Manfred Geier - Aufklärung: Das europäische Projekt

  • Inhalt (Klappentext):
    Am Anfang war das Bild: Wie morgens der Himmel aufklart und die nächtliche Dunkelheit vertrieben wird, so soll auch der menschliche Verstand erhellt werden. Schon 1691 wird der Ausdruck „Aufklärung des Verstandes“ lexikalisch verzeichnet. Helle Köpfe sollen mittels deutlicher Begriffe und geschärfter Urteilskraft klar erkennen können, was wirklich der Fall ist. „Aufklärung“ ist eine vernunftorientierte Kampfidee gegen „dunkle“ Vorstellungen, die alles wie in einem Nebel oder einem Schattenreich verschwimmen lassen. Sie richtet sich gegen Aberglaube und Schwärmerei, Vorurteile und Fanatismus, Borniertheit und Phantasterei. Sie ist zugleich eine positive Programmidee für den richtigen Gebrauch des eigenen Verstandes.


    Über den Autor:
    Manfred Geier, geboren 1943, lehrte viele Jahre Sprach- und Literaturwissenschaft an den Universitäten Marburg und Hannover. Jetzt lebt er als freier Publizist und Privatdozent in Hamburg. Buchveröffentlichungen: „Kants Welt. Eine Biographie“ (2003), „Worüber kluge Menschen lachen“ (2006), „Die Brüder Humboldt. Eine Biographie“ (2009). Außerdem mehrere Bände in der Reihe rowohlts enzyklopädie sowie die Rowohlt-Monographien „Karl Popper“, „Martin Heidegger“ und „Der Wiener Kreis“.


    Meine Meinung:

    „Die Maxime, jederzeit selbst zu denken, ist die Aufklärung.“ - Immanuel Kant (S. 9)


    Das Werk kann für diejenigen Leser zum Genuss werden, die sich mit der Aufklärung entschieden tiefgründig beschäftigen möchten. Denn hierbei handelt es sich keineswegs um eine oberflächliche Zusammenfassung, sondern um ein umfassendes Panorama dieser lebendigen Epoche, das zu einem tieferen Verständnis der Aktualität der damals entstandenen Ideen führt.


    Geier geht chronologisch vor und orientiert sich in jedem Kapitel an einer markanten Persönlichkeit. So lernt der Leser die Anfänge der Aufklärung in England kennen, beobachtet die Rezeption und Weiterentwicklung der englischen Ideen in Frankreich und verfolgt die Kritik dieser auf dem deutschen Boden. Man setzt sich mit einer Vielzahl von meist relativ ausführlichen Biographien zusammen und erfährt nach und nach über die Zusammenhänge zwischen den Denkern und ihren Ideen. Es gibt unheimlich viele Querverweise und -bezüge, die das Lesen nicht einfach machen, dafür aber die Komplexität der Epoche vor Augen führen. Nicht zu kurz kommen die Beschreibungen der gesellschaftlichen und politischen Situationen, sodass die Hintergründe der Ideen anschaulich sind.


    Die Theorien werden aus meiner Sicht größtenteils verständlich dargelegt, wobei ich die besonders gut nachvollziehen konnte, die mir bereits ein Begriff waren. Deshalb ist das Buch vor allem für diejenigen geeignet, die bereits philosophische Vorkenntnisse über die herausragenden Persönlichkeiten der damaligen Zeit haben (z.B. Locke, Voltaire, Kant). Doch obwohl ich nicht alle Theorien kannte, bin ich mit den meisten gut klargekommen. Geier kommt dem Leser in diesem Sinne entgegen, indem er an passender Stelle kurze Zusammenfassungen bereits besprochener Theorien einbaut, wenn sich ein anderer Philosoph darauf bezieht.


    Die Unmengen von Zitaten und das umfangreiche Quellenverzeichnis mit Anmerkungen runden das Buch nicht nur ab, sie zeigen vor allem, dass der Autor unglaublich gut recherchiert hat, sodass man ein der Aufklärung würdiges Werk in den Händen hält. Es bringt dem Leser nicht nur die großartigen Ideen dieser Zeit näher, sondern zeigt auch, welche Grenzen und Widerstände der Aufklärung entgegenstanden. Nicht zuletzt in Deutschland sind die Aufklärer in Kritik geraten und trotzdem haben ihre Ideen Jahrhunderte überdauert und die Epoche zu einem europäischen Projekt gemacht, das sich immer einer ungebrochenen Aktualität erfreut. Denn ein Leben in einem „aufgeklärten“ Zeitalter ist nicht möglich. Es ist ein Zeitalter der Aufklärung, das die Menschen durch Selbstdenken mittragen können, weil die Aufklärung kein Zustand, sondern ein Vorgang ist.


    "Den ersten Fehler begehen alle die, welche nur selten denken und sich im Handeln und Denken nach dem Beispiel Anderer richten, ihrer Eltern, Nachbarn, Pfarrer oder dessen, den sie sonst etwa zum Vormund ihrer Einfalt erwählen, um sich die peinliche Mühe eigenen Nachdenkens zu ersparen." - John Locke (S. 53)


    Fazit:
    Ein Werk, das den Leser wahrlich fordert und fördert. Unglaublich komplex und definitiv lesenswert! :thumleft:

    :jocolor: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa // Norman Davies (Projekt)



    You cannot open a book without learning something. - Konfuzius