Viktor Pelewin - Snuff (Start: 29.05.15)

  • Ist das richtig, wenn ich denke, dass "Orks" in unserer Zeit nur auf Tolkiens Mittelerde existieren? Oder gibt es andere Schriftsteller (aus anderen Jahrhunderten als der antiken römischen Zeit), die Wesen aus der Unterwelt oder ähnlich Schlimmem als Orks bezeichnet haben?


    Ich wüsste nicht, das es vor Tolkien diese Bezeichnung irgendwo schon gab, aber in den Anmerkungen des Übersetzers steht, dass das Wort Urk von Urka abgeleitet
    ist und im russischen Slang >Gauner< bedeutet. Da Tolkien nebenbei auch ein ziemliches Sprachgenie war, traue ich ihm durchaus zu aus `Urk` einen `Ork` gebastelt zu
    haben.


    mit seinen Fallstricken und Seiltänzen auf unserer sogenannten Realität ohne Netz und doppelten Boden ... ich bin mir immer noch nicht sicher, ob da wirklich Philosophie dahinter steht oder auktoriale Taschenspielertricks?


    Mir gefallen diese Ausflüge in eine andere Wirklichkeit und ich denke, der Autor will dem Leser auf jeden Fall nahebringen, dass unsere gewohnte Realität nicht so
    sicher und gegeben ist, wie wir zu glauben gelernt haben. Von diesem Standpunkt aus gesehen hat das sicher auch ein philosphisches Element. Mal schauen wie sich
    das noch entwickelt. Vielleicht doch alles nur Täuschung?


    Sie ist ja linksdrehend, also kein NS-Symbol, sondern es muss sich wohl um das Sanskrit-Symbol für "Heil und Segen" handeln.


    In den Anmerkungen sagt der Übersetzer, dass das Logo eine Zusammensetzung aus dem orthodoxen und dem Hakenkreuz ist. Die alte Bedeutung ist Heil und Segen, oder
    auch Erlösung. Das Symbol der Swastika taucht in vielen verschiedenen Formen auf und ist wohl so um die 6000 Jahre alt. Bei einigen Indianerstämmen hatte es die Bedeutung
    der aufgehenden Sonne.


    So, jetzt lese ich das erste Kapitel noch einmal und schaue mal, wie ich das zusammenkriege. Bei all den Verrücktheiten, aber auch einigen aktuellen Bezügen, wird das nicht so
    einfach.


    :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Ich wüsste nicht, das es vor Tolkien diese Bezeichnung irgendwo schon gab, aber in den Anmerkungen des Übersetzers steht, dass das Wort Urk von Urka abgeleitet


    ist und im russischen Slang >Gauner< bedeutet. Da Tolkien nebenbei auch ein ziemliches Sprachgenie war, traue ich ihm durchaus zu aus `Urk` einen `Ork` gebastelt zu


    haben.

    Beim sprachlichen Ursprung von Tolkiens Orks habe ich mal vor zig Jahren eine Doku zu Mittelerde und Tolkien und Verfilmung gesehen. (etc. etc. Es gab Zeiten, da hatte man den Eindruck, die Welt bestünde nur noch aus Mittelerde. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich plötzlich auf einen Nachrichtensender mit „News from Middle Earth“ im Senderdurchlauf gestoßen wäre). Da war die Rede vom lateinischen Wort „orcus“ (=Schattenwelt, Unterwelt) als Ursprung für „Ork“, und "Gandalf" stamme angeblich aus einer „Lieder-Edda“ und sei angeblich ein Zwergenzauberer. Ich kann das evtl. glauben, weiß aber selbst nicht, ob das nun stimmt oder nicht. Ich habe zwar versucht, mich wegen isländischer Autoren in die Edda einzulesen, doch völlig erfolglos. Dafür kann ich nicht so rechtes Interesse aufbringen. Auch wenn es sicherlich gut wäre, solche alten literarischen Dokumente zu lesen, um Einflüsse auf unsere historischen Vorstellungen kennen zu lernen, kann ich mich nicht dazu durchringen. Sehr interessant finde ich auch, wie Tolkien mit seiner eigenen Deutung zu „Beowulf“ die Historikerbehauptungen in Frage gestellt hat, aber dieses Epos selbst zu lesen, dazu reicht mir die Geduld irgendwie nicht.





    Ich versuch' mich mal mit Kommentaren bis S. 20 im Buch:


    Schwierig, wo fängt man an? Auf den ersten vierzehn Seiten wird die Vorstellung von Realität schon mal partiell bzw. total zunichte gemacht. Kein Wunder, dass Du dem Erzähler Damilola nicht traust, @taliesin, weil er erstens in einer Art mentalen Möbiusschleife zu existieren scheint und zweitens nicht gerade vertrauenswürdig daherkommt (wobei ich nicht sicher bin, ob es nicht sein Umfeld, seine „Existenzbedingungen“ sind, die Misstrauen erwecken).


    Nochmal von vorn: Damilola hat ein paar Memoiren geschrieben, über einen gewissen Ork Grimm und eine gewisse Chloe. Diese Geschichte will er als letzter "Sommelier" (Begriff noch nicht geklärt, aber sicherlich kein französischer Weinkellner) dem Manitu (steht laut Anmerkung für Computer, als Homonym für „money, too“, wird aber auch in gedruckter Form als Tauschmittel verwendet, gilt auch als oberste Gottheit, und fungiert nebenbei als Tarnelemente für seine „Hannelore“ (Begriffsklärung erfolgt später)) erzählen. Die aktuelle Situation im Buch scheint eine dystopische zu sein.


    Orks sind angeblich genauso Menschen wie der Erzähler Damilola, unterscheiden sich aber durch ihre Amtssprache „Hochmittelsibirisch“, die anscheinend durch ein Drogenkartell eingeführt wurde, und grammatikalisch hochkompliziert ist. Ach ja, bevor ich es vergesse, die USA und China sind zum Zeitpunkt von Damilolas Bericht bereits zerfallen. Das Drogenkartell heißt Aztlán (das ist die den Azteken prophezeite Insel mit einem Adler auf einem Nopal-Kaktus, der eine Schlange im Schnabel hat, auf der die Azteken sich niederlassen und ihre Kultur gründen sollten. - Na toll, wenn als einziges von dieser Kultur Drogenkartelle übrig sind, was aber zur heutigen wirtschaftspolitischen Situation Mexikos gar keine so abwegige apokalyptische Extrapolation darstellen würde, leider …) und seine Betreiber heißen anscheinend Aztlan-Nagualen. (Ein Nagual ist bei den Azteken ein verborgenes Tier, das im Inneren / im Geiste jedes Menschen angelegt ist und das unter bestimmten Bedingungen nach außen hin sichtbar werden und dem Träger bestimmte Kräfte und Werte verleihen kann. Wahrscheinlich ist dieses Konzept ähnlich wie das Shapeshifting im Glauben bestimmter nordamerikanischer Indianerstämme (Apachen, Cheyenne, Cherokee … ?( ?)).
    Die Orks scheinen ein politisch leicht beeinflussbarer Menschenschlag zu sein, dem man nur von irgendwelchen politischen/regierungstechnischen Ungerechtigkeiten erzählen muss, und schon starten sie revolutionäre Bewegungen. Dabei geht der Ausdruck „Ork“ anscheinend auf „Urk“ zurück (sh. Zitat Barde oben bezüglich der Anmerkung des Übersetzers „urk“ = russischer Slangausdruck für „Gauner“), und Urks leben in der „Urkaine“, womit jetzt jeder darüber nachdenken kann, welche Assoziation dieser Begriff wohl im Leser wecken mag. :loool:


    Damilola dreht Filme als Videokünstler, macht Aufnahmen im Auftrag des Unternehmens CINEWS, und agiert für das Unternehmen als Kampfpilot. Um die Aufnahmen muss er sich nicht in journalistischer Tätigkeit vor Ort bemühen und physisch in Gefahr begeben, er tut dies mit Hilfe seiner „Hannelore“, einer getarnten Drohne, die er von einer Art Standmotorrad von zu Hause aus steuert. Man kommt vom Hundertsten ins Tausendste, wenn man jetzt auch noch auf die Beschreibung der Hannelore eingeht (ich sage nur "Mongolensattel" und "Dürers apokalyptische Reiter" :lechz: oder "Anspielung auf Joschka Fischer"). So, wie Pelewin das 'rüberbringt, dass Damilola gleichzeitig Kampfpilot ist, klingt das irgendwie wie der Traumjob jedes übergewichtigen Bundeswehrsoldaten.


    Noch mal zum Aspekt des möbiusschleifenartigen Realitätsbegriffes:

    Zitat von Pelewin auf S. 12

    Wenn wir über meine Arbeit sprechen wollen, so bin ich Schöpfer der Wirklichkeit.
    Ich bin keineswegs ein Verrückter, der sich einbeildet, göttlich zu sein oder Manitu zu gleichen. Im Gegenteil, ich schätze die Arbeit, für die man mich so schlecht bezahlt, sehr nüchtern ein.
    Jede Wirklichkeit ergibt sich als Summe von Informationstechniken. Dies gilt im gleichen Ausmß für den Stern, den der Verstand aus den Impulsen des Sehnervs abliest, wie auch für die orksche Revolution, über die man in der Nachrichtensendung berichtet. Auch die Tätigkeit der Viren, die entlang des Nerventraktes angesiedelt sind, gehört zu den Informationstechniken. Ich bin nun also zugleich Auge, Nerv und Virus. Ferner das Mittel, um die Augen auf ein Ziel zu lenken, wie auch (hier wechsele ich zum zarten Flüsterton) zwei Schnellfeuerkanonen an dessen Seiten.

    Zitat von Pelewin auf S. 13

    Dankbar verwende ich die Bezeichnungen Kameramann und Videokünstler. Doch in der Tiefe meiner Seele verstehe ich natürlich sehr gut, was ich da eigentlich mache. Wir alle verstehen es in der Tiefe unserer Seelen gut, denn genau an diesem Ort, der ewigen Finsternis, in der das Licht unserer Vernunft geboren wird, wohnt Manitu, und er erkennt das Wesentliche durch beliebige Wortfetzen hindurch.

    Hier liegt meines Erachtens der Gedankengang, der sich selbst auffrisst bzw. der sich selbst zum Opfer fällt (Da fällt mir ein, dass DFW ganz früh mal eine surreale Kurzgeschichte über einen fliegenden Vogel geschrieben hat, der, im Kreise fliegend, sich selbst verfolgt, bis er sich von hinten selbst vertilgt, oder so ähnlich ging diese Geschichte): Damilola macht Aufnahmen, die zur schöpferischen Herstellung von Wirklichkeit dienen, obwohl sich der Erzähler nicht als Manitu sieht. Gleichzeitig weiß er und angeblich alle anderen auch, dass Manitu in der Tiefe unserer Seelen wohnt.
    Wenn man jetzt noch versucht, über die erste Seite nachzudenken, auf der davon die Rede ist, dass Damilola die Geschichte um Grimm und Chloe bei der „Invokation des Singulären“ erzählen möchte, soll man dann den „Singulären“ mit Manitu gleichsetzen? Dann wird es nämlich noch wirrer ...



    Ich nehme an, dass es im Laufe des Buches noch genügend Gelegenheit geben wird, über philosophische Dialektik nachzudenken, also ob der Geist die Wirklichkeit abbildet, oder ob die Wirklichkeit das Produkt unserer Geisteswelt ist. Die paar Anfangsseiten im Buch riechen meines Erachtens ganz schön streng nach dieser Frage, die Pelewin in seinem Roman „Die Dialektik der Übergangsperiode von Nirgendwoher nach Nirgendwohin“, ebenso in „Buddhas kleiner Finger“ und in ein paar der Kapitel in „Das Leben der Insekten“ aufgreift.




    Dann noch ein paar witzige Formulierungen (ich zumindest fand sie witzig 8-[ ):


    Auf der ersten Seite (S.9) empfiehlt der Erzähler als Beschäftigung in Augenblicken innerer Zerrüttung u.a. tibetisches meditatives Sticken (ich tue den ganzen Tag nichts anderes), oder auch die nahezu vergessene Kunst des Schreibens von Büchern. :wink:

    Zitat von Pelewin auf S. 12

    Wenn wir von meiner kulturellen und religiös-politischen Selbstwahrnehmung sprechen wollen (dies ist natürlich eine rein konventionelle Angelegenheit, doch müsst ihr verstehen, wessen Stimme durch die Zeitalter hindurch zu euch dringt), so bin ich post-antichristlicher Laien-Existentialist, liberativer Konservaler, verliebter Knecht Manitus und einfach ein freier und freischaffender Mensch, gewohnt, über alles in der Welt mit meinem eigenen Kopf nachzudenken.

    Zitat von Pelewin auf S. 19 unten

    In den Dörfern der Orks bricht man bis heute beim Anblick einer Mikrowelle in religiösen Schrecken aus. Sie verstehen nicht, wie das vor sich geht: es ist kein Feuer da, den Hamburger berührt niemand, und er wird immer heißer und heißer. Dabei ist das doch ganz einfach: Man erzeugt ein elektromagnetisches Feld, in dem die Teilchen, aus denen der Hamburger besteht, stürmisch bewegt werden. Die Revolutionen der Orks werden genauso zubereitet wie Hamburger, nur mit dem Unterschied, dass die Scheißpartikel in den Schädeln der Orks in Bewegung gesetzt werden, und zwar nicht durch ein elektromagnetisches Feld, sondern durch Informationen.



    Nur noch eins: auf Seite 13 wird ein "Präsirator" erwähnt, dessen Begriff bisher noch nicht geklärt ist.



    Bisher habe ich erst die Hälfte des ersten Kapitels gelesen und mein Hirn bombardiert sich schon mit Assoziationen und Nebengedanken zu Tode – memory overflow – error. Wie man so viel Info auf so wenigen Seiten unterbringen kann, funktioniert ja wirklich nur, wenn man als Autor lauter neuronale Stimulanten, also Reizworte aneinanderkettet, die evtl. ein Vexierbild hinter dem vordergründigen Geschehen ergeben werden.
    Das fühlt sich an wie ein Eykalyptusbonbon im Hirn. Plötzlich atmet man nicht mehr mit der Lunge, sondern mit dem Gehirn, scheint es.



    Ich glaube, dass man nach den allerersten Kapiteln sicherlich weniger kommentieren muss, doch in der Ausgangssituation muss man sich erst mal zurechtfinden. (Das soll eine Entschuldigung für meinen ausführlichen Kommentar sein. Geht das als solche durch? :uups: )



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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Woow. Ich hatte einen recht vergnüglichen aber auch ziemlich anstrengenden Vormittag mit dem ersten Kapitel. Der Mann lässt ja fast schon zuviel Informationen
    auf den Leser prasseln. Das ist eine nette Achterbahnfahrt für Hirn (und auch für die Lachmuskeln).
    Diese postapokalyptische Welt weist allerdings auch einige recht aktuelle Segmente auf.



    Wir leben in einer visuellen Gesellschaft, und der Gesamteindruck des Geschwätzes auf dem Bildschirm wird nur zu einem Fünfzehntel von inhaltlichen
    Faktoren bestimmt; alles andere macht das Bild.


    Zumindest in dieser Sache scheinen wir heute der Postapokalypse recht nah, denn in unsrer Realität hat die Form ihren Siegeszug über den Inhalt schon begonnen.


    weil er erstens in einer Art mentalen Möbiusschleife zu existieren scheint und zweitens nicht gerade vertrauenswürdig daherkommt (wobei ich nicht sicher bin, ob es nicht sein Umfeld, seine „Existenzbedingungen“ sind, die Misstrauen erwecken).


    Eigentlich eine Albtraumwelt, eine Welt der absoluten Kontrolle über die Menschen, die Medien und das komplette Dasein. Das übliche Rebellenschema trifft auf den Erzähler
    nicht zu. Er geht ja förmlich in seiner Arbeit auf, auch wenn sie darin besteht zu bespitzeln und ab und an mal einen Krieg für das TV zu inszenieren.


    (Ein Nagual ist bei den Azteken ein verborgenes Tier, das im Inneren / im Geiste jedes Menschen angelegt ist und das unter bestimmten Bedingungen nach außen hin sichtbar werden und dem Träger bestimmte Kräfte und Werte verleihen kann. Wahrscheinlich ist dieses Konzept ähnlich wie das Shapeshifting im Glauben bestimmter nordamerikanischer Indianerstämme (Apachen, Cheyenne, Cherokee


    Das Prinzip des Nagual gibt es auch bei den in Mexiko lebenden Yaqui Indianern (Carlos Castaneda - Eine andere Wirklichkeit/Gespräche mit Don Juan). Hier wird das
    Nagual nicht als Tier, sondern als eine andere Wirklichkeit beschrieben, die erfahrbar und wahrnehmbar "neben" unserer Realität existiert.


    So, wie Pelewin das 'rüberbringt, dass Damilola gleichzeitig Kampfpilot ist, klingt das irgendwie wie der Traumjob jedes übergewichtigen Bundeswehrsoldaten.


    Der Kampfpilot der zuhause mit dem Joy-Stick und einem Fläschle Bier auf Erkundungstour in die Köpfe seiner Mitbürger geht.


    Wenn man jetzt noch versucht, über die erste Seite nachzudenken, auf der davon die Rede ist, dass Damilola die Geschichte um Grimm und Chloe bei der „Invokation des Singulären“ erzählen möchte, soll man dann den „Singulären“ mit Manitu gleichsetzen? Dann wird es nämlich noch wirrer ...


    Manitu als Gottheit, vor der unser Erzähler nach eigener Aussage bald stehen wird um seine Geschichte vor dem "Antlitz des Ewigen" zu erzählen, dann muss das eigentlich
    der/das "Singuläre" sein.
    Aber Manitu ist auch ein Computer und Geld wird ebenso bezeichnet. Das klingt dann nicht mehr ganz so philosophisch und wir drehen uns im Kreis.
    Mal schauen inwieweit Pelewin seine Geschichten aus der Anderwelt weiter entwickelt. Dein Bild mit dem Eukalyptusbonbon gefällt mir, weil ich mich ähnlich gefühlt habe.


    :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Ich hatte vergessen diese schöne Darstellung des Sinns und Zweckes einer Nachrichtensendung zu posten.



    Wenn es um Nachrichtensendungen geht, dürfen wir die Schilderung der Ereignisse nicht fäschen. Doch wie die Theologen meinen, wird Manitu nicht
    zürnen, wenn wir den Ereignissen ein wenig auf die Sprünge helfen. Selbstverständlich nur ein kleines bisschen und diese Gratwanderung beherrschen
    nur die wirklichen Profis. Solche wie ich und Bernard Henri. Wir fälschen keine Wirklichkeit. Doch wir können ihr sozusagen mit einem Kaiserschnitt
    helfen, das, womit sie schwanger geht, ans Tageslicht zu fördern, an passender Stelle und zum richtigen Zeitpunkt.


    Ist das zynisch! Sie fälschen keine Wirklichkeit, nein, aber sie erschaffen eine ihnen zu Gute kommende Wirklichkeit. Wenn man die Ursache selbst erschafft, kann
    man die Wirkung so schön manipulieren.

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  • Ich hatte vergessen diese schöne Darstellung des Sinns und Zweckes einer Nachrichtensendung zu posten.


    Ist das zynisch! Sie fälschen keine Wirklichkeit, nein, aber sie erschaffen eine ihnen zu Gute kommende Wirklichkeit. Wenn man die Ursache selbst erschafft, kann
    man die Wirkung so schön manipulieren.

    Das kommt erst in der zweiten Hälfte des ersten Kapitels, und die hatte ich oben noch gar nicht kommentiert :uups: . Ich muss gestehen, dass ich etwas undiszipliniert war - ich war im zweiten Kapitel leicht enttäuscht und habe gucken wollen, ob es sich wieder bessert - und jetzt bin ich bei Seite 80 (das müsste schon im vierten Kapitel sein) - sorry :lol: (ich habe mich irgendwie festgelesen ...) . Leider habe ich mir nur Notizen gemacht bis Ende des ersten Kapitels. Deshalb muss ich über das zweite Kapitel noch mal drüberlesen, bevor ich den Rest des ersten und das zweite kommentiere. Das werde ich dann aber erst morgen tun, denn es war ein bisschen hektisch bei mir, aber für morgen sieht es ruhiger aus.

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  • Deshalb muss ich über das zweite Kapitel noch mal drüberlesen, bevor ich den Rest des ersten und das zweite kommentiere. Das werde ich dann aber erst morgen tun, denn es war ein bisschen hektisch bei mir, aber für morgen sieht es ruhiger aus.


    Kein Problem. Ich fand übrigens auch, dass Pelewin es im zweiten Kapitel etwas übertreibt mit der Beschreibung dieser seltsamen Welt. Zuviel Verrücktheiten schrecken
    mich ab und einige Beschreibungen sind dann eher unnötig, weil sie der Geschichte auch etwas den Schwung nehmen.


    Bin aber noch bei Kapitel 2 und warte ab, bis du morgen wieder einsteigst, weil ich ehrlich gesagt einen Höllentag hinter mir habe und etwas Ruhe brauche. :sleep:

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  • So, dann mal zur zweiten Hälfte des ersten Kapitels (S. 21 bis 29):


    Damilola erläutert uns hier ein kleines bisschen mehr seine berufliche Tätigkeit als "Sommelier / Kampfpilot". Er hat einen Partner, einen sogenannten "Diskurskrämer", mit dem er zusammenarbeitet, Damilola bezeichnet sich selbst als Begleitflieger und Kamermann für die Aufnahmen verantwortlich, Bernard-Henri Montaigne Montesquieu dagegen als Kriegsberichterstatter und Kanonier. Damilola sieht irgendwo Bernard als gemeinen "Soldat" und sich selbst als Vorgesetzten (ich finde leider die Stelle im Text nicht mehr) - davon glaubt man als Leser dem lieben Damilola praktisch nichts, denn Damilola wirkt wie ein Aufschneider, er driftet in Richtung "unzuverlässiger Erzähler". Schon allein, dass er eine Seite später Bernard-Henri als "gewissen haften Profi" bezeichnet, weil dieser mithilfe einer Eingabe eines einzigen altfranzösichen Zitats durch eine Textbaustein-Software ein Philosophie-Buch auf altfranzösich herausgegeben hat, ist ein echter Witz. Bernards Arbeit scheint genauso ein Fake zu sein wie die von Damilola auch. Beide machen sich etwas vor und sind im Grunde genommen nur Großmäuler.
    Ihr neuer Arbeitsauftrag besteht darin, eine Aufnahme zu kreieren, die sich als Kriegsvorwand für Krieg 221 politisch verwenden ließe (Wer soll da eigentlich wem den Krieg erklären?). Um einer geeigneten Aufnahmesituation manipulativ auf die Sprünge zu helfen, greifen beide auf eine anscheinend bereits alt bewährte "Damsel in distress"-Situation zurück.


    In Damilolas Schilderung bekommt man immer stärker den Eindruck, dass er sich selbst und seinen Partner als eine Art Priester einer grotesken, von Dekadenz, Macht- und Kontrollhunger und materieller Gier geprägter Religion sieht (OK, sorry, im Moment taucht in meinem Hirn wieder mal die Frage auf, ob sich denn institutionelle Hierarchien einiger heutiger Religionen von den für Damilolas Religion genanten Charakteristika wirklich unterscheiden oder vielleicht doch eher diese als Gemeinsamkeiten aufweisen ... sorry, ich bin abgeschweift ...): es ist die Rede von Heiligtums-Zelluloid und alten Riten, weil angeblich "Manitu es so will", oder der Spruch "Thou shalt keep thy newsreel wholesome". Wobei die dargestellte Ethik ihrer Form von Journalismus als äußerst fraglich beurteilt werden muss, so wie Damilola sie beschreibt:

    Ist das zynisch! Sie fälschen keine Wirklichkeit, nein, aber sie erschaffen eine ihnen zu Gute kommende Wirklichkeit. Wenn man die Ursache selbst erschafft, kann
    man die Wirkung so schön manipulieren.

    Da kann man nur mit dem Kopf schütteln. Damilola scheint zu seinem eigenen Besten tatsächlich zu glauben, dass das, was er da macht, Kunst und Fertigkeit erfordert, und er scheint sich auf irgeneine verdrehte Art und Weise zu den "Guten" bzw. zu den weniger Schlimmen zählen zu wollen.


    Dann steuert Damilola seine Hannelore auf eine einsame Gegend in Orkland zu, während Bernard direkt vor Ort abgesetzt wird (Ich werde an dieser Stelle keinen Kommentar bezüglich Wagemut und Memmenhaftigkeit in der Rollenverteilung der beiden starten, das ist auch so schon offensichtlich genug). Bernard muss sich gleich mal die Hucke zukiffen, angeblich, damit er später bei der Berichterstattung cool bleibt ( :-, ). Die Gegend in Orkland ist ein Sumpfland, auf dem die Orks ihre Toten bestatten, und die für weitere Besonderheiten bekannt ist: zum einen lebten dort weise Orks, die anderen Orks auf der Grundlage des "Buches der Orkasmen" wahrsagten ( #-o ) , und zum anderen ist es ein beliebter Tummelplatz für jugendliche Orks, die diese Gegend als "Äquivalent zur herkömmlichen hinteren Kinoreihe" verwenden.


    Barde, mit folgendem Kommentar werde ich Dir sicherlich die gesamte MLR hindurch auf den Keks gehen: Phantasie hat der Herr Pelewin, das muss man ihm lassen. Da kann sich für meine Begriffe ein Großteil von Fantasy- und Sci-Fi-Autoren ein Riesenstück von abschneiden!



    Später noch zu Kapitel zwei ...

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  • Kapitel zwei, übertitetelt mit dem "Spastika"-Symbol (S. 30 bis 46):


    Dieses Kapitel ist in der dritten Person aus der Sicht des jungen Orks Grimm geschrieben. Er versucht angestrengt, sich zum entscheidenden Schritt körperlicher Nähe zur hübschen und ungeschminkten Chloe (die Ungeschminktheit wird als Erwartung körperlicher Annäherung durch Grimm gedeutet) zu entschließen. Doch er traut sich nicht. Der Leser erfährt, dass Chloes Familie wesentlich begüterter ist als die Grimms, doch seine Familie verfügt angeblich über irgendwelche Beziehungen zur "gelben Zone", das scheint etwas recht Ominöses und Zwielichtiges zu sein.
    Mir missfällt hierbei deutlich die dödelig-fekale Namensgebung der orkschen Khagan-Dynastie: "Riss Durex", "Billyboy", "Schiss Liquid" etc., auch wenn Grimm sie selbst infrage stellt.


    Nachdem Grimm sich nicht getraut hat, sich in zärtlicher Weise Chloe körperlich zu nähern, schicken sich die beiden an, nach Hause zu gehen. Jedoch ausgerechnet die in Orkland aktuell trendige clownähnlich Schminktechnik Chloes stimuliert Grimm, das Wagnis der körperlichen Annäherung letztendlich doch auf sich zu nehmen. Das danach angehende kopulative Spiel (eigentlich mehr so eine Art ungeschicktes Manöver ... ich kann jetzt keine eigenen mentalen Assoziationen aus weit zurückliegenden Jahren gebrauchen, wirklich nicht - husch, husch, liebe Gedanken, zurück in die Schublade :lol: ... ) wird von Herrn Pelewin (glücklicherweise) leicht abtörnend dargestellt. Das liebe ich an seinen Büchern, diese betonte Un-Schwulst und die konstant zynisch-stoische Note seiner Bettszenen :applause:
    Der nicht so recht in Gang kommen wollende Akt wird jedenfalls sowieso durch die Entdeckung suspekter Luftvibrationen abrupt unterbunden. Hierbei handelt es sich um Damilolas Hannelore im Tarnmodus, die jedoch plötzlich sichtbar wird. Grimm identifiziert die Kamera intuitiv als Erscheinung des Todes. Nachdem sie von der Kamera auf die Straße gezwungen werden, werden sie dort mithilfe chemischer Pfeile widerstands-unfähig gemacht, bis der Geleitzug des Khagans Riss Durex erscheint.
    Es folgt eine groteske Laberei seitens des zugekifften Bernard-Henri, der dem Khagan und seinen Männern vor laufender Kamera vorwirft, den jungen Orks Harm zugefphrt zu haben. Er stellt sich als Retter aus Byzantium auf und provoziert die bewaffneten Männer. Es kommt zum Schusswechsel, Damilola schießt mit seiner Hannelore einen Teil der Truppe des Khagans nieder. Da Bernard aber selbst an der jungen Chloe interessiert ist, nimmt er sie per Transporter zurück zum Off-Globe Byzantium, Grimm lässt er zurück.
    Dieses Geschehen wirkt auf mich wie eine theatralische und geschmacklose Inszenierung, in der der eigentliche Perversling Unbeteiligten genau das vorwirft, was er selbst dem Opfer zuzufügen gedenkt. Beim ersten Lesen platt und abstoßend, mittlerweile denke ich, dass Pelewin wohl insgesamt eine hoffnungslose und ruchlose Endzeitvision entwerfen wollte. Aber man kann meiner Meinung nicht trauen, denn ich bin diesem Autor viel zu sehr gewogen. Ich nehme an, er kann jeden Mist schreiben, und ich finde trotzdem alles gut ...


    Die konstante Untermalung dieses Kapitels durch widerlich dekadente Elemente wirkt auf jeden Fall irritierend: das ist alles so niederes Niveau, die bereits erwähnten Namen in der Khagandynastie, der Khagan wird als perverser Päderast geschildert, Bernard genauso, der regent hat einen Kastraten zum Sekretär, Grimm hat eine Assoziation von Bernard mit dem Motiv auf einer antiken Euro-Münze, die er als "vitruvianischen Päderasten" statt "vitruvianschen Menschen" beschreibt ...


    In diesem Kapitel erfolgt auch die Klärung des Swastika-Symbols: es handelt sich um eine sogenannte "Spastika" (aus "spas" = russisch für "Erlöser") und "Swastika". Es scheint das Symbol der orkschen Khagan-Dynastien zu sein und ihre zweifelhafte Machtposition zu versinnbildlichen.
    Schutz erhält der Khagan durch eine Truppe von "Ganju-Berserkern" und "Menschenrechtsverteidigern", auch wieder so eine ironische Bezeichnung. Es gibt noch etliche Details, die in diesem Kapitel untergebracht sind, die ich aber des Volumens nicht alle erwähnen und klären will. Falls sie später im Buch von Bedeutung werden, muss man sie eben separat noch einmal aufgreifen.



    Insgesamt habe ich bisher bis ins Kapitel fünf hineingelesen, und die BB-Kapitel (steht für den Off-Globe "Byzantium" / "Big Byz") gefallen mir wesentlich besser als die Spastika-Kapitel. Was Damilola unter "BB" bietet, ist eine geniale Mischung aus Sci-Fi und Philosophie, im gewohnten Pelewin-Frotzelton zu den ernsten Themen des Lebens, inklusive eines ganz raffinierten Analyse-Versuchs des menschlichen "Ichs", das sprüht nur so vor Phantasie und ironischen Anspielungen auf alle möglichen Themen.


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  • zu Rest Kapitel 1


    im Moment taucht in meinem Hirn wieder mal die Frage auf, ob sich denn institutionelle Hierarchien einiger heutiger Religionen von den für Damilolas Religion genanten Charakteristika wirklich unterscheiden oder vielleicht doch eher diese als Gemeinsamkeiten aufweisen .


    Das ist schon ziemlich gut gemacht von Herrn Pelewin. Anfangs schüttele ich immer den Kopf vor so viel dargestelltem Irrsinn der Machtstrukturen, mit all den verrückten
    Paraphenalia und abartigen religiösen Bräuchen. Wenn man aber mal genau überlegt, sind wir davon heute gar nicht so weit entfernt. Ich muss hier ja nicht im Detail aufzeigen
    wieviel Irrsinn in den heutigen religiösen Strömungen inklusive ihrer Greueltaten, die ja auch schon per Video veröffentlicht werden, oder über korrupte Politiker und multinationale
    Konzerne die unsere eigene Existenzgrundlage zu Gunsten der Profitgier zerstören, liegt. Da ist Herr Pelewin gar nicht so weit entfernt von unserer Realität. .

    Phantasie hat der Herr Pelewin, das muss man ihm lassen. Da kann sich für meine Begriffe ein Großteil von Fantasy- und Sci-Fi-Autoren ein Riesenstück von abschneiden!

    Da gebe ich dir recht, denn ein solches Feuerwerk an phantastischen und teilweise völlig abgedrehten Ideen kenne ich in dieser geballten Form sonst von keinem Autor.
    Was mir ein wenig missfällt ist die Namensgebung (Shiss Liquid/ Schiss Solid etc.) die zwar anfangs ein Schmunzeln hervorruft, aber mit der Zeit dann eher flach wirkt.
    Ansonsten aber bin ich begeistert und knie nieder vor so viel innovativer Schreib- und Erzählkunst. Phantastisch im wahrsten Sinne des Wortes. :lechz:


    Zum zweiten Kapitel dann nach dem Frühstück. :montag:

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  • zu Kapitel 2



    Das liebe ich an seinen Büchern, diese betonte Un-Schwulst und die konstant zynisch-stoische Note seiner Bettszenen


    Prickeinde Erotik ist das nun wirklich nicht und entsprechende Klischees hätte ich Herrn Pelewin auch nicht zugetraut. Das was z.b. bei Murakamis Bettszenen furchtbar
    klinisch wirkt, obwohl es vom Autor und tatsächlich auch von einigen Literaturkritikern wohl als anregende Bettszene gesehen wird, ist bei Pelewin auf eher schnoddrige Art und
    Weise abgespielt. Ich kann`s nicht lassen, ich muss es zitieren: S.34



    Doch Grimm ließ nicht von ihr ab, und nachdem sie sich einige Minuten konzentriert beschnuppert hatten, lag Chloe auch schon auf dem Rücken und Grimm
    lag frohlockend auf ihr. Er vollzog nun alles in Taten, was er sich vorher nur in Gedanken zugestanden hatte.
    Chloe unterstützte seinen Tatendrang in keiner Weise, leistete jedoch auch kaum entschiedenen Widerstand. Sie blickte zur Seite, verzog das Gesicht und
    seufzte verächtlich, als kotze sie das alles schon seit vielen Jahren an.

    Die Beschreibungen des bösen Feindes, die sich wirklich lesen wie aus einem auf Propaganda ausgelegten Schundromans, sind so übertrieben und wirken so künstlich,
    dass man siew einfach nicht ernst nehmen kann. Ein zugedröhnter Bild-Journalist der Postapokalypse hätte es nicht schlimmer darstellen können. Natürlich bedeutet das,
    dass die Guten jedes Recht haben den ach so perversen Feind zu bekämpfen. Erinnert manchmal auch an die NS-Propaganda mit ihrer Hetze gegen alles Andersartige oder
    Fremde.
    Natürlich ist unser mutiger Held mit seiner Hannelore am folgenden Massaker (Anfang Kap 3) nicht schuld. Macht aber auch nichts, denn die blutigen Szenen weredn eh später rausgeschnitten.
    Da kann der Leser schon einen deutlichen Würgereiz verspüren und ich habe den Eindruck, dass Pelewin genau das will.

    Was Damilola unter "BB" bietet, ist eine geniale Mischung aus Sci-Fi und Philosophie, im gewohnten Pelewin-Frotzelton zu den ernsten Themen des Lebens, inklusive eines ganz raffinierten Analyse-Versuchs des menschlichen "Ichs", das sprüht nur so vor Phantasie und ironischen Anspielungen auf alle möglichen Themen.

    Ich kann dazu noch keinen Eindruck schildern, weil ich gerade erst beim dritten Kapitel (zweites BB) angekommen bin. Der erste Eindruck ist, dass mir Kapitel 1 etwas besser
    gefallen hat, als das eher zynische zweite Kapitel. Jetzt lese ich zuerst einmal weiter im Dritten bevor die Arbeit wieder ruft.......... :eye:


    :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • in den heutigen religiösen Strömungen inklusive ihrer Greueltaten, die ja auch schon per Video veröffentlicht werden,

    Oh, an die hatte ich noch gar nicht gedacht, ich bin gedanklich noch an den " ... Kirche e.V." hängengeblieben, aber solche fanatischen Kopfkürzer gehören eindeutig auch dazu.

    Ein zugedröhnter Bild-Journalist der Postapokalypse hätte es nicht schlimmer darstellen können

    Genau, oder der amerikanische Fox-News-Kanal. Ich schaue zwar kaum Nachrichten auf Privatsendern (eigentlich nie), aber sind die Nachrichtensendungen auf RTL oder Pro 7 nicht auch reißerischer gemacht als unsere im Vergleich dazu noch ziemlich zahmen "tagesschau" und "heute"?

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • aber sind die Nachrichtensendungen auf RTL oder Pro 7 nicht auch reißerischer gemacht als unsere im Vergleich dazu noch ziemlich zahmen "tagesschau" und "heute"?

    Allerdings, und bei RTL etc. werden zum Nachdenken anregende Themen grundsätzlich ausgespart und ersetzt mit interessanten Promi News der Marke: "Wer trägt wo
    die knappsten Klamotten und wer ist gerade glücklich schwanger." Da lobe ich mir die Tagesschau und die Dritten.


    Kapitel 3 (bis S.53)


    Das Blutbad, dass sich laut Erzähler nicht verhindern ließ (der Diskurskrämer war schuld) ist wie schon gesagt für Damilola eher ein Kollateralschaden dem weiter keine
    Bedeutung zufällt. Die Bilder wuredn gut bezahlt und schleißlich muss er die Raten für seine künstliche Frau bezahlen. Diese nennt er Kaya, oder wahlweise seine Sure.


    Diese Sure wurde von ihm selbst manuell programmiert und die Parameter "Hinterfotzigkeit", Verlockung" und Spiritualität" wurden als Herausforderung auf höchste Stufe
    eingestellt. Das kann natürlich nur unser unvergleichlicher Oberarsch von Erzähler, weil allein er auch mit einer solch komplizierten künstlichen Frau umgehen kann.


    Diese bezeichnet ihn nach Betrachtung des Blutbades folgerichtig als >Fliegendes Arschgesicht<, Fetter Drecksack< und >Blutrünstiger Schwachkopf<. Als moralische
    Instanz ist das künstliche Wesen kompetenter als das Natürliche.


    Unser Freund ist also ein "Pupophiler" oder kurz >Puppenficker< und natürlich führt er auch Gründe für diese Vorliebe an.


    Damit dann morgen weiter............. :study:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Rest Kapitel 3


    Unser Erzähler hat natürlich auch Erfahrungen mit nicht künstlichen Frauen. Das Problem liegt auch bei dem in dieser Gesellschaft existierenden Schutzalter, das
    bei 46 Jahren liegt. Die Filmmafia, die Pornoindustrie und ein paar Feministinnen sind für dieses Gesetz verantwortlich. Eigentlich aber ist der Sex nicht wirklich
    verboten (Don`t look - Don`t see), sondern das Filmen sexueller Handlungen. Die Filme die im Heiligtum gezeigt werden, zeigen ausschließlich auf jung getrimmte,
    oder operierte ältere Schauspieler.
    Nebenbei erklärt uns Damilola, dass er einer Gegenbewegung namens GULAG (ausgerechnet! :shock: ) angehört, die dieses Schutzalter etc. ankämpft. Schon interessant,
    dass unser Held einerseits mitten im System in priveligierter Position arbeitet, die Gegenseite (die Orks) mit Kritik überschüttet und sich andererseits als so eine Art
    Rebell verkauft.


    Dann geht es los, denn der Erzähler vergleicht das Verhalten der künstlichen Frau mit dem Verhalten einer natürlichen Frau. Klar, dass eine Sure keinen freien Willen hat,
    denn sie ist kontrollierbar und wenn sie sich schlecht benimmt kann man sie abstellen. Allerdings spricht Damilola den natürlichen Frauen den freien Willen auch ab, denn
    diese sind von ihren Sinnesorganen, der Ausschüttung von Hormonen etc. abhängig und deshalb auch auf eine gewisse Art programmiert.
    Er nennt das >informationsbiologischen Mechanismus<.


    Da schlackern dem Leser wirklich die Ohren, obwohl die philosophische Idee des freien Willens von einigen Denkern und Neurobiologen ja heute auch als quasi nicht existent
    beschrieben wird. Bei G. Gurdjieff / P. Ouspensky sind wir nichts als von unserem Gehirnen gesteuerte natürliche Maschinen, deren Entscheidungskraft auf ein Minimum redurziert
    ist. Was für eine traurige Philosophie! Wenn sowieso alles ohne meinen Willen funktioniert und ich keinerlei Einfluss auf meine Handlungen habe, kann ich mich ja direkt in den
    Flur setzen und es Ernest Hemingway nachtun. Eine Kugel und Schluss.


    Bei diesen Beschreibungen der modernen Gesellschaft im Roman können dem Leser die Orks gleich symphatischer werden. Wenigstens haben sie keine Fabrikspielzeuge
    als Frau.


    Herr Pelewin macht auf jeden Fall in seiner ausufernden Fantasie vor gar nichts halt. Auf den ersten Blick erschreckend, aber wenn man die Entwicklung unserer Gesellschaft
    in die (gar nicht so weit entfernte) Zukunft weiterdenkt, vielleicht gar nicht so weit hergeholt.


    Hier noch die Maschinentheorie des Herrn Gurdjieff (Kurzfassung)



    lg taliesin :winken:

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  • Gestern habe ich mir Kommentare zum dritten Kapitel ("BB") herausgeschrieben. Ich kam dabei vom Hundertsten ins Tausendste, aber ich versuche, hier mal auf Deine Kommentare einzugehen, @taliesin:

    Das Blutbad, das sich laut Erzähler nicht verhindern ließ (der Diskurskrämer war schuld) ist wie schon gesagt für Damilola eher ein Kollateralschaden dem weiter keine Bedeutung zufällt. Die Bilder wuredn gut bezahlt und schließlich muss er die Raten für seine künstliche Frau bezahlen. Diese nennt er Kaya, oder wahlweise seine Sure.

    Ich reagiere irgendwie total allergisch auf Damilola, was für ein grottiges A...ch; seinen Quatsch zu lesen ist ungefähr so, wie dazu gezwungen zu werden, sich ein Interview mit Dieter Bohlen aufmerksam anzuhören. Die Orks sind für Damilola eine niedere Spezies, aber ich begreife nicht, wo der qualitative Unterschied liegen soll zwischen einem Menschen im Big Byz und einem Ork, der die Orks angeblich minderwertig macht. Aber auch Bernard-Henri, der Khagan, dessen Bodyguards etc., alle sind ihm herzlich egal (womit ich nicht ausdrücken möchte, sie seien mir sympathisch) – geht es Damilola nur um sich selbst?

    Diese Sure wurde von ihm selbst manuell programmiert und die Parameter "Hinterfotzigkeit", Verlockung" und Spiritualität" wurden als Herausforderung auf höchste Stufe eingestellt. Das kann natürlich nur unser unvergleichlicher Oberarsch von Erzähler, weil allein er auch mit einer solch komplizierten künstlichen Frau umgehen kann.

    Die Fabrikeinstellungen waren ihm anscheinend zu brav oder vorhersehbar (=zu künstlich?). Aber warum bleibt Damilola dann nicht bei richtigen organischen und „menschlichen“ Frauen? Kriegt er keine ab, hat er Angst, dass er die Kontrolle verliert, ist das Risiko, verlassen zu werden, zu groß, oder stört es ihn, dass richtige Frauen altern? Er scheint ja nun auch nicht gerade ein Adonis zu sein. Damilola ist ein Paradebeispiel für die Figur eines unzuverlässigen Erzählers, aber was für ein widerlicher Angeber, unerträglich!


    Und was meint er genau mit „Spiritualität“? Wie soll das definiert sein? Religiosität? Esoterik? Philosophie im Sinne von Logik bzw. Dialektik? Eine gewisse Dialektik scheint in Kaya ja hineinprogrammiert zu sein, aber man hat ihr nicht die Logik gegeben, um das A. von Damilola zu verlassen.


    Ach ja, und wo steht das Kontrollgerät zur Suren-Maschine? In der „Kammer des Glücks“, nämlich auf dem Klo, also genau da, wo Kaya niemals hin muss, weil sie ja ein Maschinchen ist, das nicht isst und demzufolge auch nicht defäkiert.
    Was wäre, wen Kaya sich selbst an ihrer Kontrolle manipulieren würde? Ich meine nicht in der Romanhandlung, denn das wäre klar, da wäre der Roman ganz schnell zu Ende. Nein, ich frage mich, ob in dem Moment nicht ein tatsächliches Bewusstsein von Kaya vorläge, und auch tatsächlicher freier Wille (ich habe irgendwo ganz dunkel im Hinterkopf jetzt Hegel mit seinem Werk „Phänomenologie des Geistes“). Man muss ja nicht mit jedem Philosophen und Wissenschaftler einverstanden sein, das geht ja sowieso nicht, denn dazu gibt es zu viele verschiedene Theorien.

    Diese bezeichnet ihn nach Betrachtung des Blutbades folgerichtig als >Fliegendes Arschgesicht<, Fetter Drecksack< und >Blutrünstiger Schwachkopf<. Als moralische Instanz ist das künstliche Wesen kompetenter als das Natürliche.

    Schon komisch. Wie kann eine Maschine, auch wenn es sich um eine „sich selbst erhaltende biosynthetische Maschine der Klasse Premium 1“ handelt (sh. S. 58), besser zwischen Recht und Unrecht unterscheiden, obwohl es natürlich richtig ist (bzw. auch mir richtig erscheint), was sie da erkannt hat.
    Damilolas Bemerkungen treiben mich jedes Mal auf die Palme: Es sei nicht die Beleidigung „schwachsinnig“ oder „Fettsack“, sondern die Kombination aus beiden (sh. S. 52). Und wie er auf S. 51 sein Gewicht rechtfertigt: Er fliegt (oh Mann, mal ehrlich, er fliegt nicht - er sitzt auf einer Art Standmotorrad in seinem Wohnzimmer – wer findet schon Typen cool, die sich in amerikanischen Spielcentern auf Motorradattrappen vor einem Bildschirm in nicht existente Kurven legen? Wenn solche Männer meinen, sie seien cool, dann ist da meiner Meinung nach nichts mehr zu retten. Das ist sowas von pathetisch.) ... Ok, also Damilola meint, er „flöge“ seine Manöver ganz instinktiv, ganz „aus dem Bauch heraus, in seiner ganzen Fülle“. Und dann bringt er auch noch Herrmann Göring und Benito Mussolini als positive Beispiele! Wenn ich das so überdenke, weiß ich gar nicht mehr, warum ich danach gefragt habe, warum Damilola Suren bevorzugt, denn keine Frau mit etwas gesundem Menschenverstand würde sich länger als zehn Minuten mit so einer abartigen Type abgeben (andererseits: es gibt Tussen, die schnallen gar nichts, bei denen gibt es noch weniger kognitive und konklusive Hirnaktivität als bei Damilola).

    Unser Erzähler hat natürlich auch Erfahrungen mit nicht künstlichen Frauen. Das Problem liegt auch bei dem in dieser Gesellschaft existierenden Schutzalter, das bei 46 Jahren liegt. Die Filmmafia, die Pornoindustrie und ein paar Feministinnen sind für dieses Gesetz verantwortlich. Eigentlich aber ist der Sex nicht wirklich verboten (Don`t look - Don`t see), sondern das Filmen sexueller Handlungen. Die Filme die im Heiligtum gezeigt werden, zeigen ausschließlich auf jung getrimmte, oder operierte ältere Schauspieler.

    Uahh, bei der Beschreibung des „Mädchens“ mit Zöpfen habe ich beinahe gewürgt, so sehr hat mich diese Stelle im Text geekelt. Ich zitiere mal S. 55 unten bis S. 56 oben:

    Zitat von S.55 / S. 56

    Ihr seht zum Beispiel ein Mädchen mit zwei scheckigen Zöpfchen, das mit einem Plüschhasen auf dem Bett sitzt, und ihr glaubt schon, dass ihr den zarten Morgen der Jugend erblickt – dann jedoch seht ihr auf dem Hals dieses aus den eigenen Fetzen zusammengeschneiderten Wesens eine kaum bemerkbare Flugsaurier-Falte vorbeihuschen, und ihr versteht augenblicklich, dass dies ein altes Mütterchen ist, und die warme Welle in eurem unteren Bauchbereich wandelt sich in ekelhaftes Schaudern, das euren ganzen Körper durchzuckt.

    Und es geht so schön weiter an dieser Stelle:

    Zitat von S. 56

    Eine Frau ist eine Zauberblume, deren Anblick euch um den Verstand bringen und so starke Gefühle in euch wecken sollte, dass ihr euch auf die Mühen des Kindergroßziehens einlasst. So wollte es Manitu.


    Und so kommt ihr sonntags in das Heiligtum, doch anstelle einer Blume zeigt man euch eine mit Implantaten aufgeblähte sündhaft teure Brust, die nach allen Gesetzen der Natur schon seit Ewigkeiten in Silikon und Proteine zerfallen sein müsste.

    (Bitte mehr davon, ich könnte stundenlang in diesem Zynismus schwelgen!)

    Nebenbei erklärt uns Damilola, dass er einer Gegenbewegung namens GULAG (ausgerechnet! :shock: ) angehört, die dieses Schutzalter etc. ankämpft. Schon interessant, dass unser Held einerseits mitten im System in priveligierter Position arbeitet, die Gegenseite (die Orks) mit Kritik überschüttet und sich andererseits als so eine Art Rebell verkauft.

    Bei der Bedeutung des Akronyms „Gulag“ hat’s bei mir auch fast eine Sicherung 'rausgehauen. Das steht nämlich für „Gesellschaft für Ueberbleibsel von Freiheit und gesundem Menschenverstand“! Worin bitteschön glaubt Damilola, dass sich bisher sein „gesunder Menschenverstand“ geäußert habe?! Wo soll seine Art zu denken denn bitte gesund sein?!

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  • OK, ich habe auch mehrfach schon gelesen, dass wissenschaftlich kein „freier Wille“ anerkannt wird; dazu gibt es wohl auch Studien eines gewissen Haynes oder so. Angeblich beruhen all unsere Entscheidungen auf Abgleich von gespeicherter Information und entsprechender Erfahrungswerte. Das finde ich auch nicht weiter schlimm, denn worauf sollte man sonst seine Entscheidung basieren? Auf intentional erratischem Verhalten? Wohl kaum.
    Für mich persönlich besteht die freie Entscheidung darin, wie groß mein eigener interner Datensatz ist, auf den ich zurückgreifen kann für meine Entscheidung. Welche Information ich in mich hineinlasse bzw. ablehne, und zuvor schon, zu welchem Gebiet ich mir Information einhole (Information / Bildung als „Holschuld“, nicht als „Bringschuld“ zu sehen), da liegt mein freier Wille. D.h. z.B., dass niemand mir vorschreiben kann, dass ich nur Schmonzetten lesen dürfe. Ich selbst entscheide, ob ich z.B. Zeitung lese, und wenn ja, welche, und ob ich alles im "Spiegel" zum Nachplappern lese oder ob ich versuche, kritisch zu lesen, ob ich Sachtexte lese, zu welchem Thema, und ob ich mir den „Owen Meany“ als putzigen und kitschigen Helden zurechtlese oder ob ich ihn als einen arroganten Angeber erkenne.
    Und genau an dieser Stelle hätte ich gerne erst noch von der Wissenschaft eine Antwort, warum so viele Menschen sich dafür entscheiden, kritiklos irgendwelche oberflächliche Wohlfühlliteratur zu lesen, und warum andere Menschen an irgendeinem Punkt in ihrem Leben plötzlich dieselbe Art von Büchern als leer, schal und kitschig empfinden. Ist dieser Aspekt denn wirklich bereits untersucht und geklärt?


    Ich weiß nicht, ob ich diesen Teil im Buch eventuell grundlegend ein bisschen anders aufgefasst habe. Geht es nicht um die Selektion eines Partners zur Reproduktion? Wenn ja, ist es m.E. nachvollziehbar, dass der Mensch zumindest zu einem Großteil bei der Primär-Selektion des Geschlechtspartners auf Stimuli wie Aussehen, Duft etc. reagiert. Und nicht nur die Frau, der Mann agiert doch haargenauso, Damilola erläutert genau diesen Aspekt, als er die individuell auf ihn abgestimmte Kreation seiner Sure erläutert, damit Kaya ihn auf den ersten Blick total von den Socken haut. Dennoch sucht er doch irgend etwas Zusätzliches in ihr, sonst müsste er ihre Parameter nicht auf maximale Hinterfotzigkeit und max. Spiritualität setzen, oder denke ich völlig daneben? (Ich finde diesen Punkt wirklich schwierig durchzudenken, das ist ziemlich verwirrend für mich.)


    Aber es gibt doch auch die sekundären Reaktionen bei der Partner-Auswahl – nehmen wir das Beispiel George Clooney: der Mann mag ja hervorragend aussehen, aber sein nicht allzu intelligentes Gelabere ist ein absoluter turn off, da schaltet sich der ganze Apparat, der zuerst einmal aufs Visuelle reagiert hat, sofort wieder in mir ab. Und man denke nur an Männer wie Woody Allen (da gibt es noch etliche Beispiele mehr) – da soll mir doch keiner sagen, die Entscheidung der Frau für das Kriterium „sexy“ läge im Visuellen oder in den Feromonen.
    Auch Geld und Berühmtheit sind sicherlich auch starke Auswahlkriterien, denn warum sonst würden sich so junge Männer mit alten Botoxkissen wie Madonna oder der Flick-Witwe abgeben, oder? (Wie gesagt, das sind alles nur Gedanken, so, wie sie mir gerade kommen …).

    Hier noch die Maschinentheorie des Herrn Gurdjieff (Kurzfassung)


    Stimmt Dich diese Aussage wirklich traurig, @taliesin ? Ich will ja auch nicht behaupten, dass ich immer so denken werde wie jetzt oder dass ich dieser Aussage bedingungslos zustimme. Aber ich finde eine solche Theorie auch nicht unbedingt weit hergeholt.
    Dennoch will ich einfach die gesellschaftliche Erwartung, dass man sich „irgendwann entscheiden müsse“, dass „man sich eine Meinung bilden müsse“, nicht akzeptieren: ich glaube, man sollte niemandem garantieren müssen, dass man eine Meinung unabänderlich und für immer behalten wird, sondern dass man offen bleiben muss für neue Aspekte, neue Informationen, und sich aktiv welche holen (ist ja in unserem Zeitalter so einfach wie nie zuvor, all die verschiedenen Zugänge zu Information), um immer wieder neue innere Abgleiche vorzunehmen und seine Meinung zusammen mit sich selbst evolvieren zu lassen. Wenn wir meinen, uns heute, oder besser noch gestern, für immer festlegen zu müssen, und von da ab an keiner neuen Information interessiert sein brauchen, die uns bei einer inneren Evolution helfen könnte, dann sind wir m.E. theoretisch (und sagen wir gleich: faktisch auch) innerlich schon tot, und dann ist der Rest unseres Lebens nicht mehr wichtig, er ist sinnlos geworden und dient von da ab bestenfalls nur noch der Reproduktion (Wozu? Für Generationen mit noch mehr innerer Leere? Na, Danke).
    Es liegt an uns, das ist meine jetzige Meinung, Philosophie und Wissenschaft hin oder her, und an dieser Stelle können wir sogar entscheiden, ob wir einen freien Willen haben wollen oder nicht (also praktisch "freier Wille im Quadrat").

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  • Los geht`s! Eigentlich wollte ich mich heute kurz fassen, aber bei Herrn Pelewin gibt es so viele Ansatzpunkte zur Diskussion, dass es einfach nicht möglich ist
    sich kurz zu fassen. Man muss aufpassen, dass man nicht von Hölzchen auf Stöckchen kommt.bei der Fülle von Ideen die da auftauchen.


    Aber auch Bernard-Henri, der Khagan, dessen Bodyguards etc., alle sind ihm herzlich egal (womit ich nicht ausdrücken möchte, sie seien mir sympathisch) – geht es Damilola nur um sich selbst?

    Der Mann ist nicht nur als Erzähler eine Qual, er ist wohl auch der Prototyp des Egozentrikers. Die Welt dreht sich nur um ihn. Soziales Verständnis, Moral oder Mitgefühl
    ist ihm fremd. Ist es das was er unter gesundem Menschenverstand versteht. Na dann, Gute Nacht lieber Verstand.

    Aber warum bleibt Damilola dann nicht bei richtigen organischen und „menschlichen“ Frauen? Kriegt er keine ab, hat er Angst, dass er die Kontrolle verliert, ist das Risiko, verlassen zu werden, zu groß, oder stört es ihn, dass richtige Frauen altern?

    Das kann er nicht, denn da fehlt die Kontrolle und ein Knopf zum Abschalten oder zum neu programmieren gibt es auch nicht. Da hat er Angst vor, Da kann er nicht mehr spielen,
    sondern muss sich einlassen, sich ernsthaft damit beschäftigen und vor allem Gefühle zeigen. Der Partner könnte bemerken, welch hohle Nuss da mit ihm lebt.

    Nein, ich frage mich, ob in dem Moment nicht ein tatsächliches Bewusstsein von Kaya vorläge, und auch tatsächlicher freier Wille (ich habe irgendwo ganz dunkel im Hinterkopf jetzt Hegel mit seinem Werk „Phänomenologie des Geistes“). Man muss ja nicht mit jedem Philosophen und Wissenschaftler einverstanden sein, das geht ja sowieso nicht, denn dazu gibt es zu viele verschiedene Theorien.

    Ein wunderbarer Gedanke, @Hypocritia . Eigentlich bedeutet ihre Reaktion, dass sie die Fähigkeit hat Situationen einzuschätzen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Ein
    künstlicher Mensch, der lernen kann und dem Schöpfer mit der Zeit nicht nur moralisch überlegen ist. Eigentlich wäre das Buch dann nicht unbedingt schnell zu Ende, denn
    die Möglichkeiten sind vielfältig.

    Wenn ich das so überdenke, weiß ich gar nicht mehr, warum ich danach gefragt habe, warum Damilola Suren bevorzugt, denn keine Frau mit etwas gesundem Menschenverstand würde sich länger als zehn Minuten mit so einer abartigen Type abgeben (andererseits: es gibt Tussen, die schnallen gar nichts, bei denen gibt es noch weniger kognitive und konklusive Hirnaktivität als bei Damilola).

    Auch für diesen Unsymphaten würde sich zumindest kurzfristig jemand finden. Aber auch die wären unserem Helden schnell zuviel. Zuviel Mensch. Zuviel Unwägbarkeiten.

    Worin bitteschön glaubt Damilola, dass sich bisher sein „gesunder Menschenverstand“ geäußert habe?! Wo soll seine Art zu denken denn bitte gesund sein?!

    Der Kerl glaubt das tatsächlich. Mit Gesund oder Verstand hat das wirklich nichts zu tun.

    Ich weiß nicht, ob ich diesen Teil im Buch eventuell grundlegend ein bisschen anders aufgefasst habe. Geht es nicht um die Selektion eines Partners zur Reproduktion?

    Ich habe mir, als ich den Herrn Gurdjieff zitiert habe schon gedacht, dass ich da zuviel vom Speziellen (Partnerselektion) zum Allgemeinen (freier Wille) gesprungen bin.
    Natürlich ist es richtig, dass es hier speziell um die Partnerwahl geht und all die von der Natur gegebenen Einflüsse sich unserer Kontrolle weitgehend entziehen. Der Natur
    ist das ganze herumgetanze bei der Balz wohl ziemlich wurscht, denn es geht um Reproduktion, es geht um die Erhaltung der Art.
    Aber auch hier würde ich den freien Willen nicht ganz ausschalten wollen. Ich denke noch einmal darüber nach........... :-k .


    Stimmt Dich diese Aussage wirklich traurig,

    Nein, mich stimmt das nicht traurig, ich finde diese Philosiophie traurig, weil sie den Menschen zum Sklaven macht, der selbst nichts mehr entscheiden kann, sondern
    bestimmt wird von den in der Natur festgelegten Handlungsformen. Alles geschieht..........Natürlich gibt es Dinge und Abläufe die sich meiner Kontrolle entziehen, aber
    ich entscheide, ob ich diesen oder jenen Weg gehe. Ich gebe mir die Möglichkeit Erfahrungen zu sammeln und daraus zu lernen. Das bedeutet doch ein relativ freies Leben
    führen zu können und jeden Tag etwas neues zu lernen und mich so weiter zu entwickeln.

    Dennoch will ich einfach die gesellschaftliche Erwartung, dass man sich „irgendwann entscheiden müsse“, dass „man sich eine Meinung bilden müsse“, nicht akzeptieren: ich glaube, man sollte niemandem garantieren müssen, dass man eine Meinung unabänderlich und für immer behalten wird, sondern dass man offen bleiben muss für neue Aspekte, neue Informationen, und sich aktiv welche holen (ist ja in unserem Zeitalter so einfach wie nie zuvor, all die verschiedenen Zugänge zu Information), um immer wieder neue innere Abgleiche vorzunehmen und seine Meinung zusammen mit sich selbst evolvieren zu lassen.

    Da gibt es doch diesen Spruch, der die gesellschaftlichen Erwartungen (hier bei Männern) erklären soll:


    Ein Mann muss in seinem Leben ein Kind gezeugt, ein Haus gebaut und einen Baum gepflanzt haben. Da krieg ich doch das... :puker: Und wenn er das dann getan hat, was
    denn dannach????? Legt er sich in den Liegestuhl und wartet bis der Sensenmann kommt?
    Freier Wille bedeutet doch, sich eben nicht den gesellschaftlichen Erwartungen zu beugen, wenn man einen anderen Lebensweg beschreiten will. Da stimme ich dir aus
    vollem Herzen zu. Offen sein für Neues, Neues entdecken und ausprobieren können. Stillstand und Langeweile wäre die Alternative und dafür ist unser Leben schlicht zu kurz.


    Der Herr Pelewin mag verrückte und teils völlig abgedrehte Ideen haben, aber hinter all diesen Verrücktheiten lauern einige sehr interessante Denkänsätze. Diskussionsstoff
    in Hülle und Fülle. :thumleft:


    So mein Hund lauert mit großen Augen und wedelnd auf einen abendlichen Spaziergang. dabei kann ich ja deann noch einmal über diesen verdammten freien Willen
    nachdenken. (und vor allen Dingen frische Waldluft atmen............) :lechz:


    :winken:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Ich habe mir, als ich den Herrn Gurdjieff zitiert habe schon gedacht, dass ich da zuviel vom Speziellen (Partnerselektion) zum Allgemeinen (freier Wille) gesprungen bin.

    Nein Barde, das glaube ich nicht, denn freier Wille und das, was das "Ich" (Persönlichkeit, Bewusstsein oder wie auch immer ...) ausmacht, gehen doch als voneinander untrennbare Begriffe einher, oder etwa nicht? Und da ich letzte oder vorletzte Woche schon mal drei Kapitel oder so vorausgelesen hatte, hatte ich ja auch schon den Eindruck, dass es u.a. um diesen Bewusstseins- oder "Ich"-Begriff geht - und da erscheint mir die Idee mit der Simulation eines künstlichen Bewusstseins, die Herr Pelewin mit der Sure bringt, wirklich gut. Vielleicht ist gerade der Aspekt des Freien Willens der Knackpunkt, den Damilola seiner Sure wohl nicht gewähren will bzw. wird? Lesen wir mal weiter ... Morgen denke ich, werde ich das vierte Kapitel schon mal kommentieren.
    Vielleicht werden ja im Laufe des Buches diese Fragen ein bisschen klarer ...

    Genau das, was Du da geschrieben hast, das entbehrt Kaya ja mehr oder weniger. Ihr Informationsspeicher wird zwar mit Updates versorgt, aber sie entscheidet nicht, welche Entscheidungen sie, auf sich selbst bezogen, treffen darf - schlicht und einfach, weil sie als Puppe keine treffen kann / darf.

    Und wenn er das dann getan hat, was denn danach????? Legt er sich in den Liegestuhl und wartet bis der Sensenmann kommt?

    Jawoll, so wird das vom Mann nun einmal erwartet. Zumindest kann er sich dann noch in seiner eigenen Unzufriedenheit suhlen, weil "etwas erreicht haben" oder "irgendwo angekommen zu sein" eben doch nicht für eine lebenslange innere Befriedigung ausreicht (die überdauert ja oft genug noch nicht einmal ein paar Wochen :lol: ), das öffentliche Zugeben ist allerdings nicht erlaubt, oder es wird dann mal schnell mit aufgeplusterten und mit Tarnfarben bemalten Begriffen wie z.B. "Burnout", "Midlifecrisis" etc. etikettiert, damit auch nur ja keiner auf die Idee kommt, die Erfüllung materieller Sehnsüchte mache nicht rundum glücklich


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  • Und jetzt mal weiter mit dem 4. Kapitel (Spastika-Kapitel, S. 66 bis 91):


    Von diesem Kapitel ist die Handlung eigentlich schnell erzählt.
    Was geschah mit dem jungen Ork Grimm nach dem Überfall durch Damilolas Hannelore und den Diskurskrämer Bernard-Henri?
    In Kapitel 4 sitzt er zu Hause über einer Arbeit für die Schule, während sich alle übrigen Mitglieder seiner Familie in Vorbereitung auf die Beisetzung eines Onkels mit Alkohol vollaufen lassen.
    Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, hat Grimm Zugriff auf Wissen aus der "freien Enzyklopädie", um seine Schularbeiten zu erledigen. Darin wird beschrieben, dass es im "Altertum" (wohl unsere heutige Zeit) die Großmächte Ameriza und Zhina gab. Zhina schottete sich später völlig ab, während in Ameriza nur noch das Drogenimperium Aztlan unter der Führung des Antichristen Manitu übrigblieb. Das Chaos auf der Erde wurde so groß, dass sich die Reichen und Mächtigen sich auf sogenannte "Off-Globes" verzogen (=eine Art künstliche Satelliten-Planeten?), die über ihren jeweiligen Territorien schwebten. Zu Grimms Zeiten war von diesen Off-Globes jedoch nur noch "Big Byz" übrig, der über der urkainischen Hauptstadt Slawa schwebt.
    Interessante Daten hierzu: auf dem Big Byz leben etwa 30 Mio Menschen, die Orks sind etwa 300 Mio.
    Regierungsform auf dem Big Byz: liberative Demokratur - alles klar ..., nein wirklich, ich meine tatsächlich "alles klar" :loool: (ich glaube, die haben wir jetzt auch schon ...)
    Amtssprache: Kirchenenglisch (kein Kommentar ...)
    Zwei-Parteien-System: die "Blonden" und die "Rothaarigen" (auch kein Kommentar ...)



    Weiter in der Handlung: Die Verwandtschaft besäuft sich immer noch, Grimm langweilt sich und sucht in SNUFF-Filmen Zerstreuung, doch vergeblich. Denn die Kriegsszenen sind herausgeschnitten, urkainische Leichen werden dafür um so ausführlicher gezeigt. Die Liebesszenen sind mit einem Zensurbalken unkenntlich gemacht.
    Grimm lauscht dem Gespräch zweier Verwandter, die sich fragen, warum man bei den Orks nicht wenigstens den technischen Stand erhalten hat, der im Altertum üblich war (das klingt sehr nach russischer Produktion von heute in bestimmten Bereichen). Gleichzeitig betonen sie, dass es sich nicht lohne, sich für Ihresgleichen, also für die Orks, zu bemühen, da nur Korruption und Betrügereien einen weiterbrächten (wonach klingt das wohl?).
    Endlich zieht der Beerdigungszug los, mit ihm Grimms Verwandtschaft.


    Grimm bekommt Besuch vom Prokurator (ganz widerlicher Typ in einer ganz widerlichen Ausstattung, sh. S.83, iiihgitt!, Du weißt schon, was ich meine, @taliesin, oder? :lol: ), der Grimm für den bevorstehenden Krieg Nr. 221 anwerben möchte. Dazu zwingt er Grimm, mit ihm zusammen eine seltsame Pfeife zu rauchen, deren Effekt in einer gewissen allumfassenden Paranoia liegt (ich weiß nicht, aber an dieser Stelle fühlte ich mich unwillkürlich an Pynchon erinnert :loool: ).
    Die Erklärung des Prokurators, warum es für Grimm gut sei, sich ihm und seinesgleichen, also den Ganju-Berserkern, anzuschließen, liegt darin, dass es ja wohl eindeutig sei, dass die Seite der Dissidenten keine gute Option darstelle, denn Dissidenten würden ja doch füher oder später abgeknallt (auch wenn Boris Nemzov erst nach Erscheinen des Buches erschossen wurde, gab es in der jüngeren Vergangenheit x Dutzend andere, die hier assoziativ einspringen können).
    Grimm ginge es auf jeden Fall besser als Botengänger für Ork-Befehle während der Schlachten, auch eine Karriere hinterher im Stab des Khagans wäre kein Problem. Und aufgrund eines neuen Gesetzes, nachdem behördliche Vorgänge beschleunigt würden, wenn deren Antragsdokumente mit Blut aus der Schlacht besudelt seien, könne er auch seiner Gemeinde auf diese Weise helfen.


    Zu diesem Kapitel 4 gibt es nicht allzu viel zu sagen, denke ich. Dieses Kapitel gibt wieder ein paar Informationen bezüglich des Systems, wie die Urkaine und ihr System funktionieren. Da bin ich schon froh, dass nicht noch mehr Neues drin war.


    Dafür ist das fünfte Kapitel "BB" eine einzige Provokation, zumindest aus der Sicht einer Frau gesehen :evil: Jetzt habe ich dieses Kapitel schon zwei Mal gelesen, und schwanke immer noch zwischen Lachkrämpfen und bodenloser Indignation wegen des Bildes, das Pelewin von Frauen zeichnet (ich würde ja nichts sagen, wenn er sich nur auf Suren beschränkt hätte - aber er lässt Damilola ständig den Abgleich mit Frauen machen!). Egal, ich habe mir einiges an Bemerkungen gemacht ... vielleicht schaffe ich heute Abend noch einen Kommentar zu diesem misogynen Gestänkere.
    - Nein, Barde, trau' Dich nicht! Dieses Kapitel kommentierst Du nicht vor mir! Um Himmels willen! Du kommst sonst noch auf die Idee und machst gemeinsame Sache in Bezug auf das Damilola'sche (Pelewin'sche? :shock: ) Frauenbild! Kommt gar nicht in die Tüte! :wuetend: Die Vertretung des im Kapitel 5 angeklagten Geschlechts bittet um das Wort! :evil:

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • - Nein, Barde, trau' Dich nicht! Dieses Kapitel kommentierst Du nicht vor mir! Um Himmels willen! Du kommst sonst noch auf die Idee und machst gemeinsame Sache in Bezug auf das Damilola'sche (Pelewin'sche? ) Frauenbild! Kommt gar nicht in die Tüte!

    Nie käme ich auf diese absurde und latent gefährliche Idee 8-[ .................aber die Lachkrämpfe (weniger die Indignation) hatte ich auch........ :lol: .

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Kapitel 5 („BB“, Seite 91 bis 102):


    Damilola erklärt, wie die Suren (= das Akronym für „Surrogate wives“) funktionieren (S.91):

    Klingt logisch, da habe auch ich nichts dagegen einzuwenden. Das scheint mir sogar sehr schön und begreiflich abstrahiert.


    Nach diesem Prinzip kommt eine Sure schon in ihrer Fabrikeinstellung mit eingespeistem enzyklopädischem Wissen und Redewendungen, Intonation etc. (da dürfte so eine Sure Models wie Heidi Klum einiges voraus haben – ich meine natürlich in Bezug auf Intonation … :mrgreen: )



    Hier ist wieder gemäß Damilola und der Suren-Gebrauchsanleitung die Rede davon, dass Frauen bei der Partnerselektion riesige Mengen an Daten verarbeiten, also es sich im Endeffekt um keine „Herzensangelegenheit“ handelt und damit auch kein freier Wille vorliegt, sondern angeblich gehe es um Vernunft auf höherer Ebene, also der Selbst-Gewährleistung der Natur für die Ewigkeit … oh Mensch, ich kann mir das hier echt nicht verbeißen: also wenn im Endeffekt immer die Natur mit ihrer Sorge um ihren Fortbestand entscheidet, dann ist die Natur alles andere als treffsicher in Sachen Gewährleistung des Fortbestandes: man bedenke nur, dass im Zusammenhang mit dem Fortpflanzungsprodukt Adolf Hitler einige Millionen weiterer Fortpflanzungsprodukte vernichtet wurden. Da kann man in der Geschichte genügend weitere Beispiele finden, die mal eben rasch im Vorbeigehen den einen oder anderen Giftgasangriff geordert haben, oder diverse Amokläufer, die humorlosen Charlie-Hebdo-Mörder etc., Stalin mit seinem Gulag-Wahn war auch nicht gänzlich unbegabt in Sachen menschlicher Vernichtung, die Schmeißerei von Wasserstoffbomben, 9/11 etc. etc. (man findet ja kein Ende von solchen Beispielen, da fallen einem immer mehr ein) – also, mein Tipp an Mutter Natur: bei der Partnerselektion zur Fortpflanzung vllt. ein kleines bisschen die größen- und brutalo-wahnbedingte, genetische und sozial beeinflusste Tendenz berücksichtigen und aussortieren? Würde auch für uns kleine Teilnehmer am Projekt Menschheit die Sache ein bisschen erleichtern (auch wenn wir uns mit über 5 Milliarden Menschen nun doch schon ein bisschen auf dem Planeten drängeln, gibt es eben doch immer noch einige von uns, die versuchen, sich hinter jedem Einzelnen ein Individuum vorzustellen)



    … Lassen wir das und lassen wir lieber Damilola weiter zum Thema Sure zu Wort kommen (S. 92):

    Zitat von SNUFF, S. 92, Pelewin

    Hat sie eine Persönlichkeit? Ja und nein.

    Kaya verfügt nur über die Möglichkeit der Imitation menschlicher Emotionen. Dies erfolgt durch eingespeichertes Wissen und kulturelle Codes in Verbindung mit einer Steuerung durch Zufallsgeneratoren,

    Zitat von SNUFF, S. 93, Pelewin

    so dass eine Sure wirklich unvorhersehbar reagiert. In eng umrissenen grenzen selbstverständlich, aber das ist im Falle einer lebenden Frau auch nicht anders.

    An dieser Stelle habe ich gedacht, dass Herr Pelewin im Grunde jetzt froh sein kann, dass er sich so anonym und vom öffentlichen Leben zurückgezogen gibt, denn sonst hätte ihn bestimmt schon die eine oder andere Frau in ihrer Unvorhersehbarkeit abgewatscht oder mit einer ihrer unteren Extremitäten seine Weichteile schwungvoll angepeilt.



    „Lebens“zweck einer Sure (sh. S.93):

    Zitat von SNUFF, S. 93, Pelewin

    um euch größtmögliche Wonne zu bescheren. Doch unterwegs zu dieser Wonne müsst ihr womöglich auch Leid erdulden. Das ist, wie die Bedienungsanleitung versichert, die Dialektik der Ekstase.

    Jedesmal, wenn ich diesen Satz lese, kriege ich das große Schütteln vor Lachen – was mich daran hindert, diesen Gedanken Damilolas irgendwie auf die Reihe für einen Kommentar zu bringen (Das stimmt zwar irgendwo, aber es ist doch einfach zu blöd, wie das Faktotum Mensch funktioniert, da hat der liebe Gott eindeutig ein bisschen gepfuscht. Mich graust die krüde Erkenntnis, wie sehr der Mensch doch nach dem Kitsch- oder Schmonzettenprinzip funktioniert!). Vielleicht fällt dem Herrn Barden ein geistreicher Kommentar zu Damilolas Weisheit ein?



    Auf jeden Fall ist dieser Gedankengang Damilolas wieder ein wunderschönes Plädoyer für die riskante Wahl der Maximaleinstellungen von Charakteristika wie

    Zitat von SNUFF, S. 95, Pelewin

    Spiritualität, Hinterfotzigkeit, Verlockung, Aufrichtigkeit, Koketterie, Doppelzüngigkeit und so weiter, die zum sogenannten roten Block gehören (Regulierungen, die mit einem roten Stern gekennzeichnet sind)

    Schon allein die Formulierung mit de „roten Block / Stern“ ist sowas von Klasse – das klingt, als hätte Herr Pelewin tierischen Spaß beim Schreiben gehabt.




    Damilolas Argument für die Maximaleinstellungen lautet auf S. 93 unten:

    Zitat von SNUFF, S. 93, Pelewin

    Doch genau hier erwartet den Besitzer einer Sure die Möglichkeit wahren Glücks.

    Etwas trauriger stimmt mich hierbei der Abgleich mit den „Glücksvorstellungen“ unserer heutigen Gesellschaft, und dazu muss man nicht in den Osten blicken. Es ist mir bewusst, dass man Viktor Pelewin als Autor in Bezug uf „postsowjetische Inhalte“ kategorisiert, aber ist nicht die Garantie des (sexuellen) Erfolgs und des damit verbundenen Ansehens nach Überwindung (möglichst simulierter) Hürden genau das, was sich der Durchschnittsamerikaner unter seinem in der Verfassung des „land of the free and home of the brave“ verbrieftes „right to the pursuit of happiness“ vorstellt? (Nur so nebenbei: Wie armselig ist das denn? Das ist zumindest meine Meinung …)




    Egal, weiter im Text: auf S. 96 teilt Damilola uns mit, wie sehr ihn Kayas maximale Spiritualität anmacht. Aber was so eine richtig tolle Type ist, der weiß natürlich eine Frau / Sure, die um etliches cleverer ist als er selbst, ganz „subtil“ an sich zu binden, damit sie ihm nicht abhaut – in Damilolas Fall hat er Kayas Bewegungsradius auf seine Wohnung eingeschränkt. Das ist nicht das erste Mal in der Weltgeschichte, dass ein Mann so etwas macht, also wen wundert’s? Auch wenn es mich gruselt, dass so einer nicht nur eine Puppe fickt, sondern sie sogar einsperren muss, weil nicht einmal eine Puppe es mit ihm aushalten würde …

    Zitat von SNUFF, S. 97 unten, Pelewin

    Mit meinem Verstand erfasse ich es, dass ihr aufregendes Wesen nichts als das verzerrte Abbild meines eigenen ist, reine Illusion. Im Grunde blicke ich einfach in einen kompliziert eingestellten Spiegel.

    Ja bestimmt, eindeutig (wenn ich diese Aussage anfange zu kommentieren, kriege ich einen Anfall :evil: , also lasse ich’s lieber).




    S.98: Es bringt Damilola in unterdückte Rage, dass Kaya sich dank ihrer Einstellungen ständig für den jungen Ork Grimm interessiert. Das kommt neben der maximalen Spiritualität auch daher, dass er den Parameter des Interesses an seiner Arbeit bei seiner Sure ein bisschen hochgedreht hat. Aber natürlich greift ihn Kaya ständig wegen der in jeder Beziehung fehlenden Ethik an seiner Arbeit an. Aber dieser Idiot suhlt sich noch in der Vorstellung, dass Kaya ihn für seine „Flieger“künste bewundern müsse (ich drehe gerade die Augen soweit aus, dass es mir wehtut).


    S. 100/101: Damilola und Kaya betrachten über die Hannelore, wie Bernard Henri das Ork-Mädchen Chloe auf seine sadistischen Spielchen vorbereitet. Unser Fliegerheld kann Kayas Widerwillen und Ekel voll genießen, weil er ja weiß, dass er seine Macht und Kontrolle über sie elektronisch abgesichert hat und sie sich im Endeffekt nicht gegen ihn wehren kann – ich kann jetzt hier gar nicht schreiben, welche Gruppen von Männern mir hier in den Sinn kommen (die mit den Bomben haben nämlich gar keinen Humor, wie man am Beispiel Charlie Hebdo sehen konnte).



    Insgesamt fand ich dieses Kapitel gleichzeitig als abstoßend und immer wieder zum Loslachen. Es kommt mir außerdem wie eine ganz tolle Idee vor, menschliche Gefühlsregungen, Denkweise und Verhalten anhand von Kaya als künstlichem, anthropomorphen Wesen literarisch zu analysieren. Die Sure ist praktisch eine richtige Prosopopöie. (Mann, wie lange hat das gedauert, bis ich endlich mal diesen maximalen Klugscheißer-Begriff anbringen konnte. Ich glaube, ich bin mal im Zusammenhang mit Indigo von Clemens Setz darüber gestolpert – aber endlich konnte ich das Wort einmal anbringen - ein Hoch auf Pelewin! :anstossen: )

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog