Heinrich Steinfest- Das grüne Rollo

  • In seinem neuen Roman „Das grüne Rollo“ überrascht der Erfolgsautor Heinrich Steinfest seine Leser, weil er, ungewohnt für ihn, komplett das Genre wechselt. Nachdem ich den Klappentext gelesen hatte, war ich auch skeptisch, doch nach einigen Dutzend Seiten hatte mich seine Sprache wieder gefangen genommen und ich freundete mich langsam mit seiner ungewöhnlichen und kaum einzuordnenden Geschichte ein.


    Im ersten Teil des Buches erzählt der gerade 10- jährige Theo, der im Jahr 2010 gerade erst in die 5. Klasse eines Gymnasiums gekommen ist, wie eines Nachts um genau 23.02 Uhr an dem Fenster seines Zimmer ein grünes Rollo erscheint. Tagsüber oder wenn er nachts das Licht einschaltet, verschwindet es, doch es kommt mit großer Pünktlichkeit jeden Abend um 23.02 Uhr wieder, obwohl es sonst im Hause der Eltern von Theo weder Vorhänge noch Rollos gibt. „Wir sind ja nicht im Krieg“, sagen sie abfällig zu dieser Form, ein Zimmer zu verdunkeln.


    Das Rollo übt auf Theo eine unheimliche Anziehungskraft aus. Wenn er genau hinschaut, scheint es Augen zu haben, die sich als Ferngläser entpuppen. Aus dem Rollo blicken Männer durch Feldstecher hindurch zu Theo herüber. Theo ist nach einigen Tagen davon überzeugt (durchaus normal in diesem Alter), dass auf der anderen Seite des Rollos eine andere Welt existiert. Grün ist sie und übt einen wahnsinnigen Sog auf ihn aus. Nach vielen schlaflosen Nächten beschließt Theo in die andere Welt hinüberzusteigen. Nach vielen Kämpfen und mit Hilfe eines exaliburartigen Zaubermessers befreit er dort ein Mädchen und flieht mit ihr wieder auf die andere Seite. Dort stellt sich heraus, dass Anna seine Schwester ist.


    Vierzig Jahre später, im zweiten Kapitel, hat Theo das alles fast vergessen und wenn er daran denkt, ist es für eine Kindheitsfantasie. Er ist Astronaut geworden und nach vielen Einsätzen im All Mitglied einer Crew, die zum Mars fliegen soll. Dort, auf dem Raumschiff erscheint das grüne Rollo plötzlich eines nachts wieder. Erneut geht er in die andere Welt und auch Anna ist wieder da.


    Gebannt, wenn er sich denn einmal auf die in grüner Schrift gedruckte fantastische Handlung eingelassen hat, verfolgt der Leser diese Geschichte, bis Steinfest ihr in einem dritten kurzen, das Buch abschließenden Kapitel eine völlig überraschende Wendung gibt.


    Zwischen Alice im Wunderland und Space Odyssee 2001 - ein ungewöhnlicher Roman von Heinrich Steinfest.

  • Da sind zunächst einmal alle die bekannten Zutaten von Fiktion, Science fiction, Fantasy, von alten Märchen und Mythen bis zu Michael Ende und Harry Potter; dazu viele gemütvolle Nachdenklichkeiten über dies und jenes unter der Sonne, sowie auch diverse spitze politische Spitzen des Autors. Aber wie das so auffällig oft der Fall ist mit vorallem österreichischer (der Autor ist Österreicher) Gemütlichkeit – der Alptraum lauert direkt unter der dünnen Decke der Fabuliererei. In diesem Buch geht es fortschreitend nicht darum, sich in einer Phantasiewelt wohlig zu verlieren, es herrscht hier, allerlei Raumfahrt zum Trotz, eine reelle Bodenhaftung. Das hat vorallem mit den Charakteren zu tun, der Autor versucht offenbar, eine Welt von Superhelden zu untergraben. Theo, die Hauptperson zum Beispiel, hat zwar einen göttlichen Namen, ist aber ein mittelmäßiger Schüler und dann ein mittelmäßiger Ehemann und Vater von fünf Kindern, und in seinem Berufsleben ein mittelmäßiger Astronaut, alswelches Motiv auch der Ansiedlung der Erzählerperspektive im Jahr 2046 geschuldet ist, wenn sogar regelmäßige bemannte Flüge zum Mars längst zum Alltag gehören. Die kindlichen Allmachtsphantasien von Superhelden gehören nur dem zehnjährigen Ich des Erzählers an, danach relativiert sich alles, jedoch ohne deshalb an Sinn und Energie zu verlieren. Ich nehme an, daß hierin eine der Absichten des Autors liegt. Manche sind offenbar der Meinung, er habe dadurch dem Genre seinen Zauber genommen, aber beim Lesen des Buches habe ich das ganz und gar nicht so empfunden. Für mich liegt der Zauber des Phantastischen eher in einer Projektion menschlich-allzumenschlicher Komplexität als in irgendeiner sinnfreien Phantasterei, die diese verleugnet und simplifiziert.


    In der Wohlfühlzone beläßt der Autor den Leser also nicht, sondern besteht darauf, sich und ihn in immer fortschreitendem Maße, wenn auch in phantastischer Form und Verkleidung, äußerst komplizierten menschlichen Verhältnissen auszusetzen, so daß die Geschichte sich geradezu dystopischen Zuständen nähert wie jahrzehntelangem Krieg und Bürgerkrieg – die Beispiele aus der Wirklichkeit allein der letzten Jahrzehnte, die einem unmittelbar dazu einfallen können, sind ja Legion: Beirut, Balkan, Kaukasus ... you name it.



    Der besagte Arzt ist es, der ein Buch über Theos Innenleben schreibt – das uns vorliegende Buch. Und so ist das Buch selbst der eigentliche Hoffnungsstrahl, mit dem der Leser aus dieser Lektüre hervorgeht.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Ich habe gerade 3 Kapitel gelesen und überlege, ob ich es abbreche.


    Spielt das Buch zu Beginn im Jahre 1910 oder 2010 bzw. im Zweitenteil 1950 oder 2050?


    Gehört dieses Buch nicht in den Bereich Fantasie?

  • So richtig was falschmachen kann man bei Steinfest ja eigentlich nie. Seine Sprachgewalt reisst fast alles raus.
    In diesem Buch allerdings macht er es sich selbst, wie ich finde, absichtlich schwer. Das ist nicht sein Genre, finde ich. Zu schwer, zu melancholisch, traurig. Nun versucht Steinfest ja in letzter Zeit überhaupt, vom Krimi wegzukommen, was ich gut verstehen kann. Der Mann hat sein riesiges Talent ja auch ein wenig verschwendet. Insofern ist dieser Versuch verständlich. Allerdings gehört zu seinem Talent ja vor allem sein seh spezieller, intelligenter Humor und den kriegt er hier in diesem Buch schlecht untergebracht.
    Ich weiß nicht, wie ich denken würde, wäre dies das erste Steinfest-Buch für mich gewesen. Ich glaube, ich hätte es gelesen und nicht weiter an den Autor gedacht. (Während ich in Wirklichkeit, alles sofort kaufe, was von ihm rauskommt). Die 3 1/2 Sterne, die oben stehen, finde ich daher ganz passend, obwohl das für ein Steinfest-Buch fast unvorstellbar für mich war.
    Bin sehr gespannt, wie es mit Steinfest weitergeht.
    (Ich stelle mir das so ähnlich vor wie bei Gisbert Haefs, der hatte auch ein paar Krimis geschrieben und dann mit dieser kleinen Berühmtheit gearbeitet und dann hervorragende historische Romane geschrieb en. so was in der Art wünsche ich Steinfest)