Teil 2, Kapitel 4, Spastika, Seite 294 – 311:
In diesem Kapitel wird deutlich, dass im Big Byz nichts tatsächlich zu existieren scheint, überall wird ein Stück „Wirklichkeit" in Form von 3D-Proejtionen vorgegaukelt. So auch bei der Ausstellung zum Gedenken an den berühmten „Trug“ (alias Bernard-Henri) auf einer „Lichtung im Wald“.
Kaya und Chloe erscheinen im Schlampenoutfit gleichen Modells, was natürlich keine Sympathie zwischen den beiden aufkommen lässt, wie es der Ehrencode unter Zicken nun mal gebietet. Übrigens trägt Kaya die rechte Augenbraue grün geschminkt, deshalb also das Buch-Cover.
Nächster Faux-Pas: Grimm hält Kaya für Damilolas Tochter (wäre wahrscheinlich jedem passiert, der Faux-Pas liegt doch eher darin, dass Damilola eine so junge Sure besitzt).
Kayas Programmierung in Bezug auf Takt und sympathieerweckenden gesellschaftlichen Umgang scheint nicht sonderlich gelungen: Sie quatscht auf S. 299/300 jede Menge hochgestochenen und abstrusen Unsinn, der es mir nicht einmal wert zu sein scheint, die Unlogik darin zu analysieren. Man wundert sich nur, dass so eine teure Sure so einen geballten „Bullshit“ (O-Ton Damilola) von sich gibt. Doch andererseits ist dieser Unsinn doch nicht verwunderlich, da es sich um einen Auszug aus Bernard-Henris „Les feuilles mortes“ handelt, der zudem von einer Textverfasser-Software zusammengestellt wurde (wie auf S. 21/22 von „SNUFF“ erklärt wurde, war das ein „kreativer Schreibassistent mit Französich-Modul“). Auf jeden Fall wirkt Kayas Gerede taktisch ein bisschen unklug, weil sie Grimm eher verunsichert und verschreckt.
Eines der Ausstellungsstücke macht auf die Gasflaschenbombe aus dem letzten Krieg aufmerksam (Seite 302), und es fällt die Bemerkung, dass dies bereits als Begründung für den nächsten Krieg hergenommen werden könnte. Diese Sinnlosigkeit und Dauerhaftigkeit der Gewaltspirale ist einfach deprimierend, und noch schlimmer, weil von den Orks überhaupt nicht agiert oder reagiert werden kann, und alles von der Seite des Big Byz kontrolliert und gesteuert wird.
Ich zitiere aus „Les feuilles mortes“ (S. 302/303):
Zitat von Viktor PelewinSNUFF – das ist das Leben selbst, mit der Liebe im Zähler und dem Tod im Nenner. Ein solcher Bruch hat gleichzeitig den Wert Null und Unendlich – wie auch Manitu, der diesen Bruch einfordert.
Dieses Zitat steht auch im Klappentext. Klar, es klingt aufs erste Lesen unheimlich cool und intelligent formuliert und zieht gleich die Aufmerksamkeit auf sich. Aber was soll dieser Satz eigentlich bedeuten, das fragt sich Grimm auf S. 302 unten, und völlig berechtigt fragt er sich das, wie ich meine. Ich hatte zwar selbst mal im Aldous Huxley - Time must have a stop (ab 12.09.2014)']Thread zu „Time must have a stop“[/url] von Werten, die gleichzeitig gegen Null und gegen Unendlich gehen, geschrieben, aber das war auf zeitliche Unendlichkeit, also auf den Begriff der Ewigkeit angewendet. Dass man beim Begriff des Lebens dieLibe in den Zähler und den Tod in den Nenner setzt, klingt zwar absolut "Wow!", aber verstehen tue ich dieses Konzept nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Der zitierte Satz klingt für mich ein bisschen nach verbaler Schaumschlägerei.
Es gibt noch weitere Auszüge aus Bernard-Henris Werk auf der Ausstellung:
Zitat von Viktor PelewinDas Regime besteht aus denjenigen, die in diesem Regime gut leben.
…
Daher rührt das schreckliche Ehrlichkeitsdefizit bei denen da unten, denn jede Neue Aufrichtigkeit der Orks ist nichts anderes als eine in Vergessenheit geratene alte Lüge.
Und so etwas aus der Feder eines Diskurskrämers aus dem Big Byz, der mit manipulierten Nachrichten seinen Lebensunterhalt bestritten hat. Leider kommen mir auch hier gleich wieder Analogien zur postsowjetischen Zeit hoch, als gerade solche Ex-Funktionäre irgendwelche Machenschaften aus Zeiten der UDSSR aufdeckten, bei denen sie selbst Mittäter oder gar Verursacher gewesen waren. Oder andere Beispiele aus den Nachrichten westlicher Länder, aber solche deprimierenden Einsichten schlagen mir zu sehr auf die Stimmung.
Weiter in der Handlung:
Da Chloe sich mit Aljona-Libertina bereits abgeseilt hat, besuchen Grimm, Damilola und Kaya ohne sie ein angeblich extrem exklusives Restaurant mit afrikanischer Küche im Stadtteil „London“, d.h. die 3D-Aussicht im Restaurant ist die, die man vom Uhrwerk des Big Ben hätte, wenn man da drin stehen würde. Es kommt klipp und klar zur Sprache, dass man nicht in Stadtvierteln zusammenwohnt, sondern dass man sich durch die geographische Exklusivität der 3D-Aussicht voneinander unterscheidet. Die London-Aussicht ist die teuerste überhaupt, aber auch Paris gilt als exklusiv, und für die Toskana-Aussicht in seinem Haus scheint Bernard-Henri auch teures Geld bezahlt zu haben.
Kayas Programmierung in Sachen Takt ist eindeutig nicht die beste, denn nun fragt sie Grimm ganz direkt, ob er an Liebe auf den ersten Blick glaube. So etwas macht jemand mit normalen Hemmschwellen einfach nicht. Wirkt so etwas nicht auch auf Männer abschreckend? Ich würde bei so einer Frage von jemand, dem ich zum ersten Mal begegne, anfangen zu rennen … Da hat meiner Meinung nach die Maximal-Einstellung bezüglich „Verführung“ ganz grob versagt.
Als Grimm Kayas Frage, was denn Liebe für ihn sei, damit beantwortet, dass es einem mit jemandem gut gehe (S. 310), fragt Kaya total autistisch zurück, auf wen sich denn das "Gutgehen" bezöge, auf einen selbst oder auf die geliebte Person. Da hapert's aber gewaltig bei ihrer Programmierung - Damilola, die Frau hat einen echten Produktionsfehler, wenn sie es nicht schafft, den Ausdruck "Liebesbeziehung" und "Gutgehen für beide" miteinander in Verbindung zu bringen! Sofort zurück ins Werk und den Betrieb wegen versteckter Mängel an der gelieferten Sure verklagen!
Und für Kaya bedeutet Liebe, dass man den, den man liebt, retten will. Je schwieriger die Situation, desto größer die Liebe! Ja meine Güte, die Frau wurde anscheinend mit Schmonzetten-Inhalten programmiert - washat denn die im Hirn: Iny Lorentz?! Grimm, renn' weg, ganz, ganz schnell, bitte! So eine übergießt Dich mit Benzin und schmeißt Dir ein Bic-feuerzeug an den Kopf - damit sie Dir ihre Liebe beweisen kann!
Der liebe Grimm tut das einzig Richtige - er geht nicht darauf ein, sondern fragt:
Zitat von Viktor Pelewin bzw. Grimm"Was habt Ihr denn für eine Aussicht aus dem Fenster?"
Da habe ich doch wenigstens zum Ende des Kapitels noch einen Lacher abgekriegt, und Grimm übrigens eine Einladung von Damilola zu sich nach Hause ...