Alina Bronsky - Baba Dunjas letzte Liebe

  • die Autorin:
    Alina Bronsky, geboren 1978 in Jekaterinburg/Russland, lebt seit Anfang der 90er-Jahre in Deutschland. Ihr Debütroman Scherbenpark wurde zum Bestseller, ist inzwischen beliebte Lektüre im Deutschunterricht und wurde fürs Kino verfilmt. Es folgten die Romane Die schärfsten Gerichte der tatarischen Küche und Nenn mich einfach Superheld. Die Rechte an Alina Bronskys Romanen wurden in 15 Länder verkauft. Sie lebt in Berlin.


    Klappentext:
    Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die tickenden Geigerzähler und die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sich die ehemalige Krankenschwester mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Wasser gibt es aus dem Brunnen, Elektrizität an guten Tagen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Die Vögel rufen im Niemandsland so laut wie nirgends sonst, die Spinnen weben verrückte Netze, und manchmal kommt sogar ein Toter auf einen Plausch vorbei. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest, die Gavrilovs im Garten Schach spielen und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe an ihre Tochter Irina, die Chirurgin bei der deutschen Bundeswehr ist. Und an ihre Enkelin Laura. Doch dann kommen Fremde ins Dorf - und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung. Alina Bronsky lässt in ihrem neuen Roman eine untergegangene Welt wieder auferstehen. Komisch, klug und herzzerreißend erzählt sie die Geschichte eines Dorfes, das es nicht mehr geben soll - und einer außergewöhnlichen Frau, die im hohen Alter ihr selbstbestimmtes Paradies findet. Auf kleinem Raum gelingt ihr eine märchenhafte und zugleich fesselnd gegenwärtige Geschichte.


    meine Meinung:
    Cover: Die Gestaltung gefällt mir sehr gut und vermittelt durch den hellblauen Hintergrund mit der Birke an der Seite einen für mich typisch russischen Eindruck. Nur die junge Frau wirkt zwar optisch gut, passt allerdings nicht zur Geschichte. Die Kleidung stimmt zwar, aber Baba Dunja ist etwa 85 Jahre alt und auch nicht unbedingt schlank. :-?
    Baba Dunja ist unsere Hauptperson. Sie hat nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl damals als letzte und nur notgedrungen ihr Dorf verlassen, um dann in den 90er Jahren (als mittlerweile fast 70-Jährige) als erste wieder in ihr Dorf und ihr Haus zurückzukehren. Nur hier fühlt sie sich zu Hause.
    Ihre Kinder wohnen weit weg und ihre Enkelin hat sie noch nie gesehen. Allerdings gewährt uns Baba Dunja durch die Briefe an ihre Tochter und vor allem die sehr persönlichen Briefe an ihre Enkelin einen interessanten Einblick in ihr Leben so fern ab von der Zivilisation im Niemandsland.
    Durch die Presse gelangt ihre Rückkehr in die Öffentlichkeit und so finden sich nach und nach mehr Gleichgesinnte im Dorf ein. Alles ältere Leute, die nichts mehr zu verlieren haben und in Ruhe ihre letzten Jahre verbringen wollen. Da ist z. B. die eigentlich gesellige Marja, der hundertjährige Sidorow, Petrow (der lt. seinen Ärzten schon seit Jahren tot sein sollte) und die lieber für sich bleibenden Gavrilows. Alle Bewohner sind Einzelgänger aber im Grunde bilden sie trotzdem eine eingeschworene Gemeinschaft, die aufeinander aufpasst und sich unterstützt. Sie versorgen sich fast ausschließlich selbst und kommen bestens klar. Von der Außenwelt werden sie glücklicherweise in Ruhe gelassen. Dann kommt allerdings Bewegung ins Dorf, als ein Mann mit seiner Tochter dort auftaucht. Ab dem Moment ist nichts mehr wie vorher.
    Eine wunderbar poetische Geschichte über ein entschleunigtes, auf das Wesentliche reduziertes und trotzdem - oder gerade deshalb - glückliches und erfülltes Leben. Die kleine Welt des Dorfes ist perfekt beschrieben und ich fühlte mich beim Lesen immer mittendrin. Schade dass die Geschichte nach nur 154 Seiten vorbei ist. Ich wäre gerne noch länger bei Baba Dunja und ihren Freunden im Dorf geblieben. :cry::love:


    Bewertung:
    Ein sehr empfehlenswertes Kleinod über eine eigentlich zum Tode verurteilte Landschaft, die jedoch von einigen schrulligen und liebenswerten alten Leuten am Leben und bewohnt gehalten wird. Am liebsten würde ich Baba Dunjas Geschichte gleich noch einmal lesen (vielleicht mache ich das ja auch bald). So ist es mir schon sehr lange nicht mehr bei einem Buch gegangen! :love:
    Eine wunderbar ruhige und berührende Geschichte, die uns zeigt, worauf es im Leben wirklich ankommt. Von mir gibt es eine uneingeschränkte Leseempfehlung!! :thumleft:
    Ich vergebe volle :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: .

    Liebe Grüße von Pippilotta :-) :winken:


    Fernsehen bildet. Immer wenn der Fernseher an ist, gehe ich in ein anderes Zimmer und lese.
    Groucho Marx

    Ich :study: gerade:
    Barry Jonsberg - Das Blubbern von Glück
    Bill Bryson - Eine kurze Geschichte von fast allem

  • Ich kann mich da @Pippilotta :-) anschließen, auch mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die Geschichte um die eigensinnige, sympathische Baba Dunja, die im Dorf Tschernowo die "Bürgermeisterin" und gute Seele ist (jedenfalls nach Meinung der anderen Bewohner), nimmt einen mit auf eine Reise in ein strahlenverseuchtes Gebiet. Wir erfahren etwas aus dem Alltag der Personen, die nach dem Reaktorvorfall von Tschernobyl in ihr altes Dorf zurückgekehrt sind. Es handelt sich ausschließlich um ein paar alte Menschen die einfach so weiterleben wie vorher. Gemüse wird im Garten angebaut, Tiere werden geschlachtet, jeder macht sein Ding und trotzdem sind sie alle eine Gemeinschaft. Baba Dunja sieht ihren toten Mann, unterhält sich mit ihm, das ist halt einfach so das er da ist (und andere Tote auch). Sie ist zufrieden mit ihrem Leben.
    In Deutschland wohnt ihre Tochter mit Enkeltochter, sie stehen im Briefkontakt. Alle paar Jahre kommt die Tochter mal vorbei und besucht ihre Mutter, sie ist eine Ärztin, die Kinder aus Tschernobyl für kurze Zeit nach Deutschland holt, damit sie sich erholen können. Ihre Enkelin hat Baba Dunja noch nie gesehen, sie bekommt nur regelmäßig Fotos von ihr geschickt. Ihre Tochter hat ein schönes Leben mit ihrer Familie.


    Bis dahin ist das Leben im Dorf nicht sehr aufregend. Doch dann tauchen zwei Fremde auf und bringen Unruhe in das beschauliche Dorfleben. Danach ist erstmal nichts mehr so wie es vorher war.
    Der Schreibstil von Alina Bronsky gefällt mir ausgesprochen gut, sie hat eine sehr bildliche Art zu schreiben und einen Humor der mir sehr gut gefällt. Hier mal ein Beispiel:
    In der Nacht weckt mich wieder Marjas Hahn Konstantin. Für Marja ist er eine Art Ersatzmann. Sie hat ihn großgezogen und schon als Küken gehätschelt und verwöhnt; jetzt ist er ausgewachsen und zu nichts zu gebrauchen. Stolziert herrisch über ihren Hof und schielt zu mir rüber. Seine innere Uhr ist durcheinander, schon immer gewesen, aber ich glaube nicht, dass es mit der Strahlung zu tun hat. Man kann sie nicht für alles, was blöd zur Welt kommt, verantwortlich machen.

    Von mir gibt es eine deutliche Empfehlung für dieses Buch und ich vergebe :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: . Das einzig negative war das es zu kurz war.

    Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten. (Albert Einstein)

  • Allgemeine Informationen:
    Aus der Ich-Perspektive Baba Dunjas erzählt
    Aufgeteilt in Abschnitte, die jeweils mit dem scherenschnittartigen Bild eines Hahns (Erklärung direkt in den ersten Abschnitten) voneinander getrennt sind
    154 Seiten


    Persönliche Meinung:
    Anscheinend braucht man nicht viel, um ein Buch zu schreiben, das jeden entzückt: Einen ansprechenden Protagonisten und eine kleine, aber originelle Handlung, dazu Lokalkolorit und eine Handvoll kauzige oder liebenswerte Nebendarsteller. Die Zutaten also, aus denen Alina Bronsky ihren kurzen Roman entworfen hat.


    Baba Dunja ist über 80, und Bronsky gibt ihr die Stimme einer energischen Frau, die sich in ihrem Alltag, Familie und Beruf durchgesetzt hat und jetzt immer noch allein ihrem eigenen Kopf folgt und es genießt, niemandem mehr Rechenschaft ablegen zu müssen.
    Gemeinsam mit anderen Alten hat sie ihr Heimatdorf Tschernowo, das nach dem Reaktor-Unfall von 1986 am Rand des Todesstreifens liegt, wieder in Beschlag genommen. Sie alle haben ihr Leben gelebt, und die Strahlung kann ihnen nicht mehr viel Lebenszeit rauben, so dass sie sich aus ihren Gärten und dem, was der Rest der Obstbäume und –sträucher hergibt, ernähren.
    Dennoch spielen sie die Gefahr der Strahlung nicht herunter, denn ein gesundes Kind in ihrem Dorf – das können sie dem Kind zuliebe nicht dulden!


    Wer den GAU von 1986 erlebt hat, erinnert sich an die Ungewissheit, die Wut und die Angst, v.a. wer schwanger war, ein Baby oder Kleinkind hatte, wusste nicht ein noch aus zwischen den widersprüchlichen Aussagen von Verantwortlichen, Wissenschaftlern und Politikern in den Medien, wo man zwischen Beschwichtigungen und Panikmache hin- und hergezerrt wurde.
    Bronskys Roman wirkt nicht besänftigend, als wolle sie mit den 80-jährigen Überlebenden die Ungefährlichkeit nuklearer Strahlung und der damaligen Katastrophe beweisen. Weil ihre Personen allesamt Individualisten mit je eigener Motivation zur Rückkehr sind, kommen sie als Beispiel für alle Menschen nicht in Frage.


    „Baba Dunjas letzte Liebe“ gehört zu den Wohlfühlbüchern, in denen die Figuren es dem Leser heimelig machen, weil man ab dem ersten Satz an ihrer Seite ist und bis zum – leider allzu schnellen – Ende bei ihnen bleibt.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Danke für die schönen Rezension, das Buch ist gleich mal auf meine WuLi gehüpft

    Sobald wir lernen, uns selbst zu vertrauen, fangen wir an zu leben. ( Johann Wolfgang Goethe )


    Jede Begegnung , die unsere Seele berührt hinterlässt eine Spur die nie ganz verweht. ( Lore-Lillian Boden )

  • das Buch ist gleich mal auf meine WuLi gehüpft

    auf meiner sitzt es auch schön

    Lasst es nicht so lange auf der WuLi liegen. Dieses Buch gehört auf den SUB und dann schnell gelesen! :winken:

    Liebe Grüße von Pippilotta :-) :winken:


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  • Lasst es nicht so lange auf der WuLi liegen. Dieses Buch gehört auf den SUB und dann schnell gelesen!

    Du nimmst mir die Worte aus dem Mund.


    Man braucht für das Lesen - ich kann sagen: leider - nicht viel Zeit einzuplanen. Ich hatte es an einem Nachmittag durch. :(

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  • manchmal geht es einfach zu schnell,

    Stimmt. Dafür sitze ich jetzt über einem 600 Seiten-Brocken, den man locker um 200 Seiten hätte kürzen können. Wie die meisten Schinken, die ich kenne.


    Autoren, die nicht einmal 200 Seiten brauchen, um eine runde Geschichte zu erzählen, schätze ich sehr.

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  • Autoren, die nicht einmal 200 Seiten brauchen, um eine runde Geschichte zu erzählen, schätze ich sehr.

    Ich auch - das können nur wenige :wink: Trotzdem hab auch ich grad einen Wälzer am Wickel, der aber bisher sehr gut ist: Nino Haraschtiwilis "Das achte Leben" :thumleft:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Baba Dunja ist in ihr Dorf zurückgekehrt. Es ist eines jener Dörfer in der Todeszone, die im Umkreis des Atomkraftwerks Tschernobyl nach dem Reaktorunfall 1986 evakuiert wurden, und die seither als unbewohnbar gelten.
    Das stört die alte Dunja aber nicht. Jetzt, da sie alt ist, will sie selbst entscheiden, wo sie wohnen will und ist in ihre Heimat zurückgekehrt. Die Tage sind ruhig in Tschernowo. Die Sonne brennt vom Himmel, Strom gibt es nur selten, dafür mehr Spinnen und Ungeziefer. Auch das stört Dunja nicht. Sie kümmert sich um ihren Garten, baut Obst und Gemüse selbst an, denn das ist ihre Lebensgrundlage. Es gibt nur wenige Bewohner in diesem Dorf, deshalb haben die meisten von ihnen angefangen, mit den Toten zu sprechen, als ob sie noch hier wären. Dunja schreibt lieber Briefe an ihre im Ausland lebende Tochter, sie solle einen neuen Bademantel schicken.
    Die ruhigen Tage werden gestört, als ein noch junger Mann mit seiner kleinen Tochter im Dorf erscheint. Plötzlich ist nichts mehr so wie vorher - und es hat fast nichts mit der Strahlung zu tun.
    In ruhigem Ton wird eine Geschichte erzählt, von einer zupackenden Frau, von Genügsamkeit und ihrem selbstbestimmten Leben. Es bedarf nur einer Winzigkeit, und das beschauliche Leben Baba Dunjas nimmt eine unerwartete Wendung.
    Mir hat dieses Buch - wie allen vor mir - sehr gut gefallen. Die Atmosphäre wird punktgenau getroffen, alle schrulligen Bewohner des Dorfes kann ich mir bildlich vorstellen, ebenso die Aufregung, den die unerwartete Wendung den alten Leuten bereitet.
    Ich vergebe: :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Nicht jeder, der das Wort ergreift, findet ergreifende Worte :-,


    (frei nach Topsy Küppers)


  • Autoren, die nicht einmal 200 Seiten brauchen, um eine runde Geschichte zu erzählen, schätze ich sehr.

    Ich glaube, das muss ich noch lernen. Bislang habe ich dicke Schinken geliebt, aber ich glaube, ich könnte es wirklich lernen, die Würze der Kürze schätzen zu lernen.


    Vielleicht fange ich dazu mit diesem Buch an, denn es klingt so toll, dass ich es am liebsten sofort lesen möchte.

    "Hab Vertrauen in den, der dich wirft, denn er liebt dich und wird vollkommen unerwartet auch der Fänger sein."
    Hape Kerkeling


    "Jemanden zu lieben bedeutet, ihn freizulassen. Denn wer liebt, kehrt zurück."
    Bettina Belitz - Scherbenmond


    http://www.lektorat-sprachgefuehl.de

  • "Baba Dunjas letzte Liebe" ist ein Buch, das schon mit den ersten Worten und Sätzen an sich fesselt: humorvoll, lustig und zugleich irgendwie traurig, sogar tragisch. Die Geschichte einer Frau, die mittlerweile über 80 ist und die sich von nichts und niemandem einschüchtern lässt. Eine Frau, die nach dem Atomkraftwerkunfall nicht lange in der Evakuierung bleibt und als erste in ihr Haus in einem abgelegenen Dorf zurückkehrt. Die Frau, die durch ihre Erfahrungen und Autorität zur heimlichen Oberbürgermeisterin des Dorfes ausgewählt wird und auf deren Rat sich jeder verlassen kann.
    Es ist die Geschichte einer Frau, die in einem Geisterdorf in der „Todeszone“ Geister der Verstorbenen sieht, mit dem Geist ihres Mannes spricht und sich mit ihm berät.


    Ein Schmunzeln im Gesicht zaubern die sehr bildhaften Beschreibungen der restlichen Dorfbewohner, vor allem der Nachbarin Marja, die mit ihrem Hahn Konstantin lebt, in dem sie den Ersatz eines Mannes sieht, und mit einer Ziege, die gerne fernsieht und im Bett von Marja schläft. Nicht weniger lustig erscheint der Heiratsantrag eines uralten Mannes, der nicht gerne kocht und nun eine Frau sucht, die für ihn die Hausarbeiten erledigen würde.
    Tragisch sind dagegen die Tatsachen, die nebenbei erwähnt werden. Zum Beispiel dass die Leute aus dem Dorf nicht im Nachbarort begraben werden dürfen, weil die Bewohner dort Angst vor der Strahlung haben. Oder auch


    Es gibt viele Episoden, die auch bei mir viel Nostalgie hervorgerufen hatten: z.B. die Geschichte mit den Pralinen zum Neujahr,

    So ähnlich sah es auch in meiner Familie vor 20 Jahren aus. Und allgemein erinnern mich viele Beschreibungen an die aktuellen Zustände in den meisten Dörfern der ehemaligen Sowjetunion, wo das Leben auch heute so läuft, wie es von Alina Bronsky beschrieben wird.
    Die einzigen 2 Momente, die mich im Buch nicht überzeugt bzw. ein wenig enttäuscht hatten, waren die Geschichte mit der Baba Dunjas Enkelin


    mehr zu schreiben). Die andere Sache – die Geschichte mit einem Mann und seiner Tochter, die ins Dorf kommen. Ich hätte mir gewünscht,

    Irgendwas, was die ganze Sache etwas runder gemacht hätte.


    Die Sprache ist sehr schön, wodurch das Buch sich ganz leicht und schnell liest, sehr authentisch und lebhaft.
    In einem Satz: ein wunderschönes und lesenswertes Buch!

  • Beitrag an bestehenden Thread angehängt sowie einen Spoiler gesetzt, damit nicht das Ende verraten wird :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



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  • @Danion , zu Deinem Spoiler:



    @Squirrel: Bitte ab "Oder auch die Tragödie ..." spoilern. Gut, dass ich diese Rezension nicht vor dem Buch gelesen habe. Es werden nämlich einige Details verraten, die mich überrascht haben.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


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  • Tschernowo ist ein kleines Dorf in der Nähe des Kernreaktors Tschernobyl. Hier lebt niemand freiwillig, sollte man denken. Weit gefehlt. Baba Dunja, eine einfache Frau, bedeutet die Heimat so viel, dass sie dort den Rest ihres Lebens verbringen will. Die Nähe zum Kernreaktor macht ihr nichts aus. Denn sie hat nichts mehr zu verlieren. Sie ist alt, über neunzig, und das Gute für sie am Alter ist, dass sie niemand mehr um Erlaubnis fragen muss. Zum Beispiel, ob sie in ihrem alten Haus wohnen kann und ob sie Spinnennetze hängen lassen darf. Baba Dunja hat alles gesehen und vor nichts mehr Angst. "Der Tod kann kommen, aber bitte höflich." (Seite 12)


    Für sie ist Tschernowo das Paradies, wenn auch ein verstrahltes. Besonders im Winter ist es stiller als still. "Wenn eine Schneedecke über allem liegt, sind sogar die Träume gedämpft, und nur die Dompfaffen springen durch das Gestrüpp und sorgen für Farbe in der weißen Landschaft." (Seite 32)


    Hier läuft das Leben in ruhigen Bahnen ab. Für Baba Dunjas Nachbarin Marja, deren Hahn Konstantin gleich im Kochtopf landet. Sidorow, der noch mit hundert Jahren auf der Suche nach einer Frau ist. Lenotschka, die einen endlos langen Schal strickt und lächelt, wenn man sie anspricht, jedoch nicht antwortet. Das gebildete Ehepaar Gavrilov, das nicht auf Annehmlichkeiten verzichten muss. In Tschernowo verlangt niemand etwas von den Bewohnern. Es zählt das Heute, nicht das Morgen. Die Alten leben von der Selbstversorgung, das Gemüse wächst üppig in ihren Gärten. Nur nicht bei Petrow, der als letzter ein Häuschen im Dorf bezog und der seinen Krebs, von dem sein Körper komplett durchsetzt ist, nicht füttern will. Die Öfen werden mit Holz befeuert, Wasser spenden Brunnen, und an manchen Tagen gibt es auch Strom.


    Baba Dunjas Kontakte zur Außenwelt bestehen aus gelegentlichen Busfahrten nach Malyschi. Dann erzählt ihr Boris, der Busfahrer, was er im Fernsehen gesehen hat. Viel über Politik. Die ist natürlich wichtig, doch Baba Dunja ist da pragmatisch, denn "es bleibt trotzdem immer an einem selbst hängen, die Kartoffeln zu düngen, wenn man irgendwann Püree essen will." (Seite 46)


    Ab und an bekommt Baba Dunja Pakete von ihrer Tochter Irina. Diese ist Ärztin und lebt mit Enkelin Laura in Deutschland. Wenn Baba Dunja daran denkt, dass sie Laura (außer auf Fotos) noch nie gesehen hat, kommt Wehmut auf. Gut, dass gelegentlich Ehemann Jegor vorbeischaut, der aber nicht wirklich stört. Baba Dunja plaudert gern mit ihm. Seit er nämlich tot ist, ist er sehr höflich. Als er noch lebte, war das leider nicht so.


    In die Idylle kommt Unruhe, als eines Tages ein Mann seine Tochter mitbringt. Recht schnell wird klar, dass das Kind als Spielball zwischen den getrennten Eltern steht. Das ist für Baba Dunja unhaltbar. Ein Kind hat in Tschernowo nichts zu suchen. Zwar ist Tschernowo ein schöner und guter Ort für seine Bewohner. Niemand wird fortgejagt. Nur wenn jemand noch jung und gesund ist, sollte er sich ein anderes Heim wählen. Schon gar nicht sollte ein kleines Kind aus Rache dem Tode geweiht werden.


    Und daher dauert es nicht lange, das liegt der Mann tot auf der Erde, und Baba Dunja nimmt alle Schuld auf sich...


    Mit viel Verständnis und Geradlinigkeit lässt Alina Bronsky Baba Dunja erzählen. Die im Grunde kleine Geschichte entfaltet eine große Wirkung. Sie ist poetisch, lebendig, weise und ehrlich, manchmal verschmitzt, dann wieder traurig und anrührend.


    Baba Dunja "strahlt" - im wahrsten Sinne des Wortes - eine Lebensfreude aus, die zu Herzen gehend ist. Mit Klugheit und Nachsicht schaut sie auf ihre Mitmenschen und ist der Mittelpunkt der eigenwilligen, schrulligen, sturen und manchmal auch exzentrischen Dorfbewohner, die trotzdem allesamt liebenswert in ihrer Gelassenheit, mit der sie ihr Dasein verbringen, erscheinen.


    Man möchte sie in den Arm nehmen und fest drücken. Und auf jeden Fall ein langes Leben wünschen.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ein Buch, das das Thema Tschernobyl, Atomenergie und die damit verbundenen Katastrophen einmal aus einer ganz anderen Sicht zeigt.
    Baba Dunja, eine Art Bürgermeisterin des Dorfes Tschernowo ist so stark und selbstbewusst, dass ich, obwohl ihre Sicht auf manche Dinge etwas veraltet ist, sofort großen Respekt vor ihr hatte.
    Sie hat Recht damit, dass nur, weil die "Bewohnbare Zone" durch eine Linie von der "Gefahrenzone" abgetrennt ist, diese nicht zwingend 100% sauber ist und die andere zu 100% verseucht.
    Das Zusammenleben der Leute im Dorf gefällt mir wirklich gut! Sie achten aufeinander, auch wenn sie gerne alleine sind, und ihren eigenen Gedanken nachgehen.
    Der Humor des Buches hat mich wirklich begeistert und gepackt. Auch wenn ich im einen Moment noch den Gedanken zu unvermeidbar ernsten Themen gefolgt habe, musste ich manchmal im nächsten Moment schmunzeln, weil es keinen einzigen tiefsinnigen Abschnitt gibt, in dem nicht ein kleiner Witz zum Auflockern versteckt ist.
    Ich kann das Buch allen empfehlen, die auch einmal eine andere und vielleicht umstrittene, aber sicherlich sehr schöne Sicht auf das schwierige Thema der Atomkatastrophen, kennen lernen wollen.

  • Zufällig hat mein Mann, der bevorzugt Krimis und Thriller liest, das Buch am Wochenende entdeckt und es nun gelesen. Sein Fazit nach der Lektüre gebe ich hier gerne wieder:


    Um das Buch "Baba Dunjas letzte Liebe" zu mögen, muss man ein bisschen die russische Seele kennen und lieben. Man muss das sozialistische System und dessen Untergang miterlebt haben und natürlich über Tschernobyl Bescheid wissen. Und man sollte auf dem Land aufgewachsen sein.


    Ewig hab ich gewartet und wollte zu gerne wissen,


    Umsonst gewartet? Keinesfalls.


    Denn in der Zwischenzeit wurde großartig beschrieben,


    Ich glaube, im Frühjahr werde ich auch mal unsere Birken anzapfen.* Ab heute sind es für mich die Baba-Dunja-Birken. Unser kleines Grundstück sehe ich jetzt auch mit anderen Augen. Und plötzlich habe ich auch gar nicht mehr so ein großes Interesse an dem Überangebot im Supermarkt. Ein wenig bescheidener leben und aus den Dingen, die uns die Natur schenkt, etwas machen, danach steht mir der Sinn. Zumindest im Moment.


    Für mich DAS Buch des Jahres. Ich konnte herrlich runterfahren beim Lesen. Alles hatte ich vor Augen. Die dicke Nachbarin und den Hahn und auch die Katze. Und natürlich ihren Garten.


    Es war für mich ein ungewohntes Lesevergnügen der besonderen Art. Dafür herzlichen Dank... gerne mehr davon. Thriller war gestern.


    * Vor unserem Haus stehen zwei Birken :) .

  • Puh, nachdem ich jetzt alle Meinungen hier mal überflogen habe, stehe ich wohl mit meiner Meinung wieder etwas alleine da.
    Ich kann nicht mal genau sagen, woran es gelegen hat, aber mich konnte das Buch nicht fesseln. Zwischendurch merkte ich, dass meine Gedanken immer wieder abgedriftet sind und ich mich kaum auf die Geschichte einlassen konnte.
    Baba Dunja hatte für mich zwar eine nette Ader, aber mehr war‘s leider auch irgendwie nicht. Mir persönlich fehlte der Einstieg in die Geschichte. Man wird ins Dorf „geschmissen“ und muss sich sofort an die Begebenheiten anpassen und auch der „Mord“ passiert schnell und ist genauso schnell auch wieder abgearbeitet.
    Aber das mag auch an mir liegen. Ich lese selten Kurzgeschichten, eben weil ich es mag, wenn sich eine Geschichte „langsam“ aufbaut.


    Fazit: Nett, aber für mich nicht überragend... :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: