Lawrence Durrell - Justine / Tunc (Start 01.06.15)

  • Inhalt lt. Klappentext:
    In dieser Situation (der zweite Weltkrieg steht bevor) geht im dritten Buch die Rolle des Erzählers an den Engländer David Mountolive über. Er hatte die exotisch-perverse Stimmung als Alexandrias als junger Diplomat durch seine Liebe zu Leila, der Mutter Hosnanis und Schwiegermutter Justines, erlebt. Doch im Rahmen einer politischen Verschwörung, als deren Urheber er nun seine alten Freunde sieht, erscheint ihm die Stadt nicht mehr als die "große Hure", sondern - wie er es ausdrückt - bloß noch als abstoßender Hohlkörper.


    Vorangestellt sind folgende Zitate:


    Wenn der Traum zerrönne und man seinen nüchternen Sinn zurückgewinnen sollte, würde die Sache nur von mittlerer Bedeutung sein - es ist die Geschichte geistigen Unrechttuns. Jeder weiß das sehr gut, es es ficht niemanden an. Aber ach! zuweilen spinnt man den Faden ein wenig weiter. Was, so erkühnt man sich zu fragen, was würde die Verwirklichung des Gedanken bedeuten, wenn schon seine abstrakte, so erhabene Gestalt einen eben noch so sehr betroffen hat? Der fluchwürdige Traum ist Leben geworden, und seine Existenz ist ein Verbrechen.
    D.A.F.de Sade, "Justine"


    Il faut que le roman raconte.
    Stendhal


    Und eine Anmerkung von Durrell, die im Zusammenhang mit @taliesin Bemerkung über sein Buch recht spannend ist:
    Alle Personen sind Situationen, die ich in diesem Buch dargestellt habe (ein Pendant zu "Justine" und "Balthazar" und der dritte Band in einem Quartett) sind frei erfunden. Ich habe vom Recht des Schriftstellers Gebrauch gemacht und mir ein paar notwendige Freiheiten entnommen: bei der Darstellung der Zeitgeschichte des Mittleren Ostens und des inneren Gefüges im Diplomatischen Dienst. Und außerdem habe ich die Schönheiten des Trafalgar Square vollkommener gemacht, indem ich ein paar Facetten eingeschliffen habe, um seine Nüchternheit zu mildern. Honi soit qui mal y pense.


    Zunächst mal eine kleine Kritik an die Übersetzung. Es wäre recht schön, wenn sich in späteren Neuauflagen - die es hoffentlich geben wird! - bei den Anmerkungen die Übersetzungen der französischen Sätze finden lassen würde. Ich hätte zwar entsprechend nachsehen können, hatte es aber aus Bequemlichkeit nicht gemacht. Wenn ich schon mal zum lesen komme, dann nicht mit Laptop als Übersetzungshilfe nebenan. So musste ich Mut zur Lücke haben und hoffen aus Faulheit nichts verpasst zu haben. Naja, bei einem nochmaligen Lesen (und dieses Buch schreit förmlich danach!) werde ich es nachholen.


    Ich habe schon ganz wenige Seiten des Buches gelesen und war erst mal verwirrt. Ich hatte mir Mountolive älter vorgestellt. Wurde doch angedeutet, dass er die Schwiegermutter von Justine kennt. Und ich den Eindruck, durch eine Bemerkung bei "Balthazar", dass sie beide im gleichen Alter wären. Und hier wirkte er so jung. Ich schätze mal, dass es sich noch nicht um den "besagten" Zeitraum handeln wird und vorher spielt. Oder mein Eindruck war falsch. Mal sehen.


    Gestolpert bin ich über eine seltsame Übersetzung: "Dämmer, doch es war noch heiß, das Hemd klebte ihm am Rücken." Dämmer? Ich hätte da wohl eher "Es dämmert..." gewählt.






    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Alle Personen sind Situationen, die ich in diesem Buch dargestellt habe (ein Pendant zu "Justine" und "Balthazar" und der dritte Band in einem Quartett) sind frei erfunden

    Also ich habe zwei Personen in >Schwarze Oliven< entdeckt, die schon zumindest Anklänge an Personen im Quartett erkennen lassen. Ich denke, ein Autor setzt seine
    Charaktere manchmal zawngsweise aus vielen Persömlichkeiten der Realität zusammen. So intensiv wie er seine Erfahrungen mit den Personen in Korfu beschreibt, sind
    sicher ein paar Charakterzüge mit eingeflossen.

    bei den Anmerkungen die Übersetzungen der französischen Sätze finden lassen würde.

    Ja, dass hat mich teilweise auch ganz schön genervt da keine Übersetzung geliefert zu bekommen. Meine Kenntnisse des Französischen sind eher fragmentarisch. 8-[


    Wie hat dir denn die Szene mit der Netzfischerei zu Beginn des dritten Teils gefallen. Sprachlich fand ich das absolut umwerfend. Ich saß beim lesen damals praktisch
    mit im Boot. :lechz:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Wie hat dir denn die Szene mit der Netzfischerei zu Beginn des dritten Teils gefallen. Sprachlich fand ich das absolut umwerfend. Ich saß beim lesen damals praktisch
    mit im Boot. :lechz:

    Das war ja echt der absolute Wahnsinn! :applause: Unglaublich wie gut das Durrell beschrieben hat!!! Da hatte man wirklich das Gefühl mitten drin im Geschehen zu sein. (Und ja nicht den Kopf zu heben, wer mag schon Schrammen haben :wink: )

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Da klebt man ja wieder am Buch vor lauter Spannung. Meine Befürchtung, dass es jetzt zu "diplomatisch" werden würde und eher in Richtung zäh und langweilig haben sich nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil :wink: Durrell hat mich wieder völlig in seinen Bann gezogen. Abgesehen von den wundervollen Stimmungsbildern verfolge ich sehr interessiert die Geschehnisse und entdecke wieder neue Schichten, die ich so nicht erwartet hätte. Trotzdem lässt es sich nicht einfach mal so runterlesen. Dafür schreibt Durrell einfach zu dicht (jedenfalls in meinen Augen). Abgesehen davon, dass man sich fast wünscht, dass das Buch niemals enden würde. Auf die Art könnte ich endlos weiterlesen :uups:

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • . Abgesehen davon, dass man sich fast wünscht, dass das Buch niemals enden würde. Auf die Art könnte ich endlos weiterlesen

    Freut mich, dass dir mein Lieblingsbuch von Durrell so gut gefällt. Bin auch wieder infiziert und wenn du mit >Clea< beginnst, lese ich vielleicht ein wenig mit.
    Clea ist so schön melancholisch.............. :colors:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Das wäre ja schön @taliesin, wenn das klappen würde. Wird Clea so melancholisch, dass ich mir an strategischen Punkten des Hauses schon mal Taschentücher bereithalten sollte? Für den Fall der Fälle? Leichtfallen wird mir der Abschied von dem Alexandria-Quartett schon mal nicht werden. Das Buch ist wirklich einfach nur gut (damit lehne ich mich zwar schon weit aus dem Fenster, weil ich ja noch nicht Mountolive zu Ende bzw. Clea überhaupt mal gelesen habe). Es gibt so viele Neuauflagen von Büchern, es ist fast nicht nachvollziehbar, dass "Das Alexandria-Quartett" nicht mehr neu aufgelegt wird.


    Mittlerweile habe ich auch mehr über das Verhältnis zwischen Justine und Nessim erfahren. Aha, so ist also das Band zwischen den beiden entstanden (oder auch nicht, je nachdem was ich noch erfahren werde :wink: ). War das eigentlich bei deiner Leküre auch so @Jean van der Vlugt , dass dich Durrell immer wieder überraschen konnte. Nicht auf die billige Art, sondern dir wirklich eine Art Spiegel vorhalten konnte, wie schwer es ist eine Situation zu beurteilen? Und man recht schnell mit einer Meinung daher kommt, die eigentlich gar nicht haltbar ist, weil man einfach gar nicht alles wissen kann.


    Und noch ein Frage an dich @taliesin. Ich kann mich gerade nicht erinnern, aber hast du das Alexandria-Quartet nicht sogar schon mehrmals gelesen? Wie wirkt dann der Roman auf den Leser? Achtet man dann mehr auf Details, die der Erstleser erst mal fröhlich "überliest", die aber schon mal in unterschiedliche Richtungen hinweisen könnten?

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Bei Tunc war es weniger die Schwierigkeit, Situationen “richtig“ einzustufen, es fehlte eher der erkennbare Plan, auf den das Ganze zusteuert: Es werden viele Dinge eingeführt,doch welche werden wichtig sein? Kommt es zum Knall am Ende? Wenn der Poststreik endlich Nunquam durchliesse, könnte ich noch besser drauf antworten (langsam muss ich bestimmt schon einige Namen nachschlagen...)

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Everett "Erschütterung" (27.03.)

  • Und noch ein Frage an dich taliesin. Ich kann mich gerade nicht erinnern, aber hast du das Alexandria-Quartet nicht sogar schon mehrmals gelesen? Wie wirkt dann der Roman auf den Leser? Achtet man dann mehr auf Details, die der Erstleser erst mal fröhlich "überliest", die aber schon mal in unterschiedliche Richtungen hinweisen könnten?

    Ich habe das Quartett das erste Mal vor 30 Jahren gelesen und das ausgerechnet auf der griechischen Insel Kreta, sozusagen mit "Blick" auf Alexandria. Ich krame die
    Bücher so alle 6-7 Jahre mal wieder raus und lese manchmal den einen oder anderen Band wieder. Es eröffnen sich eigentlich immer wieder neue Blickwinkel und man
    entdeckt Dinge die man vorher vielleicht nicht so beachtet hat. Mit den eigenen Lebenserfahrungen kommen dann auch wieder neue Perspektiven auf, so dass dieses Buch
    für mich persönlich so eine Art Begleiter über die Jahre geworden ist.
    Es ist sehr schade, dass es keine Neuauflagen gibt, denn das Quartett hätte viel mehr Leser verdient. Einfach ein Buch, das man vor allem in Gedanken und Gefühlen
    noch lange bei sich trägt..

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Ich konnte heute Mountolive ungestört beenden und stehe noch völlig unter dem Einfluss des zuletzt gelesenen. Was für ein Ende! Im Grunde hätte ich es ahnen sollen, aber irgendwie hofft der menschliche Geist wohl immer auf das andere.



    Ich habe das Quartett das erste Mal vor 30 Jahren gelesen und das ausgerechnet auf der griechischen Insel Kreta, sozusagen mit "Blick" auf Alexandria.

    Ich glaube einen besseren Ort (höchstens noch Alexandria selbst) gibt es nicht wo man das Buch das erste Mal lesen kann. Das war mit ziemlicher Sicherheit ein sehr eindrucksvolles Leseerlebnis! Kreta wäre auch noch ein Traumziel für mich.

    Ich krame die Bücher so alle 6-7 Jahre mal wieder raus und lese manchmal den einen oder anderen Band wieder. Es eröffnen sich eigentlich immer wieder neue Blickwinkel und man
    entdeckt Dinge die man vorher vielleicht nicht so beachtet hat.

    So ein Buch zu haben, das einem die Jahre über immer wieder begleitet ist etwas ganz besonderes. :drunken: Ich freue mich da auch schon auf meine Wiederbegegnung und neuen Entdeckungen, aber erst mal noch "Clea" lesen und genießen.


    Mit den eigenen Lebenserfahrungen kommen dann auch wieder neue Perspektiven auf, so dass dieses Buch für mich persönlich so eine Art Begleiter über die Jahre geworden ist.

    Da sprichst du etwas an, dass mir sehr wichtig an Büchern ist. Ich finde es interessant wenn jemand ein Buch rein objektiv lesen und analysieren kann. Ich selbst gehöre eindeutig nicht dazu. Ständig läuft bei mir -mal bewusster, mal unbewusster- ein subjektives betrachten des gelesenen, mit ständigen Vergleichen zu meinem eigenen Leben und entsprechendem bewerten und verwerten des gelesenen. Kommt natürlich auch auf das Genre bzw. die Qualität des Buches an.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Bei Tunc war es weniger die Schwierigkeit, Situationen “richtig“ einzustufen, es fehlte eher der erkennbare Plan, auf den das Ganze zusteuert: Es werden viele Dinge eingeführt,doch welche werden wichtig sein? Kommt es zum Knall am Ende? Wenn der Poststreik endlich Nunquam durchliesse, könnte ich noch besser drauf antworten (langsam muss ich bestimmt schon einige Namen nachschlagen...)

    Ich vergesse immer, dass die Post noch streikt, weil sie es bei uns (noch?) nicht tut. Dann drücke ich dir mal die Daumen, dass "Nunquam" endlich bei dir ankommen wird. Bin doch schon auf deine Eindrücke gespannt!

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Und so beginne ich mit Clea, dem letzten Buch des Alexandria-Quartetts.


    Inhalt lt. Klappentext:
    Während des Zweiten Weltkrieges kehrt auch Darley nach Alexandria zurück. Im Zentrum seiner abschließenden Erzählung, dem vierten Buch, steht sein Verhältnis zu der Malerin Clea, die früher mit Justine eine erotische Beziehung verband; er trifft seine Freunde und Bekannten wieder - doch sie sind nicht mehr die alten, und die üppigen Farben der geliebten Stadt sind vom Schatten des Krieges überlagert.


    Auch hier wurde wieder ein Zitat von D.A.F. de Sade vorangestellt:
    Die primäre und berückendste Eigenschaft der Natur ist Bewegung, die sie zu allen Zeiten in Unruhe hält, aber diese Bewegung ist einfach die ununterbrochene Auswirkung von Verbrechen, allein durch Verbrechen wird sie erhalten.


    Diesmal ist es ein ganz anderer Übersetzer, nämlich Walter Schürenberg. Nach den ersten 3 Seiten würde ich behaupten, dass er die Qualität seiner Vorgängerin/nen halten kann, mal sehen wie es weitergeht. Der erste Eindruck ist in der Tat, wie von dir @taliesin ja schon treffend gesagt, ein melancholischer. Und jetzt freue ich ich mich schon aufs weiterlesen :montag:

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Der erste Eindruck ist in der Tat, wie von dir @taliesin ja schon treffend gesagt, ein melancholischer. Und jetzt freue ich ich mich schon aufs weiterlesen

    Habe Clea gerade aus dem Regal entführt und fange einfach mal wieder an zu lesen. Im Gegensatz zu allen anderen männlichen Charakteren der Geschichte, habe
    ich mich damals ziemlich sofort in Clea verliebt.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Ein tolles Erlebnis wieder in diese wunderbare Sprache einzutauchen. Schon auf den ersten Seiten wurde mir wieder bewusst, dass ich die folgende längere
    Passage immer als eine der Schlüsselstellen des Quartetts empfunden habe.



    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Die von dir genannte Stelle @taliesin habe ich mehrmals gelesen und hätte sie auch als eine Schlüsselstelle genannt.


    Ich lese und lese und schreibe nichts, weil ich völlig in das letzte Buch eingetaucht bin, aber da es ja eine Werkleserunde ist, könnt ihr mir sicher verzeihen :uups:


    Ich finde mich in einigen (aber beileibe nicht bei allen :wink: ) Gedankengänge von Durrell wieder die mit den Eindrücken der Vergangenheit und dem Vergleich zu Jetzt zu tun hat. Ist ja doch immer mit etwas Melancholie verbunden wenn man das Heute mit Gestern vergleicht.
    Wieder werden einige Einschätzungen völlig auf den Kopf gestellt. Herrlich! Ist doch wirklich wie im Leben. Da hat man eine Meinung über eine Person und schon ein paar Informationen mehr, lässt das ganze Gebilde in sich zusammensinken und neues entstehen. Und wirklich sicher kann man sich nie sein.


    Nun ja, und so trifft Darley auch wieder auf Justine, nur mit einem ganz anderen Ergebnis. Ich musste übrigens an die Pinselstriche eines Malers denken, als (die neue) Justine beschrieben wurde. Hier mal etwas am Auge verändert, da etwas zuviel Make-Up und schon hat man eine ganz andere Frau. Und wenn ich gehässig wäre, dann würde ich schreiben und jetzt hat sich ihr Inneres nach Außen gekehrt. :twisted: Dafür ein paar Pinselstriche an Clea geändert und siehe da, auch eine ganz Andere. Aber auch Darley hat sich verändert und ist nicht mehr der ganz naive Träumer von damals.


    Eine andere Lieblingsstelle fängt mit dem zweiten Kapitel an. Die Eindrücke des Krieges vermischen sich mit den Gedankengänge Darleys. In diesem zweiten Kapitel auch etwas anderes, das mir wie ein Tennismatch vorgekommen war. Das Gespräch zwischen Clea und Darley. Unterschieden nur zwischen "Sie" und "Ich". Da hatte ich tatsächlich das Gefühl, das mein Kopf sich beim lesen jeweils von links nach rechts bewegt. Ein merkwürdiges Leseerlebnis.


    Nicht so ganz folgen konnte ich erst den Ausführungen Pursewards in seinen "Meine Unterhaltungen mit Bruder Esel (Auszüge aus Pursewardens Notizbuch)". Aber dann kam eine tolle Stelle:



    Zitat

    Oder wenden wir uns einem anderen Aspekt der Sache zu. Du selbst sprachst doch eben von unserem Mangel an Wahrnehmungen in allen wechselseitigen Beziehungen - den Grenzen unserer Sicht überhaupt. Brav gesprochen! Aber ins Geistige übertragen kommen wir so zu dem Bild eines Mannes, der im Haus umhergeht und die Brille sucht, die er auf der Nase trägt. Sehen heißt Sich vorstellen! Und wie, Bruder Esel, könnte man das besser illustrieren als durch deine Art, Justine zu sehen: wechselnd angestrahlt von den elektrischen Leuchtzeichen der Einbildungskraft? Das ist offenbar nicht dieselbe Frau, die es sich in den Kopf gesetzt hatte mich zu erobern, und die schließlich durch mein sardonisches Gelächter abgeschreckt wurde. Was du an ihr als weich und anziehend empfendest, erschien mir als eine genau berechnete Härte, die nicht sie sich zurechtgelegt hatte, sondern die du in ihr hervorgerufen hattest.

    Was danach kam (Stichwort Suche nach Kind) hat mich nicht sehr überrascht. Irgendwie habe ich soetwas schon erwartet. Aber herrlich ironisch Pursewardens Ausführung finde ich.


    Eine andere sehr schöne Stelle war Darleys Reflektionen über die vertraulichen Briefe Pursewardens an dessen Schwester Liza.


    Stolpern tue ich über die Stellen von Inzucht. Bruder mit Schwester finde ich bei allen gedanklichen Verbindungen zu der Vergangenheit -Pharao- und den entsprechenden mythologischen Überlegungen dazu doch zu nah und die bloße Erwähnung (und das betreten) eines Kinderbordells. Wobei ich mir bei letzteren nicht ganz im klaren bin, ob sie real oder pure Fiktion war :-k Es war doch einiges sehr seltsam.... Fast wie im Märchen.


    Übrigens scheint der Krieg ohnehin einiges mehr an sexuellen Aktivitäten in Alexandria ausgelöst haben, wie sonst. Ich muss da gerade an das denken was Clea darüber erzählt. Aber keine Angst, wer hier jetzt mitlesen sollte, es wird nichts en Detail geschildert. Was ich im übrigen auch als ganz angenehm empfinde. :wink:


    Ich bin jetzt an der Stelle angekommen, bei der Pombal

    Doch ein Spoiler, nur zur Vorsicht. Sich das alles selbst zu erlesen, ist eines der Vergnügen an dem Buch.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Im Gegensatz zu allen anderen männlichen Charakteren der Geschichte, habe ich mich damals ziemlich sofort in Clea verliebt.

    Kann ich gut nachvollziehen, ist ja auch eine ganz besondere Frau. Wenn ich mich allerdings richtig erinnere, hat sich einer der männlichen Charaktere, Narouz, schon in sie verliebt. Wenn er auch nur von weitem sich getraut hatte sie anzuhimmeln. Bis auf ein einziges Zusammentreffen, bei der seine Liebe eindeutig nicht erwidert wurde und sie froh war ihn loszuwerden. Was ich mehr als gut verstehen konnte, der Typ ist ja nur .... ähm ja ... sagen wir mal unheimlich gewesen. Mit seiner Peitsche und seinem ganzen Gehabe.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Gestern habe ich "Clea" beendet. So ganz zufrieden bin ich mit dem Schluss des Buches (noch?) nicht. Das die Protagonisten letztendlich es nie schaffen miteinander zu kommunizieren ist klar. Und so wundert mich nicht was geschehen musste. Allerdings warum denn gleich so dramatisch? War ich eben noch völlig eingelullt bei den melancholischen Gedanken Darleys zum letzten Sommer und ahnte ich, dass mich hier kein Bollywood-Happy-End erwarten würde (was auch überhaupt nicht zum Buch passen würde), aber bei den Geschehnissen bin ich mir einfach noch unschlüssig was ich davon halten soll.


    Ich weiß, Werkleserunde und so, aber jetzt muss ich in einem Spoiler nach deinen Gedanken dazu fragen @taliesin.



    Das wäre aber meine einzige Kritik an diesem Buch. Ansonsten fand ich es einfach nur herrlich wie wunderbar melancholisch der Abschied von Alexandria beschrieben wurde. Durrells sehr bildhafte Sprache habe ich sehr genossen. Mein Lesezustand lässt sich gut mit diesen Smileys vergleichen: :drunken::pray:

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • aber jetzt muss ich in einem Spoiler nach deinen Gedanken dazu fragen taliesin.

    Die kommen auch noch, aber es ist schlicht zu heiß für einen Kommentar und vorher muss ich mir die Szene noch einmal durchlesen. Kommt aber............... :wink:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Eilt nicht :winken: Ich bin selbst gerade am überlegen ob ich in den Kühlschrank umziehen soll oder nicht. Mir ist das einfach zu heiß.


    Ich mag zwar mein aktuelles Buch, aber ich vermisse die Schreibweise von Durrell. Und ich denke ständig an all die Protagonisten und ihre Handlungen. Das kommt bei mir nur bei sehr guten Büchern vor. Die fünf Sterne hat es sich damit redlich verdient. Ich wollte auch noch auf etwas anderes eingehen, aber ich finde die Stelle einfach nicht. Mal sehen, wenn es kühler ist und ich besser nachdenken kann, dann fällt es mir ein wo es ungefähr sein könnte, was das suchen enorm erleichtern würde.


    Und damit mir der Abschied von Durrell und dem Alexandria-Quartett nicht arg zu schwer fällt, habe ich mir gleich noch das nächste Buch bestellt. "Schwarze Oliven" musste es einfach werden.

    Nimm dir Zeit für die Dinge, die dich glücklich machen.


    SuB-Leichen-Challenge 2024: Alle Bücher bis inkl. 2022 [-X

    Klassiker-Challenge 2024


  • Jippie! Endlich ist "Nunquam" angekommen, nach einem Monat, ausgebremst durch den Poststreik, und ich kann weiterlesen. Die ersten Seiten gefallen mir sehr gut. Der Anfang ist ein stimmiger Kontrapunkt zum Gewicht, was in "Tunc" auf den Freiheitsdrang gelegt wurde: Er spielt in einer Irrenanstalt, voller innerer Ungewissheit, ob die Hauptfigur verrückt ist oder nicht.


    Lustigerweise gibt es da ein Zitat, was sich sehr gut auch auf Durrells Vorliebe zu mehrbändigen, sich ergänzenden Werken, die Vorgänge und Konstellationen aus anderer Sichtweise beleuchten, anwenden lässt:


    Zitat

    Möchten Sie meine Methode kennenlernen? Sie ist einfach. Während ich an einem Buch schreibe (den ersten Teil könnte man Pulsschlag 103 nennen), schreibe ich über dieses ein anderes und dann ein drittes über das und so weiter. Vielleicht entsteht daraus eine neue Logik, wer weiß? Wie diese Affen auf den indischen Fresken (so menschlich und liebenswert wie einige englische Kritiker), die nur tanzen können, wenn der eine seinen Zeigefinger in den Hintern des anderen bohrt. Das wäre meine Art, die Dinge zu bewerkstelligen.

    (S. 13, Hervorhebung im Original)
    :lol:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Everett "Erschütterung" (27.03.)

  • Da sind mir doch gleich noch drei zitierwürdige Stellen untergekommen, die gut miteinander harmonieren. Zunächst auf Seite 24, dort in Klammern gesetzt:

    Zitat

    Das Kernproblem allen Verstehens ist dieses: Man kann sich nicht selbst mental vergewaltigen, weil der Gedanke seinen eigenen Schatten erzeugt, sein eigenes Licht absperrt, die klare Sicht verhindert. Der Akt der Intuition oder des Sich-selbst-Erkennens kommt erst zustande durch ein Partnerobjekt, wie es in der Parasitologie der Wirt ist.

    Dabei würde ich gerne wissen, was im englischen Original statt "vergewaltigen" steht. Das klingt mir doch etwas zu eindeutig. :scratch:
    Das zweite Zitat, das mir klar macht, mich mal genauer mit einer bestimmten Wortbedeutung und -herkunft genauer beschäftigen zu müssen, kommt fünf Seiten später auf Seite 29:

    Zitat

    Der Glaube ist nur eine Form der Intuition.

    Als kleine erste Erinnerung bringt Wikipedia folgenden Einleitungssatz: "Die Intuition oder das Bauchgefühl ist die Fähigkeit, Einsichten in Sachverhalte, Sichtweisen, Gesetzmäßigkeiten oder die subjektive Stimmigkeit von Entscheidungen zu erlangen, ohne diskursiven Gebrauch des Verstandes, also etwa ohne bewusste Schlussfolgerungen. Intuition ist ein Teil kreativer Entwicklungen. Der die Entwicklung begleitende Intellekt führt nur noch aus oder prüft bewusst die Ergebnisse, die aus dem Unbewussten kommen."


    Dazu passt, das wenige Zeilen vor dem zweiten Zitat noch folgender "Sinnspruch" vermerkt ist:

    Zitat

    Je mehr wir über das Wissen wissen, desto weniger fühlen wir das Gefühl.

    Immerhin ist die Hauptfigur Felix ein genialer Erfinder ...


    Mal sehen, was da noch kommt! :winken:

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Everett "Erschütterung" (27.03.)