, S.8:


    Zitat

    Die Leiterin des Dolmetscherdienstes ermahnt das internationale Heer sprachlicher Stundenlöhner: „Nur vermitteln, nicht eingreifen.“Sie hängt nicht in der Kontinentalspalte, kennt nicht das Krachen, wenn Kulturen aufeinanderstoßen. Vor jedem Einsatz bläue ich mir ein: Pass auf dich auf, lass die Ufer Ufer sein, biete dich nicht als Brücke an, die stets zu Diensten steht, sonst trampelt man auf dir herum und bringt dich zum Einsturz. Sei eine Sprachfähre. Führe die Passagiere hinüber, lege ab und lösche ihre Gesichter aus dem Gedächtnis. Etwas von beiden Ufern bleibt trotzdem an der Fährfraukleben.
    ... Ich mag den Augenblick, wenn der Mensch vor mir steht und die Sprache sichoffenbart. Oft errate ich die Sprache ein paar Sekunden davor. Ich sehe an der Beschaffenheit des Mundes, von welchen Lautkombinationen er geformt worden ist. Dann grüße ich den Menschen, und im Gruß ist die Sprache mitgemeint, Sprachen sind Wesen. Sie leben unter uns, lungern herum oder tänzeln, rattern, stocken, säuseln. Wir nähren und kleiden die Sprachen ein, sodass sie satt oder schäbig werden, unterernährt oder schick gekleidet.



    Fazit: Ein Buch, das ich gerne gelesen, aber auch gerne beendet habe. Die Art des Erzählens ist teilweise unsagbar schön und die Worte sind immer mit Bedacht gewählt, aber es ist auch sehr mühsam und deprimierend. Ich würde es deswegen auch nicht jedem empfehlen. Für mich aber hat es letztlich gut gepasst und ich empfand das Buch in gewisser Hinsicht auch als bereichernd.

    "Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste."
    Heinrich Heine


      :study:

  • Nach fünfeinhalb Jahren hole ich diesen Fred mal hoch ; ich verdankte es damals eben Schokopraline , dass das Buch auf der Wuli und später auf dem SUB landete. Ich bereue es nicht, denn diese Themen rund um das Aufeinandertreffen zweier Kulturkreise berühren mich sehr, vielleicht als Auslandsdeutschen ja auch besonders… ?!


    Die Ich-Erzählerin, wohl sicher ein Alter-Ego der Autorin, ist nun schon länger in …, ja es wird halt die Schweiz sein. Einem Land, in dem sie aus ihrer Diktatur kommend gelandet ist. Ihr Land kann nicht Kontinente entfernt liegen, sondern könnte man in Osteuropa situieren. Ihre Feststellungen – sie sagt dazu auch « ihr Motzen » - über das Gastland einerseits, will der politisch heute korrekte Leser nicht einfach empörend abweisen. Wir mögen mehr und mehr verstehen, dass der Atmosphärenwechsel Äußerstes abverlangt. Was « unsere » Gewohnheiten und Sicherheiten anbetreffen – sie sind es nicht für die Hinzukommenden. Müssen sie das sein ? Wohl nicht. Wir haben uns inzwischen da eine Toleranz erarbeitet. Oder ?


    Jedoch hinterläßt der Roman dennoch einen etwas bitteren Nachgeschmack bei mir, wenn dieses Einverlangen von Toleranz eine einseitige Angelegenheit wäre. Die Ich-Erzählerin verlangt viel. Was ist sie wirklich zu geben bereit ? Ist das, was sie sieht, alles nur Kleinkariertheit einer starren, festgefahrenen Gesellschaft mit korrekten, aber armseligen Seelen? Ich konnte über vieles schmunzeln, aber hat sich die Erzählerin in ihrem « Motztum » zu sehr festgefahren ? Und ohne nun das Ganze umzudrehen, sollten wir eventuell doch verlangen können, dass es um ein gegenseitiges Aufeinander-Zugehen sich handeln muss/müßte.


    Ansonsten ist die Sprachgewandtheit schon sehr beeindruckend. Dies ist mir hier und da schon bei anderen Autoren aufgefallen, wo das Deutsche doch nicht die Muttersprache war. Solche Sprachbeherrschung an sich macht schon Freude, und ist hier an sich schon die halbe Miete, das halbe Vergnügen am Buch.


    Wäre interessant, noch andere Eindrücke zu diesem Buch zu erhalten !

  • Ich gebe zu, dass ich obige Eindrücke nach ca. 120 von 140 Seiten geschrieben habe. Auf den letzten Seiten klingt der Ton versöhnlicher: Fremdheit annehmen.