Rex Miller - Fettsack / Im Namen des Todes / Slob

  • Der Autor (Wikipedia und Buchinfos): Rex Miller, am 25. April 1939 in Sikeston, Missouri, als Rex Miller Spangberg geboren, war schon in den 1960er-Jahren ein beliebter DJ und Moderator im amerikanischen Rundfunk. 1971 gründete er einen Versandhandel für Popkultur-Trivia und Sammelstücke. Außerdem arbeitete als Sprecher für Trickserien im US-Fernsehen. Sein erster Roman „Slob“ (auf deutsch 1991 als „Im Namen des Todes“ und 2008 in vollständiger Übersetzung als „Fettsack“ erschienen) wurde für den Bram Stoker Award als bestes Horror-Debüt nominiert. Andere Autoren wie Harlan Ellison, Joe R. Lansdale, Piers Anthony und Stephen King wurden nicht müde, den Roman in den höchsten Tönen zu loben. Am ehesten ist Miller der literarischen Strömung des Splatterpunk zuzurechen, der Körperhorror von oft extrem grausamer Natur serviert. Neben seinen Romanen schrieb er etliche Kurzgeschichten, die in einschlägigen Horror- und Krimi-Anthologien veröffentlicht wurden. Er starb am 21. Mai 2004 an den Folgen eines Schlaganfalls.


    Inhalt (Klappentext): Eine unheimliche Serie brutaler Morde erschüttert Chicago. Als einer der reichsten und angesehensten Bürger der Metropole abgeschlachtet aufgefunden wird, wächst der öffentliche Druck auf die Polizei, die den Serienkiller-Spezialisten Jack Eichord hinzuzieht. Bei seinen Ermittlungen findet er rasch heraus, dass der Killer wesentlich mehr Menschen auf dem Gewissen haben muss, als zuerst angenommen: Eichord bekommt es mit dem Gegner seines Lebens zu tun, Daniel „Chaingang“ Bunkowski, eine fünfhundert Pfund schwere, wahnsinnige, in Vietnam ausgebildete Killermaschine, die weder Skrupel noch Gnade kennt. Neben Chaingang Bunkowski wirken Rambo und Hannibal Lecter wie Chorknaben!


    Der Thriller „Fettsack“ von 1987, hier in der deutschen Übertragung von Joachim Körber, ist ein sehr früher Vertreter des inzwischen fast tot gerittenen Subgenres des modernen Serienkillerromans, das in den späten Achtzigern hauptsächlich von Thomas Harris beackert wurde: „Roter Drache“ war bereits erschienen und „Das Schweigen der Lämmer“ lag in den Startlöchern. Und da taucht plötzlich Miller mit diesem außergewöhnlichen, ungeschliffenen und überaus brutalen Roman auf der Bildfläche auf, um die Leser ordentlich vor den Kopf zu stoßen.


    Der Roman macht viele Dinge so dermaßen richtig, dass ich manche dramaturgischen Defizite gerne übersehe: Er verankert den Serienkiller direkt in den Abgründen einer degenerierten Gesellschaft. Er ist das monströse, absolut böse Destillat des amerikanischen Traums. Die Selbstermächtigung des Soziopathen treibt den Gedanken, „man könne alles erreichen, wenn man es nur wirklich will“, auf die Spitze. Überdehnt, abscheulich. Der Killer ist der Überwinder der Norm, den keine Menschlichkeit mehr an seine Umwelt bindet. Ein Kannibale, Herzausreißer und Kinderschänder. Seine psychopathologische Persönlichkeitsstörung, seine traumatische Sozialisation und seine Kampfausbildung im Vietnamkrieg verwandeln ihn in eine instinktgeleitete Maschine, der manchmal der rote Schleier des Blutrausches die Sinne vernebelt, die aber ansonsten absolut klar geplant und vorausschauend vorgeht. Statt an den letzten Urlaub, denkt er genussvoll an bestimmte Morde zurück. Er ist „eine einzige fließende Bewegung des Ausweidens, die Fleisch und Gedärme und blutige Organe und Knochen zerfetzt.“ (S. 18) Ein Naturereignis, eine stinkende Beleidigung jedes Menschenbildes. Ein Fallensteller, der sich auch gut selbst verstellen kann. Ein Täuscher, der plötzlich wie der freundliche Dicke mit Pausbacken und Grübchen daherkommt. Doch für jedes Pfund seines Körpers hat er in Handarbeit einen Menschen getötet - im Vietnamkrieg, wo ihn das Töten der „kleinen Menschen“ mit besonderer Freude erfüllte, aber auch als Teil eines streng geheimen Regierungsprogramms. Der Staat macht sich die Monster, die er gebiert, zu Nutzen – bevor er vergisst, sich um sie zu sorgen …


    Der Roman ist derb und verstörend, folgt dem Treiben des Killers genauso oft wie seinem Jäger. Sex, Gewalt und Zynismus allerorten. Er ist dabei allerdings bei weitem nicht so gefällig wie etwa die Ergüsse eines Richard Laymon, den er bezüglich Haltung, Absicht und Aussage klar abhängt. Insofern scheint er mir auch in der Lage, moderne Thriller-Fans vor allem stilistisch vor den Kopf zu stoßen, die die Übertreibungen und ständigen Wiederholungen ähnlich klingender Beschreibungen, das dauernde Bestätigen der monströsen Erscheinung des Täters nervt: Wie scheinbar „unnötig“ oft wird sein Körpergewicht erwähnt, wie oft liest man von seinem Gestank, seiner bösen Aura, seinem fast genialen IQ, seinem außerordentlichen Instinkt. Doch was wird so erreicht? „Chaingang“ Bunkowski soll eben dauernd beim Leser anecken, dem die Ungeheuerlichkeit der Figur in jeder Szene mit allen Sinnen vor den Latz geknallt werden soll. Der verkörperte Ekel, der personifizierte Tod, der einen jedes Mal erneut überrollt.


    Wer nur auf Logik und Handlung bei einer Geschichte Wert legt, mag hier aussteigen und darf sich über literarische Hypes ereifern. Wer nur auf der Suche nach graphischen Brutalo-Details ist, wird in vielen anderen Romanen der letzten Jahre größere Befriedigung finden. Wem jede zur Schau getragene Haltung, jeder soziale Kommentar in einem Thriller schon „too much“ ist, sollte vielleicht was anderes lesen. Auch wenn die als schrecklich geschilderte Vergangenheit eines Killers in vielen miesen Romanen und Filmen schon tausendfach wie als billige Erklärung bemüht wurde – und bei abgeklärten Genre-Auskennern ein automatisches Augenbrauenhochziehen auslösen mag – ist es natürlich doch entscheidend für das Gelingen eines Romans, der etwas mehr sein will als reine Unterhaltung, dass eine solche Grundierung angeboten wird, dass literarische Verbrechen nicht im gesellschaftleeren Raum hängen bleiben. Wo kämen wir denn dahin?!


    In Millers „Fettsack“ bleiben auch die Opfer nicht anonym, sondern bekommen Namen und Gesichter. Ihr Leid ist kein Selbstzweck, sondern Teil der kalten Analyse, der Miller das menschliche Miteinander unterzieht. Denn es geht nicht nur um die Genese eines Psychopathen: Auch die zarte Liebschaft des Chef-Ermittlers Eichord, der sich in die junge Witwe eines früheren Opfers des Killers verguckt, ist nicht nur dazu da, eine hilflose Frau als Geisel für den Endkampf zwischen Gut und Böse zu installieren. Dazu gestaltet sich das Kennenlernen zwischen Jack Eichord und Edie Emaline („reimt sich auf allein“) Lynch zu seltsam – und ihre sexuellen Begegnungen sind zu verdreht und vorbelastet. So, als wäre jedes Zwischenmenschliche bereits von der Möglichkeit des Bösartigen infiziert. Als wäre wirkliche Annäherung nicht mehr möglich, nur noch Selbstbefriedigung. Als wäre jeder private Rückzugsraum bereits zum Kampfplatz egoistischer Einzelkämpfer geworden.


    Jeder Gedanke, den ich dem Buch widme, lässt es in meiner Gunst steigen. Ein rabiater Kotzbrocken von einem Roman, der dank seiner durchgezogenen Konsequenz und seiner ungestüm-rabiaten Ungeschliffenheit, die ständig mit Faszination und Abscheu spielt, und dabei sehr bewusst etliche dramaturgischen Gewöhnlichkeiten mit Füßen tritt – ewig lange Rückblickskapitel aus dem Vietnamkrieg einflicht, die Ermittlungsarbeit zu Gunsten einer Liebschaft fast vernachlässigt und schließlich den Showdown unglaublich stark verkürzt, was manche oberflächlichen Leser sicher auch ärgert – lange nachhallt. Hier will jemand nicht gefällig sein. Viel mehr als eine Katz-und-Mausgeschichte: Kein strahlender Ermittler, keine Erlösung, keine Hoffnung. Das Gute scheint auf ewig beschmutzt.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Die englische Erstausgabe von "Slob" von Signet vom November 1987.

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