Alois Weimer - Gebete der Dichter

  • Alois Weimer, 1930 geboren, hat sein ganzes Berufsleben lang gelehrt, zuletzt als Studienleiter am Grimmelshausen-Gymnasium in Gelnhausen. Seine Vorliebe und Leidenschaft galt und gilt der Theologie, besonders der von Augustin und der mittelalterlichen Dichtung, über die er sich auch habilitierte. Er erweiterte sein Interesse bis in die Theologie und Dichtung der Gegenwart und legt nun als Pensionär ein Buch vor, das eine wahre Fundgrube und Schatzkiste ist nicht nur für gläubige Menschen, sondern auch und gerade für Suchende und Zweifelnde.


    Er hat, in sieben Zeitabschnitte unterteilt, „Gebete der Dichter“ ausgewählt und vor jeden Abschnitt eine knappe, aber sehr lehrreiche Einführung über die Theologie, die Gesellschaft und die Lyrik der jeweiligen Zeit gestellt.


    In seinem Vorwort gibt Weimer Zeugnis von seinem Gebetsverständnis, das man nicht teilen muß, um das Buch zu schätzen, das aber manch hoffnungslos gewordener Seele und manch zweifelndem Geist wieder zu einem absolut vernünftigen Verständnis von Gott zurückführen könnte:
    „Heute spricht man von ‚beten’, wenn ein gläubiger Mensch sich, entsprechend seiner jeweiligen Situation, mit Dank, Lob, Bitte, Bekenntnis, Klage oder gar einem Fluch an eine höhere Macht wendet, von der er sich abhängig glaubt. Im christlichen Raum sind die Gesprächspartner Gott in drei Personen: Vater, Jesus Christus und Heiliger Geist; Maria, die Gottesmutter, Engel und Heilige, auf der anderen Seite steht der gläubige Beter allein oder in Gemeinschaft mit Gleichgesinnten. Die Formen und Formeln des Gebets sind so vielfältig wie die Anlässe, bei denen sie gesprochen werden. Alle Beter aber holen den Himmel auf die Erde, überwinden damit gleichzeitig die Erdgebundenheit und drängen zum Göttlichem empor.
    Gelingt das Gebet, das heißt, wird Gott zum Bezugs- und Mittelpunkt des Lebens, dann wird Gott zum Partner: Der Beter erfährt, wer er ist, wo er steht und wohin er sich wenden kann. Er erlebt Gott als den ganz Nahen, Liebenden, Heilenden und manchmal auch als den Zürnenden und Strafenden, und er versteht die Welt und die Mitmenschen in ihren Nöten und Freuden, in ihrem rastlosen Streben und Wirken und sich selbst in dieser Unübersichtlichkeit im Dialog mit Gott. Natürlich kann dieser Dialog, so unnatürlich es auch klingen mag, mit und in Schweigen geführt werden; die Mystiker gehen diesen Weg. Sie üben sich ein ins heilige Schweigen, um sich so mit dem Ungreifbaren, dem Göttlichen zu vereinen.
    Doch in der Regel wird mit Worten gebetet. Dann rückt das Wort die Ferne in Nähe, gibt dem Unfassbaren Gestalt, nennt das Unsagbare, zeigt im Endlichen das Ewige und berührt neben dem Verstand vor allem das Herz, das unruhig schlägt und durch das Wort im Dialog mit dem Unendlichen Ruhe findet. Solche Worte brauchen die Christen, vor allem heute in dürftiger Zeit.“


    Die Auswahl der Gedichte, die er aus 12 Jahrhunderten als einen Ausdruck dieser Suche nach der Seelenruhe getroffen hat, soll nicht kommentiert werden. Sie ist sicher subjektiv, vermittelt aber einen guten Überblick über die Lyrik der jeweiligen Epoche. Absolut lesenswert sind die schon erwähnten Einführungen in die Epochen, die viel zu einem vertieften Verständnis beitragen.

    Eines der modernen Gedichte soll als Beispiel zitiert werden für die Suche der Dichter nach Gott, als laut gewordene Stimme von so vielen stumm Gewordenen oder Gemachten:


    Ernst Jandl


    AN GOTT


    dass an gott geglaubt einstens er habe
    fürwahr er könne das nicht sagen
    es sei einfach gewesen gott da
    und dazwischen sei gar nichts gewesen
    jetzt aber er müsste sich plagen
    wenn jetzt an gott glauben er wollte
    garantieren für ihn könnte niemand
    indes vielleicht eines tages
    werde einfach gott wieder da sein
    und gar nichts gewesen dazwischen


    Ein ausführliches Autorenverzeichnis und ein detailliertes Textverzeichnis laden ein zur Weiterbeschäftigung mit Autoren und ihren Texten.
    Dieses Buch gehört in jede öffentliche und erst recht in jede kirchliche Bücherei.