Anne Siegel - Frauen Fische Fjorde

  • Untertitel:
    Deutsche Einwanderinnen in Island


    die Autorin:
    Anne Siegel wurde in Norddeutschland geboren und wuchs dort auf dem Land auf. Nach dem Studium der Volkswirtschaft, Sozialwissenschaften und Psychologie lebte und arbeitete sie in England, Israel und in den Niederlanden, war Dozentin, Werbetexterin, Ghostwriterin für Politiker und Kabarettisten. Sie war außerdem Comedy-Autorin fürs deutsche Fernsehen. Heute lebt sie in San Francisco und Köln und arbeitet als Journalistin und Hörspielautorin für öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland, sowie als Drehbuchautorin und Dokumentarfilmerin für US-Produktionen.


    Klappentext:
    April 1949: Auf Islands Bauernhöfen herrscht Frauenmangel, im Nachkriegsdeutschland kommen auf einen Mann fünf Frauen, viele von Ihnen ohne Zukunftsperspektiven. Im Laufe dieses Jahres werden etwa 300 Frauen nach Island auswandern und die bislang größte Einwanderergruppe auf Island bilden. Die meisten Frauen assimilieren sich erstaunlich schnell. Sie heiraten Isländer und gründen Familien. Die heute noch Lebenden erzählen fast alle zum ersten Mal ihre Lebensgeschichte.


    meine Meinung:
    Der Autorin ist ein wunderbares Zeitdokument gelungen. Sie traf sich mit mehreren Frauen, die in den Jahren 1949 und 1950 für ein Jahr als Hilfskräfte nach Island gingen, sich in das Land und die Isländer verliebten und dort blieben.
    In diesem Buch sind die Geschichten von 6 Frauen enthalten, die alle aus sehr unterschiedlichen Gründen dem Aufruf des isländischen Landwirtschaftsministers gefolgt sind, per Schiff nach Island gebracht und dann dort auf die Höfe verteilt wurden. Ausnahmslos alle wurden vorurteilslos und freundlich aufgenommen und in die Familie integriert. Man spürt deutlich, dass die jungen Frauen nach den Jahren des Krieges und der teilweise langen Flucht quer durch das Deutsche Reich auf Island so etwas wie einen ruhigen Hafen suchten und auch fanden. Die größtenteils schwere Arbeit und das soziale Umfeld auf den Höfen tat ihnen gut und sie berichten auch jetzt noch im hohen Alter voller Begeisterung von der sicherlich doch auch recht schwierigen Zeit. So alleine in einem fremden Land, ohne die dortigen Gepflogenheiten zu kennen bzw. ohne Sprachkenntnisse sich verständigen zu müssen. Sie wurden aber alle mit Respekt behandelt und auch unterstützt und gefördert. Es wurde ihnen von Seiten der Isländer leicht gemacht, Freunde zu finden und einen neuen, anerkannten Platz in der Gemeinschaft einzunehmen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass sehr viele der etwa 300 Frauen, die sich damals für ein Jahr nach Island verpflichtet hatten, dort blieben und eine Familie gründeten. Ich ziehe meinen Hut vor den (damals teilweise erst 17-jährigen) Frauen und bin (wieder einmal) begeistert, was die Isländer für ein tolles Volk sind!


    Bewertung:
    Ein sehr interessantes Buch über einen hier in Deutschland kaum bekannten Teil der Deutsch-Isländischen Geschichte. Das Buch enthält einige schwarz/weiße Fotografien, die perfekt zum Buch passen und teilweise aus dem privaten Besitz der Auswanderinnen stammen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    Liebe Grüße von Pippilotta :-) :winken:


    Fernsehen bildet. Immer wenn der Fernseher an ist, gehe ich in ein anderes Zimmer und lese.
    Groucho Marx

    Ich :study: gerade:
    Barry Jonsberg - Das Blubbern von Glück
    Bill Bryson - Eine kurze Geschichte von fast allem

  • Ich war vor einiger Zeit bei Facebook über dieses Buch gestolpert und habe gerade Hildes Lebensgeschichte beendet. Äußerst interessant, bis dato wusste ich auch nichts von diesem Projekt.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)

  • April 1949: Im noch nicht wieder aufgebauten Deutschland kommen auf einen Mann fünf Frauen. Auf Islands Bauernhöfen dagegen herrscht Frauenmangel. Die sind in die Städte gegangen, um sich bilden zu lassen.
    Und so findet eine Aktion statt, die Island die bisher größte Einwanderergruppe beschert. 300 Frauen melden sich, um in der Ferne ein neues Leben zu beginnen. Die meisten leben sich schnell ein, heiraten Isländer und gründen Familien.
    In diesem Buch erzählen die heute noch Lebenden fast alle zum ersten Mal ihre Lebensgeschichte.
    Eine der sechs Frauen aus diesem Buch möchte ich euch vorstellen:


    Los geht es mit Hilde, die am 29. März 1942 vierzehn Jahre alt und damit die jüngste Feuerwehrfrau von Lübeck ist. Der Vater ist gestorben, die Brüder im Krieg. Jeden Abend bei Bombenalarm mussten sie runter in den Keller.
    Hilde war ein ungestümes Mädchen, hatte kein Sitzfleisch, war leicht aufbrausend und musste immer in Bewegung sein. Ihren Bewegungsdrang bekam sie mit Sport einigermaßen in den Griff. Von ihren Leistungen her hätte Hilde gut das Abitur machen können, doch die Eltern wollten, dass sie einen Beruf erlernt und so musste sie den Beruf der Kaufmannsgehilfin lernen. Diese Arbeit war ihr sehr schnell verhasst.
    Auch nach Kriegsende blieb Hilde unter ständiger Anspannung. Heute würde man ihr wohl eine posttraumatische Belastungsstörung bescheinigen. Das Zusammenleben mit der Mutter war nicht einfach. Nach vielen Auseinandersetzungen machte sie sich mit auf den Weg nach Island. Sie zog von allen Frauen am weitesten in den Norden.


    Im Gegensatz zu vielen anderen Frauen hat Hildur, wie sie nun genannt wird, überhaupt kein Heimweh. Eigentlich wollte sie nur ein Jahr bleiben. Doch ihr geht es hier so gut. Ihre Nervosität ist von ihr abgefallen, die Familie hat sie gut aufgenommen und sie hat sich in Björn verliebt, einen der Zwillingsbrüder des Hofes. 1951 heiraten die beiden und werden 51 Jahre miteinander verbringen.
    Hilde verliebte sich in die Gegend, von der selbst Isländer sagen: "Was will die da? Da ist doch nichts, das ist doch das Ende der Insel und nur noch ein alter Leuchtturm, dann sehr viel Packeis im Winter und dann kommt Grönland."


    Hildur und Björn hatten ein arbeitsreiches und glückliches Leben. 1999 bauten sie ihr Haus noch einmal um. Als wenn Björn ahnte, dass er drei Jahre später mit 89 Jahren sterben würde und seiner Frau ein komfortableres Leben schenken wollte. Später probiert Hildur ein isländisches Projekt aus, das viele Seniorinnen und Senioren praktizieren. Über den Winter geht sie in die nächste Kleinstadt in ein "Winter-Seniorenheim". Zu Hause wäre es in dieser Jahreszeit einfach zu gefährlich. Wenn etwas passieren sollte, lägen die Höfe für schnelle Hilfe zu weit auseinander. Auch die Ambulanz könnte unter Umständen zu lange brauche, um rechtzeitig Hilfe leisten zu können.


    "Isländische Alten- und Seniorenheime sprengen die Klischees dessen, was wir Mitteleuropäer kennen. Sie sind farbenfroh ausgestattet und voller Leben. Die Personalausstattung ist gut. Es wird gern gelacht, hier ist noch viel in Bewegung. Damit sind nicht nur die Sport- oder Strickgruppen oder die Ergotherapien und Literaturzirkel der Häuser gemeint. Traditionell verfügen sie über Schwimmbäder und Bottiche mit heißem Wasser, in denen man sich ausruht. Das ist Tradition und viele nutzen das täglich."


    Hildur hat diesen Schritt nie bereut und bis zum Zeitpunkt, als sie ihre Geschichte erzählte, würde sie alles wieder so machen.


    Ein sehr interessantes Buch. Bis vor Kurzem wusste ich von dieser Auswanderungswelle nichts. Und das Thema ist ja brandaktuell, wenn ich so an die "Wirtschaftsflüchtlinge"-Schreier denke. Denn um nichts anderes ging es bei den Frauen, die damals nach Island gingen, die hier in Deutschland für sich keine Perspektiven für die Zukunft sahen. Denn Kriegsflüchtlinge sind sie 1949 ja nicht mehr gewesen.


    Von was wir uns eine Scheibe abschneiden könnten: In Island leben die Alten, auch in diesen Seniorenheimen, mitten in der Gesellschaft. Die isländischen jungen Leute haben den Ernst der Lage erfasst, dass die heutigen ganz Alten wirklich die letzten sind, die noch von Kriegszeiten berichten können.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf


    2022 - 64

    2023 - 84 von 80 - geschafft :)