Tatjana Kuschtewskaja - Tolstoi auf'm Klo

  • Über die Autorin:
    Tatjana Kuschtewskaja wurde 1947 in der Wüstenoase Dargan-Ata in der damaligen Turkmenischen SSR geboren. Ihre Jugend verbrachte sie in der Ukraine. Nach dem Studium der Musikpädagogik arbeitete sie 8 Jahre in diesem Beruf ehe sie ein Studium an der Fakultät für Drehbuchautoren in Moskau anhängte. Nach 8 Jahren Arbeit an der Hochschule in Moskau sowie als freier Journalistin, in der sie Drehbücher und Reportagen schrieb und viele Reisen durch alle Regionen der ehemaligen UdSSR unternahm, siedelte sie 1991 nach Deutschland über. Heute lebt sie in Essen. Von ihr sind zahlreiche Bücher erschienen, die wohl besondere Einblicke in ihre Heimat erlauben, so z.B. „Transsibirische Eisenbahn“ (2002), „Hier liegt Freund Puschkin. Spaziergänge auf russischen Friedhöfen“ (2006), „Die Poesie der russischen Küche“ (2003) und andere mehr. Sie scheint sich dabei auf den Alltag der normalen Menschen, des normalen Alltags zu stützen, was mich persönlich ja interessiert.


    Buchinhalt:
    Das Buch, 2010 im Wostok Verlag erschienen, umfasst 192 Seiten, untergliedert in eine Einleitung und 4 Teile, die wiederum in mehrere Kapitel unterteilt sind. Es befasst sich mit den unterschiedlichsten Aspekten rund um die Toilette in Russland, in Geschichte, in Literatur, in der Politik, im Alltag.
    Die Einleitung ist eine sehr amüsante Anekdote über einen russischen Kaufmann, der Rache nahm an einer Fürstin, die ihn nicht erhörte: er setzte der Dame immer ein Klohäuschen vor ihre Villa, das ihrem Haus nachempfunden war – insgesamt wohl 4 Mal, egal wohin die Dame auch umzog. :mrgreen:
    Im ersten Teil gibt es geschichtliche Anekdoten und Fakten über die Toiletten und Kanalisation (oder deren Nicht-Vorhandensein). Der zweite Teil ist überwiegend dem normalen Alltag gewidmet, soweit man u.a. die Transsibirische Eisenbahn oder die jakutische Medizin in diesem Zusammenhang als Alltag empfindet. Im dritten Teil geht es um Kultur und die Toilette – sei es die Lektüre darauf, ihre Verbindung zur Kunst oder ähnlichem. Im vierten Teil bekommt die Politik ihren Auftritt – von den staatstragenden Personen bis hin zu den Spionen.
    Diverse Tuschezeichnungen im Buch wurden von der Tochter der Autorin, Janina Kuschtewskaja, angefertigt.


    Meine Meinung:
    Ich bin 2014 auf der Leipziger Buchmesse über dieses Büchlein gestolpert – ich bin jemand, der auf solch ausgefallene Titel anspringt. Sofort musste ich mal reinlesen und da die Autorin auch am Stand war, ein paar Worte mit ihr wechseln. Glücklicherweise konnte ich das Buch dann auch direkt am Stand erwerben (und hab dadurch sogar ein signiertes Exemplar).


    Meine Neugier und mein Interesse an eher ausgefallenen Alltagsdingen wurden mehr als befriedigt. Zwar bildet der geschichtliche Aspekt (auf den ich ja zuerst angesprungen war) tatsächlich nur einen kleineren Teil des Buches, aber das tut dem Ganzen keinen Abbruch. Ob wir nun von den ersten Filmaufnahmen im alten Russland lesen, die Tolstois Weg zur im Garten befindlichen Toilette zeigen (gefilmt eben aus dieser Toilette heraus) oder über den Stand der damaligen Toiletten allgemein, über Sprichwörter darüber wie „im Winde wandeln“ (weil man einfach ins Feld hinaus ging, da es auf dem Land eben keine Toiletten gab) oder viele abergläubische Geschichten und Rituale – für mich waren sie alle interessant. Aber der Leser erfährt zwischendrin auch viele andere Dinge über den Alltag in Russland über die letzten Jahrhunderte – z.B. über mögliche Verhaftungen und Deportationen aus dem Stand heraus (wo ein Stück Toilettenpapier lebensrettend werden kann) oder über Politik, die auch auf dem stillen Örtchen gemacht wurde; über Kunst auf und über Toiletten, über Agenten, die ihre Mission auf solchen erfüllen oder in den Sand setzen – viele mögliche und unmöglich erscheinende Daten und Fakten und Geschichten hat die Autorin in dieses Büchlein gepackt. Sie muss ihr Heimatland wirklich ausgiebig bereist haben, aber auch ebenso gut recherchiert und viel über dieses Thema gelesen haben, um diese vielen Aspekte über ein ach so banales Thema schildern zu können. Dabei nennt sie auch immer Namen und Personen, somit werden diese Geschichten greifbar für uns in Deutschland Aufgewachsene, die sich manches davon sonst eher nicht als wahr vorstellen könnten.


    Sprachlich ist das Buch nicht auffallend – die Sprache ist nicht herausragend, aber auch nicht flach. Irgendwie einfach dem Thema angemessen, aber schließlich ist es auch kein Roman, sondern eher ein Sachbuch, wobei es je nach Geschichte auch sehr menschelt in diesem Buch. Auffallend ist dabei, wie viele Menschen und Organisationen sich wohl weltweit mit diesem Thema beschäftigen, das hätte ich nicht gedacht. :wink:
    Das einzige, was mir negativ aufgefallen ist, ist die Gliederung. Ich habe bei den Angaben zum Buchinhalt versucht, die Kapitel zu beschreiben und einzuordnen, aber so ganz passt das alles nicht. Irgendwie greifen die Themen immer ineinander über, die Kapitel sind inhaltlich nicht klar voneinander differenziert. Deshalb wirkt das Buch manchmal etwas konfus und wirr im Aufbau.

    Mein Fazit:
    Wer sich für Geschichte und Geschichten über ein alltägliches und in der Regel totgeschwiegenes (oder kennt jemand einen Helden, der mitten im Kampf mal um die Ecke verschwinden muss?) Thema interessiert, der wird wohl wie ich mit Neugierde dieses Büchlein lesen. Aber es ist bestimmt kein Buch für jedermann, diese spezielle Neugierde muss einfach vorhanden sein – dieses Buch ist wohl eine Art „Nischen“-Buch für Menschen wie mich. :-,