Kate Hamer: Das Mädchen, das rückwärts ging / The Girl in the Red Coat

  • fesselnde Spannung, beeindruckend erzählt
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    Die alleinerziehende Beth lebt mit ihrer Tochter Carmel im englischen Norfolk. Carmel, acht Jahre alt, besonders sensibel und reifer als andere in ihrem Alter, besonders empathisch aber genauso auch verträumt und abwesend, fühlt sich von ihrer Mutter manches Mal zu sehr gegängelt und „überwacht“. Carmel empfindet Beth des öfteren als Angsthasen und stellt für sich schon früh fest: „ Ich weiß, dass wir und früher oder später wiederfinden, auch wenn ich sie verliere.“


    Beth hingegen hat große Angst, Carmel zu verlieren und auf einem Geschichtenfestival passiert es dann: Im dichten Nebel und Menschengedränge flüchtet Carmel unter den Tisch einer Buchausstellung und geht verloren...


    Beth macht sich große Vorwürfe, hört nie auf, nach Carmel zu suchen. Oft begegnen sie sich im Traum; nie scheint die Verbindung zwischen beiden wirklich abzureißen. Beide fühlen sich immer wieder mit einander verbunden, halten Rituale ein und klammern sich an einzelne Gegenstände um diese Verbindung zu halten und nicht zu vergessen.... und nebenbei müssen beide ihr Leben neu organisieren...


    Mein Eindruck:


    Kate Hamer hat diesen Albtraumgrandios erzählt, sehr intensiv, emotional und stets sehr gut nachempfindbar. Mit den Kapiteln wechseln die beiden Erzählstränge; sowohl Carmels als auch Beth' Geschichte wird detailliert dargstellt und man kann beide Positionen sehr gut nachempfinden.


    Besonders beeindruckend fand ich die Verbindung von Mutter und Tochter dargestellt, ihre Verbindung zu einander und wie ähnlich sie sich doch in ihrem Inneren sind und nahestehen.


    Über das Ende streiten sich wohl die Leser... Ich gehöre zu denen, die es perfekt fanden, denn so kann man noch selber ein bißchen mitdenken und sich Details dazu selber ausmalen – und das könnte wahrscheinlich ein neues Buch füllen. Für dieses perfekte Ende wüde ich, wenn ich könnte, gerne einen Extra-Stern vergeben.


    Insgesamt fand ich den Roman bis zum Schluß sehr spannend und gefühlvoll erzählt; ein tolles und beeindruckendes Buch, das ich uneingeschränkt weiterempfehle.

  • Rezension:
    Nachdem sich Beth und Paul sich getrennt haben, kümmert sich Beth um die gemeinsame, achtjährige Tochter Carmel. Das Mädchen ist zwar sehr intelligent, wirkt jedoch manchmal geistesabwesend bzw. scheint gedanklich in einer anderen Welt zu sein. Bereits kleine Dinge können sie so gefangen nehmen, dass sie die Menschen um sich herum vergisst, und sie diese erst nach längerem Suchen finden, da Carmel in solch einer Situation nicht auf Zurufe nicht reagiert. Außerdem hat das Mädchen eine besondere Gabe, die seelischen und körperlichen Empfindungen ihrer Mitmenschen zu erspüren. So schafft sie es beispielsweise mühelos, Menschen von ihren Verspannungen zu befreien, indem sie intuitiv richtige Massagetechniken anwendet. Als Carmel eines Tages im Zuge eines Geschichtenfestivals, das sie mit Beth besucht, spurlos verschwindet, und nicht mehr auftaucht, gibt sich Beth die Schuld dafür. Alle Versuche, das Mädchen wiederzufinden, bleiben über Monate, ja sogar Jahre erfolglos. Beth spürt aber, dass ihre Tochter noch lebt, in Träumen erscheint ihr das Mädchen öfters, wobei diese darin rückwärts zu gehen scheint. Irgendwann beginnt Beth, ihr Leben, das aufgrund des Verschwindens ihrer Tochter völlig aus den Fugen geraten ist, neu zu orientieren, ohne jedoch ihren Fokus auf das Kind zu verlieren. Es stellt sich heraus, dass Carmel in die Fänge eines skrupellosen, fanatischen Wanderpredigers gelangt ist, der sie in die Vereinigten Staaten entführt und sie für seine Machenschaften benutzt, der ihr glauben macht, ihr Großvater zu sein, der sich nach einem vermeintlichen Unfall ihrer Mutter um sie kümmern will.
    Der Roman befasst sich mit den Alptraum jeder Mutter: dem spurlosen Verschwinden des eigenen Kindes, und der damit verbundenen Machtlosigkeit, die man als Betroffene in dieser schier ausweglosen Situation empfindet. Um in ihrem Schmerz nicht völlig durchzudrehen, befasst sich Beth mit kleinen, fast schon banalen Dingen, an die sie sich wie an einen Strohhalm klammert. Dieses Leiden der Mutter wird von der Autorin Kate Hamer in so exzellenter Weise dargestellt, sodass man davon als Leser zwangsläufig in seinen Bann gezogen wird: man steht dem Geschehen fassungslos gegenüber, und kann nicht glauben, zu welchen seelischen Grausamkeiten der Entführer fähig ist. Interessant ist auch der Aufbau des Buches: abwechselnd wird das Geschehen aus der Sicht der Mutter und aus der des Kindes geschildert. Das Ende des Romans wird dadurch jedoch nicht vorweggenommen, denn während die Schilderungen der Mutter in der Vergangenheit geschrieben sind, sind die von Carmel in der Gegenwart verfasst. Somit bleibt offen, was letztendlich mit dem Mädchen passiert, ob es befreit werden kann oder womöglich stirbt. Der Schreibstil Hamers ist flüssig und sehr fesselnd, allerdings empfinde ich die die Denkweise Carmels nicht unbedingt die eines achtjährigen Kindes entsprechend. Die manchmal etwas ins Mystische abgleitende Handlungsstränge sind für diese Art des Romans etwas ungewöhnlich, stören aber nicht, sie unterstreichen nur die verzweifelte Lage der Beteiligten.
    Mir persönlich hat das Werk sehr gut gefallen, da es authentisch und spannend geschrieben ist. Für junge Mütter vielleicht nicht unbedingt empfehlenswert, weil es doch sehr stark mit den Ängsten einer Mutter spielt!


    Sterne 4/5

  • Ein unfassbar emotionales und ergreifendes Buch, über die Verbundenheit von Mutter und Tochter!


    Die nach der Trennung ihrer Eltern Beth und Paul bei ihrer Mutter lebende Carmel ist anders als andere Kinder ihres Alters: Oft träumt sie vor sich hin und vergisst dabei Raum und Zeit, sie ist sehr intelligent, mitfühlend, reif, sehr sensibel und hat darüber hinaus eine blühende Phantasie. Die kleinsten Dinge, die für andere Menschen so uninteressant und gewöhnlich wirken, ziehen das kleine Mädchen in ihren Bann. Ob nun ein Baum der sich im Wind bewegt oder ein Käfer der des Weges geht: Sie versinkt vollkommen beim Beobachten dieser Dinge. Sie scheint dann in einer anderen, weit abgelegenen Welt zu sein.. In diesen Momenten bemerkt Carmel nicht was um sie herum geschieht, hört es nicht wenn man ihren Namen ruft, nimmt es nicht wahr, wenn andere sie suchen.
    Carmels Mutter Beth hat immer Angst um ihr Kind, da sie befürchtet, sie verlieren zu können. Als die beiden an Carmels achten Geburtstag ein Geschichtenfestival besuchen, hat Beth schon ein ungutes Gefühl. Doch sie weiß, dass sie sich immer viel zu viele Sorgen macht und beschließt ein wenig mehr loszulassen. In den auf dem Platz aufgeschlagenen Zelten werden Geschichten vorgetragen, kleine Szenen vorgespielt und in einem anderen Zelt stellt eine Autorin ihr neues Kinderbuch vor. Als man im Anschluss daran Fragen stellen darf, meldet sich die kleine Carmel sofort. Und dort, vor den vielen Menschen, erzählt sie, dass sie ihre Großeltern nicht kennt, da sie sie noch nie gesehen hat und dass ihre Mutter seit Jahren mit ihnen im Streit liegt.
    Als Mutter und Tochter wieder aus dem Zelt treten, wird der Platz immer voller und zunehmend unübersichtlicher. Leute drängeln, schubsen, Carmels kleiner Kopf verschwindet immer wieder, aber kommt jedes mal wieder zum Vorschein. Als dann auch noch dichter Nebel aufzieht verstärkt sich Beths schlechtes Gefühl, aber da Carmel und sie sich zuvor leicht gestritten haben, möchte ihr Kind nicht auf sie hören, sondern einfach eine Weile abtauchen, unsichtbar werden und die Stille genießen. Einfach mal alleine sein.
    Und so versteckt sich das kleine Mädchen unter einem Tisch und während sie anfangs noch die Schuhe ihrer Mutter sieht, die an ihr vorbei gehen, beginnt sie sich nach einer Weile in ein Buch zu vertiefen und ist erneut ganz weit weg. In dieser anderen Welt einfach abgetaucht.
    Wärenddessen macht sich ihre Mutter zunehmend Sorgen. Auch ihre Vorwürfe sich selbst gegenüber werden immer lauter und als sich der Platz immer weiter leert, da die meisten Menschen schon nach Hause gehen, sucht sie verzweifelt nach ihrer Tochter, kann sie aber nicht finden. Die Stunden vergehen und auch als man ihr endlich glaubt, dass ihre Tochter verschwunden ist und die Polizei ruft, ist Carmel unaufspürbar.
    Denn in der Zwischenzeit ist Carmel mit einem Mann fortgefahren, der sich als ihr Großvater ausgegeben hat. Als er behauptet hat, Beth hätte einen Unfall gehabt, steigt sie ohne Zweifel zu hegen in sein Auto und eine lange Reise beginnt.
    Wer ist dieser Mann, der Carmel mitgenommen hat? Was hat er mit ihr vor? Und vor allem: Wird Carmel überleben und irgendwann vielleicht sogar ihre Mutter wiedersehen können?
    Die Tage, Monate und Jahre verstreichen. Doch glaubt Beth nicht daran, dass Carmel tot ist. Sie sieht ihr Kind in ihren Träumen: Das lockige Haar und den roten Mantel ihrer Tochter. Das Lächeln und die braunen Augen ihres Kindes. In ihren Träumen geht Carmel stets rückwärts.
    Beths Leben ist mittlerweile aus den Fugen geraten, denn alle Hinweise, die bei der Polizei eingehen, führen ins Nichts. Eine neue Sichtung von einem Kind im roten Mantel. Eine neue Hoffnung. Und eine neue Enttäuschung. So viele Menschen die helfen wollen, doch niemand der es kann.
    Aber Beth bemerkt, dass wenn Carmel sie so sähe, sie ganz und gar nicht glücklich mit ihr wäre. Und so beschließt die noch immer von starken Schuldgefühlen geplagte Beth, selbst zu Handeln. Sie hat das Ziel, Carmel zu suchen und zu finden. Sie will ihr Kind zurück holen und es dann nie wieder alleine lassen. Ihre ewige Fragen zermürben sie: War ich Schuld? Hätte ich mehr auf sie Acht geben sollen?
    An einen geregelten Alltag zu denken ist für sie unmöglich geworden. Und auch ihre Ermittlungen führen ins Nichts. Aber Beths Hoffnung bleibt immer. Jeder Zeit.


    Selten hat mich ein Buch derart sprachlos zurück gelassen!
    Die jedes Kapitel wechselnde Perspektive lässt den Leser genau erfahren, was mit Carmel und ihrer Mutter geschieht, was sie fühlen, welche Ängste und Sorgen, aber auch welche Hoffnungen sie haben.
    Sein Kind zu verlieren ist für Eltern das Schlimmste, was geschehen kann und auch für Beth bricht eine ganze Welt zusammen. Es ist furchtbar mit anzusehen, wie sie leidet, sich die Schuld gibt und sich bei der Suche nach Carmel an jedem noch so kleinen Indiz festklammert. Jedes mal, wenn sich eine neue mögliche Spur der Polizei wieder nur als ein falscher Alarm heraus stellt, hat es mir einen Stich versetzt.
    Aber auch wie unterschiedlich Beths Umfeld auf das Verschwinden Carmels reagiert ist zum Teil einfach unfassbar. Ob sich Beth anhören muss, Carmel sei nun bei Gott oder dass dies nun mal passiere- es ist einfach unbegreiflich.
    Beth muss sich zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: Entweder sie gibt sich weiterhin ihrer Trauer hin und versinkt weiter in ihrem tiefen, dunklen Loch, oder sie sammelt ihre ganze Kraft, um ein neues Leben anzufangen, damit sie das Gefühl bekommt, gebraucht zu werden und etwas gut zu machen.
    Auch ihr Kampf, stets optimistisch zu bleiben, nicht einzuknicken, immer an Carmels Leben zu glauben, ist unglaublich.


    Auf der anderen Seite wäre da noch Carmels Geschichte. Es war sehr bedrückend zu lesen, wie sie auf den Trick ihres Entführers reinfällt, um ihre Mutter bangt, die laut Entführer einen Unfall gehabt hat, während diese alles in ihrer Macht stehende unternimmt, um ihre Tochter zu finden. Außerdem hat es mich sehr traurig gemacht, als die Methoden des Entführers (und seiner Komplizin) beschrieben wurden, um Carmel an ihn zu binden und sie gleichzeitig von ihrer Verwandtschaft abzuschotten. Er säht so gezielt Zweifel in Carmel, beschert ihr Trauer und macht ihr an anderer Stelle Mut, sodass einem ganz übel wird..
    Auch seine Beweggründe haben mich wütend, fassungs- und sprachlos gemacht. Beim Lesen dieses Buches stellte sich oft die Frage, was das für ein Mensch sein kann, der einfach ein Kind mit nimmt, es manipuliert und für seine Zwecke nutzt, als wäre es nur ein Stück Inventar. Die Antwort auf diese Frage wird im Buch gegeben und lässt einem wirklich den Atem stocken..


    Dieses Buch ist eines der beeindruckendsten, die ich je gelesen habe! Es ist so unglaublich realistisch geschrieben, dass einem ganz anders wird. Man durchfährt beim Lesen tatsächlich die berühmte Achterbahn der Gefühle und verspürt nicht nur Wut, Fassungslosigkeit, Angst, Unbehagen, Hoffnung, sondern noch so viel mehr.
    Bis zum Ende wusste ich nicht, wie es ausgehen wird, da die Täter so unberechenbar erscheinen und einige Irrwege beschrieben werden. Alleine schon die Antwort auf die Frage, ob Carmel überleben wird, hat mich beinahe verrückt gemacht. Unvorstellbar, wie man sich als Mutter eines entführten Kindes fühlen muss..
    Darüber hianus ist der Schreibstil sehr packend, sodass man das Buch kaum aus der Hand legen mag.
    Am Ende des Buches war ich vollkommen sprachlos und zu Tränen gerührt. Im Verlaufe des Buchs hat man die Beteiligten über Jahre hinweg begleitet, in ständiger Angst um das Kind.


    Alles in allem ist dies keineswegs ein Buch für zwischendurch, sondern eines, das einen festhält und nicht mehr los lässt, das einem menschliche Abgründe aufzeigt, das Ängste schürt, aber auch Hoffnung zu lässt. Ein Buch, das einem den Atem raubt und einem zeigt, wie gut man es hat und wie sehr man seine Mitmenschen wertschätzen sollte, da man sie jederzeit verlieren könnte.
    Ich kann dieses zermürbende Buch über die unfassbare Verbundenheit zwischen Mutter und Kind allerdings nicht an jeden weiterempfehlen, da es einem schon einiges abverlangt.
    Nichtsdestotrotz ist es eines der besten Bücher die ich je gelesen habe! Es ist so unglaublich ergreifend und gleichzeitig so beängstigend realistisch, dass es einem einen kalten Schauer über den Rücken jagt.