David Whitehouse - Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek/ Mobile Library

  • Kurzmeinung

    SirPleasant
    Ein Buch über einen Jungen, einen Roboter, einen Höhlenmenschen, eine Prinzessin und eine Königin; Herzzerreißend schön.
  • Buchtipps zum Thema

  • Das Buch
    Bobby Nusku ist ein 12jähriger Junge, der bei seit dem Weggang seiner Mutter seinem gleichgültigen Vater und dessen Freundin aufwächst. Einige größere Jungs in der Schule machen sich einen Spaß daraus, ihn herumzuschubsen und zu demütigen. Bobby und sein einziger Freund Sunny fassen einen abstrusen Plan, um diesen Jungs und nebenbei auch gleich Bobbys Vater das Handwerk zu legen.
    Dann „verschwindet“ Sunny und Bobby lernt Rosa Reed kennen, mit der er sich sofort anfreundet und bei deren Mutter Val er sich geborgen und verstanden fühlt. Sie arbeitet als Putzfrau in einem Bücherbus, dessen Betrieb und somit Vals Job vor dem Aus stehen.
    Aus dieser Konstellation entwickelt sich der Roadtrip mit dem gestohlenen Bücherbus, in dessen Verlauf noch der geheimnisvolle Joe zu ihnen stösst, auf der Suche nach Sunny und einer Familie, nach Liebe und Geborgenheit, nach Verständnis und Erklärungen …


    315 Seiten in 22 Kapitel eingeteilt.


    Der Autor
    David Whitehouse wurde 1981 in Nuneaton, England geboren. Sein Debüt „Bed“ wurde 2010 mit dem „To hell with prizes Award“ ausgezeichnet. Er lebt in London.

    Quelle: Bucheinband


    Meine Meinung

    Zitat

    Familie. Ein Puzzle aus Menschen.


    Zugegeben, ich brauchte einige Seiten um in die Geschichte reinzufinden. Aber was sich dann entfaltete und entwickelte war ein wunderschönes modernes Märchen. Es war in seinem gesamten Handlungsverlauf einerseits so melancholisch, teils traurig und erschreckend – aber nie ohne ein Fünkchen Hoffnung aus dem sich immer wieder ein Flächenbrand aus Liebe, Geborgenheit und Wohlfühlen entwickelte. Die Ideen die der Autor den Figuren in die Gedanken pflanzt, die Personen, die ihnen begegnen und wie sie sich selber entwickeln sind sehr ungewöhnlich, sehr originell und absolut liebevoll charakterisiert.
    Er fabuliert und erzählt eine so anrührige Geschichte, in einer phantasievollen Art und Weise, ohne in die Stereotypen-Kitsch Ecke abzugleiten. Die eigentliche Handlung ist vielleicht nicht aussergewöhnlich in ihrer Grundanlage, aber den Weg und die Verzweigungen die er nimmt sind etwas ganz besonderes und immer wunderschön beschrieben. In der Geografie würde man sagen Luftlinie ist es ein sehr direkter, kurzer Weg, aber die zurückgelegte Strecke ist einzigartig und wunderbar.
    Immer wieder fallen sehr treffende und schöne Formulierungen auf, so lässt Whitehouse den Baron an einer Stelle über den Tod philosophieren:

    Zitat

    Scheiße nochmal, dachte er mit jener teuflischen Endgültigkeit, wie sie nur ein Schotte in Worte fassen kann, dann soll mich das Efeu eben auch verschlingen. Was ist schon der Tod? Nicht das Ende. Der Tod ist nur ein Komma oder bestenfalls ein Doppelpunkt. Und der jämmerliche Halunke, der noch am Leben ist, wenn endlich der Punkt kommt, ist nur zu bemitleiden.


    Insgesamt habe ich, nachdem ich einmal „Blut geleckt“ hatte, das Buch absolut genossen und fand es einfach wunderschön und vergebe gerne :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

    Terry Pratchett

    "The person, be it gentleman or lady, who has not pleasure in a good novel, must be intolerably stupid."

    Jane Austen


    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Eine richtig schöne herzerwärmende Geschichte, die jedoch ebenso ein nicht gerade kleines Maß an Traurigkeit zu bieten hat. Wie Bobby seine Mutter vermisst, von seinem Vater und Klassenkameraden drangsaliert wird ebenso wie Rosa von größeren Jungs, wie bei der ganzen Unternehmung stets die Ahnung mitschwingt, dass es kein gutes Ende nehmen wird - das ist nicht gerade amüsante Unterhaltung. Doch dem Autor gelingt es immer wieder, diese allzu traurigen Momente mit wenigen Worten in eine heitere Situation zu verwandeln. So war ich beim Lesen hin und her gerissen zwischen traurig und wunderschön - ach, es ist einfach Beides.
    Natürlich kommen auch die Bücher nicht zu kurz, schließlich findet die Reise ja in einem Bibliotheksbus statt. Val, die Rosa viel vorliest, führt auch Bobby ans Lesen heran. Und so beginnt er alles zu verschlingen, was ihm in die Finger fällt und stellt fest, dass viele Abenteuer die er kurz zuvor gelesen hatte, er nun selbst in ähnlicher Form erlebt. Auch das Ende (das ich natürlich nicht verrate) ereignet sich durch die Inspiration eines Buch.
    Alles in allem: einfach schön!

    :study: Das Eis von Laline Paul

    :study: Der Zauberberg von Thomas Mann
    :musik: QUALITYLAND von Marc-Uwe Kling

  • Das erste drittel fand ich ziemlich traurig und trist. War einige male kurz zuvor, es abzubrechen, da ich als junge Mutter vielleicht nicht der optimale Leserkreis bin. Mich hat es ziemlich mitgenommen, zu lesen, wie Bobby in der Schule schikaniert, vom Vater (Alkoholiker) ignoriert völlig alleine ist und immer wieder auf die Rückkehr seiner geliebten Mutter wartet. Auch die Naivität von ihm und seinem besten Freund Sunny, aus diesem einen Cyborg zu machen ging mir sehr unter die Haut.
    Zum Glück habe ich aber weitergelesen und die triste Stimmung wurde besser, nachdem die Reise im Bücherbus begann (leider erst im zweiten Drittel).
    Die Atmosphäre wurde sogar sehr liebevoll, als sich eine Familie zusammenwürfelt. Dabei wurden die Gefühle und Hintergründe so gut umschrieben, dass man mit jeder Person mitfühlen und diese verstehen konnte. Und während man sich für ihr kurz gewonnenes Glück freut, bleibt im Hinterkopf die Frage, wie kommt es zu dem Ende, mit welchem das Buch beginnt. Im Gegenteil, irgendwie stimmt es einem schon wieder fast traurig, dass es das Ende geben wird und diese Reise mit ihrer gewonnenen Familie nicht endlos weitergehen kann. Doch das Buch ist wie die Reise selber voller Überraschung. Je länger sie geht, je interessanter wird sie und am Ende kann man das Buch kaum aus den Händen legen.


    Alles in allem hat mir das Buch gut gefallen. Nur der erste Teil hätte vielleicht etwas weniger traurig und klischeehaft sein können. Doch der Rest macht dies eindeutig wett, und auch einige Zitate sind in dem Buch zu finden, welche sehr schön sind:


    "Familie. Ein Puzzle aus Menschen" (S.244)
    "So etwas wie ein Ende gibt es nicht. Gutes ergibt sich aus Schlechtem und Schlechtes aus Gutem und so geht es immer weiter. Genau wie im Leben. Bücher sind das Leben. Es gibt nicht nur den Teil, den du liest. Sie fangen schon lange vorher an. Und sie gehen danach weiter. Alles geht ewig weiter. Du nimmst nur für ein paar Seiten daran teil, für die Dauer eines winzigen, aus der Zeit geschnittenen Fensters" (S.138)

  • @Mojoh hat meinen Eindruck und meine Gefühle beim Lesen perfekt niedergeschrieben, ich könnte hier nur eine Wiederholung seiner Rezension schreiben. :)

    nachdem die Reise im Bücherbus begann (leider erst im zweiten Drittel).

    Das fand ich gut, dass die Reise nicht das Thema des Buches ist, sondern Mittel zum Zweck, und damit eine ausführliche und erklärende Vorgeschichte die Grundlage der Erzählung bildet. Ohne diese Vorgeschichte, den "ernsten" Teil, wäre nur ein leicht überdrehtes Märchen übrig geblieben, denke ich. So ist es eine abgerundete Geschichte bis zum Schluss. :wink:

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn