Lawrence Durrell - Justine / Tunc (Start 01.06.15)

  • Dabei würde ich gerne wissen, was im englischen Original statt "vergewaltigen" steht. Das klingt mir doch etwas zu eindeutig.

    Hier die Stelle im Original. Durrell benutzt tatsächlich das Wort >rape<


    The final problem of intellection is this: you cannot rape yourself mentally for thought creates its own shadow, blocks its own light, inhibits direct vision.
    The act of intuition or self-illumination can come only through a partner-object - like a host in parasitology.


    Warum er da das Wort rape benutzt ist mir unklar. und wie du schon geschrieben hast, viel zu eindeutig. Hätte er nicht von einem "mental fight" sprechen können?
    Sprachlich hat er ja eigentlich alle Facetten im Repertoire.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Warum er da das Wort rape benutzt ist mir unklar. und wie du schon geschrieben hast, viel zu eindeutig. Hätte er nicht von einem "mental fight" sprechen können?Sprachlich hat er ja eigentlich alle Facetten im Repertoire.

    Viele Seiten später (S. 100) wird erneut von vergewaltigen gesprochen. Dabei wird die Natur als Organismus und nicht als System beschrieben, die sich dafür rächt, wenn sie vom Menschen in ein System gezwängt wird. Wenn man die Natur vergewaltigt, schlägt sie zurück ... An dieser Stelle passt der gewalttätige Ausdruck natürlich viel besser. Doch tatsächlich scheinen mir beide Zusammenhänge einen falschen (?!) menschlichen Versuch zu beschreiben, (mit eigenen Maßstäben) Aufschluss über etwas zu bekommen, bzw. sich einer Sache (der Selbsterkenntnis oder der Natur) zu bemächtigen.


    Ach, danke übrigens fürs englische Nachlesen, @taliesin! :thumleft:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


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    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Bis etwa Seite 106:


    Mir gefällt, wie dieses Buch auf seinen Vorgänger TUNC Bezug nimmt, Dinge variiert und Charaktere in etwas anderem Licht präsentiert.
    Zwei Beispiele:
    1. Die "harte" Benedicta aus TUNC wird viel weicher gezeichnet. Ganz platt (aber nichtsdestotrotz total ungewöhnlich und überraschend) wird sogar gesagt, nach dem ganzen Ärger des ersten Romans wären ihr alle Haare ausgefallen und neu nachgewachsen, viel weicher und in blonderem Farbton.
    2. Lord Banubula, dessen größte Ambition es in TUNC war, in die Firma hineinzukommen, hat es inzwischen geschafft - und ist ein völlig anderer Mensch geworden: Völlig aufgeblüht, selbstsicher und erfolgreich. In einem Gespräch wird dazu ungefähr gesagt, wie schön es ist, wenn Menschen etwas finden, das sie ganz erfüllt.


    Auch wieder ein weitere Facette der in den Romanen vieldiskutieren (und subtil abgehandelten) "Freiheit": Frei ist man quasi dann, wenn man Dinge tut, die man gut kann und gerne macht.


    Allerdings äußert Julian die Ansicht, dass die ganze Suche nach Freiheit ein reiner Selbstbetrug ist:

    Zitat

    Und dann all dieses Gequengel über persönliche Freiheit - jedermann hat das Gefühl, er sei berechtigt, sich über sie Gedanken zu machen. [...] Und sogar noch während diese armen Irren mit den Armen fuchteln und von freiem Willen schwafeln, werden sie auf subtile Art von ihrer Kultur geknechtet und geformt - Geld, Mode, Architektur, Gesetze, Maschinen, Nahrung. Wann kann schon jemand mit Überzeugung sagen, dass er wirklich frei ist, dass er sich nicht mehr an die Schablone hält, in die er hineingeboren ist und die ihn zu dem gemacht hat, was er ist?

    (S. 101)


    Außerdem sollte ich vielleicht langsam mal was zu den Titeln der beiden Romane sagen. Es gibt die lateinische Redeblume "aut nunc aut nunquam", was in etwa "Jetzt oder nie" heißt. In dem satirischen Roman SATYRICON des Dichter Titus Petronius Arbiter aus der Zeit von Kaiser Nero gibt es diesen Spruch mit "tunc" statt "nunc", also eher zielgerichtet "dann" statt "nun". Geht vielleicht sogar mehr in die Richtung "Entweder - oder". Auf jeden Fall ist Petronius' Spruch das vorangestellte Motto von NUNQUAM.


    Ferner wird auf Seite 87 ein Fruchtbarkeitsgott namens Tunc, der auf der Malaiischen Halbinsel beheimatet ist, erwähnt, der dort in kleinen Ton-Abbildern auf den Türbalken vieler Hütten zu sehen ist. Der gezielte Einsatz dieses kleinen Götzenbildes hat im Roman übrigens geholfen, eine Massenpsychose einzudämmen (die nicht nur der Bevölkerung, sondern auch der Firma, die dort einen Stützpunkt hat, gefährlich zu werden drohte). Dazu wurden von der Firma kleine Amulette hergestellt, in denen die Buchstaben T U N C viermal umlaufend in Form eines Quadrats um ein Symbolbild des weiblichen Geschlechtsteils angeordnet wurden. Dieser Talisman half, die Menschen von der Massenpanik zu heilen (bei der es übrigens um den männlichen Irrglauben ging, das männliche Geschlechtsteil würde sich über kurz oder lang in den Körper zurückziehen und verschwinden... ) Dabei fällt dann auch dem letzten Leser auf, was passiert, wenn man Tunc im Englischen von hinten nach vorne liest ...
    :-,


    Nur mal so, als Zusatzinfo. Das sind natürlich alles keine "Erklärungen", die den Roman greifbarer machen. Aber es verdeutlicht schön, wie Durrell seine Geschichte anreichert, mit vielen Ansatzmöglichkeiten für die eigene Interpretation versieht, jedoch gewissermaßen alles auch ein wenig verschleiert, uneindeutig macht oder auch: sich anschleichende Bedeutung oder Erkenntnis fröhlich wieder zertrümmert und ins Gegenteil verkehrt.


    Sehr anregend auf jeden Fall!
    :applause:

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  • Ich schreibe zwischendurch mal wieder was. Da ich gerade so viel nebenher lese, komme ich mit den einzelnen Büchern nicht so schnell voran. Bei "Nunquam" bin ich jetzt ungefähr bei Seite 245.


    Felix soll also Iolanthe, seine frühere Geliebte, ein "Hürchen" aus Athen, das später zu einem international angeschmachteten Filmstar wurde, in die sich auch der (inzwischen etwas weniger) geheimnisvolle Julian, einer der Chefs der so mysteriösen, wie global alles verschlingenden Merlin-Firma, total verliebt hat, - und die inzwischen verstorben ist, nach ihrem Tod als absolut (bis auf Nahrungsaufnahme und Verdauung) menschenähnlicher Roboter wiederauferstehen lassen. Noch ist sie nicht ganz fertig ... Es gibt einige schöne frankensteinartige Laborszenen, außerdem einige Einblicke in das Gewerbe des Mumifizierens, die manchen Lesern ein flaues Gefühl bescheren müssten. Außerdem bekommt Felix das große Angebot, nach dem bald zu erwartenden Ableben von Jocas, dem anderen Merlin-Chef, die Firmenbelange im Osten zu leiten. Dahin ist Felix mit Entourage gerade unterwegs.


    Und dabei kommt es zu einer Ortsbeschreibung, die sich liest, als wäre sie auf einer Höhe mit dem Alexandria-Quartett, so wir ihr beide, @Farast und @taliesin, sie schon ein paar Mal zitiert habt. Solche Szenen gibt es in Tunc und Nunquam gar nicht so oft, scheint mir
    Beim Anflug auf Athen mit einem Wasserflugzeug:

    Zitat

    Wir flogen jetzt durch eine große fette Blase von violettem und grünem Sonnenlicht und sanken weich in die dunkle Mulde, in der die flimmernde Stadt lag. Die Nacht verdunkelte sich über Salamis. Die Umrisse wurden zu blauer Kreide, zu einem glänzend blauen Kohlepapierschnitt. Nur der kleine, weiße, abstrakte Würfel der Akropolis blieb wie ein geblähtes Segel stehen, das letzte weiße Licht, während die restliche Welt in Finsternis versank.

    (S. 234)


    Dieses Zitat gefällt mir übrigens auch sehr gut:

    Zitat

    "Ich weigere mich, traurig zu sein", sagte Caradoc. "Möge mein letzter Atemzug ein trunkener Fluch sein. [...]"

    (S. 241) :winken:

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  • Bei Seite 333 klappte ich das Buch bei seiner letzten Seite zu.


    Mir fällt es allerdings schwer, meine Leseeindrücke zu bündeln. Vielleich hat das mit der frei fließenden Form des Romans (und seines Vorgängerromans) zu tun: Der Leser ist dabei, wie sich Vorfälle ereignen, Figuren auftauchen und wieder verschwinden (und hunderte Seiten später wieder neu erscheinen - und wieder verschwinden). Alles wirkt sehr unangestrengt - und darum auch inhaltlich nicht immer sehr konzentriert. Oder forciert, auf dass der Leser auf Teufel komm raus jetzt auch mitbekommen solle, worum es dem Autor geht. Das ist eine sehr angenehme Leseerfahrung, wie ich finde. Als hörte man Freunden zu, die was erzählen. Da fehlt auch manchmal der Fokus.


    Ein wenig wie eine Decke, die über ein Bett ausgebreitet wird. Unter der Decke liegen diverse Gegenstände oder Körper, die man aber nicht eindeutig erkennen kann. Zwischendurch wird die Decke aufgeschüttelt. Dabei kann man leicht unter die Decke schmulen, was denn da wohl auf dem Bett so liegt. Dann legt sich die Decke wieder, aber etwas anders, verschoben, auf die Objekte - und man kann erneut raten, was Sache ist - und wie die Dinge in Relation zueinander stehen.


    Das kurze Nachwort von Durrell (wohl an die Person gerichtet, der der Roman gewidmet ist [C.-M. V., bzw. Claude-Marie Vincendon, seine dritte (?!) Ehefrau, die 1967, also einige Zeit vor der Veröffentlichung des Romans, an Krebs verstarb]) ist ganz erhellend. Hier ein kurzes Zitat:


    Zitat

    Nun, in seiner Art versucht dieser zweiteilige Roman nichts weiter, als Kultur zu interpretieren. Allerdings besteht das poetische Spiel darin, einen Deckel auf eine Schachtel ohne Seitenwände zu legen. Aber wenn Du zum Beispiel an Deck kommst und feststellst, dass das Schiff schon außer Sicht der Küste ist, so wirst Du mit Vergnügen eine Karte im Kartenraum betrachten, in die von einer unsichtbaren Hand ein Fähnchen gesteckt wurde. Sie markiert Deine Position. Ein solches Fähnchen soll dieses Buch sein.

    (S. 332, Hervorhebung von mir)


    Mal schauen, ob ich demnächst mit dem Avignon-Quintett weitermache, von dem ich hier drei Teile rumschwirren habe ... 8)

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  • @Farast: Da verzichte ich einmal darauf, einen Link zu überprüfen ... :wink: Ich wollte ja auch nur zum BT-Eintrag des ersten Bandes "Monsieur oder Der Fürst der Finsternis" verlinken! Hier noch Wikipedia ...

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  • Ich habs getan ... das Quintett angefangen! 26 Seiten habe ich schon. Eine bisher schön morbider Tonfall voller Verfall, Wahnsinn und Absterben. Diese Schlagworte sollen erst einmal genügen: Heimkehr - Selbstmord - Dreiecksbeziehung - Sektierertum - Irrenanstalt - verlassener Ort - früher Morgen - Un/Glauben.


    Inhalt (laut Klappentext): Auf die Nachricht vom Tode des französischen Diplomaten Piers de Nogaret reist der britische Arzt Bruce Drexel nach Avignon und begibt sich auf das Schloss Verfeuille, für ihn eine Stätte empfindsamer Erinnerungen. Bruce ist mit Piers' Schwester Sylvie verheiratet. Lange, unvergessliche Jahre lebten die drei in einer unschuldig-sündigen ménage à trois, abgesondert von der Welt: bis Sylvies Geist sich verwirrte. Auf einer Reise nach Ägypten sind sie vor Jahren von einer gnostischen Sekte in den Bann gezogen worden. Der neue weltgewandte Hohepriester Akkad verkündet in der Oase Macabru bei Alexandria, dass Gott entthront sei und dass an seiner Stelle ein Usurpator regiere: "Monsieur", der Fürst der Finsternis. Während Bruce und Sylvie sich schließlich zurückziehen von den Ritualen und Drogen, werden für Piers die Lehren der Sekte zum Zentrum seines Lebens.


    Das Anreißer-Zitat aus der Times verspricht: "Der Roman zeigt eine Raffinesse erzählerischen Könnens, die selbst das Beste von Durrell noch übertrifft."


    Verlinkt habe ich eine englische Ausgabe. Viele Ausgaben haben erstaunlich hässliche Cover, doch dies ist ja ganz gefällig. Die meisten deutschen Ausgaben sind bei Amazon bildlos. Ich lese eine Taschenbuchausgabe in deutscher Übersetzung von 1991, auf deren Umschlag einige altägyptische Motive und drei Fotoausschnitte von Nasen abgebildet sind. Nasen?! :lol:

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  • Verlinkt habe ich eine englische Ausgabe. Viele Ausgaben haben erstaunlich hässliche Cover, doch dies ist ja ganz gefällig. Die meisten deutschen Ausgaben sind bei Amazon bildlos. Ich lese eine Taschenbuchausgabe in deutscher Übersetzung von 1991, auf deren Umschlag einige altägyptische Motive und drei Fotoausschnitte von Nasen abgebildet sind. Nasen?!

    Oh Mann, du hast es getan. :applause:
    Das Avignon Quintet ist schon eine recht sperrige Geschichte. Anfangs habe ich die Atmosphäre des Alexandria Quartets.sehr stark vermisst, aber das Grundthema
    ist halt sehr unterschiedlich. Die Leidenschaften der Protagonisten des Quartets spiegeln sich halt auch in der Sprache wieder. Das Quintet habe ich anfangs als
    ein wenig verkopft und düster empfunden. Das hat sich aber gelegt. Bin gespannt was du noch dazu schreibst.


    und Nasen, wieso Nasen????? :-k

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  • Das Avignon Quintet ist schon eine recht sperrige Geschichte. Anfangs habe ich die Atmosphäre des Alexandria Quartets.sehr stark vermisst, aber das Grundthema
    ist halt sehr unterschiedlich. Die Leidenschaften der Protagonisten des Quartets spiegeln sich halt auch in der Sprache wieder. Das Quintet habe ich anfangs als
    ein wenig verkopft und düster empfunden. Das hat sich aber gelegt. Bin gespannt was du noch dazu schreibst.

    Dachte mir, wenn ich Durrell schon mit Tunc anfange, kann ich mich dem Alexandria-Quartett auch hinterrücks nähern. Und erstmal nach Avignon abzischen. Quasi Steigerung, hoffentlich. Jedenfalls finde ich die angerissenen Themen im Quintett schon ganz vielversprechend. Aber mal schauen, ob die Figuren zu leben anfangen. Verkopft und sperrig hört sich ja leider etwas unrund an. Na, mal schauen! :winken:

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  • Das Avignon Quintet ist schon eine recht sperrige Geschichte.

    Ha, jetzt weiß ich, was Du meinst! :)


    Der Roman ist fünf große Kapitel eingeteilt, die jeweils zwischen 50 und 100 Seiten lang sind.


    Im ersten Kapitel "Outremer" kehrt die Hauptfigur Bruce nach Avignon zum Schloss seines Freundes Piers zurück, der sich umgebracht hat. Sylvie, Piers Schwester und die Ehefrau von Bruce, lebt in der Nähe in einer geschlossenen Anstalt. Bruce rechnet außerdem mit der Ankunft des gemeinsamen Freundes Toby. Es gibt Rückblicke in unterschiedliche Vergangenheiten.


    Im zweiten Kapitel "Macabru" geht es in einem Rückblick um die erste Begegnung der Freunde Bruce, Piers, Sylvie und Toby mit der gnostischen Sekte des geheimnisvollen Hohepriesters Akkad in der Oase Macabru in der Nähe Alexandrias in Ägypten. Bei einer Messe haben die vier Freunde (auch durch einen Drogentrank unterstützte) unterschiedliche Visionen. Piers und Sylvie werden sozusagen sofort "aufgenommen" in dem Kult, Bruce so halb und Toby - zumindest bis Seite 158, bis wo ich momentan gekommen bin - eher nicht.


    Was den Roman so sperrig macht ist, dass man fast nichts über die handelnden Figuren weiß. So fällt es schwer, "mitzufiebern", sich für ihr Schicksal zu interessieren. Vor allem der sogenannte Erzähler ist ein leeres Blatt. Wer ist er überhaupt? Ein englischer Arzt, der die Sommer seiner Kindheit in Avignon verbrachte?


    Die eine Figur ist tot, die andere im Irrenhaus, eine andere Figur wird erwähnt, die aber ebenfalls schon tot ist, und der Erzähler schweigt sich aus. Dazu die vielen unchronologischen Zeitsprünge ... das macht es nicht einfach! Schön am zweiten Kapitel ist jedenfalls die Einheit des Ortes und der Szene, in der man sich als Leser etwas ausbreiten kann. Die Auslassungen über religiöse Geheimgesellschaften, bzw. ketzerische Erkenntnissuche in Abweichung vom Christentum sind bisher interessant, wenn auch schwierig und noch etwas ungriffig. In so recht komplizierte Gedankengebäude muss man ja aber auch erst mal langsam eingeführt werden. Das wird schon, ich bin ganz sicher! :eye:

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  • Das wird schon, ich bin ganz sicher!

    Das wird auf jeden Fall. Im weiteren Verlauf wird das Ganze schon lesbarer und auch verständlicher. Beim Stichwort "Irrenhaus" fällt mir ein, dass ziemlich am Ende des
    Qintetts eine der brillantesten Passagen aus Durrells Werk steht. Freu dich darauf, auch wenn es noch dauert.

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  • Und meine Wunschliste wächst und wächst....Das Avignon Quintet ist wie Nunquam und Tunc drauf gekommen.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


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  • Und meine Wunschliste wächst und wächst....Das Avignon Quintet ist wie Nunquam und Tunc drauf gekommen.

    Ja, schön! Tunc und Nunquam (auf jeden Fall nur im Doppel zu lesen!) möchte ich auf keinen Fall missen. Man ist so sehr von den Figuren umgeben, dass man sich richtig zuhause fühlt in ihrem Kreis! Ich mach mich ja auch bereit für weitere Durrells: Demnächst bringt mir der Postbote "Balthazar" und den dritten Band des Avignon-Quintetts. Da kommt noch einiges auf uns zu! :lechz:

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  • Demnächst bringt mir der Postbote "Balthazar" und den dritten Band des Avignon-Quintetts. Da kommt noch einiges auf uns zu!

    Oh ja, ich habe mir jetzt den Roman >Das dunkle Labyrinth< und den Reisebericht >Leuchtende Orangen< - Rhodos - Insel des Helios bestellt. Beginnen und
    natürlich auch berichten werde ich zum dunklen Labyrinth.

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  • Da die Lieferung der anderen Bücher wohl noch dauert, schreibe ich jetzt das ein- oder andere zu seinem Reisebericht >Bittere Limonen<. (Erlebtes Cypern)


    Klappentext:


    Dieses mit dem Duff Cooper Award ausgezeichnete Cypern-Buch des englischen Dichters und profunden Kenners der mediterranen Welt gibt eine souveräne
    Zusammenschau von Landschaft, Menschen und Geschichte der Insel. Der Autor hat jahrelang als Schriftsteller, Lehrer und britischer Beamter unter Cyprioten
    gelebt und ihr Vertrauen gewonnen. Von der Dorftaverne bis zum Regierungspalast verfolgt er den Konflikt um die Insel-Herrschaft. Leidenschaften und Vorurteile
    der beiden Bevölkerungsteile weiß Durrell abgewogen und sicher mit dem großen Erbe des alten Byzanz in Beziehung zu setzen.



    Ich habe Durrells Reiseroman zwar vor einer gefühlten Ewigkeit schon einmal gelesen, aber eine konkrete Erinnerung habe ich nicht. Eine Auffrischung kann also
    nicht schaden.

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  • Das zweite Kapitel liegt hinter mir. Das Ägypten-Kapitel. Einschließlich einer Charterbootstour auf dem Nil, für die es meiner Erinnerung nach keine Erklärung gibt. Ein reines Vergnügen, als ob die Romanfiguren noch keine Lust haben, wieder an die Arbeit zu gehen. Sehr eindrücklich geschrieben.


    Das dritte Kapitel "Sutcliffe, Die venezianischen Dokumente" ist wiederum etwas "schwierig", folgt man jetzt doch der bisher nur in Erzählungen erwähnten Figur des Romanschriftstellers Sutcliffe nach Venedig. Sutcliffe, der in der "Gegenwart des Romans" schon tot ist, aber bekannt war mit Bruce, Piers, Sylvia. Wenn er mit seinem guten Freund Toby zusammen ist, werden die beiden gerne auch Gog und Magog genannt (diese nicht ganz greifbaren biblischen Gestalten oder Völker. Mal ist Gog Fürst im Lande Magog, mal sind beides vom Satan in Versuchung geführte Völker). Sutcliffes Frau Pia (die früher mit Bruce zusammen war) ist freiwillig aus dem Leben geschieden. In Venedig hat Sutcliffe eine Affäre mit der Bankierstochter Sabine. Auch mit Akkad ist Sutcliffe bekannt; Piers' Begeisterung für die gnostische Sekte findet er eher "rührend". Bruce hält er für einen ziemlichen Langweiler und nicht tauglich als Romanheld (na, schönen Dank!). Sutcliffes Romane sind mehr oder weniger deutliche Varianten seiner Lebensumstände, d.h. auch die "Dreieinigkeit" Piers, Sylvie und Bruce tauchen darin auf (auch der erste Satz des Romans "Monsieur" taucht als Romansatz in einem Roman von Sutcliffe auf.) Manchmal verschuldet Sutcliffe in seinen Texten (oder Träumen) den Tod seiner Frau Pia.
    Das ist alles interessant, muss sich für mich aber noch stärker ins große Ganze einreihen. Na, frisch ans Werk: Weiter geht's... :)

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  • Kapitel 4 ("Leben mit Toby") beginnt wieder in der "Gegenwart" im Schloss, wo Bruce Papiere ordnet und Toby (der ein Historiker ist und über die Geschichte der Templer forscht, mit der die Vorfahren von Piers verwoben sind) nach alten Akten sucht. Toby liest Bruce aus seinem großen Momumentalwerk vor, das er demnächst abschließen wird. Außerdem werden einige Texte von Sutcliffe gefunden.


    Kapitel 5 ("Dinner bei Quartila") ist nur etwa 15 Seiten lang. Ein Schriftsteller namens Blanford (ein Durrell-Alter-Ego) taucht auf, der gerade einen Roman abschließt. Er trifft sich mit der Herzogin von Tu in einem Restaurant in Venedig, die die Rohfassung des Romans gelesen hat, um darüber zu sprechen.

    Es wird angedeutet, Blanford, sei sich unsicher, ob seine Geschichte als Roman überhaupt reicht. Aber: er wollte ja sowieso keinen "gewöhnlichen Roman" schreiben. Nachtigall, ick hör dir trapsen!


    Ich finde es sehr, sehr schwierig, den Roman separat von den Folgeromanen zu bewerten!

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Ich finde es sehr, sehr schwierig, den Roman separat von den Folgeromanen zu bewerten!

    Das ist auch schwierig, wenn nicht gar umöglich, weil alles ineinander verwoben ist und erst die Folgeromane gewisse, jetzt noch sehr schwer bewertbare
    Fakten beinhalten. Das ist anfangs ein sehr kompliziertes Verwirrspiel das sich erst nach und nach auflöst. Ich weiß, dass ich anfangs manchmal kurz davor
    war aufzugeben.



    Bittere Limonen



    Auf seiner Schiffsreise nach Cypern startet Durrell von Venedig aus und beobachtet vom Deck aus die langsam verschwindende Stadt. Ich zitiere vorab einmal
    eine Passage, die mich sofort wieder in diesen unwiderstehlichen Durrell`schen Sprachfluss befördert hat.



    Zitat von L. Durrell

    Es war, als hätte ein ngroßer Meister in einem Wahnsinnsanfall seinen ganzen Farbkasten gegen den Himmel geschleudert, um das innere Auge der Welt zu
    betäuben. Wolke und Wasser vermischt, tropfend von Farben, ineinander verschmelzend, einander überlappend, sich verflüssigend, mit Kirchtürmen, Balkonen
    und Dächern, die im Raum schwammen wie Bruchstücke eines bunten Glasfensters, die man durch ein dutzend Schleier aus Reispapier erblickt. Bruchstücke
    der Historie, getaucht in die Farben von Wein, Teer, Ocker, Blut Feueropal und reifendem Korn. das Ganze gleichzeitig an den Rändern sanft hinübergespült in
    einen Morgenhimmel von sanftem, behutsamen Blau eines Taubeneis.


    Ich denke, mittlerweile kann ich sagen, dass die Reiseromane von Durrell hauptsächlich getragen werden von dieser fein ausgearbeiteten, poetischen Sprache, die den
    Leser sofort mitnimmt und sanft, aber unwiderstehlich davonträgt. Diese Betrachtungen der Landschaft und die daraus entstehenden Sinneseindrücke nehmen natürlich
    einen wichtigen Raum ein, aber wenn Durrell über die Politik, die gesellschaftlichen Gegebenheiten und auch die Gecshichte der Orte spricht zu denen er reist, ist der
    Ton sachlicher.
    Cypern, das er 1952 besuchte um dort als Sprachlehrer zu arbeiten und zu schreiben, ist von Beginn an ein schwieriger Ort, in dem der Konflikt zwischen Griechen,
    Türken und Briten sich immer mehr zuspitzt.


    Demnächst dann mehr über Durrells Leben auf Cypern.



    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen