Dörte Hansen - Altes Land

  • Ich finde in all Euren Beiträgen auch eigene Eindücke wieder. Die Teufelchen sind geblieben..., auch das Warten auf DIE grosse Entdeckung. Meines Erachtens verzettelt sich die Autorin hier und da: die eigentlichen, von Euch erwähnten Hauptpersonen, wären fast noch intensiver im Zentrum dargestellt, interessanter gewesen. Doch dann schwankte plötzlich wieder das Thema und war woanders. So vermisste ich die stringentere Erzählweise.


    Karthauses Kommentar am Anfang gab mir ganz grosse Lust (vor längerer Zeit) auf dieses Buch, und nun erklärt er mir auch einiges, wo ich sage: Ja, da hat Karthause Recht! Aber ich habe das nicht selber so klar gesehen.


    Der Aspekt der Heimatlosigkeit, bzw der Flucht ist mir als Flüchtlingskind sehr wichtig gewesen, doch wurde mE nicht ganz ausgearbeitet. Am Anfang: ja! Und dann so auf Seite 170 (?) gibt es zwei Seiten.


    Die Bissigkeit dahingegen fand ich fast das Gelungenste in diesem Roman: die Beschreibungen von einerseits dem auf dem Felde, und andererseits des Stadtflüchtlings und Möchtegernländlers waren zum Kringeln! Herrlich!


    Insgesamt gesehen für mich wohl doch nicht mehr als ein Dreisternebuch?!

  • ALTES LAND ist eine literarische Hommage an die Elbmarsch. Ein Panoptikum der Gesellschaft vom platten Land mit platter Sprache, von der Nachkriegs- bis zur Jetztzeit. Völlig unaufgeregt, sachlich, pointiert und mit einer Portion Ironie beschreibt Hansen Land und Leute. Von Bauern, Flüchtlingen und Zugereisten. Verfällt nicht in einen verklärenden romantischen Rückblick. Der „Lesefaden“ reißt nie ab, ein wahres Lesevergnügen mit einem Schreibstil der Extraklasse.

    Plötzlich steht die aus Ostpreußen vertriebene Gutsbesitzerin Hildegard vom Kamcke mit ihrem Kleinkind Vera vor der Bäuerin Ida. Vertrieben aus Polen, einem geschundenen Land, zuerst von der Deutschen Wehrmacht geknechtet, dann von den Russen gedemütigt. Zwei weibliche Alphatiere, die nicht miteinander können „zwei Frauen, ein Herd, das war noch niemals gut gegangen“, bis Ida am Balken hängt. Was für Gene hat Ida, wenn sie nicht einmal mit ihren vertriebenen Landsleuten friedvoll umgehen konnte? Hildegard „trampelt“ wie ein Ackergaul durchs Bauernhaus und durchs Leben von Vera, bis sich mit neuem Mann vertschüsst. Vera bleibt - ein Leben lang, mit Pferd und Hund und versintert.

    Anne mit Leon, scheitert privat, wie beruflich und wird zum Flüchtling, zum Tischlergesellen auf Veras Bauernhof.

    Furnier gegen Vollholz – nicht nur ein Glaubenskrieg, sondern ein Generationenkonflikt.

    Auf den Mund geschaut: Was ein Bauer denkt, wenn ihm ein Städter die Welt erklärt.Gehörlose, Demenzkranke und Mütter, alle eine Kategorie aus der Sicht einer KITA-Tante.

    „Kleine Fische, arme Schweine, schräge Vögel, grenzdebile Hofpflasterer, Sozialphobiker und schlichtgestrickte Bauern“, alle sind da.

    Es tut fast weh, wenn Hansen mit dem Brennglas auf die nachbarschaftlichen Beziehungen, die dörflichen Eigenheiten, die familiären Spannungen, den Umgang mit den Zugereisten richtet. Hansen schwebt wie eine Drohne über dem ALTEN LAND, ist eine neutrale Beobachterin und hegt keine Sympathie für irgendeine Seite. Eben ALTES LAND.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Hallo mapefue ,

    Herzlich willkommen in diesem Forum!

    Und schönen Dank für die Rezi von „Altes Land“.


    Ich habe nur eine Frage: was heißt bitte „versintert“ ?

    Das habe ich als Ösi-Mädchen noch nie gehört.

    LG Grüße

    Von der Fee

    Nicht jeder, der das Wort ergreift, findet ergreifende Worte :-,


    (frei nach Topsy Küppers)


  • Sinter ist eine Art von Kalk im Wasser, dieser Kalk/Sinter lagert sich dort ab, wo das Wasser relativ ruhig vorbeifließt. Denk an die Sinterterrassen in Pamukkale/Türkei. Oder das Wasser streift eine Pflanze, dann wird diese mit Kalk "überzogen" ummantelt.

    Auf den Menschen umgelegt hieße es - verkalkt (verschlossen) oder versteinert.

    Freut mich, dass dir meine Rezension gefallen hat. Habe zwar die Rezensionsregeln und den Vorschlag für eine Rezension gelesen, habe aber "eigene" Vorstellungen von Buchbeschreibungen.

    MITTAGSSTUNDE von DÖRTE HANSEN ist mM noch besser.

    Bin auch aus A.

    Zur Zeit lese ich GUILLAUME MUSSO "DAS ATELIER IN PARIS". Es ist in allen Belangen phantastisch.

  • "Altes Land" hat mir hervorragend gefallen und ich vergebe die Höchstwertung. So darf mein Lesejahr 2021 sehr gerne weitergehen. :applause: Dass eigentlich schon viel mit Klischees gespielt worden ist, ist mir beim Lesen nicht mal so aufgefallen. Aber jetzt, wo es hier erwähnt wird, wird es mir trotzdem bewusst. Schlechter macht das die Geschichte in meinen Augen nicht. Ich kann es zwar nicht beurteilen wie nah es an der Wirklichkeit ist, weil ich nicht wirklich Menschen aus diesem Landesabschnitt kenne, aber ich fand es ganz wunderbar wie die Einwohner dort beschrieben wurden. Als "Wohlfühlbuch" wie es hier auch bezeichnet worden ist, würde ich "Altes Land" allerdings nicht einordnen. Da gab es zu wenige dieser "Alles-ist-gut"-Momente. Für mich waren es eher "Es-muss-ja-weitergehen-" oder "Es-geht-gerade-so"-Momente. Die meisten der Personen haben ja doch eher ein Päckchen zu tragen und es gibt eigentlich kaum jemanden, der vollkommen mit sich im Reinen ist. Gefallen hat mir aber wie sie alle ihr Leben leben, ohne auf den großen Höhepunkt zu warten, aber damit sehr gut klar kommen. Außer dem Zugezogenen, der wollte immer mehr und hat am wenigsten bekommen. Entschleunigung kann man halt auch oft auch nicht erzwingen.

    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Mir hat das Buch nicht gefallen. Ich habe es gelesen und hätte nichts verpasst, wenn ich das Buch nicht gelesen hätte. Die Protagonisten waren mir aller unsympathisch, ich wusste nichts mit denen anzufangen. Außer der Vera vielleicht, die mit ihrem Eigensinn und Besonderheiten noch für Unterhaltung gesorgt hat und ihren Nachbarn Heinrich, der einfach mal nett war, hat mir niemand mehr zugesagt. An das Dorfleben, wie es so dargestellt wurde, konnte ich mich auch nicht dran halten, ich bin nicht in einem Dorf aufgewachsen, und eigentlich die Gepflogenheiten waren mir fremd. Nachvollziehen die Handlungen aller Personen konnte ich schon, einfach, weil ich verschiedenen menschlichen Charakteren offen gegenüber bin. Aber es hat mich nicht gepackt. Es war uninteressant für mich und voller Belanglosigkeit. Leider. Ich habe mich so auf das Buch gefreut.

    2024: Bücher: 87/Seiten: 38 703

    2023: Bücher: 189/Seiten: 73 404

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    Mein Blog: Zauberwelt des Lesens
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  • An das Dorfleben, wie es so dargestellt wurde, konnte ich mich auch nicht dran halten, ich bin nicht in einem Dorf aufgewachsen, und eigentlich die Gepflogenheiten waren mir fremd.

    Ich denke, dass es in diesem Buch nicht wirklich um das Dorfleben an sich geht, sondern um das Dorfleben im "Alten Land" und die Menschen in diesem Landstrich. Ich konnte zum Leben bei uns auch nicht wirklich viele Parallelen erkennen.


    Aber schade, dass es Dir nicht gefallen hat. Viel Glück beim nächsten Buch! :friends:

  • "Altes Land" hat mir hervorragend gefallen


    Mir hat das Buch nicht gefallen.

    Diese kontroversen Meinungen finde ich interessant. Ich habe das Buch noch irgendwo in den Tiefen des E-Book SuBs und werde bald mal reinlesen. Das Alte Land ist nicht weit von meiner ursprünglichen Heimat und ich kenne es so halbwegs, ein Cousin wohnt dort.

    Kapo Dein Lesegeschmack hat sich in den letzten Jahren wohl sehr verändert, bzw. erweitert? Ich stolpere immer häufiger in Threads, wo ich sie nie erwartet hätte, über Deine Beiträge. :wink: (Früher habe ich Dich immer mit Horror und bluttriefenden Thrillern assoziiert.)

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Diese kontroversen Meinungen finde ich interessant.

    Ich ja auch. Dies scheint ein Buch zu sein, das ziemlich polarisiert. In letzter Zeit habe ich dazu gefühlt ausschließlich entweder totale Ablehnung oder große Begeisterung wahrgenommen. Ich wäre sehr gespannt wie Du es findest.

    Kapo Dein Lesegeschmack hat sich in den letzten Jahren wohl sehr verändert, bzw. erweitert? Ich stolpere immer häufiger in Threads, wo ich sie nie erwartet hätte, über Deine Beiträge. :wink: (Früher habe ich Dich immer mit Horror und bluttriefenden Thrillern assoziiert.)

    Ja, der ist ein bisschen "gewandert". Ich lese im Grunde immer noch sehr gerne Horror, Science-fiction oder einen außergewöhnlichen Thriller, aber nicht mehr ausschließlich. Irgendwann hatte ich mal das Gefühl, in diesen Bereichen schon alles gelesen zu haben und irgendwie habe ich kaum mehr so richtig Neues/Interessantes entdeckt. Dann habe ich mich automatisch auch für andere Bereiche geöffnet (wie das klingt :loool: ).

  • In letzter Zeit habe ich dazu gefühlt ausschließlich entweder totale Ablehnung oder große Begeisterung wahrgenommen.

    Das ist mir auch schon aufgefallen.

    Dann habe ich mich automatisch auch für andere Bereiche geöffnet (wie das klingt :loool: ).

    Das klingt sehr gut. Ich habe mittlerweile ja auch schon drei (!) Horror-Romane gelesen. :totlach:

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  • Ich denke, dass es in diesem Buch nicht wirklich um das Dorfleben an sich geht, sondern um das Dorfleben im "Alten Land" und die Menschen in diesem Landstrich. Ich konnte zum Leben bei uns auch nicht wirklich viele Parallelen erkennen.

    Aber schade, dass es Dir nicht gefallen hat. Viel Glück beim nächsten Buch! :friends:

    Das Grundgerüst war für mich, dass es dort wohlhabende Bauern gab und gibt, deren Höfe immens wertvoll sind, die aber alle das Problem haben, einen Nachfolger zu finden oder als Hoferbe eine Bäuerin für den Hof. Zwischen dem Alten Land und anderen Gegenden mit diesen großen Höfen sehe ich keinen Unterschied. Der Grundkonflikt wird sich bei Weinbauern oder Hopfenbauern nicht unterscheiden.


    Interessant fand ich hier die Gemeinsamkeit zu "Der Geschmack von Apfelkernen", das schien auch stark polarisiert zu haben. Mir hat dagegen das Haus als "Figur" im Roman auch darin gut gefallen. Aber ich fotografiere auch und mache mir Gedanken, wie es sich in diesen Hallenhäusern gelebt hat mit Mensch und Vieh und einem Dach. ...

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  • Darf ich schnell noch fragen welche es waren, bevor wir zu sehr ins Off-Topic abgleiten?

    Von Mats Strandberg waren es "Die Überfahrt" und "Das Heim", außerdem von Christopher Fowler "Der Höllenexpress". Das Cover!!! :totlach:

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  • Aber schade, dass es Dir nicht gefallen hat. Viel Glück beim nächsten Buch!

    Danke dir, Kapo, es war wirklich sehr schade, dass mir das Buch nicht gefiel. Ich habe so sehr darauf gehofft, aber man kann nichts machen, wenn es einem nicht bekommt, dann bekommt es einem nicht. O:-) Ich habe übrigens auch "Der Geschmack von Apfelkernen", was Buchdoktor als Beispiel genannt hat, auch gar nicht leiden können. Für dieses Buch gab es von mir noch weniger Sterne als Bewertung. Ich finde solche Romane langweilig. :sleep:

    Aber ich bin froh, dass ich die Lust habe alles Mögliche zu lesen. So bleiben die Erfahrungen nicht einseitig. :)


    Dann habe ich mich automatisch auch für andere Bereiche geöffnet (wie das klingt :loool: ).

    das finde ich toll, denn so kann man mehr erfahren und mehr erleben. Wenn man immer nur das eine Genre liest, bleiben die Eindrücke in etwa gleich, wenn man wechselt, ist das Leseleben viel reicher an Emotionen und Erfahrungen, meiner Meinung. :thumleft:

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  • Ich habe übrigens auch "Der Geschmack von Apfelkernen", was Buchdoktor als Beispiel genannt hat, auch gar nicht leiden können. Für dieses Buch gab es von mir noch weniger Sterne als Bewertung. Ich finde solche Romane langweilig.

    Ich mag "so was" grundsätzlich schon, aber der ganz großen allgemeinen Begeisterung für das Apfelkernbuch konnte ich mich damals nicht anschließen.


    "Altes Land" subt noch als Hörbuch, ich bin schon sehr gespannt.

  • Mir hat das Buch nicht gefallen. Ich habe es gelesen und hätte nichts verpasst, wenn ich das Buch nicht gelesen hätte. Die Protagonisten waren mir aller unsympathisch, ich wusste nichts mit denen anzufangen. Außer der Vera vielleicht, die mit ihrem Eigensinn und Besonderheiten noch für Unterhaltung gesorgt hat und ihren Nachbarn Heinrich, der einfach mal nett war, hat mir niemand mehr zugesagt. An das Dorfleben, wie es so dargestellt wurde, konnte ich mich auch nicht dran halten, ich bin nicht in einem Dorf aufgewachsen, und eigentlich die Gepflogenheiten waren mir fremd. Nachvollziehen die Handlungen aller Personen konnte ich schon, einfach, weil ich verschiedenen menschlichen Charakteren offen gegenüber bin. Aber es hat mich nicht gepackt. Es war uninteressant für mich und voller Belanglosigkeit. Leider. Ich habe mich so auf das Buch gefreut.

    :friends: Ich fand es ja auch nicht gut, mir waren die Leute auch alle unsympathisch. Ich hätte allerdings gedacht, dass es Dir gefällt. Nun ja, es gibt genug andere Bücher :wink:

  • ### Inhalt ###

    "Dit Huus us mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt't ook noch sien", übersetzt: "Dieses Haus ist mein und doch nicht mein, der nach mir kommt, nennt es auch noch sein". Diese Zeile steht über der Eingangstür eines Bauernhauses im Alten Land, welches der Drehpunkt einer Geschichte vieler Menschen und Schicksale ist. Die Geschichte handelt von Krieg, Vertreibung und Flucht und von dem, was all das mit den Menschen anrichtet, die dem entkommen konnten und danach versuchen ein neues Leben aufzubauen. Ida Eckhoff nimmt widerwillig Hildegard von Kamcke und ihre Tochter Vera auf. Hildegard heiratet den Sohn Karl Eckhoff, der schwer an den Folgen des Krieges leidet. Zwei Frauen, ein Herd, das kann nicht gut gehen, am Ende erhängt sich Ida auf dem Dachboden. Jahrzehnte später lebt Vera, mittlerweile Zahnärztin immer noch in dem Haus mit Karl. Vera kümmert sich nicht um das Haus, ändert nichts an seinem Verfall. Dieses hat sich bisher an jeder Änderung an seiner Substanz gerecht mit Scherben, Blut und Tränen. Vera lebt in den Tag hinein, hat keine Verpflichtungen, da sie keine Familie hat, nur Karl. Eines Tages zieht ihre Nichte Anna mit Ihrem Sohn Leon zu ihr ein, eine gestrandete aus der Großstadt Hamburg, die sich von Christoph getrennt hat, da er fremdgegangen ist.


    ### Meinung ###

    In Altes Land bekommen wir mit lakonischer und ironischer Feder die Menschen in Hamburg und dem Alten Land präsentiert, ihre Eigenheiten und Marotten. Den Gegensatz zwischen Stadt und Land zu schildern, scheint ihr dabei ein besonderes Anliegen zu sein. Die Stadt Hamburg, insbesondere die Bewohner Ottensens und Othmarschens, und die alteingesessenen Bauern des Alten Landes bilden dabei zwei Extreme in Ansichten und Verhalten, die Hansen in ihrer Geschichte immer wieder mit Genuss aufeinanderprallen lässt. Da sind die überdrehten, neurotischen Ottensener Stadttussis, die sich nicht zu schade sind, sich mit ihrem Kindergarten in endlosen Ovo-lacto-vollwert-koscher-helal-vegan-Debatten zu ergehen oder Beschwerdebriefe an die musisch-frühkindliche Schule zu schreiben, weil Clara Philine mit ihrem rotzverschmierten Mund nicht in die Querflöte der Lehrerin pusten durfte. Oder das Journalisten-Ehepaar, das ins Alte Land zieht, weil die Großstadt-Else um eine Landhaus gequengelt hat und damit der Mann durch eine eigens herausgebrachte Zeitschrift "Land und Lecker" zeigen kann, was in ihm steckt, zeigen kann wie das Land wirklich ist, urig, knorrig, einfach zum Liebhaben schön, um dann am Ende resigniert wieder ausgespuckt zu werden von der knorrigen Härte des Landes, von den Insekten und Spinnen und dem Unwillen der Bauern Zugezogene zu akzeptieren. Bei den Bauen hingegen herrschen andere Gesetze: Entweder ist man stark genug, um hier zu überleben oder man geht zugrunde. Entweder kann man seinen Hof führen, damit alles schier ist oder man wird zum Gespött der Nachbarn. Wenn der Erstgeborene die Zügel in die Hand nehmen will, dann geht das nur, wenn dieser genug Kraft und Wut angesammelt hat, um den Alten zu verdrängen. So ist wird es gemacht, so wird es gewollt, seit immer schon. Viele andere interessante Bilder und Erlebnisse, bewegende, traurige und drastische, tragen den Leser durch dieses Buch, an dessen Ende man das Gefühl hat, etwas mehr von der Wesensart nördlich und südlich der Elbe verstanden zu haben.


    ### Fazit ###

    :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5: :bewertung1von5:

    Das Leben in der Stadt Hamburg und auf dem Alten Land bei den Apfelbauern. Zwei Kulturen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und von deren scharrenden Berührungspunkten dieses Buch Geschichten zu erzählen hat.

    Der ideale Tag wird nie kommen. Der ideale Tag ist heute, wenn wir ihn dazu machen. -- Horaz


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  • Die fünfjährige Vera flüchtet 1945 mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke aus Ostpreußen. Ihr Vater wurde dort erschossen und ihr kleiner Bruder starb auf der Flucht. So stranden sie auf dem Apfelhof von Ida Eckhoff im Alten Land, sind aber als Flüchtlinge nicht willkommen. Ihr Leben lang fühlt sich Vera fremd in dem großen kalten Bauernhaus und kann sich trotzdem davon nicht trennen. Bis sechzig Jahre später plötzlich ihre Nichte Anne vor der Tür steht. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn aus Hamburg-Ottensen geflüchtet, wo Annes Mann eine Andere liebt. Vera und Anne sind einander fremd und haben doch viel gemeinsam.


    Meine persönlichen Leseeindrücke

    Nach „Mittagsstunde“ und „Zur See“ lese ich nun den Debütroman von Dörte Hansen, der 2020 mit Iris Berben in der Rolle der Vera und Svenja Liesau in der Rolle der Anne verfilmt wurde. Vera und Anne sind die zwei Einzelgängerinnen und Hauptpersonen, die gleichzeitig auch als roter Faden im Roman fungieren, der ansonsten mit recht vielen schrätigen, verschrobenen und deprimierten Protagonisten ausgestattet ist. Also mache ich Bekanntschaft mit fast einem halben Dorf, abgesehen von der Verwandtschaft und der Hamburger Clique und habe damit schon so meine Mühe.

    Was mir gleich auffällt und mir nicht so gefällt, wenngleich mit manch süffisantem Satz erheitern dargestellt, sind die Klischeebilder über Hamburger und Altländer. Da ich in Hamburg gearbeitet habe, kann ich manchen Charakterzug wiedererkennen und als Südtirolerin wohne ich im Apfelland südlich der Alpen und kenne mich mit den Altländern Apfelbauern bestens aus. Die Südtiroler sind nämlich nicht anders! Die aufs Land gezogenen oder zu Landpartien kommenden Städter sind dargestellt als würden sie das Landleben idealisieren, die Strukturen nicht verstehen und bereit, den Bauern das umweltverträgliche Arbeiten auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse beizubringen. Die Obstbauern ihrerseits sind alle starrsinnig, gehen das Landleben mit jener Art an, die hier seit Generationen gilt und blicken auf die Städter herab, die von allem sowieso nichts verstehen. Damit sind zwei Gegenüber definiert, die nicht daran denken, aufeinander zuzugehen.

    Was also dieses Umfeld mit Vera und Anna zu tun hat, ist mir nicht ganz klar. Denn die Geschichte beider könnte man ohne diese ganze drum herum genauso gut schreiben. Und ich glaube das ist der Grund, warum mir der Roman nicht so gut gefällt obwohl es Dörte Hansen durchaus vermag, bildhaft landschaftliche und architektonische Eindrücke zu vermitteln. Mir fehlt, wie auch in ihrem neuesten Roman „Zur See“ irgendwie der Hacken, an den ich mich als Leserin emotional anhängen und baumeln lassen kann.

    Obwohl „Altes Land“ Hansens erster Roman ist, habe ich ihn als letzten gelesen und hätte ich mit ihm angefangen, hätte ich wahrscheinlich die beiden anderen Romane nicht gelesen.


    Fazit

    „Altes Land“ von Dörte Hansen ist gut zu lesen, unterhaltend und eine bissige Gesellschaftskritik, die die Autorin in ihre Geschichte über Vera Eckhoff mischt. Mit ihrem scharfen Literatenauge beschreibt sie Stadt- und Landmensch und ihre unterschiedlichen Auffassungen zum Landleben. Damit trifft sie durchaus den Nerv der Zeit und sichert sich die Sympathie der vielen begeisterten Leser.

  • Eine einfühlsam erzählte Geschichte - die Familiengeschichte der unterschiedlichen Frauen

    Achtet auf die feinen Zwischentöne ...


    „Altes Land“ ist die Bezeichnung für einen Teil der Elbmarschen südlich von Hamburg. Der Name lässt sich auf die ursprünglich niederländischen Siedler des 12 Jh. zurückführen. Auf platt heißt es nach wie vor „Olland“.


    "Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt't ook noch sien", dieser Plattdeutsche Spruch ziert einen der verwitterten Balken des alten Hauses.


    In zwei dramatischen Handlungssträngen bringt uns Autorin Dörte Hansen die Geschichte des alten Bauerngehöfts der Eckhoffs näher.


    Beginnend im Jahre 1945: die fünfjährige Vera von Kamcke flüchtet mit ihrer adeligen Mutter Hildegard aus Ostpreußen. Sie landen auf dem alten Bauernhof von Ida Eckhoff. Ida, eine verbitterte Frau, nimmt die Flüchtlinge nur widerwillig auf. Nie wird sie vergessen, was sie auf dieser Flucht erlebt hat.


    Hildegard hält den Kleinkrieg mit Ida nicht aus und zieht ohne Vera nach Hamburg. Vera wird später Zahnärztin und heiratet Idas traumatisierten Sohn, der nur mit einem Groschenheft in der Hand einschlafen kann. Nach Idas Tod erbt Vera das alte Haus.


    Der zweite Handlungsstrang spielt rund 60 Jahre später. Veras Nichte Anne lebt mit ihrem Sohn in Hamburg. Zwischen den perfekten Müttern, die "wie gutmütige Familienhunde, die Schnuller und Trinkflaschen apportierten, die ihre Kleinkinder aus den Buggys warfen" fühlt sie sich ausgestoßen.


    Als ihre Ehe in die Brüche geht, bekommt auch sie Obdach im alten Bauernhof bei Vera, wie einst die von Kamckes.


    Vera und Anne sind bislang vom Leben nicht allzu verwöhnt worden. Sie wirken, jede für sich, unnahbar. Dann, später, entwickeln sich durch die Liebe zum alten Hof zarte Bande. Sie ergänzen sich und geben einander Freundschaft, Familie und Beständigkeit, wenn auch auf ihre eigene etwas ruppige Weise.


    Neben der sachlichen, soliden „Berichterstattung“ mischt sich Humor, wenn von den "Möchtegern-Ökos" erzählt wird.


    Burkhard Weißwerth z.B., der vor einiger Zeit aus Hamburg „aufs Land“ gezogen ist, um Bücher über das Landleben zu schreiben. Das „Alte Land“ wird in ausspucken wie die Elbe Strandgut.


    Mehrmals wechselt die Autorin die Perspektive, von Vera zu Anne, zum Nachbarn oder zu Burkhard.


    Der Schreibstil ist ein angenehmer. In eindringlichen Worten werden die Geschichten erzählt. Der Spannungsbogen ist flach, was aber nicht weiter störend ist. Die Leser erfahren einiges über die Bevölkerung, die seit Generationen das Land bebaut, über Familienstreitigkeiten und der Einsamkeit des Winters.


    Einige Sätze sind in platt geschrieben, das die Figuren im Buch authentisch werden lässt.

    „Altes Land“ ist kein rasantes Buch für Zwischendurch. Der Leser sollte sich Zeit nehmen um die feinen Zwischentöne auch zu erleben.

    "Ein Tag ohne Buch ist ein verlorener Tag"


    "Nur ein Lesender kann auch ein Schreibender sein oder werden" (Maria Lassnig/1919-2014)

  • ... Da ich in Hamburg gearbeitet habe, kann ich manchen Charakterzug wiedererkennen und als Südtirolerin wohne ich im Apfelland südlich der Alpen und kenne mich mit den Altländern Apfelbauern bestens aus. Die Südtiroler sind nämlich nicht anders! Die aufs Land gezogenen oder zu Landpartien kommenden Städter sind dargestellt als würden sie das Landleben idealisieren, die Strukturen nicht verstehen und bereit, den Bauern das umweltverträgliche Arbeiten auf dem neuesten Stand der Erkenntnisse beizubringen. Die Obstbauern ihrerseits sind alle starrsinnig, gehen das Landleben mit jener Art an, die hier seit Generationen gilt und blicken auf die Städter herab, die von allem sowieso nichts verstehen. ...

    Ein interessanter Gedanke. Dass ein Obstbauer so tickt wie ein Kollege in einer weit entfernten Region, sehe ich ebenso. :) Eine adlige Familie von Kamcke hat vermutlich ein Gut bewirtschaftet und das bäuerliche Denken sollte Hildegard wenigstens vom Gespräch am Esstisch vertraut sein. (Geerntet wird, wenn der Apfel sich leicht löst und immer, bevor die Herbststürme nach dem Vollmond einsetzen.) Es sei denn, sie war eingeheiratete Städterin und passte schon nicht auf den Gutshof ...


    Vermutlich ist die Figur Hildegard ein ironischer Seitenhieb auf Flüchtlingsfrauen, die irgendwie etepetete wirkten und eben nicht für Nahrung und Unterkunft in Haus und Hof mit anpackten. Aus den 50er Jahren erinnere ich mich noch an die Kluft, dass einheimische, durchschnittliche Eltern einen großen Selbstversorger-Garten bestellten und "Flüchtlinge" daran alltags sauber gekleidet vorbei flanierten, über die selbstverständlich hinter verschlossener Tür gelästert wurde. Diesen Konflikt zeichnet Dörte Hansen mit feiner Ironie - die Klugschnacker mit sauberen Händen wird es überall gegeben haben ...

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