Richard Flanagan - Der schmale Pfad durchs Hinterland / The Narrow Road to the Deep North

  • Der Klappentext:

    "The fire was rising at his back, its flames the only living thing, and he thought of her head and her face and her body, the red camellia in her hair, but as hard as he tried now, he could not remember her face."


    In the despair of a Japanese POW camp on the Burma Death Railway, surgeon Dorrigo Evans is haunted by his love affair with his uncle's young wife two years earlier. Struggling to save the men under his command from starvation, from cholera, from beatings, he receives a letter that will change his life forever.


    Der erste Satz:


    Why at the beginning of things is there always light?


    Meine Meinung:


    The world is. It just is.


    Der Hauptprotagonist in diesem Roman ist der Australier Dorrigo Evans, ein gelernter Chirurg. Hauptsächlich erlebt man ihn als Arzt im Gefangenenlager während dem Krieg. Dort schildert er seine täglichen Aufgaben, kümmert sich so gut es geht um die Sklaven, die POWs (Prisoners of War) bzw. deren Krankheiten und Folgen des ewigwährenden Hungerns.


    Als jemand, der bei einem Krieg nicht dabei war, der keine Ahnung hat, wie es ist, Gegangener zu sein, hart an dem Bau der Burma Death Railway arbeiten zu müssen und so gut wie kaum Essen bekommt, kann sich natürlich nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie es ist, das alles mitzuerleben. Der Autor hat aber versucht, genau das mit seinen Schilderungen zu vergegenwärtigen. Und das mit Bravour, muss ich sagen!
    Schonungslos, das Kind beim Namen nennend, wurde hier alles Leid, Krankheit, Erschöpfung durch Hunger, Sehnsüchte und Freundschaft, und vor allem der Kampf mit dem Tod anschaulich beschrieben. Und zwar so gut, dass einem ganz anders wird, wenn man es liest.


    Gerade, dass nicht ausschließlich aus Dorrigo Evans Sicht erzählt wird, sondern von den verschiedensten Warten aus, z. B. von den Gefangenen, die man nach und persönlicher kennenlernt, aber auch von den Wärtern aus, hat das Ganze so interessant gemacht. Man hat Einblicke von den unterschiedlichsten Menschen erhalten und meist konnte ich jeden einzelnen auf eine Weise in seinem Handeln und Denken verstehen.
    Verstehen ist aber nicht mit Gutheißen gleichzusetzen und das habe ich auch nicht immer getan, besonders wenn Gewalt und Schläge thematisiert wurden.


    Die Liebe und Hoffnung spielt in diesem Roman eine ebenso große Rolle, wie all das Kriegsleiden und der Tod.
    Auch Dorrigo hat eine ganz eigene Liebesgeschichte zu erzählen. Es geht darin um unbändige Leidenschaft, Glück, wundervolle Zeiten und echte Liebe. Dennoch kommt die Tragik nicht zu kurz. Verschenkte Chancen und Sehnsucht, ebenso wie Handlungsunfähigkeit und Reglosigkeit in einem entscheidenden Moment, haben mich als Leserin mit dem Protagonisten gleich mitverzweifeln lassen. - Eine Liebesgeschichte, die bedauernswerter nicht sein könnte ...


    Der Stil des Autors, Situationen und Menschen so unglaublich anschaulich zu beschreiben, hat mich phasenweise wirklich fasziniert. In solchen Momenten wird man wieder ganz stark daran erinnert, wie schön lesen nicht ist. Mit den richtigen Wörtern kann nämlich wirklich Hervorragendes entstehen! Und das war hier der Fall. Oft habe ich über so tolle Vergleiche, wie z. B. diesen hier, gestaunt:


    "... her head bobbing like flotsam on the rolling swell of the walkers all around her."


    (Großartig, nicht?)


    Schlussendlich bin ich gewaltig begeistert von dem Buch. Auch wenn ich eine kleine Ewigkeit dafür gebraucht habe, gelohnt hat es sich in jedem Fall. Die Bilder, die mein Kopf beim Lesen produziert hat, waren das allemal wert.
    Liebe, Hoffnung, Leid, Gewalt und Tod sind die Themen, die diesen Roman aus- und lesenswert machen. - Ihr solltet euch diese Lektüre unbedingt gönnen!


    5 Sterne!

  • Autor
    Richard Flanagan wurde 1961 in Tasmanien geboren. Sein Roman »Goulds Buch der Fische«, ausgezeichnet mit dem Commonwealth Prize, machte ihn 2002 weltweit bekannt, seine insgesamt sechs Romane sind seither in 41 Ländern erschienen. Für »Der schmale Pfad durchs Hinterland« erhielt Richard Flanagan den bedeutendsten englischsprachigen Literaturpreis, den Man Booker Prize. (Quelle: Verlagsseite)



    Kurzbeschreibung
    »Ein tiefgründiges und bewegendes Meisterwerk über einen verzweifelten jungen Mann in Zeiten des Krieges«, urteilt der Observer. Preisgekrönt entfachte Richard Flanagans Roman weltweit einhellige Begeisterung: Sein Held ist Dorrigo Evans, ein begabter Chirurg, dem eine glänzende Zukunft bevorsteht. Als der Zweite Weltkrieg auch Australien erreicht, meldet er sich zum Militär. Doch der Krieg macht keine Unterschiede, und während Dorrigo in einem japanischen Gefangenenlager mit seinen Männern gegen Hunger, Cholera und die Grausamkeit des Lagerleiters kämpft, quält ihn die Erinnerung an die Liebe zu der Frau seines Onkels. Bis er einen Brief erhält, der seinem Leben eine endgültige Wendung gibt. Richard Flanagans schmerzvoll poetischer Roman erzählt von den unterschiedlichen Formen der Liebe und des Todes, von Wahrheit, Krieg und der tiefen Erkenntnis eines existentiellen Verlusts.(Quelle: Verlagsseite)



    Meinung
    Richard Flanagan hat in einem Interview(Übrigens ein sehr interessantes und lesenswertes Interview)Folgendes zu seinem Buch gesagt: „Ich finde es nach wie vor schwer vorstellbar, dass beim Bau dieser Strecke mehr Menschen starben, als der Roman Wörter enthält.“ (Quelle: Verlagsseite) Mit "dieser Stecke" meint er die Thailand-Burma-Eisenbahn, die sogenannte Death Railway, die von tausenden Gefangenen für die japanische Armee gebaut wurde. Die Gefangenen kamen aus verschiedenen Nationen, aber dieses Buch konzentriert sich auf die australischen Gefangenen. Ich muss leider sagen, dass mir dieser Aspekt des 2. Weltkrieges nicht bekannt war. Von diesen japanischen Gefangenen- und Arbeitslagern habe ich nie etwas bewusst gelesen oder gehört. Aber Richard Flanagan hat es aber geschafft, dass ich sie nie wieder vergessen werde. Die Bilder, die er präsentiert, sind extrem und schwer zu ertragen. Krankheit, Elend, Hunger, Dreck, Folter, Gewalt – alles wird unerbittlich und ungeschönt dargestellt. Und wenn man sich näher mit dem Thema befasst, dann wird einem klar, dass er mit seiner Darstellung nicht übertrieben hat.
    Dabei geht es Flanagan nicht nur darum zu schildern, wie unvorstellbar grausam die ganze Situation war, sondern auch zu zeigen, wie diese Männer versuchen ihre Menschlichkeit erhalten, in einer Situation, in der es nichts Menschliches mehr gibt. „Darky Gardiner konnte Tiny nicht leiden (...) und dennoch tat er alles, um ihn am Leben zu erhalten. Denn Mut, Liebe, Überleben - all das existierte nicht in einem Menschen allein. Es existierte in ihnen allen, oder es starb, und dann starben sie alle gleich mit. Inzwischen glaubten sie fest daran: Einen anderen aufzugeben war dasselbe, wie sich selbst aufgeben.“


    Die japanischen Aufseher sind in diesem Buch die Täter, aber sie werden nicht einfach nur als die „Bösen“ dargestellt. Durch den Wechsel der Erzählperspektiven (die Geschichte wird nämlich nicht nur aus Sicht von Evans erzählt, sondern auch aus der Sicht anderer Gefangener und der japanischen Aufseher) gelingt es ihm auch ihre Sicht darzulegen. Dafür beleuchtet er sehr anschaulich den Ehren-und Verhaltenskodex der kaiserlich japanischen Armee. Für die japanischen Aufseher/Soldaten haben die Gefangenen keine Ehre mehr, für sie sind sie keine Menschen mehr. In dem sie den Krieg/Kampf verloren und sich gefangen genommen lassen haben, haben sie keine andere Behandlung verdient und sie können sie laut Codex auch gar nicht anders behandeln. Der Wille des Kaisers (der quasi als Gott verehrt wird), Ehre, bedingungsloser Gehorsam und Hierarchie sind Dinge, die nicht Frage gestellt werden. Die Dinge auch aus japanischer Sicht zu erzählen, ist kein Versuch eine Rechtfertigung oder gar eine Entschuldigung zu finden, aber eine Erklärung. Und ich fand es sehr aufschlussreich. Durch die Perspektivenwechsel bekommt man auch den Eindruck, dass auch die Täter eine Art Opfer sind; Opfer dieser Indoktrination, in der Tod ehrenvoller ist als Gefangenschaft.


    Im Gegensatz zu seinen Mitgefangenen und anderen Charakteren im Buch(die alle sehr gelungen sind), hatte ich mit den Protagonisten Evans anfangs so meine Schwierigkeiten. Sein Charakter blieb mir sehr lange fremd. Ich fand ihn weder unsympathisch noch mochte ich ihn. Aber irgendwann begreift man, wie er so ein Mensch werden konnte. Besonders zum Schluss entfaltet sich die ganze Tragik seines Daseins und dann erscheinen sein Verhalten und seine Gedanken, im Nachhinein, fast logisch und nachvollziehbar. Während Evans für mich nur anfangs nicht greifbar und unnahbar ist, bleibt er es für seine Mitmenschen im Buch sein Leben lang. Und je mehr ist darüber nachdenke, desto faszinierender finde ich die Figur Dorrigo Evans.
    Mit der Sprache habe ich mir anfangs auch etwas schwer getan, denn sie war für mich gewöhnungsbedürftig. Die umständlichen und ungewöhnlichen Sätze, die ich teilweise zweimal lesen musste, machten den Einstieg in die Geschichte anstrengend. Wer es sehr gern hat, wenn wörtliche Rede in Anführungszeichen geschrieben ist, wird hier Probleme haben. Mich hat das nur anfangs leicht irritiert. Nach ca. 30,40 Seiten habe ich mich an die Sprache gewöhnt und ich wurde mit einer Geschichte belohnt, die mich tief beeindruckt und berührt hat und die ich nicht einfach mit dem Zuschlagen des Buches abschütteln konnte. Von mir gibt es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: und eine Leseempfehlung!


    "Die Strecke zerfiel, so wie alles zerfällt; alles war umsonst, nichts ist geblieben. Die Menschen sehnen sich weiterhin nach Sinn und Hoffnung, aber im Buch der Vergangenheit steht nur eine einzige, schlammige, chaotische Geschichte. Und über dieser kolossalen Ruine, grenzenlos und verschüttet, erstreckte sich der einsame Dschungel. Von den kaiserlichen Träumen und den toten Männern blieb nichts als hohes Gras."