Marcel Proust - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (ab 16.03.2015)

  • Und wie er dann wütet, ebenfalls absolut faszinierend. Was mich an mich selbst erinnerte: wenn ich mich so richtig über irgendwas ärger - drücke ich mich auch immer äußerst gewählt aus, und das habe ich bei Swann, als er von der Gesellschaft bei den Verdurins zurückkehrt, absolut wiedererkannt!


    Das ist schon unglaublich in was für extreme Gefühlswallungen unser Herr Swann sich da hereinsteigert. >Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht was Leiden
    schafft<. Hier passt dieser alte Spruch. Allerdings hätte ich ihm solche Wutausbrüche gar nicht zugetraut. Einerseits wirkt seine Toberei beinahe abstoßend, andererseits
    versucht man es nachzuvollziehen, oder zumindest Bezüge zum eigenen Leben zu finden. Wut ist wohl angebracht, aber diese Toberei entspringt tatsächlich einer schon
    krankhaften Eifersucht. Madame Verdurin bezeichnet er als Hurenmutter und die Gesellschaften der Truppe als letzten danteschen Höllenkreis und unterste soziale Stufe.


    Wenn das nun das endgültige Ende gewesen wäre, könnte man ja noch zustimmen, denn in der ersten Wut schießt man wohl öfter einmal übers Ziel hinaus. Aber es geht weiter
    und im weiteren Verlauf fehlt mir nun vollends der Zugang. Da hätte ich Herrn Swann am liebsten mit meinem dicksten Buch erschlagen. David Foster Wallace möge es mir
    verzeihen. 8-[


    Dazu dann später.......... :study:

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Bis Seite 420


    Swann ist jetzt nicht mehr gern gesehen bei den Verdurins, alles, was ihn und Odette vorher verband, trennt sie jetzt.
    Es wird nunmehr der Verlauf der nächsten zwei Jahre beschrieben; erst nur ein halbes Jahr (das ist an Swanns Bemerkung festzustellen "... wenn ich mitansehen muss, wie sie nun mehr als ein halbes Jahr täglich mit mir zusammen war..."
    Er stellt sich nunmehr als Mensch heraus, den ich nicht mehr so sympathisch finde - er erpresst Odette emotional, und so etwas kann ich überhaupt nicht leiden. Sie soll ihm zuliebe auf ein Vergnügen verzichten: "Wenn du mich liebst, machst du das.". Ehrlich, wenn das ein Mann zu mir sagen würdest, würde ich laufen. Weit laufen.


    Allerdings... eine sehr schöne Formulierung finde ich diese:


    Zitat

    ... versenkte er sich in den berauschendsten Liebesroman, des es gibt, den Fahrplan, der ihn über die Möglichkeiten, am Nachmittag, am Abend, am Morgen sogar in ihre Nähe zu gelangen, unterrichtete! Bot er nur die Möglichkeit? Fast mehr, er erteilte sogar die Genehmigung....

    (S. 387)


    (Vorausgesetzt natürlich, die GDL streikt nicht wieder mal... 'tschuldigung für den Zynismus eines Berufspendlers :pale: )


    Was ich wirklich grausam finde, von Odette, nicht von Swann, ist die Szene, als sie davon spricht, eine Saison in Bayreuth mitzumachen und er ihr vorschlägt, dafür ein Schloss zu mieten. Er stellt sich dann vor, dass er von ihr einen Brief bekommt, in dem sie ihn darum bittet, ihr die Mittel dafür zur Verfügung zu stellen, um die Verdurins nebst kleinem Kreis einzuladen - und ihm zu sagen, dass er dann nicht daran teilnehmen. Allein dann der nächste Satz


    Zitat

    Am folgenden Tage traf er ein.

    (S. 398)


    das ist wirklich hart und grausam. Jetzt hat er die Gelegenheit, ihr zu sagen, was er denkt, und er tut es. Und nimmt es am nächsten Tag wieder zurück - kein Wunder, dass Odette sich dann doch denkt, dass sie machen kann, was sie will.


    Ich glaube, man merkt es: keiner der beiden bekleckert sich in meinen Augen mit Ruhm, jeder der beiden macht Fehler, und warum sie überhaupt noch zusammen sind. Von Odettes Seite aus denke ich - Eigennutz; sie ist nun mal eine ausgehaltene Frau, Swann hat die finanziellen Mittel, ihr ein mehr als angenehmes Leben zu ermöglichen. Dazu ist er noch eine verhältnismäßig angenehme, gebildete Persönlichkeit mit besten Kontakten zur guten Gesellschaft. Swann - ihn bindet die Eifersucht. Denn man merkt doch, sobald die Eifersucht von seiner Seite aus größer wird, wird auch seine Liebe größer. Wenn er keinen Anlass hat zur Eifersucht, ist er ruhig und denkt daran, sich zu trennen. Doch kaum hat er Zweifel...

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • das ist wirklich hart und grausam. Jetzt hat er die Gelegenheit, ihr zu sagen, was er denkt, und er tut es. Und nimmt es am nächsten Tag wieder zurück - kein Wunder, dass Odette sich dann doch denkt, dass sie machen kann, was sie will.


    Ja, die Geschichte mit dem Schloß bei Bayreuth ist wirklich der Gipfel der Unverschämtheit. Aber Swann biegt sich die Realität sowieso so zurecht, wie sie ihm gerade
    passt. Die wenigen hellen Momente in denen tatsächlich die Ratio sich ihren Weg in Swanns Kopf bahnt sind schnell wieder vorbei. Ehrlich gesagt fällt es mir nicht leicht
    dieses ewige Gefühlschaos, das ständige Hin- und Her in seinen Gefühlen ernsthaft zu beurteilen. Herr Swann beginnt mich zu langweilen, weil er sich so vorrausschaubar
    zwischen zwei Extremen bewegt. Da fehlen jetzt nur noch die suizidalen Tendenzen..............



    Ich glaube, man merkt es: keiner der beiden bekleckert sich in meinen Augen mit Ruhm, jeder der beiden macht Fehler,


    Das ist jetzt sehr zurückhaltend geschildert. >Jeder der beiden macht Fehler<, hört sich fast schon an als hätten die beiden eine ganz normale Beziehung. Odette nutzt ihn
    scham- und skrupellos aus und Swann stellt selber einmal fest, dass er in den Augen der Gesellschaft schon zur komischen Figur mutiert ist. Leider bleibt aber auch diese
    Einsicht nur kurz bestehen.


    @Castor In meiner Ausgabe bin ich jetzt bei Seite 452. Schätze das ist bei dir so um Seite 422 rum. Auf jeden Fall bin ich an der Stelle, in der Swann sich über das Vorleben
    seiner Odette (Baden-Baden und Nizza) informieren will und feststellt, dass ihre leichten Sitten in früheren Jahren sehr notorisch waren.
    Wie auch immer gelangt er auch hier wieder zu seiner Vorstellung von der "menschlich warmen Natur" Odettes............ :roll:


    Ich kämpfe mich trotzdem weiter durch und hoffe Proust macht dem Wahnsinn auf eine geschickte Art und Weise bald den Garaus.

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  • Als "normale Beziehung" würde ich die Beziehung zwischen Swann und Odette auch nicht bezeichnen, und "Fehler" - ist ein sehr beschönigender Ausdruck für das Verhalten, das die beiden an den Tag legen. Jetzt weiß ich's *fingerschnips* - er scheint ihr hörig zu sein; sie kann machen, was sie will, nach genügend Nachdenken verzeiht er ihr wieder (wie die Sache mit dem Schloß in Bayreuth). Und sie ist eine absolut berechnende Person.


    @taliesin: Ich bin ca. 2, 3 Seiten vor der Soiree bei der Marquise de Sainte-Euverte. Und wenn ich mich recht erinnere, kommt das mit Baden-Baden und Nizza erst danach. Aber ich halte mich ran am Wochenende.
    Und wegen dem Wahnsinn - ich lese parallel von Terry Goodkind "Wahrheit - Die Legende der Magda Searus" aus der Schwert der Wahrheit-Reihe. Und verglichen mit dem Verhalten von Odette und Swann sind die Protagonisten die Normalität in Person...

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • Ich habe jetzt den Teil "Eine Liebe von Swann" durchgelesen; es folgt im ersten Teil der "Suche..." noch der letzte Abschnitt "Ortsnamen - Namen überhaupt".


    Allzu Dramatisches passiert nicht mehr - wenn man es nicht dramatisch nennt, wenn Swann zusieht, wie seine Liebe zu Odette erlischt. Der letzte Satz lautet daher auch:


    Zitat

    Wenn ich denke, dass ich mir Jahre meines Lebens verdorben habe, dass ich sterben wollte, dass ich meine größte Leidenschaft erlebt habe, alles wegen einer Frau, die mir nicht gefiel, die nicht mein Genre war!


    Doch, das ist traurig. Schon ein paar Seiten vorher erkennt er, dass seine Liebe zu Odette erlischt, dass er gleichgültiger ihr gegenüber wird. Natürlich hat er ab und zu mal Rückfälle von Eifersucht (siehe auch der Traum, den er hat), und auch, als er feststellt, dass sie ihn schon lange mit de Forcheville betrügt.
    Und selbst bei der fast einjährigen Seereise, die die Verdurins mit ihrem kleinen Kreis und damit auch mit Odette und ohne Swann unternehmen, ist er recht ruhig, ihm wäre es egal, wenn sie gar nicht wiederkommt. Ich habe den Eindruck, dass er an einen guten Ausgang gar nicht mehr glaubt.

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • Letzter Abschnitt - Ortsnamen - Namen überhaupt

    Am Anfang dieses Abschnitts philosophiert der Erzähler - erst in der Gegenwart und danach wieder in der Kindheit - zunächst über die Vorstellungen, die man/er sich über Orte macht, nur dadurch, dass man ihre Namen hört. Durch Erzählungen, Berichte usw. hat er bereits einen Eindruck von den Städten, in denen er eine gewisse Zeit (während der Osterferien) verbringen soll. Zunächst Balbec (ein fiktiver Ort an der Meeresküste), dann Parma, Venedig, usw.
    Und das kann ich nur bestätigen, wenn ich nur den Namen einer Stadt höre, von der ich bisher nur eine Vorstellung habe, habe ich schon ein gewisses "Gefühl", wenn ich den Namen höre. Und man darf nicht vergessen, dass das Buch zu einer Zeit spielt, in der es noch sehr schwierig war, auch nur Bilder von anderen Orten zu sehen, und die Menschen sich ihre Vorstellungen von Orten allein aufgrund Beschreibungen machten.


    Leider wird der Erzähler jedoch krank, weshalb sämtliche Reisepläne vorerst aufgegeben werden müssen. Stattdessen wird er mit Francoise zum Spielen in die Champs Elyssees geschickt - wo er Gilberte wiedertrifft, in die er schon in Combray verliebt war.
    Und es wiederholt sich, seufz. Wieder kommt von ihm diese zwanghafte Liebe, die er schon gegenüber seiner Mutter hatte.


    Welche Stelle ich übrigens sehr schön finde, ist diese:



    Ich bekomme sicher einen Brief von Gilberte, sie wird mir endlich sagen, dass sie nie aufgehört hat, mich zu liegen ... Alle Abende malte ich mir beglückt diesen Brief aus, ich glaubte ihn zu lesen, ich sagte mir jeden Satz davon her. Plötzlich hielt ich erschrocken inne. Ich wurde mir auf einmal bewusst, dass, wenn ich einen Brief von Gilberte bekäme, es auf keinen Fall dieser sein könne, da ich ihn ja selbst verfasst hatte. Und von da an bemühte ich mich, meine Gedanken von den Worten abzuwenden, von denen ich mir so dringend Wünschte, dass sie sie an mich schriebe, ... Selbst wenn ... Gilberte mir genau diesen Brief geschickt hätte, der von mir erfunden war, so hätte ich mein Werk darin wiedererkannt und nicht den Eindruck gehabt, etwas zu empfangen, was nicht aus mir selber käme...

    Er führt das Zwanghafte los, in dem er nicht nur die Nähe zu Gilberte sucht, sondern es wird jetzt ganz überdreht: Er bringt im Gespräch mit seinen Eltern dazu, nicht nur den Namen "Swann" auszusprechen, nein, es erstreckt sich auch auf den Namen der Straße, in der die Swanns wohnen (da ist eine gewisse Verwandtschaft mit Swann da, der es zu einer Kunstform entwickelt hatte, den Namen der Straße, in der Odette wohnte, ins Gespräch einfließen zu lassen). Er himmelt den Portier der Swanns an, und wenn er schon nicht Gilberte sehen kann, dann "lauert" er ihrer Mutter auf. Bei der Gelegenheit erfährt man, wenn man es nicht schon geahnt hat,



    Am Ende des Buches taucht er wieder in der Gegenwart auf, als er bei der Betrachtung der Allée des Acacias, in der Mme. Swann immer flanierte bzw. spazieren fuhr, aufgrund der Mode feststellt, wie doch die Zeit vergangen ist; wie häßlich die "jetzige" Damenmode ist, und wie häßlich doch die Autos im Vergleich zu Kutschen sind (dafür ist Proust selbst aber immer sehr gern mit Auto gefahren, er hatte auch einen eigenen Chauffeur, aufgrund seiner Asthma-Erkrankung: im geschlossenen Auto hatte noch nicht mal er was davon gemerkt :loool: ).


    Damit ist der erste Teil der Recherche, der Suche nach der verlorenen Zeit, beendet.
    @taliesin, wie sieht es aus, ich denke, damit könnte man es doch auch erstmal bewenden lassen, was meinst du?

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • wie sieht es aus, ich denke, damit könnte man es doch auch erstmal bewenden lassen, was meinst du?

    Ja, das ist ein schöner Abschluss. Fasziniert hat mich auf jeden Fall die Sprache in diesem Werk. So richtig warm bin ich mit der Geschichte aber nie geworden.
    Vielleicht werde ich irgendwann einmal den nächsten Teil der >Suche< lesen, aber zur Zeit warten so viele neue und neu gefundene Autoren auf meiner WuLi, dass
    es wohl eine ganze Weiler dauern wird.


    lg taliesin :winken:

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    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Ja, das ist ein schöner Abschluss. Fasziniert hat mich auf jeden Fall die Sprache in diesem Werk. So richtig warm bin ich mit der Geschichte aber nie geworden.Vielleicht werde ich irgendwann einmal den nächsten Teil der >Suche< lesen, aber zur Zeit warten so viele neue und neu gefundene Autoren auf meiner WuLi, dass
    es wohl eine ganze Weiler dauern wird.


    lg taliesin :winken:

    Mir geht es genauso - durch den BT habe ich schon eine ganze Liste von Klassikern, die ich mal lesen möchte, ganz zu schweigen davon, dass meine WL sowieso schon explodiert ist.


    Bis zum nächsten Mal!
    :winken:

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    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall