Friedrich Ani - Der namenlose Tag

  • Worum geht's?


    Der seit zwei Monaten pensionierte Kriminalhauptkommissar Jakob Franck kommt einfach nicht zur Ruhe, seine Arbeit lässt ihn nicht los. Genau deshalb sagt er Ludwig Winther auch zu, als dieser ihn bittet, den bereits 20 Jahre zurückliegenden Todesfall (einem offiziell bekannten Selbstmord durch Erhängen) seiner Tochter Esther noch einmal aufs Neue nachzugehen. Winther hegt nämlich nach all der Zeit immer noch Zweifel an der Selbsttötung seiner Tochter. Für ihn ist die Sache klar: Esther wurde in den Selbstmord getrieben ...


    Der erste Satz:


    Andauernd rief eine Frau meinen Namen, aber ich war nicht gemeint.


    Meine Meinung:


    Ein Verbrechen an der Wahrheit


    Der Inhalt dieses Kriminalromans ist so melancholisch, freud- und farblos, wie sein Cover. In Anis Büchern herrscht zwar immer eine gewisse Melancholie und Schwere, aber in diesem Exemplar ist ja so gut wie jede Aussage einfach nur trist und negativ beschwerlich geprägt. Das war auch der Grund, warum mir das Abtauchen in die Geschichte keine wirkliche Freude bereitet hat. Hie und da mal ein sarkastischer Gedanke hätte dem Ganzen sicher nicht geschadet, ganz im Gegenteil: das wäre bestimmt eine Auflockerung gewesen und hätte vielleicht ein wenig mehr Lesevergnügen beschert, aber so ganz ohne Positivität hat sich die Begeisterung bei mir eher in Grenzen gehalten.


    "Mein Leben war kaputt, und wenn das Leben kaputt ist, geht man selber auch kaputt."
    (S. 20)


    Was soll ich zu den Charakteren sagen? Der pensionierte Kommissar Jakob Frank ist ein seit 20 Jahren allein lebender, geschiedener, schweigsamer Mann, der, so hatte ich das Gefühl, den ganzen Tag damit beschäftigt ist, seine Gedanken zu ordnen und nachzudenken. Für mich war Franck weder besonders sympathisch, noch unsympathisch. Eher langweilig. Ja, langweilig trifft es ganz gut. Ein ganz und gar farbloser Typ, der scheinbar aber auch nicht davor zurückschreckt, eine Frau, der er eine Todesnachricht überbringen musste, für mehrere Stunden fast reglos zu umarmen. Dieses Verhalten war aber leider auch das einzige, das halbwegs interessant an ihm war.
    Gar nicht verstanden habe ich Ludwig Winther. - Warum kommt er erst ganze 20 Jahre später drauf, den Selbstmord seiner Tochter neu aufrollen lassen zu wollen? Eine Erklärung dafür konnte ich bis zum Schluss nicht herauslesen.


    In diesem Buch wurde mir allgemein viel zu viel geschwiegen. Es wurde zu viel verschwiegen, was schon vor Jahren hätte gesagt werden sollen und den Protagonisten evtl. Erleichterung verschafft hätte. Aber da sieht man mal wieder, was dieses Nichtreden über schwierige Dinge/Situationen bewirken kann: Depressivität, Passivität, Misstrauen und Griesgrämigkeit. Vor allem aber lässt das Schweigen sehr viel Raum für Fantasie und andere Hirngespinste offen.


    Manche Menschen wollen nicht erkannt werden; wir sitzen ihnen gegenüber und
    glauben sie zu kennen, aber wir sehen nur das, was sie anhaben, und hören nur
    das, was sie sagen, wir haben keine Ahnung, wie sie nackt aussehen oder ob
    sie weinen, wenn sie allein sind. Wir lassen uns nur allzu gern täuschen;
    (S. 257/258)


    Mir ist es auch so vorgekommen, als würde in den Ermittlungen nichts weitergehen, weil keiner mit Franck offen, ehrlich und vollständig reden wollte oder konnte. - Das fand ich so anstrengend und teilweise richtig nervtötend.
    Die Handlung war in meinen Augen also eher lahm - nicht zuletzt, weil diese sich hauptsächlich gedanklich oder in Gesprächen (mit Angehörigen der erhängten Esther) in irgendwelchen Cafés oder Restaurants abgespielt hat.


    Der namenlose Tag, mein neuntes Buch von Friedrich Ani, war eine kleine Enttäuschung für mich, da habe ich schon weitaus Rasanteres und vor allem Interessanteres vom Autor gelesen.
    Ich frage mich jetzt natürlich auch, weil dieses Buch hier ja den Auftakt einer Reihe darstellen soll, ob Jakob Franck in weiterer Folge nun tatsächlich dauernd von jemandem kontaktiert wird, der möchte, dass er einen Fall für ihn löst bzw. ob der pensionierte Kommissar sich in Zukunft einfach in irgendwelche momentanen Ermittlungen einmischen wird?
    Ich möchte der Reihe, obwohl ich meine Kritikpunkte zu diesem Buch schon als sehr groß empfinde, trotzdem eine Chance geben, denn von Ani bin ich normalerweise wirklich Besseres gewohnt.


    3 :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: !

  • Selbst versierte Krimileser könnten wahrscheinlich nicht auf Anhieb sagen, wieviel verschiedene Ermittlerfiguren der Schriftsteller Friedrich Ani im Laufe seiner langen literarischen Tätigkeit schon erfunden hat. Am bekanntesten ist wohl der Kommissar Tabor Süden, den Ani zuletzt aus dem Ruhestand noch in einigen Büchern ermitteln ließ. Wahrscheinlich auch deshalb, weil diese Serie über ein Dutzend Bücher über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten umfasste. An so manchen Ermittler, der danach folgte, und den Ani meist schon nach zwei oder drei Büchern durch einen anderen ersetzte, erinnert sich kaum noch jemand, was schade ist, denn jeder dieser Männer hatte eine außergewöhnliche Lebensgeschichte, wie sie nur Ani erfinden kann und alle einte sie eine Ermittlungsmethode, die man so bei kaum einem anderen Polizisten in der Krimiszene findet.



    Anis Ermittler setzen sich selbst auf Spiel. Selbst jeweils auf unterschiedliche Arten aus der Welt gefallen und ihr eigenes Leben und seine Geschichte verloren glaubend, sind sie auf eigentümliche Weise in der Lage, das Schicksal der Täter und ihrer Opfer auf eine fast körperliche Art zu spüren und zu erleben, die sie während ihre Ermittlungen nicht selten selbst an deren Rand des Todes bringt.



    Ani lässt sie mit Regelmäßigkeit auf Menschen treffen, die auf irgendeine Weise sich selbst verloren gegangen sind. Unsichtbar geworden, leben sie mitten unter uns und Ani gibt ihnen durch seine Kommissare und ihre absolut ungewöhnliche Art, Kriminalfälle zu lösen, ihr Gesicht, ihre Geschichte und ihre Menschenwürde zurück.



    Sein neuer Ermittler Jakob Franck, den Ani nach langer Heimstatt bei Droemer nun beim vom Konkurs geretteten und programmatisch und finanziell wieder auferstandenen Suhrkamp Verlag in Berlin präsentiert, ist so ein Sucher nach Verlorenem und Verschwundenem. Seit zwei Monaten im Ruhestand, hat er sich dort noch gar nicht recht eingerichtet, glaubt aber endlich ein Leben jenseits der Toten beginnen zu können, nachdem er über viele Jahre in seinem Dezernat sozusagen der Spezialist für die Überbringung von Todesnachrichten war, und das auch nach eigener Einschätzung immer ziemlich gut gemacht hat. So wie viele seiner Vorgänger lebt Jakob Franck allein, nachdem nicht nur sein Job als Polizist seine Ehe scheitern ließ. Dass ihn Ani am Ende eines Falles, der ihn in die Katakomben seiner eigenen Vergangenheit führte, diesen zusammen mit seiner Ex-Frau Marion Siedler resümieren lässt, gibt zu der Vermutung Anlass, dass Marion auch im nächsten Buch wieder auftauchen wird.



    Dieser Fall jedenfalls ist eigentlich schon seit zwanzig Jahren abgeschlossen. Doch Ludwig Winther, der Franck sozusagen privat beauftragt, glaubt nicht daran, dass seine damals siebzehnjährige Tochter sich selbst erhängt hat, wie der polizeiliche Untersuchungsbericht damals eindeutig feststellte. Nach wie vor ist er davon überzeugt, es könne sich nur um einen Mord handeln. Ex- Kommissar Jakob Franck macht sich daran die näheren Umstände des Todes des Mädchens aufzuklären. Er „erweckt einen toten Fall zu Leben.“
    Dazu, so ist er überzeugt, gehört eine Art Leichenfledderei, die sich von der von Emotionen völlig freien Arbeit des Gerichtsmediziners stark unterscheidet. „Was Franck meinte, war sein ureigenes, professionelles, wenn nötig rücksichtsloses Zerstückeln der Umstände, das Ausgraben halbverwester Wahrheiten, das Offenlegen ebenso verständlicher wie oftmals schmutziger Überlebenstricks. Die Aufklärung eines Mordes oder eines zwielichtigen Todes bedeutete, dass ein Kommissar das Recht hatte, die Welt des Menschen, der gewaltsam gestorben war. Von Grund auf zu erschüttern und deren Bewohnern so lange mit unnachgiebiger Genauigkeit ihre Gewohnheiten zu entreißen, bis sie nackt in der Kälte standen und sich ihrer Erbärmlichkeit bewusst wurden. Erst von diesem Moment an – davon war Franck überzeugt – gelangte das Opfer auf den Weg zum ewigen Frieden.“



    So wie viele seine Vorgänger ist Franck nicht religiös, hat aber immer einen Zugang zu den spirituellen Dimensionen des Lebens und den sündhaften Abgründen menschlicher Existenz. Er nähert sich ihnen mit einer von ihm selbst entwickelten Methode, die er „Gedankenfühligkeit“ nennt, und die ihm ungeahnte Einblicke in die Gedanken- und Gefühlswelt nicht nur der Menschen, denen er begegnet, vermittelt, sondern auch und gerade in seine eigene.



    Das macht bin in manchen Situationen zum Therapeuten und Seelsorger, bringt ihn aber keinen Meter von seinem eingeschlagenen Weg ab. Ein Weg, der ihn Kraft kostet, aber ihn sehr nah kommen lässt, dem, was Ani seit vielen Jahren beschäftigt: der Essenz des Lebens und des Leidens.



    Man wird sehen, wieviel „Fälle“ Friedrich Ani diesem beeindruckenden neuen Ermittler im Ruhestand schenkt. Der Auftakt jedenfalls überzeugt auf der ganzen Linie.

  • Friedrich Ani
    Der namenlose Tag
    Suhrkamp


    Autor: Friedrich Ani, geboren 1959, lebt in München. Er schreibt Romane, Gedichte, Jugendbücher, Hörspiele, Theaterstücke und Drehbücher. Sein Werk wurde mehrfach übersetzt und vielfach prämiert, u. a. mit dem Deutschen Krimi Preis, dem Adolf-Grimme-Preis und dem Bayerischen Fernsehpreis. Seine Romane um den Vermisstenfahnder Tabor Süden machten ihn zu einem der bekanntesten deutschsprachigen Kriminalschriftsteller. Friedrich Ani ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und des Internationalen PEN-Clubs. Sein Roman Der namenlose Tag (2015), ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimi Preis und dem Stuttgarter Krimipreis, markierte Anis Wechsel zu Suhrkamp. Sein zweiter Roman, Nackter Mann, der brennt, erschien im Sommer 2016. Seit 2015 ist Friedrich Ani auch mit seinen Theaterstücken im Suhrkamp Theater Verlag vertreten. (Quelle: Suhrkamp)


    Ein Mann klingelt an der Tür des ehemaligen Kommissars und bittet um ein Gespräch. Am Tisch sitzend redet dieser vom Selbstmord seiner Tochter, der schon 20 Jahre zurückliegt. In seinen Augen hat es sich dabei nicht um einen Selbstmord gehandelt und das, obwohl die Polizei diesen Fall so abgeschlossen hat. Der Mann bittet den ehemaligen Kommissar darum, die Ermittlungen nochmals aufzunehmen.


    Das Buch besteht aus insgesamt 21 Kapiteln. Die Kapitelangaben werden zum einen mit einer römischen Zahl gemacht und zum anderen finden wir unter dieser Zahl eine Kapitelüberschrift. Diese Kapitelüberschrift kann mehrfach benutzt werden, dies wird dann durch eine Zahl kenntlich gemacht. Schlägt der Leser das Buch auf, findet er als Erstes ein Zitat, das besser nicht sein könnte. Alles, was im Buch ist, auf 3 Zeilen gepackt.
    Wenn wir dann beginnen zu lesen, werden wir direkt in die Handlung geworfen, ohne dass wir erfahren, worum es genau geht. Dies bekommt der Leser dann aber im Laufe des Buches erzählt. Auch lernen wir die Charaktere, allen voran den ehemaligen Kommissar Jakob Franck im Laufe der Geschichte besser kennen. Aufgrund der Art und Weise, wie das Buch geschrieben hat, ist es nicht ganz leicht zu lesen bzw. zu verstehen. Dies tut dem Lesespaß aber keinen Abbruch, im Gegenteil es hilft beim Reinfinden in die Geschichte, da diese auch 20 Jahre zurückliegt. Am Ende bekommt dann der Leser ein Ende geliefert, dass dem Buch gerecht wird.


    Cover: Das Hardcover des Buches ist nur in der Farbe Schwarz gehalten. Der Schutzumschlag hingegen besteht hauptsächlich aus der Farbe Grau. Allein der Buchrücken und die Umrandung sind schwarz. Auf der Vorderseite sehen wir außerdem eine Art Rauch, der sich über das Cover zieht.


    Fazit: Wer bei diesem Buch einen üblichen Krimi erwartet, wird sehr enttäuscht sein. Keinerlei Action; Mörder oder ´Sonstiges, was einen Krimi auszeichnet. Dafür aber vieles Zwischenmenschliche, was sehr gut in die Handlung um einen Selbstmord gepackt wurde. Die knapp 20 Euro wirken vielleicht etwas abschreckend, man bekommt aber für das Geld ein wirklich gutes Buch. Von mir 5/5 Sterne.


    Klappentext: Kriminalhauptkommissar Jakob Franck ist seit zwei Monaten im Ruhestand und glaubt nun, ein Leben jenseits der Toten beginnen zu können. Vor zwanzig Jahren hatte er sieben Stunden, ohne ein Wort zu sagen, der Mutter einer toten Siebzehnjährigen beigestanden. Jetzt wird der Kommissar von dieser Konstellation eingeholt: Ludwig Winther tritt mit ihm in Kontakt; er ist der Vater des jungen Mädchens und Ehemann jener Frau, der Franck so viel Aufmerksamkeit widmete. Zwanzig Jahre sind vergangen, und der Vater glaubt noch immer nicht an den – laut polizeilichem Untersuchungsergebnis eindeutig feststehenden – Selbstmord der Tochter durch Erhängen: Seiner Meinung nach kann es sich nur um Mord handeln. Ex-Kommissar Jakob Franck macht sich also daran, die näheren Umstände ihres Todes aufzuklären, »einen toten Fall zum Leben zu erwecken«. Jakob Franck folgt dabei seiner ureigenen Methode, der »Gedankenfühligkeit«:.Diese ist unnachahmlich und unübertroffen bei der Lösung der kompliziertesten und überraschendsten Fälle. (Quelle: Suhrkamp)


    Autor: Friedrich Ani
    Titel: Der namenlose Tag
    Verlag: Suhrkamp
    Genre: Roman
    Seiten: 301
    Preis: 19,95
    ISBN: 978-3-518-42487-2