Ralf Rothmann - Im Frühling sterben

  • In seinem neuen Roman „Im Frühling sterben“ erzählt Ralf Rothmann die Geschichte von zwei siebzehnjährigen Jungen, Walter und Fiete, die Anfang 1945 noch zur Waffen-SS eingezogen werden und in Ungarn auf eine dramatische Weise sich ein letztes Mal gegenüberstehen.


    Ralf Rothmann hat die Geschichte von Walter und Fiete in eine Rahmenhandlung gekleidet, die zu der Vermutung Anlass gibt, dass der Roman den einen oder anderen autobiographischen Hintergrund hat.


    Er stellt seinen Roman unter ein biblisches Motto aus dem Buch des Propheten Ezechiel: „Die Väter haben saure Trauben gegessen, aber den Kindern sind die Zähne davon stumpf geworden.“


    Wir befinden uns zu Beginn der Erzählung Anfang des Jahres 1945 auf einem großen Bauernhof in Schleswig-Holstein. Walter (ist in ihm die Vaterfigur Rothmanns versteckt?) und Fiete, beide gerade mal 17 Jahre alt, arbeiten dort als Melker, als sie bei einem geschickt getarnten Fest der NS- Bauernorganisation quasi gezwungen werden, sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Die Ausbildung erleben sie noch zusammen, doch dann werden sie an getrennte Einsatzorte geschickt. Walter arbeitet als Ungarn als Fahrer, immer hinter der Front. Was er dort allerdings sieht und erlebt, ist erschütternd und wird ihn später sein ganzes Leben lang stumm machen und verschlossen und seinem Sohn ein Rätsel, das er damit zu lösen versucht, indem er sich schreibend dem Schicksal seines Vaters nähert.



    Wie Ralf Rothmann sich diesem Schicksal nähert, ist große Literatur. Mit einer einfühlsamen und poetischen Sprache gelingt es ihm, die letzten Monate des Krieges zu beschreiben

    und wie so viele andere aus dem Krieg an Leib und Seele Versehrten schweigt er sein ganzes Leben lang, bis auf sein Totenbett.


    Indem Ralf Rothmann den Sohn sich in die Geschichte seines Vaters erzählend hineinversetzen lässt, verschafft er nicht nur ihm eine literarische Art von Befreiung, sondern gibt auch vielen älteren Lesern, die wie der 1954 geborene Rezensent in ihrer Kindheit und Jugend lange mit dem Schweigen der Großväter und Väter leben mussten, so etwas wie eine späte Antwort.


    Walters Freund Fiete lässt er an einer Stelle, als Walter in ihn der Todeszelle besucht, etwas sagen, was die Situation dieser Nachgeborenen gut beschreibt. Fiete erwähnt seinen Vater, einen Arzt:
    „Und einmal, als ich meine Träume erwähnte, sagte er mir, dass es ein Gedächtnis der Zellen in unserem Körper gibt, auch den Samen- und Eizellen also, und das wird vererbt. Seelisch oder körperlich verwundet zu werden macht etwas mit den Nachkommen. Die Kränkungen, die Schläge oder die Kugeln, die dich treffen, verletzen auch deine ungeborenen Kinder, sozusagen. Und später, wie liebevoll behütet sie auch heranwachsen mögen, haben sie panische Angst davor, gekränkt, geschlagen oder erschossen zu werden. Jedenfalls im Unterbewusstsein, in den Träumen.“


    Das lange quälend Unausgesprochene bekommt mit diesem Roman Ausdruck und Form. Auf eine so überzeugende Weise, dass dieses Buch für mich ein Anwärter auf den Deutschen Buchpreis 2015 ist.

  • Ralf Rothmann hat die Geschichte von Walter und Fiete in eine Rahmenhandlung gekleidet, die zu der Vermutung Anlass gibt, dass der Roman den einen oder anderen autobiographischen Hintergrund hat.

    Wir befinden uns zu Beginn der Erzählung Anfang des Jahres 1945 auf einem großen Bauernhof in Schleswig-Holstein. Walter (ist in ihm die Vaterfigur Rothmanns versteckt?)


    Hier lässt sich ein interessantes Interview nachlesen, wobei jede Mutmassung entfällt.
    http://www.welt.de/kultur/lite…gen-damals-angesehen.html
    "Ich habe die Toten in den Särgen damals angesehen"
    In seinem neuen Roman erzählt Ralf Rothmann von seinem wortkargen Vater, den man nicht alles fragen durfte. Ein Gespräch über einfache Leute und das Kriegstrauma, das die nächste Generation erbt.

    Gebt gerne das, was ihr gerne hättet: Höflichkeit, Freundlichkeit, Respekt. Wenn das alle tun würden, hätten wir alle zusammen ein bedeutend besseres Miteinander.

    Horst Lichter

  • Danke für die Rezi, Winfried, und die Erinnerung an diese Neuerscheinung!


    Ein ganz tolles Interview, Serjena. Es bestätigt meine überaus positive Meinung zum Autor; das Buch möchte ich mir rasch erwerben!

  • Auf eine so überzeugende Weise, dass dieses Buch für mich ein Anwärter auf den Deutschen Buchpreis 2015 ist.


    Laut FAZ hat es Ralf Rothmann abgelehnt, dass sein Roman nominiert wird:
    "Der Berliner Romancier Ralf Rothmann hat nun für sich eine ungleich elegantere Entscheidung getroffen. Er lässt sich von seinem Verlag erst gar nicht nominieren. Und auch die Bitte der Nachnominierung aus der Jury hat er abschlägig beschieden. Dabei zählt sein vor wenigen Wochen erschienener Roman „Im Frühling sterben“ zu den herausragenden Büchern dieses Jahres. Fragt man beim Berliner Suhrkamp Verlag nach dem Grund, lautet die knappe Antwort: „Er möchte lieber nicht.“" (Zitat)



    Eine konsequente Entscheidung, wie ich meine.
    Und " Im Frühling sterben" ist eine ausgesprochen lesenswerte Lektüre.


    edit: Nach der Verlinkung kommt man leider nicht direkt zum Artikel, doch wenn man den Autorenname in der Suchfunktion eingibt, klappt es.

  • " Im Frühling sterben" ist eine ausgesprochen lesenswerte Lektüre

    ... die ich nur schwer aushalte. Ich muss jedes Mal, wenn ich zu dem Buch greife, erst tief Luft holen, ehe ich mich wieder in die Gräuel stürze.


    Ich habe mir schon überlegt, ein anderes Buch dazwischen zu schieben, aber das macht die Sache auch nicht besser. Also weiter durch ...

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Da geht es mir auch so wie euch, das Buch ging und geht mir ganz schön unter die Haut. Dauernd musste ich an meine beiden Großväter denken und an das was sie wohl alles erleben mussten und wie es wohl sie verändert hatte. Es fällt mir richtig schwer über dieses Buch zu schreiben. Jedes Wort kommt mir dann immer so platt vor. Ehrlicherweise hätte ich nicht gedacht, dass es mich so sehr berühren würde.



    Und " Im Frühling sterben" ist eine ausgesprochen lesenswerte Lektüre.

    Das kann ich hundertprozentig unterstreichen.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Es fällt mir richtig schwer über dieses Buch zu schreiben.

    Geht mir genauso. Ich habe es gestern in einem Lesemarathon beendet, weil ich Angst hatte: Wenn ich aufhöre, schaffe ich einen neuen Anfang nicht mehr. Es spukt mir den ganzen Tag im Kopf herum, obwohl ich normalerweise Bücher nach dem Lesen gut ad acta legen kann.


    Es liegt neben mir beim PC und schaut mich an. Aber ich habe nicht die nötige Distanz, um einen Kommentar dazu zu schreiben. Wie oder ob ich es bewerten kann, ist auch noch eine Frage.

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  • Dank der tatkräftigen Unterstützung von @javaline im 365er und Wikipedia kann ich jetzt genauer fassen, was dieses Buch, bzw. sein Autor mit dem Leser macht:


    Wikipedia sagt hier:"Typisch für Rothmann ist die distanzierte Außenperspektive der Erzähler."


    Der Protagonist Walter ist keiner, der sein Herz auf der Zunge trägt, und trotzdem weiß der Leser in jedem Satz, wie er sich fühlt und was er durchmacht. Insofern kann man Rothmann einen perfekten Erzähler nennen: Die Handlung für die Figuren, die Emotion für den Leser.
    Rothmann setzt den bekannten Spruch "Show, don't tell it" so um, wie man es sich von einem Schriftsteller wünscht.


    Ich kann mit einem Buch, das mich so berührt wie dieser Roman, erst dann meinen Frieden machen, wenn ich weiß, wie der Autor es fertigbringt, mich so zu bannen. Und jetzt, wo ich es weiß, kann ich es wieder in die Bücherei zurückbringen und mich darüber freuen, dass es Autoren gibt, die ihre Kunst so außergewöhnlich gut beherrschen. Und mich freuen, dass ich von Rothmann noch einige Bücher auf dem SuB habe.

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  • Das klingt ja richtig heftig. Ich habe das Buch mal auf meine Wunschliste gesetzt, weiß aber nicht genau, ob ich es jemals werde lesen können.


    Ich bin auf Ralf Rothmann durch seinen Roman "Junges Licht" aufmerksam geworden. Das habe ich damals gekauft, obwohl ich den Autor überhaupt nicht kannte, aber dieser Satz vom Buchrücken hat mich dazu veranlasst, es zu kaufen:


    Zitat

    »Wenn du dich für die Freiheit entschieden hast, kann dir gar nichts passieren. Nie.«


  • Ich bin auf Ralf Rothmann durch seinen Roman "Junges Licht" aufmerksam geworden. Das habe ich damals gekauft, obwohl ich den Autor überhaupt nicht kannte, aber dieser Satz vom Buchrücken hat mich dazu veranlasst, es zu kaufen:

    Ich kann nur ermuntern zu einer Entdeckungsreise in das Werk von Rothmann. Nun habe ich fast alles gelesen... Besonders empfehle ich die Sammlungen von Kurzgeschichten, derer es jetzt schon Dreie (?) gibt. Ausgezeichnet! Und bei aller Kürze so rund, dass man einen Roman draus machen könnte.

  • Hört sich sehr interessant an. Ich kenne diesen Wahnsinn auch aus den Erzählungen meines Vaters welcher zu Kriegsende auch in diesem Alter war und viel Glück hatte.
    Ich habe letztens, bestimmt zum dritten oder vierten Mal, mir den Film "Die Brücke" angesehen, ist ja eine ähnliche Thematik.
    Das Buch ist jetzt auf meiner WuLi.

  • Ihr habt das Wesentlichste schon gesagt. Ich hole den Fred nur nochmals hervor, um weitere Leser zu werben.


    Ja, schwere Lektüre, vor allem weil – wie Marie andeutet – eine Erzählweise das Geschriebene so realistisch macht, dass man eine kaum beschreibbare Realität hautnah erfährt. Ohne Glorifizierung jedweder Art, sondern in seiner Abscheulichkeit.


    Wie schon erwähnt, ist das Autobiographische hier ganz nah : auch die Familie Rothmanns zog von Schleswig-Holstein (Melkerberuf) in den Ruhrpott (Bergarbeiter). Der Roman verliert dadurch nicht an Qualität, da diese noch woanders liegen, doch vielleicht geht die Inhaltsbezschreibung von Winfried doch (wieder mal) zu weit. Angedeutet wird die Qunintessenz des Romans durch die Einrahmung durch den Ich-Erzähler, den Sohn Walters, um dem es sich im Haupterzählstrang dreht. Reden wir nur von den ersten sechs Seiten wird klar, dass der Vater ein vom Krieg herkommendes Leiden, Geheimnis in sich birgt. Dies wird IHN zunächst mal prägen : bis zum Lebensende. Aber – das Motto des Buches deutet es an – wird dieses Erlebte und Dramatische quasi vererbt : die Generation, die eigentlich garnicht mehr selber hat Anteil genommen am Krieg, trägt quasi noch an den Folgen durch den Umgang mit den Eltern.


    Einige könnten sich ja fragen, was denn nun noch ein weiterer « Kriegsroman » über den II Weltkrieg heute zu bedeuten hat. Über das Erinnern an die Eltern- und Großelterngeneration hinaus, geht es eben, so deutet es Ralf Rothmann hier in wenigen Zeilen und Motiven schon auf den ersten Seiten an, um unser immer noch eigenes Mit-Betroffensein : wir bleiben, zumindest in der Generation eines Rothmanns (und auch wenn ich 1963 geboren bin zähle ich mich da echt hinzu) Kinder der Kriegskinder, Erben von Traumata, die auch uns geprägt haben. Ja, was die Väter gegessen haben (oder erweitert : unsere Eltern) das macht uns manchmal heute noch die Zähne stumpf.


    Noch einschneidender fast ist in der Andeutung des Lebensschicksals Walters in diesen ersten Zeilen ist die kaum merklich angedeutete Bibelverszeile auf diesen ersten Seiten, die der Ich-Erzähler in der Familienbibel findet : « Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. » Dieses Zitat stammt aus dem 4. Kapitel Genesis und der Kain und Abelsgeschichte. Im Brudermordmotiv, bei aller Unschuld (!!!) findet sich Walter wieder. Welche Last hat da jemand zu schultern, der durch und durch lauter durch den Krieg gegangen ist und sich eigentlich in den Spiegel schauen kann…


    Dieses Buch – aber solch ein Wort zählt natürlich nicht viel – hat die Größe für eine Art « Pflichtlektüre ». Danke, Ralf Rothmann !

  • Da geht es mir auch so wie euch, das Buch ging und geht mir ganz schön unter die Haut. Dauernd musste ich an meine beiden Großväter denken und an das was sie wohl alles erleben mussten und wie es wohl sie verändert hatte. Es fällt mir richtig schwer über dieses Buch zu schreiben.

    So ähnlich geht es mir auch. Obwohl schon einige Tage vorbei sind, seit ich es beendet habe, fällt es mir schwer etwas über dieses Buch zuschreiben. Das hat vor allem zwei Gründe. Zum einem ist das Buch für mich zu etwas Persönlichen geworden. Ich habe einen Vater, der weder über seine Zeit an der Front noch über seine Zeit im Gefangenenlager geredet hat. Es war natürlich ein anderer Krieg, ein anderes Land, Jahrzehnte später.Aber eins haben Kriege anscheinend gemeinsam: Väter, denen es nicht möglich ist, darüber zu reden. Aber ich muss zugeben, dass ich immer Angst hatte, ihn überhaupt zu fragen. Zudem hatte mit meinen eigenen Kriegserlebnissen genug zu kämpfen. Über Krieg und das Erlebte wurde in meiner Familie generell nie viel geredet. Vielleicht ist es wie Rothmann schreibt: "Es war der Ernst dessen, der Eindringliches gesehen hatte und mehr wusste vom Leben, als er sagen konnte, und der ahnte:Selbst wenn er die Sprache dafür hätte, würde es keine Erlösung geben."


    Der zweite Grund, warum es schwer ist über dieses Buch zu schreiben: Ich habe nämlich das Gefühl, dass ich keine Worte finde und wenn ich welche finde, fühlen sie sich unzureichend an. Ich habe es trotzdem versucht, denn das Buch hat es verdient, dass man darüber schreibt. Es hat aber vor allem verdient, dass man es liest. Rothmann ist ein großartiger Erzähler. Er erzählt diese schrecklichen, brutalen, unmenschlichen Dinge in einer Weise, die einen nicht mehr loslässt. Eindringlich, poetisch, tiefgründig.


    Die Handlung für die Figuren, die Emotion für den Leser.

    Und genau das ist das Besondere. Man erfährt fast nichts über das Innenleben von Walter und dass ist auch nicht notwendig. Die Beschreibung der Grausamkeiten, die Walter sieht, reicht aus und man weiß, was Walter fühlt, weil man es in diesem Moment selbst fühlt. Zumindest mir ging es so.


    Ein besonderes Buch, das von mir natürlich :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: bekommt!

  • Zu Beginn des Buches erleben wir Walter, den Vater des namenlosen Erzählers, kurz aus Sicht des Sohnes, einen stets adretten, schweigsamen Mann, der im Bergwerk arbeitet und nicht sehr alt werden wird. Schon nach wenigen Seiten wird der Leser unvermittelt in die Vergangenheit katapultiert. Walter ist knapp achtzehn Jahre alt und Melkerlehrling auf einem Hof in Norddeutschland. Weil dies als kriegswichtige Arbeit gilt, wurde er nicht eingezogen, doch wenige Monate vor Kriegsende greift das NS-Regime zu den billigsten Tricks, um auch noch die letzten jungen Leute zu rekrutieren. Für Freibier und Tanz im Nachbardorf zahlen die anwesenden jungen Männer wie Walter und sein Kumpel Fiete darum am Ende einen hohen Preis und finden sich im Ausbildungslager der SS wieder. Von dort werden sie nach kurzem Training in den Osten geschickt, ins vom Krieg schwer gezeichnete ungarische Flachland. Zweifel an der Sinnhaftigkeit ihres Tuns sind nicht gestattet, "unsere Ehre heißt Treue" lautet die Devise, das Reich ist bis zum letzten Tropfen Blut zu verteidigen, komme, was da wolle.


    Es ist schwer zu ertragen, was Ralf Rothmann da schildert, selbst wenn man schon viele Kriegsromane gelesen hat. Zwischendurch musste ich das Buch tatsächlich einmal beiseitelegen, was mir sonst sehr selten passiert.


    Perfide Willkür und blinder Kadavergehorsam spielen wie überall im Dritten Reich eine traurige Hauptrolle, und das Allerschlimmste ist die Schlüsselszene des Buches, eine Situation, die Walter sein Leben lang nicht loslassen wird, aus der es keinen wirklichen Ausweg gibt und die so unglaublich sinnlos ist, weil der Krieg zu dem Zeitpunkt sowieso schon so gut wie vorbei und verloren ist.


    Sicherlich erfährt man aus diesem Buch nichts, was man nicht schon in irgendeiner Form wusste, wenn man sich mit dem Thema bereits beschäftigt hat, es wirkt aber gerade durch Rothmanns fast schon sachlichen Erzählton ungemein eindrucksvoll, und der Irrsinn, der sich so kurz vor Kriegsende abgespielt hat, dieser Strudel, in den so viele junge Männer noch in allerletzter Minute hineingerissen wurden, erhält durch Walter, Fiete und ihre Kameraden ein Gesicht, das man so schnell nicht vergessen kann.


    Ein klein wenig störend fand ich die teils sehr stilisiert wirkenden Dialoge, aber das schmälert nicht den Gesamteindruck. Absolut kein "schönes", aber ein gutes und zum Nachdenken anregendes Buch.

  • Im Frühling sterben ist die Geschichte von Walter Urban und Friedrich – »Fiete« – Caroli, zwei siebzehnjährigen Melkern aus Norddeutschland, die im Februar 1945 zwangsrekrutiert werden. Während man den einen als Fahrer in der Versorgungseinheit der Waffen-SS einsetzt, muss der andere,Fiete, an die Front. Er desertiert, wird gefasst und zum Tod verurteilt, und Walter, dessen zynischer Vorgesetzter nicht mit sich redenlässt steht plötzlich mit dem Karabiner im Anschlag vor seinem besten Freund ...
    In eindringlichen Bildern erzählt Ralf Rothmann vom letzten Kriegsfrühjahr in Ungarn, in dem die deutschen Offiziere ihren Männern Handgranaten in die Hacken werfen, damit sie noch angreifen, und die Soldaten in der Etappe verzweifelte Orgien im Angesicht des Todes feiern. Und wir erleben die ersten Wochen eines Friedens, in dem einer wie Walter nie mehr heimisch wird und noch auf dem Sterbebett stöhnt: »Die kommen doch immer näher, Mensch! Wenn ich bloß einen Ort für uns wüsste ...«...(Klappentext)


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    Mein Großvater, dazumals selbst als junger Bursch als letzte Hoffnung an die Front geschickt, hat mir einiges aus dieser Zeit erzählt und ich habe auch schon vieles an Biographien und Geschichtsbücher gelesen, aber es ist immer wieder erschreckend wie brutal und grausam in dieser Zeit agiert und reagiert wurde - selbst in den eigenen Reihen.


    In diesem Buch wird die Geschichte von Walter erzählt - ein junger SS-Soldat, der, wie so viele, nichts mit dem Krieg zu tun haben wollte und noch am Ende zwangsrekrutiert wurde, um den erhofften Endsieg doch noch zu erlangen.
    Dabei hat er es als Versorgungsfahrer noch mehr oder weniger gut getroffen, da ihm somit die Front erspart blieb.
    Man durchlebt mit ihm Fliegeralarme, Bombeneinschläge, die Angst vor dem näherrückenden Iwan, kroteske Besäufnisse, Grausamkeit und Kaltblütigkeit gegenüber sog. Partisanen und selbst in den eigenen Reihen, den Zwang mitmachen zu müssen, um nicht selbst an die Wand gestellt zu werden, etc.


    Der Schreibstil ist flüssig und bildhaft, der Erzählstil schonungslos und ergreifend. Ohne Beschönigung und Glorifizierung wird einem hier die Sicht eines Soldaten beschrieben.
    Der Autor schafft es dieses Buch spannend und facettenreich zu gestalten und schlägt auch mal ruhige und nachdenkliche Töne an. So beschreibt dieser Roman nicht nur Gräueltaten, sondern auch was damals Hoffnung, Freundschaft, Kameradschaft und auch Mut bedeuteten.


    Durch diesen Roman wird wieder einmal mehr bewusst, dass diese Zeit nicht nur für die sog. "Feinde" und die Zivilbevölkerung grausam und beängstigend war, sondern auch für die Soldaten. Denn viel zu oft wird vergessen, dass nicht alle der Soldaten (egal ob SS oder Wehrmacht) von Hitlers Ideologie überzeugt waren, mit Freuden in den Krieg zogen, Feinde aus dem Weg räumten oder zu Gräueltaten fähig waren.


    Dieser Roman ist keineswegs leicht zu lesen, aber welches Buch mit dieser Thematik ist das schon? - egal, ob aus Soldatensicht, aus der Sicht eines jüdischen Überlebenden oder aus der Sicht der Zivilbevölkerung.
    Das sollte einem jedoch nicht daran hindern dieses Buch zu lesen, denn nichtsdestotrotz ist dieses Buch gute Literatur die auf jeden Fall Aufmerksamtkeit verdient.


    Fazit:
    Für schwache Nerven und Mägen ist dieser äußerst authentische Roman nichts und auch mit starken Nerven ist dieser Roman nicht leicht zu lesen - erschreckend, ergreifend, traurig, schonungslos.
    Der Autor schafft es trotzdem diese Thematik in einen spannenden Roman zu verpacken. Denn so erschreckend und bedrückend vieles ist, so interessant und aufschlussreich ist es auch.
    Dieser Roman ist bis jetzt eines meiner wenigen Lesehighlights dieses Jahres und bekommt daher eine absolute Leseempfehlung. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Wenn ein Mann zurückweicht, weicht er zurück. Eine Frau weicht nur zurück, um besser Anlauf nehmen zu können. (Zsa Zsa Gabor)
    :twisted: