Cyprian Ekwensi – Den Frieden überleben / Survive the Peace

  • Inhalt (Buchumschlag, um Spoiler gekürzt): Cyprian Ekwensi ist nach Wole Soyinka und Chinua Achebe der bedeutendste Autor Nigerias. Er schreibt, um die spannungsreiche Entwicklung in seiner Heimat zu bezeugen, in der brüsk sich herausbildende neue Realitäten oft die traditionellen Werte ersticken. Der Roman schildert, was der Krieg um die sezessionistische Republik Biafra an Verlusten einbrachte – und er brachte nichts als Verluste. Nachdem die letzten Schüsse verhallt sind, macht sich der Journalist Odugo auf zu einer Odyssee über die gefahrvollen Routen Biafras, um die Seinen wieder zu sammeln. Seine Frau findet er auf Seiten der siegreichen Offiziere. Jeder sucht zu überleben, so gut er kann. Die Nachkriegsgewinnler sputen sich, junge Betriebsamkeit kündet von altem Geschäftssinn.

    Der Autor (nach Wikipedia): Cyprian Odiatu Duaka Ekwensi (1921-2007) arbeitete zunächst als Förster, dann als Chemie- und Biologielehrer in Lagos. Dabei begann er, wöchentlich Kurzgeschichten für den nigerianischen Rundfunk zu schreiben. Außerdem gilt er als Begründer der sogenannten Onitsha-Marktliteratur (kleine Heftchen vorwiegend in Pidgin-Englisch zu den Themen Lebenshilfe, Liebe und Alltagssorgen, die auf dem Markt vertrieben wurden), die einen regelrechten Literatur-Boom in Nigeria in Gang setzte. Während seiner journalistischen Tätigkeit für den Rundfunk studierte er Pharmazie in Lagos und London. Ab 1961 arbeitete er für das nigerianische Informationsministerium, während des Biafra-Krieges dann für das Informationsmisterium der Republik Biafra. Nach deren Untergang 1970 wurde er Verwaltungsrat einer Bibliothekenvereinigung und 1975 Leiter des Zeitungsverlages "Star Printing and Publishing Company Enugu". Er schrieb 35 Bücher, darunter Großstadt- und Abenteuerromane, Jugend- und Populärliteratur. Auf deutsch liegen vor "Jagua Nana" (1961, dt. 1987), "Burning Grass" (1962, dt. „Der Wanderzauber“ 1994) und "Survive the Peace" (1976, dt. „Den Frieden überleben“ 1988).


    Hintergrund „Biafra-Krieg“ (nach Wikipedia): Nigeria ist ein Vielvölkerstaat mit zwei Hauptreligionen, dem Christentum im Süden und dem Islam im Norden. Seit der Unabhängigkeit Nigerias von Großbritannien im Jahr 1960 ringen verschiedene Völker um die Vormachtstellung im Staat. Die christlichen Igbo in der Biafra-Provinz fühlen sich lange benachteiligt gegenüber den muslimischen Hausa und Fulani. 1966 putschen Igbo-Offiziere. Nach einem Gegenputsch kommt es zum Progrom an den Igbo mit mehreren zehntausend Toten. Nach einer Gebietsreform im Mai 1967, nach der die Erdölgebiete plötzlich außerhalb des Igbo-Zugriffes liegen, ruft der Militärgouverneur der Ostregion (er stammt aus dem Volk der Igbo) die Unabhängigkeit der Region Biafra aus. In der Folge tobt zweieinhalb Jahre ein Bürgerkrieg, wobei unter anderem Großbritannien, die USA, die Sowjetunion, Spanien, Polen, die Tschechoslowakei, Belgien und die Niederlande die Zentralregierung, Frankreich, China, Portugal und die Schweiz dagegen die Republik Biafra mit Waffenlieferungen unterstützten. Nachdem die von Anfang an unterlegenen Abspalter besiegt waren, wird die Republik Biafra dem nigerianischen Staatsgebiet wieder einverleibt. Biafras Wirtschaft braucht Jahre, um sich wieder zu erholen. Igbo werden auf Jahrzehnte keine bedeutenden Posten in Militär oder Verwaltung mehr erhalten. Die innenpolitischen Unruhen um das erdölreiche Nigerdelta in der Biafra-Region halten bis heute an. Weitere Romane, die sich mit dem Biafra-Krieg beschäftigen sind Frederick Forsyths Thriller Die Hunde des Krieges und Chimamanda Ngozi Adichies Roman Die Hälfte der Sonne.


    Der Roman "Den Frieden überleben" (auf Englisch geschrieben und 1976 veröffentlicht) spielt im Südosten Nigerias zum Ende des Biafra-Krieges und schildert die Zeit des Wiederanfangs aus der Sicht des Rundfunkjournalisten James Odugo. Er möchte einerseits wieder zu seiner Frau und seinen drei Kindern zurückkehren, die woanders Schutz gesucht hatten, während er der Arbeit hinterher von Sendeanstalt zu Sendeanstalt gezogen ist, andererseits möchte er seine Eltern und Geschwister besuchen. Zusammen mit einer Liebschaft aus dem Rundfunkhaus macht er sich, wie viele andere Flüchtlinge, auf den Weg, wird aber wegen gesperrter Straßen und gesprengter Brücken zunächst aufgehalten. Beide kommen eine Zeitlang bei einem alten Freund Odugos unter, der seinerseits darauf wartet, dass seine verstreuten Kinder ihn endlich besuchen. Es ist eine Zeit, in der alle Leute versuchen, ihre verstreuten Familien zu versammeln (um "Köpfe zu zählen"), an ihr altes Leben anzuknüpfen oder ein neues Leben zu beginnen. Möglicherweise ist diese Zeit sogar gefährlicher, gesetzloser und „gewaltiger“, als es die letzten Kriegsjahre waren: Wegelagerer bemächtigen sich zurückgelassener Waffen, man wird in Hinterhalte gelockt und wegen Lappalien erschossen, immer wieder treten Leute auf Landminen, Kinder sterben wegen fehlender Lebens- und Arzneimittel immer noch an Unterernährung, Unsicherheit führt zu Panik und Vergewaltigungen durch marodierende Bundessoldaten häufen sich. Frauen und Mädchen bleiben besser im Haus. Aber wie es ein Freund der Hauptfigur (sei es aus Fatalismus oder Realismus) formuliert:


    Zitat

    Das ist der Preis für die Niederlage. Du lieferst deine Frauen aus.

    (S. 38)


    Dabei sind es in dieser Geschichte vor allem die Frauen, die die Chance des Neuanfangs dazu nutzen, um sich zu verbessern, die sich also entweder an einen neuen Mann hängen, der einflussreicher ist als der vorherige, oder die versuchen, sich von der Bevormundung durch die Männer fürs Erste ganz zu lösen. Die erste Lektion des Überlebens lautet: „Bring dich immer geschickt in die Nähe der Macht“ (S. 99). Die Großväter verstehen die Jugend nicht mehr und die alten Schwiegermütter sind gehässig, während alte Familien- und Rollenbilder sich verändern. Auch der Erzähler steht dieser „emanzipatorischen“ Veränderung sehr kritisch und ablehnend gegenüber, wenn sie, wie hier meistens, aus reinem Eigennutz zu Ungunsten der Gemeinschaft, der Tradition und der Familie passiert. Es ist kein feministischer Roman. Das Weltbild ist eher konservativ und pessimistisch.


    Der nüchtern erzählte Roman gefiel mir dennoch sehr gut. Er schildert eher allgemein, was der Krieg mit den Menschen anstellt, als konkret, worum es in der geschilderten historischen Situation in Nigeria wirklich ging. Die Geschichte wird interessant, informativ und spannend vor dem Leser ausgebreitet, hat einige, vor allem zu Beginn, sehr eindrückliche, unheimliche Passagen, die von der Ungewissheit der direkten Nachkriegszeit erzählen, und schildert diverse Schicksale, die mich als Leser auch wirklich angehen (wobei mir die Frauenfiguren interessanter gestaltet scheinen, wenn auch über viele "die Nase gerümpft wird"): Es geht unter anderem um die junge, laszive Schwiegertochter, die ihren Körper für Nahrung für ihre Familie an einflussreiche Militärs "verkauft", es geht um die tüchtige Geliebte, die im riskanten, grenzüberschreitenden „Überfall-Handel“ tätig ist, es geht um einen ehemaligen Soldaten, der nach der Erfahrung des Krieges "verrückt wird", dem Alltag eine Abfuhr erteilt und sich zum Propheten und Prediger berufen fühlt, und natürlich um den Rundfunkjournalisten Odugo, der zunächst bedenkenlos Kriegslügen und Propaganda verbreitet, die der Absicht seiner Brötchengeber entsprechen und die das Volk beruhigen sollen, dann aber doch umzudenken beginnt (wenn auch auf sehr kleiner Flamme): Nachdem der Krieg einige Zeit vorbei ist, will er doch nicht mehr seinem ersten Impuls folgen und zurück zum Rundfunk gehen, sondern lieber auf eigene Kappe als PR-Berater arbeiten, als freischaffender Propagandist, der sich die Lügenmärchen wenigstens selbst ausdenkt.


    Interessant ist vor allem, dass sich alle Figuren nicht um die Ursachen des Krieges zu scheren scheinen. Wenn sich aber niemand dafür interessiert, kann auch niemand etwas daraus lernen. Die im Roman vor allem von den alten Vätern und Großvätern, die selber viele ihrer Kinder im Krieg beerdigen mussten, geäußerte Prognose für die Zukunft Afrikas (und der Menschheit) scheint düster, aber realistisch: Da die Mehrheit der Überlebenden nur noch an sich selbst, das eigene Vorankommen, an Geld und Einfluss denkt, wird das Bekriegen kein Ende nehmen, immer wieder von vorne beginnen. So fragt Familienoberhaupt Pa Ukoha, ein alter Freund Odugos, bei der Trauerfeier für seinen getöteten Lieblingssohn in die Runde seines Dorfes:

    Zitat

    „Leute von Obodonta, worum ging es in dem Krieg?“ Die Augen loderten vor Leidenschaft, die Brauen sträubten sich. Und als keiner antwortete, sondern alle wegblickten, sprach Pa Ukoha: „Jetzt fange ich an zu begreifen: Ja, der Krieg wurde geführt, um unsere Familien zu zersplittern und uns ohne Söhne und Töchter zurückzulassen, ohne Frauen und Männer. Das ist alles! Wenn die Familien zersplittert sind, können wir uns nicht weiter entwickeln.“ Er begann zu lachen. „Ja, so werden wir eines Tages unabhängig. So werden wir uns selbst regieren! Wir werden einander töten, unsere Familien zersplittern, während andere Länder uns Waffen verkaufen und in der Welt vorankommen... “

    (S. 66)

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Manner "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" (54/151)


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  • Und so sieht die im November 1976 bei Heinemann Educational Books in London erschienene Ausgabe des Romans aus.

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  • Ich hab eines mit Cover gefunden :wink:

    Prima, danke, habe ich gleich ausgewechselt. :thumleft: Die Suchfunktion bei Amazon ist manchmal auch ein Glücksspiel ... 8-[

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  • Danke für die Rezi zu einem sehr bedrückenden Thema. Ich kann mich noch sehr gut an die Bilder der "Biafra-Kinder" mit ihren aufgeblähten Hungerbäuchen erinnern und jahrelang standen dieser Begriff als Synonym fürs Verhungern :pale: Wobei ich zugeben muss, dass ich damals nicht bewusst mitbekommen habe, dass Biafra in Nigeria und nicht in der Sahel-Zone liegt, dem Gebiet der nächsten Hungerkatastrophe in Afrika. Auf jeden Fall hab ich das Buch gleich mal auf meine Wunschliste gesetzt.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Kai Seyfarth - Entscheidung in Aleppo: Walter Rößler, Helfer der verfolgten Armenier


  • Ich kann mich noch sehr gut an die Bilder der "Biafra-Kinder" mit ihren aufgeblähten Hungerbäuchen erinnern und jahrelang standen dieser Begriff als Synonym fürs Verhungern

    Das war mir gar nicht so bewusst, wahrscheinlich fehlen mir zehn Jahre auf dem Buckel. Ja, anscheinend war die humanitäre Lage recht katastrophal damals, da die Republik Biafra nach dem Verlust einiger Städte über keine Flugplätze mehr verfügte, auf denen Flugzeuge mit Hilfsgüterlieferungen gut und sicher landen konnte. Eine Hunger-Blockade Nigeras gegen Biafra hat dann wohl das übrige getan - und den Krieg mitentschieden. Allerdings geht es in dem Roman tatsächlich sehr wenig um solche "Hard Facts" des Biafra-Krieges, es geht eher um familiäre und soziale Konstallationen, die durch den Krieg zerstört werden, und andere, die durch den Krieg geschaffen werden. So oder so anregende Lektüre! Freut mich, dass Dir die Rezension gefallen hat! :)

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  • wahrscheinlich fehlen mir zehn Jahre auf dem Buckel


    Die fehlen Dir ganz sicher - ich war Kind als diese Bilder um die Welt gingen, schließlich war ich grad mal 7 Jahre alt als der Bürgerkrieg endete.
    Mir ist schon bewusst, dass die Hard Facts nicht das Thema des Buches sind, aber die "weichen" Faktoren der zerstörten und neu geknüpften Verbindungen auf allen (Macht-) und Familien-Ebenen machen in solchen Krisenregionen ja oft einen wichtigen Unterschied mit weitreichenden Folgen aus. Dein Zitat am Ende steht dafür ja doch recht deutlich: werden einzelne Volksstämme unterdrückt, zerrissen, Familien zerstört, so haben andere dafür die Oberhand und das Sagen. Daran scheitern ja viele (oft künstlich geschaffene) Vielvölkerstaaten - nicht nur in Afrika, sondern bis hin zu Europa, Jugoslawien!!!

    viele Grüße vom Squirrel



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  • werden einzelne Volksstämme unterdrückt, zerrissen, Familien zerstört, so haben andere dafür die Oberhand und das Sagen

    Und wenn man jetzt nach Nigeria schaut, packt einen ja auch "wieder" das kalte Grausen... :-?

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  • Und wenn man jetzt nach Nigeria schaut, packt einen ja auch "wieder" das kalte Grausen... :-?

    Ich glaube, Nigeria kam nie wieder richtig zur Ruhe :-k aber sicher bin ich mir da nicht.

    viele Grüße vom Squirrel



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  • Das Buch habe ich im vergangenen Monat gelesen, um mit einem nigerianischen Freund, der während des Augusts in Deutschland ist, darüber zu sprechen. Ekwensi ist ein sehr bekannter und populärer Autor in Nigeria, und so kannte auch der nigerianische Freund dieses Buch. Er ist Igbu und einige seiner Familienmitglieder kämpften für Biafra. Er gehört zu den sogenannten "Biafra-Kindern", hat die Hungersnot überlebt, dabei aber Geschwister, Cousins und Freunde verloren.
    Das Trauma wirkt bis heute fort, aber er erinnert sich an vieles von dem, was Ekwensi schreibt. Vor allem daran, dass die Familienoberen ihre Töchter, Nichten, Ehefrauen und alle weiblichen Wesen, die im Haus lebten, in Versteckte schickten, wenn die Milizen kamen. Wobei es keine Rolle spielte, ob es die eigenen oder die feindlichen Leute waren.
    Genau wie Ekwensi berichtet, wussten die Soldaten monatelang nichts davon, dass der Krieg zu Ende war und kämpften auf beiden Seiten weiter, so dass vor allem die Verluste bei der Zivilbevölkerung weiter zunahmen.
    Auch dass viele Frauen aus Biafra aus ihren Familien zu den Nigerianern wechselten, ist richtig. Doch meist ging es dabei um die Versorgung der Kinder: Nur die Nigerianer hatten Zugang zu den Flughäfen und damit zur ersten Kontrolle über die Lebensmittelverteilung, und dass sie natürlich zuerst für die eigenen Leute sorgten, die auch Hunger litten, ist klar. Ein nigerianischer Geliebter garantierte einer Biafra-Frau also das Überleben ihrer Kinder. Diesen Punkt lässt Ekwensi leider unter den Tisch fallen; auch streift er die Hungersnot, eine der größten Katastrophen des an Katastrophen nicht armen afrikanischen Kontinents, eher am Rande.


    Vor ein paar Jahren habe ich mit dem nigerianischen Freund zusammen das National War Museum im Umuahia besucht. Obwohl mich die technischen Hintergründe, die Flugzeug- und Schiff-Wracks, sowie Waffen nicht interessieren, war doch eins sehr deutlich: Die Überlegenheit Nigerias, das von vielen europäischen Ländern mit Waffen, Munition und technischem Gerät unterstützt wurde. Einige Länder unterstützten auch Biafra, aber chinesisches und Schweizer gegen amerikanisches und russisches Militärgerät …


    Es gibt mehrere Deutungen, warum es zu dem Krieg kam. Die eine völkerrechtliche Seite, die Unterdrückung der Igbu, ist eine Erklärung, die andere das Erdöl. Denn Nigerianer sind eher unpolitisch; hätten sie Arbeit und ein Auskommen, das zum täglichen Leben und zur Bildung der Kinder reicht, wären sie zufrieden.
    Auch das Unwesen, das Boko Haram im Norden des Staates treibt, hat weniger politische Ursachen: Man hat vor einiger Zeit auch dort Öl gefunden. Die angebliche Gründung eines islamischen Staates ist wohl nur vorgeschoben. Vor allem: Woher hat Boko Haram die Waffen, das Geld, die Technik? Wer profitiert davon, wenn in der Region das Chaos ausbricht?


    (Das war natürlich jetzt keine Rezension, ich weiß. Aber ich denke, der Thread wird sowieso nur von denen angeklickt, die sich für Nigerias Vergangenheit interessieren, und für die habe ich die Informationen aus erster Hand aufgeschrieben.)

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)