Marcel Proust - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (ab 16.03.2015)

  • Mittlerweile glaube ich, dass der Junge älter sein muss, weil die Großmutter ihm 4 Bücher von George Sand schenkt. Welcher Achtjährige liest (und versteht) George Sand?


    Genau so geht es mir auch. Als ich das gelesen hab, dachte ich auch, dass meine Einschätzung vom Alter wohl doch falsch ist. Wobei ich dann doch wieder nicht verstanden hätte, warum es son gezeter wegen dem Gutenachtkuss gibt...
    Sein Verhältnis zu den Eltern is eh komisch. Für kleinere Vergehen ist er schon schlimmer bestraft worden... komische Familie...
    Mir kommt das doch sehr herzlos vor. Aber wahrscheinlich muss man auch an die Zeit denken. Früher war das ja ganz anders. Eltern haben sich bei Jungs ja auch allgemein zurück gehalten was die Zuneigung angeht. Die mussten doch schon früh zu nem starkem Mann erzogen werden. Oder nich?



    >Mein Kind<, sagte sie zu Mama, >ich brächte es nicht über mich, dem Jungen etwas zu schenken, was nicht gut geschrieben ist.<


    Oh ja, es war soo toll. Hat mir auch sehr gut gefallen und ich musste schmunzeln. Meinem Patenkind schenke ich auch meistens Bücher und ich achte da auch immer genau was das ist und um was es geht. Dieser Lego/Ninjaturtel- Kram kommt bei mir nich inne Tüte ;)


    Der Erzähler ist ja zu Beginn der Erzählung erst 8 Jahre alt


    Wussten wir das? Hab ich was überlesen? Oder weißt nur du das und wir erfahren es später?



    Allgemein fand ich es gestern einfacher zu lesen als die Tage davor. Ich denke so langsam finde ich mich in die Sätze ein.

    LG Jani



    "Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste."

    Heinrich Heine

  • Wussten wir das? Hab ich was überlesen? Oder weißt nur du das und wir erfahren es später?



    Allgemein fand ich es gestern einfacher zu lesen als die Tage davor. Ich denke so langsam finde ich mich in die Sätze ein.


    Nein, wissen tue ich es auch nicht, es wird ja nie genau auf das Alter eingegangen. Ich hatte es nur aus dem einen Buch entnommen, dem Marcel-Proust-Lexikon, das ich weiter oben zitiert habe.

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • Nein, wissen tue ich es auch nicht, es wird ja nie genau auf das Alter eingegangen. Ich hatte es nur aus dem einen Buch entnommen, dem Marcel-Proust-Lexikon, das ich weiter oben zitiert habe.


    Ja stimmt, dass hatte ich gesehen...
    Komisch das es in dem Buch keine richtige Angabe dazu gibt...

    LG Jani



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    Heinrich Heine

  • Sorry, ich werde daran denken. Manchmal schneidet Proust Themen an, die über die vereinbarten 20 Seiten hinweggehen und da ich dann unbedingt wissen will, wie
    das Thema sich fortsetzt, gehen mir halt von Zeit zu Zeit die Pferde durch. Wenn es wirklich wichtig gewesen wäre, hätte ich allerdings darauf verzichtet. :uups:


    So schlimm war es ja jetzt auch nicht, und zurückhalten brauchst du dich auch nicht! Ich hoffe, dass mein Beitrag jetzt nicht zu böse klang. So lange du immer dazu schreibst, bis wohin du gelesen hast, ist doch alles gut :friends:


    Genau dieses Alter hätte ich auch geschätzt, aber mal ehrlich, auch für einen kleinen Jungen scheint mir sein Verhalten beinahe zwanghaft. Beispiel: der Brief den er
    seiner Mutter überbringen lässt (S. 47) und das finale Abfangen der Mutter beim Zubettgehen. (S.56) Auch seine Aussage, dass er in`s Internat gesteckt wird, (S.51)
    wenn die Mutter sieht wie er wartet, ist überzogen.


    Ich finde die Überlegungen seinerseits eigentlich gar nicht so überzogen. Bei mir gab es in der Kindheit und auch noch im Jugendalter einige Dinge, die ich gemacht habe, die ich nicht machen sollte. Wenn dann mal etwas rauskam (zum Beispiel, dass ich zu einer Unterrichtsstunde nicht hingegangen bin), hatte ich auch immer den Kopf voller grausigen Vorstellungen, was meine Eltern jetzt als Konsequenz daraus ziehen. Und da war manches schnell mal ein Weltuntergang.
    Bei dem Kuss denke ich, dass er sich da einfach in etwas verrannt hat. Er hat ja anscheinend große Einschlafprobleme (kenne ich nur zu gut, daran leide ich schon mein ganzes Leben) und hat sich ein Ritual gesucht, was ihm sozusagen vor "dem Monster unter dem Bett" bewahrt. Wenn das ausfällt, ist schnell die Hölle los. Meine Eltern haben mich auch noch jahrelang ins Bett gebracht, und wenn ich einfach nur ins Bett geschickt worden wäre, hätte ich wohl nie schlafen können.
    Ich kann mich deswegen sehr gut in die Überlegungen Prousts/des Erzählers hineinversetzen. Vielleicht muss man sich ja auch einfach noch ein bisschen daran gewöhnen, dass er alle Dinge sehr genau und detailgetreu beschreibt und dadurch vieles schnell ganz aufgebauscht wirken kann.


    Zum Verhalten des Erzählers habe ich auch noch eine Erklärung gefunden auf Seite 57:


    Zitat

    So wurde zum ersten Mal meine Traurigkeit nicht mehr als etwas Strafbares angesehen, sondern als ein ungewolltes Übel, das man offiziell als nervösen Zustand anerkannte, für den ich nicht verantwortlich sei [...]


    Für mich klingt das nach Depressionen oder ähnlichem. Was meint ihr?



    . Aber wahrscheinlich muss man auch an die Zeit denken. Früher war das ja ganz anders. Eltern haben sich bei Jungs ja auch allgemein zurück gehalten was die Zuneigung angeht. Die mussten doch schon früh zu nem starkem Mann erzogen werden. Oder nich?


    Ich denke, da hast du recht. Wahrscheinlich ist schon der Kuss ein großes Zugeständnis zu der Zeit, für jemanden der älter als im Säuglings- oder Kleinkindalter ist.

  • Sehe ich das richtig, dass wir schon bei Seite 100 sein müssten heute? Da niemand bisher überhaupt etwas dazu geschrieben hat, würde ich mal sagen, wir lesen heute nur bis Seite 80 und morgen dann bis 100? Ist das für alle in Ordnung oder seid ihr schon weit genug?

  • Huhu.
    Also ich bin bei Seite 100 heute angekommen.
    Ich wusste nur nich so richtig was ich schreiben soll.
    Die ganzen Beschreibungen grad kommen mir irgendwie komisch vor und ich hab keine Ahnung wie ich das ganze zusammen fassen soll...
    Tut mir sorry.

    LG Jani



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  • Da niemand bisher überhaupt etwas dazu geschrieben hat, würde ich mal sagen, wir lesen heute nur bis Seite 80 und morgen dann bis 100?


    Für mich ok. Ich schreibe nachher auf jeden Fall etwas zu S. 60 - 80.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

    :study: Matt Ruff - Ich und die anderen

  • Für mich ok. Ich schreibe nachher auf jeden Fall etwas zu S. 60 - 80.


    Ich ebenfalls - habe zwar gelesen, aber wegen des Geburtstags meiner Frau Mutter bin ich nicht zum Schreiben gekommen.

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • Proust - Seite 60 - 80


    Nachdem der Erzähler zwar einerseits genießt, dass seine Mutter bei ihm ist, ist ihm andererseits bewusst, dass


    Zitat

    eine solche Nacht nicht wiederkommen konnten...

    (S. 61)


    Damit endet der erste kleine Abschnitt über seine bewussten Erinnerungen, und der bekannteste Abschnitt wird eingeläutet - die Madeleine-Episode.


    Das ist so eine der Passagen, die ich auch nach mehrmaligem Wiederlesen immer wieder wahnsinnig spannend finde, dabei passiert eigentlich - nichts. Der Erzähler trinkt Tee, und isst ein Stück einer Madeleine, das vorher in den Tee getunkt wurde.
    Aber durch diesen Geschmack wird die "unbewusste Erinnerung" eingebracht. Und, geht das nicht uns allen so? Nur so als Beispiel: Wenn man ein Buch am Strand gelesen hat, kommt nicht die Erinnerung an den Strand sofort hoch, wenn man das Buch nur sieht? Wenn ein bestimmtes Lied immer lief, wenn mein Freund und ich uns gestritten haben und letztendlich trennten, kommen genau diese Gefühle wieder hoch, wenn ich das Lied wieder höre.
    Und Proust lässt es nicht darauf beruhen, dass er sagt, "naja, ich fühle da irgendwas, egal, zurück zur Tagesordnung", sondern er verbeißt sich richtig darin, bis er genau orten kann, was dieses Gefühl verursacht hat.
    Sofort ist Combray wieder da, und zwar nicht nur


    Zitat

    zwei durch eine schmale Treppe verbundenen Stockwerke

    (S. 62)


    sondern das gesamte Dorf - angefangen beim Haus von Tante Leonie.
    Wer ist Tante Leonie?? Proust erklärt es zwar, aber offen gestanden, dafür brauche ich definitiv einen gezeichneten Stammbaum ("Die Kusine meines Großvaters... - S. 69).
    Tante Leonie verlässt noch nicht einmal ihr Bett, ihr ganzes Universum besteht aus dem Dorf, und jeder noch so kleine Vorfall wird kommentiert und besprochen.
    Will ihr noch jemand ein gutes Buch empfehlen :totlach: ?

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • Proust - Seite 60 - 80


    Aber durch diesen Geschmack wird die "unbewusste Erinnerung" eingebracht. Und, geht das nicht uns allen so? Nur so als Beispiel: Wenn man ein Buch am Strand gelesen hat, kommt nicht die Erinnerung an den Strand sofort hoch, wenn man das Buch nur sieht? Wenn ein bestimmtes Lied immer lief, wenn mein Freund und ich uns gestritten haben und letztendlich trennten, kommen genau diese Gefühle wieder hoch, wenn ich das Lied wieder höre.


    Speziell diese Passagen haben mich sehr beeindruckt. Für den Erzähler sind Erinnerungen keine von der Ratio bestimmten Rückblicke, sondern werden durch
    Sinneseindrücke wie Geschmack, Geruch und besondere Düfte ausgelöst. Das kann ich wie @Castor schon schrieb, auch für mein Leben unterschreiben. Besonders Düfte,
    aber z.b. auch Musik oder besondere Passagen in Büchern, führen mich zurück in Zeiten der Jugend und lösen ein ganz besonderes, schwer in Worte zu fassendes Gefühl
    aus. Die folgende Passage, in der der Erzähler diese Auslöser der Erinnerungen beschreibt, ist sprachlich und inhaltlich schlicht brillant. S.70


    Zitat

    Doch wenn von einer weit zurückliegenden Vergangenheit nichts mehr existiert, nach dem Tod der Menschen und dem Untergang der Dinge, dann verharren als
    einzige, zarter, aber dauerhafter, substanzloser, beständiger und treuer der Geruch und der Geschmack, um sich wie Seelen noch lange zu erinnern, um zu warten, zu
    hoffen, um über den Trümmern alles übrigen auf ihrem beinahe unfassbaren Tröpfchen, ohne nachzugeben, das unermessliche Gebäude der Erinnerung zu tragen.


    Flüchtigen Gefühlen spürt der Erzähler sofort nach und versucht alles, um zum Kern vorzudringen und dadurch, in diesem Fall das ganze Dorf Combray, wieder in aller
    Klarheit hervorzubringen.


    Auch das Bild der Tante wird hervorgerufen von einem Sinneseindruck. Diesmal ist es der Duft der Luft der seine Zeit mit der Tante auslöst. S.74


    Ist das schön erzählt!............. :drunken:


    Zitat

    Die Luft ist dort von einer so nahrhaften, so schmackhaften, allerfeinsten Stille gesättigt, dass ich mich darin immer nur mit einer Art Esslust bewegte,
    besonders zu Beginn, in jenen noch kühlen Morgenstunden der Karwoche, wo sie mir besonderen Genuss bereitete, da ich ja eben erst in Combray angekommen
    war.


    lg taliesin :winken:

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  • Zusammenkrachende Stühle? Und das wirklich nur der Ästhetik wegen? Die Großmutter scheint mir ja ein wenig verrückt zu sein :D Ich frage mich nur, warum sie überhaupt Stühle zur Hochzeit verschenkt oder ist das eine Tradition, die mir unbekannt ist?
    Mir fiel auch in diesem Abschnitt wieder einiges ins Auge, in dem ich mich wiedererkannt habe. So auch hier, auf Seite 62 oben im Bezug auf alte Häuser und Gegenstände, deren Zweckmäßigkeit heute nicht mehr benötigt wird:

    Zitat

    […], indem sie ihm nämlich die Sehnsucht einflößen, nach unmöglichen Reisen in der Zeit.


    Ich bin aber sowieso so eine Möchtegern-Zeitreisende ;)
    Im Bezug auf George Sands „Francois de Champi“ (welches wirklich lesenswert klingt) wird hier in den Anmerkungen der auch schon von euch erwähnte „ödipale Komplex“ angesprochen. Ganz verstehe ich ihn nicht. Ich kenne Ödipus Geschichte, doch in diesem Buch geht es doch um die Beziehung einer Mutter zu ihrem Ziehkind, die beiden sind nicht leiblich verwandt. Warum wird trotzdem von Inzest gesprochen?
    Ich habe übrigens zwei Seiten gebraucht, bis ich verstanden habe, dass es sich bei der „Müllerin“ nicht um eine Müllsammlerin handelte sondern eben um eine Müllerin. Irgendwie stach mir das Wort „Müll“ so in die Augen, dass ich es ganz falsch verstanden habe :D
    Die Petit Madeleines. Ich finde es spannend, dass der Autor hiermit sein Kürzel P.M. Hinterlassen hat, das ist ähnlich wie in alten Schriften des Mittelalters, wo man so etwas manchmal gemacht hat.
    Und beschreibt Proust etwas, das ich nur all zu gut kenne. Ein Geruch, ein Geschmack, etwas, das einen an einen Moment oder eine Zeit erinnert. Meistens weiß ich jedoch sofort, wonach es riecht, ich erinnere mich nicht, lange Erinnerungsprobleme in solchen Momenten gehabt zu haben. Vielmehr war der bereits gelebte Augenblick sofort da, und auf einmal war ich wieder fünf Jahre als und schob mein Fahrrad mit Stützrädern aus der Garage (als ich einmal den Geruch von altem Stein, Schmieröl und Metall in der Nase hatte).
    Das Leben des Erzählers scheint von klaren Linien umrissen und strukturiert zu sein. Ein Tee außer der Reihe ist etwas ganz absonderliches und ein fehlender Gute-Nacht-Kuss ein Weltuntergang. Unser Protagonist scheint es gewöhnt zu sein, dass alles einem bestimmten Muster folgt, dem er sich nicht einfach entziehen kann. Ich finde sein Verhalten schlüssig.
    Ach, herrlich. Diese Eigenschaft von Tante Leonie „nicht zu schlafen“. Ich finde es klasse, was für originelle Ideen Proust hat :D Ich hoffe, dass sich dort in Combray nun wieder ein etwas längerer Abschnitt abspielt, sodass ich Leonie und Francoise besser kennen lernen kann. Ich mag die zwei :)


    Tante Leonie verlässt noch nicht einmal ihr Bett, ihr ganzes Universum besteht aus dem Dorf, und jeder noch so kleine Vorfall wird kommentiert und besprochen.
    Will ihr noch jemand ein gutes Buch empfehlen ?


    :applause:

  • zu Seite 60 - 80


    , ich erinnere mich nicht, lange Erinnerungsprobleme in solchen Momenten gehabt zu haben. Vielmehr war der bereits gelebte Augenblick sofort da, und auf einmal war ich wieder fünf Jahre als und schob mein Fahrrad mit Stützrädern aus der Garage


    Ich habe das so verstanden, dass der Erzähler es bei diesem ersten flüchtigen Erinnerungseindruck nicht belassen will und immer tiefer in dieses Gefühl eintaucht um
    die Vergangenheit noch klarer und detaillierter zurückzuholen. Das klingt schon mehr nach Erinnerungsarbeit.


    Unser Protagonist scheint es gewöhnt zu sein, dass alles einem bestimmten Muster folgt, dem er sich nicht einfach entziehen kann.


    Ich habe hier auch den Eindruck eines priveligierten, aber auch sehr durchstrukturierten Familienlebens. Viel Spielraum für spontane, kindliche Vergnügungen
    scheint es nicht zu geben.


    Zu der Theorie des ödipalen Konflikts fehlt mir ein wenig der Zugang. Es mag Anklänge geben, aber das scheint mir doch recht überzogen. Ich glaube eher, dass, wie
    @Knü schon geschrieben hat, die Struktur des Tages so in dem kleinen Jungen steckt, dass er Abweichungen nicht verträgt. So wird alles was dem nicht entspricht
    als unerträglich empfunden.


    So jetzt geht es zu Seite 80 - 100.................. :study:

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  • Ich habe das so verstanden, dass der Erzähler es bei diesem ersten flüchtigen Erinnerungseindruck nicht belassen will und immer tiefer in dieses Gefühl eintaucht um
    die Vergangenheit noch klarer und detaillierter zurückzuholen. Das klingt schon mehr nach Erinnerungsarbeit.


    Stimmt, so habe ich das noch nicht gesehen. Schließlich folgt darauf ja auch das Kapitel, in dem er von seiner Tante Léonie die Petit Madelines bekommt, was wohl für diese gesamte Geschmackserfahrung steht. Vorher hatte ich keine große Verbindung zwischen den beiden Abschnitten gesehen.


    Zu der Theorie des ödipalen Konflikts fehlt mir ein wenig der Zugang. Es mag Anklänge geben, aber das scheint mir doch recht überzogen. Ich glaube eher, dass, wie
    Knü schon geschrieben hat, die Struktur des Tages so in dem kleinen Jungen steckt, dass er Abweichungen nicht verträgt. So wird alles was dem nicht entspricht
    als unerträglich empfunden.


    Mal sehen, wie es damit weiter geht, vielleicht nimmt das ja auch noch stärkere Züge an. Ich bin bespannt!


    Im nächsten Abschnitt habe ich mal wieder mit mir und den Anmerkungen gehadert. Manchmal denke ich, ich sollte es einfach lassen, sie zu lesen, weil ich oft nichts damit anfangen kann, dann aber eröffnen sich einem neue, spannende Erkenntnisse. So auch die Anmerkung zu Francoise Aussage über die "Röntgenstrahlen", dass diese zu dem aktuellen Handlungszeitpunkt noch gar nicht erfunden sind. Diesen Anachronismus finde ich spannend.
    Dann gibt es aber auch wieder Stellen, an denen ich mich frage, warum man da jetzt extra eine Anmerkung für machen muss, wie zum Beispiel das Rezept für OEufs á la créme auf Seite 85. Das stört für mich einfach nur den Lesefluss und interessiert mich auch nicht. Aber da hat wahrscheinlich jede_r andere Ansichten, was spannend ist und was nicht. Welche Anmerkungen findet ihr gut, welche stören euch? Oder lest ihr sie gar nicht erst?


    Tante Léonie ist bisher immer noch eine meiner Lieblingspersonen, die mich immer mal wieder zum schmunzeln bringt. So auch auf Seite 86:

    Zitat

    In Combray kannte man alles, was vorüberkam, Menschen wie Tiere, so gut, dass meine Tante, wenn sie zufällig einen Hund auf der Straße sah, "den sie nicht kannte", unaufhörlich daran dachte und dieser unfassbaren Tatsache ihre Induktionsgabe und ihre freien Stunden widmete.


    Langsam muss ich mir wohl auch mal einen Stammbaum zeichnen. Und zwar sind da der Erzähler und seine Eltern (mit Nachnamen Gulpin oder so ähnlich? Oder verwechsel ich da was?). Außerdem sein Großvater und seine Großmutter (sind es die Eltern seines Vaters oder seiner Mutter?) Dann gibt es Tante Léonie Octave, die die Cousine vom Großvater des Erzählers ist. Und dann waren da noch Tante Céline und Flora und eine Großtante, die ich nicht mehr einordnen kann. Kann mir jemand helfen zu entwirren, wer wie mit wem verwandt ist? Wenn ich jetzt nicht mit dem Stammbaum zeichnen anfange, drehe ich bald durch :compress:


    Was mir noch auffiel, was das Wort "Zerstreuung", was häufig verwendet wird. Etwas tun, in dem man Unterhaltung findet sozusagen, ein schöner Begriff dafür.

  • S. 80 - 100


    Da wurde sehr viel reingepackt in die 20 Seiten!


    Tante Leonie:
    Was für eine Gestalt, irgendwie doch tragisch.
    Übrigens, Proust hatte mal geschrieben (damit greife ich nicht vor und spoiler auch nicht), dass man den Absolutismus nicht unbedingt über Ludwig XIV. begreifen kann, sondern auch über die Figur einer alten kranken Frau in einem Dorf, die ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass sich absolut alles um sie selbst und ihr Befinden dreht.


    Jetzt taucht auch eine Besucherin auf, Eulalie. Eine der wenigen, die Tante Leonie noch empfängt, nachdem sie erst die Leute abservierte, die ihr Mut machten und ihr sagten, sie soll doch alle positiv sehen (ich glaube, ich wäre die erste gewesen, die sie nicht mehr empfangen hätte :loool: ). Danach wurden Leute nicht mehr vorgelassen, die sie für wirklich ernsthaft krank hielten. Das typische Verhalten eines Hypochonders?
    Eulalie verdient sich etwas dazu, indem sie Kranke besucht und - Klatsch verbreitet. Klingt fast nach einem idealen Beruf.


    Kurzes Auftreten von Herrn Legrandin. Allein dieser Pathos:


    Zitat

    Versuche immer ein Stück Himmel über deinem Leben zu haben, mein Kind, ...

    (S. 95).


    Ich versuche ja auch, mich immer einigermaßen gewählt auszudrücken :vielefehler: , aber das ist doch zuviel.


    Und, bei der Gelegenheit - ich bewundere Prousts enormen Wortschatz. Gut, auf Deutsch kann man es nur erahnen, aber was er für Worte findet, um etwas zu beschreiben - wie hier die Buntglasfenster in der Kirche:


    Zitat

    einen Augenblick später hatte es den leuchtenden Changeantton einer Pfauenschleppe angenommen

    (S. 84)


    Changeant muss ich tatsächlich mal googeln.
    Auch die Vergleiche, die er zieht, um etwas miteinander zu vergleichen, sind einfach grandios, und immer äußerst treffend:


    Zitat

    das Gelb ihres Kleides breitete sich so weich und ölig aus, dass es dadurch eine Art von Konsistenz bekam und sich lebhaft aus der dahinter zurücktretenden Atmosphäre abhob...

    (S. 85)


    Ich sehe das Kleid sehr deutlich vor mir, so genau ist es beschrieben worden.


    So, heute gehts noch bis S. 120 - ist das ok?

    Lesen ist wie Reisen, ohne dass man dabei einen Zug oder ein Schiff besteigen müsste. Es eröffnet neue, unbekannte Welten. Es bedeutet, ein Leben zu führen, in das man nicht hineingeboren wurde, und alles mit den Augen eines anderen zu sehen. Es bedeutet, zu lernen, ohne mit den Konsequenzen der eigenen Fehler leben zu müssen.

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  • zu Seite 80 - 100


    Welche Anmerkungen findet ihr gut, welche stören euch? Oder lest ihr sie gar nicht erst?


    Wenn ich das Gefühl habe, dass die Anmerkungen mich interessieren könnten oder wichtig sind, dann schaue ich nach. Sonst stört mich das schon im Lesefluss.
    Bei der Beschreibung der Kirche (Saint-Hilaire), die ich wunderschön fand, habe ich versucht herauszubekommen wo das Vorbild ist, denn Combray ist ja auch
    ein fiktiver Ort. Leider gibt es einige Kirchen dieses Namens und ich habe aufgegeben. Combray und die Kirche erscheinen mir mittlerweile wie ein Ort der irgend-
    wie aus der Zeit gerissen ist. Beinahe wie ein Traumbild.


    Wenn ich jetzt nicht mit dem Stammbaum zeichnen anfange, drehe ich bald durch


    ich gebe zu, das ich mich darum noch gar nicht gekümmert habe. Wird wohl langsam Zeit zumindest einen klitzekleinen Stammbaum zu entwerfen.


    die Figur einer alten kranken Frau in einem Dorf, die ganz selbstverständlich davon ausgeht, dass sich absolut alles um sie selbst und ihr Befinden dreht.


    Guter Vergleich und ich bin auch der Meinung, dass die Tante etwas tragisches und komisches zugleich hat. Die Plaudereien zwischen (Klatsch)-Tante und Francoise fand
    ich auf jeden Fall hinreißend komisch.


    @Castor@Knü Hattet ihr auch den Eindruck, dass der Erzähler diesen Monsieur "Gernegroß" nicht besonders symphatisch findet? Dies hier ist mir aufgefallen: S.100


    Zitat

    (...) hängen diese Menschen der Vorstellung nach, das Leben, das sie führen, sei eigentlich nicht das ihnen gemäße, und obliegen ihrer beruflichen Tätigkeit
    entweder mit einer gewissen launenhaften Sorglosigkeit, oder aber mit strengem, hochmütigem Fleiß, geringschätzig, bitter, gewissenhaft.


    Für den Rest der Familie scheint er jedoch eine Art Vorbild, weil er sich stets gewählt ausdrückt. Ich halte ihn auch für einen Snob, aber mal schauen wo und wie er
    noch einmal auftaucht.

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    William Shakespeare


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  • Anmerkungen:
    in meiner Ausgabe sind gar keine enthalten. Aber ich kann grundsätzlich zu Anmerkungen sagen, dass ich sie nur dann lese, wenn mich das angemerkte irgendwie interessiert.


    Stammbaum:
    war nur ein Scherz von mir. Aber - als Tip - ich weiß nicht, wie lange wir noch lesen, aber kleine Notizen zu den auftretenden Personen wären eine gute Idee :wink: .



    St. Hilaire:
    ja, es ist eine fiktive Kirche, sie hat aber reale Vorbilder (genau wie Combray fiktiv ist. Combray wurde durch Illiers und Auteuil inspiriert. In beiden Orten verbrachte Proust seine Kindheit - wie der Erzähler in den Ferien), und zwar u. A. von Illiers und hinsichtlich der Fenster Évreux, Sainte-Chapelle und Pont-Audemer. Ansonsten ist sie ein "Gemisch" aus vielen Kirchen, die Proust Zeit seines Lebens gesehen hat (Marcel-Proust-Lexikon).


    Wegen Legrandin - Ich möchte nicht spoilern :uups: .

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  • von Seite 100 - 120


    Auftritt Onkel Alphonse
    Der Erzähler dürfte mittlerweile schon älter sein als die anfänglichen 8 Jahre, schließlich darf er allein den Onkel besuchen, und erzählt später, dass er sich auf den ersten Theaterbesuch vorbereitet (und es sind keine Kinderstücke). Bei Onkel Alphonse macht er die Bekanntschaft einer Halbweltdame, der "Dame in Rosa". Offensichtlich weiß er auch, in welchem Metier sich die Dame bewegt, weil er sich oftmals erstaunt darüber zeigt, dass die Dame in Rosa einer jungen Dame aus gutem Hause doch so ähnlich ist.
    Und weil der Junge seinen Mund nicht halten kann, beschwört er einen handfesten Familienzwist herauf. Seine Eltern und Großeltern sind nicht so begeistert wie er von der Bekanntschaft.


    Es folgen die schönsten Seiten überhaupt, in denen der Erzähler schildert, wie er in Combray in den Garten geschickt wurde, um zu lesen, wie er dabei die Zeit vergessen hat (die Zeit wurde ihm durch die Glocken des Kirchturms angezeigt)


    Zitat

    ... dazu kam, dass ich bei jedem Stundenschlag vom Glockenturm von Saint-Hilaire die bereits vergangene Zeit des Nachmittags Stück für Stück herunterfallen sah, bis ich den letzten Schlag hörte, der mir gestattete, die Endsumme festzustellen;...


    Zitat

    Bei jedem Stundenschlag aber schien es mir, als sei der vorhergehende eben erst gefallen...


    usw. (alles S. 120)


    Eigentlich könnte man die gesamten Seiten übers Lesen markieren und hier zitieren, weil sie so schön und zutreffend sind! :study::pray:

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    Madeline Martin, Der Buchladen von Primrose Hall

  • Hach ja, ich weiß gar nich, was ich so richtig schreiben soll...
    Ich komm einfach nicht richtig rein und frag mich immer, wann die Geschichte endlich anfängt. Zwischendurch gibs mal wieder nen paar Seiten die mir gefallen. Die Sache mit dem ins Bett gehen oder das Treffen beim Onkel. Aber meistens find ichs total langweilig (die Beschreibungen der Kirche) und genau da bin ich von mir selbst genervt.
    Ihr seid alle so begeistert und ich kanns, leider, nich nachvollziehen... Anscheinend is Proust einfach nich meins und es fällt mir echt schwer, das zuzugeben... Ich gehör wohl zu den Menschen die eine richtige klare Handlung brauchen und die finde ich hier irgendwie nich...
    Trotzdem lese ich natürlich trotzdem fleissig mit und hoffe jeden Tag, dass ich den Einstieg finde und auch bald so begeistert bin wie ihr.


    Anmerkungen lese ich übrigens nicht. In meiner momentanen Verfassung, bringen sie mich noch mehr aus der Geschichte raus...


    Sehr komisch, von mir selbst, finde ich auch, dass ich hier nicht in der Lage bin, eine Zusammenfassung zu schreiben. ich sitz immer da und denke: "Is doch nix besonderes passiert, was soll ich da zusammen fassen"...


    Es tut mir leid, dass ihr euch mit mir rumprügeln müsst, wo wir eh schon so wenig sind. Jemand auf eurer Wellenlänge, was das Buch angeht, wäre hier bestimmt besser als ich... :pale:

    LG Jani



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    Heinrich Heine

  • zu Seite 100 -120


    Und weil der Junge seinen Mund nicht halten kann, beschwört er einen handfesten Familienzwist herauf. Seine Eltern und Großeltern sind nicht so begeistert wie er von der Bekanntschaft.


    Das fand ich schon etwas traurig, denn Onkel Alphonse erscheint nicht ganz so verknöchert und um den guten Ruf bemüht wie die Eltern des Erzählers.
    Das der Junge fasziniert ist, kann man ja nachvollziehen, zumal die Realität sich immerhin etwas von seiner Vorstellung solcher Damen unterscheidet. Nichts diabolisches
    ist zu finden.......... :wink:


    Es folgen die schönsten Seiten überhaupt, in denen der Erzähler schildert, wie er in Combray in den Garten geschickt wurde, um zu lesen,


    Das fängt in meiner Version des Buches erst auf Seite 124 an. Ich kann also erst später dazu beitragen.

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    William Shakespeare


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  • Es tut mir leid, dass ihr euch mit mir rumprügeln müsst, wo wir eh schon so wenig sind. Jemand auf eurer Wellenlänge, was das Buch angeht, wäre hier bestimmt besser als ich...


    Ach was!!!! :friends: Das ist nun wirklich kein Beinbruch mit diesem Roman ein paar Schwierigkeiten zu haben. Du hast ja recht, es passiert wirklich nicht viel im
    üblichen Sinne. Das ist halt alles eine Rückschau die mehr in der Innenwelt spielt. Die Erinnerungen des Erzählers sind zwangsläufig eher episodenhaft und die Beschreibungen
    dehnen sich teilweise sehr lange aus. Versuch es einfach noch ein wenig weiter und wenn du dann immer noch keinen Zugang findest, leg es beiseite und vielleicht kommt es
    irgendwann noch einmal in deine Erinnerung.
    Mir ging das beim ersten Mal ähnlich und ich habe 15 Jahre gebraucht bis ich dann durch den BT wieder erinnert wurde. Bisher gefällt es mir sehr gut, aber ob ich alle Bände lese,
    kann ich jetzt auch noch nicht sagen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Robert Seethaler - Das Cafe ohne Namen

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