Ferry Rocker - Das Geheimnis des Turmes

  • Inhalt (nach Klappentext der Obelisk-Ausgabe von 1947): „Älterer Herr, der inmitten einer ihn begaunernden Familie auf dem Lande lebt, sucht intelligenten, mutigen jungen Mann, der sich vor Tod und Teufel nicht fürchtet, als Sekretär. Anständiges Gehalt und freie Station.“ So lautet das Inserat, das der stellungslose junge Mann, John Harrigan, eines Tages in den Spalten einer Londoner Tageszeitung liest. Er bewirbt sich um diese Stelle, und erhält sie auch. Allerdings muß er schon in den ersten Stunden seines Aufenthaltes im Hause des Herrn Edwin Lawrence feststellen, daß er hier in ein richtiges Rattennest von Intrigen und Feindseligkeiten geraten ist. Aber noch ahnt er nicht, wie gefährlich der Boden ist, auf den er sich begeben hat. Kaum zwei Tage später jedoch tritt etwas Furchtbares ein: der Sohn des reichen Alten, Archie, wird in einem Gartenpavillon tot aufgefunden. Es besteht der dringende Verdacht, daß Archie vergiftet wurde. In dem geheimnisvollen Turm, der inmitten des Parks steht, findet auch der alte Edwin Lawrence kurze Zeit später ein gewaltsames Ende. Welches sind die Hintergründe dieser unheimlichen Todesfälle in diesem Hause? Ferry Rocker, der Verfasser, versteht es, uns diese Frage in spannender Weise zu beantworten.

    Der deutsche Kriminalroman „Das Geheimnis des Turmes“, geschrieben schon in den 1930er-Jahren, ist eine klassische Mordgeschichte mit vielen Verdächtigen im Kreis einer Erbschleicher-Familie. Schauplatz ist das Landgut Lawrence Court in (anscheinend) Nord-Yorkshire, England. Gute, leicht antiquierte Wortwahl und nett handlungslogisch erzählt mit schön beschriebenen Klischeefiguren (schwacher Ehemann, geldgeile Gattin, zwielichtiger Butler, patente Köchin, etc.) - ein verzwicktes Wer-wars-denn-nu, das sich in der Nachkriegszeit sicher gut verkauft hat am Bahnhofskiosk.


    Der Held - ein junger Mann in Geldnöten, der erst vor kurzem eine Anstellung als Sekretär und Leibwächter im Haus eines grantig-vergreisten Paranoikers antrat - ist dabei angenehm wenig interessiert am Detektivspielen, stets beäugt zwischen allen Fronten und nah dran am Geschehen. Dennoch tauscht er sich als “Spion in der Räuberhöhle“ viel mit diversen Ordnungshütern und Dorfärzten aus und nimmt vom Kommissar gerne auch kleine Nachforschungsaufträge an - wohl auch, um seine Angebetete vom Nachbaranwesen mit Geschichten zu beeindrucken. Einige Aspekte der Auflösung sind nicht vorhersehbar, wenn auch sinnvoll konstruiert. Dennoch ist in der Gemengelage der Sympathieführung der Figuren recht bald klar, wer seine Finger wohl mit im Spiel hat und wer nicht. Fast alle Familienangehörige scheinen übrigens durch Charakterschwäche in Geldnöte gekommene Neureiche und Gernegroße zu sein - ein vergnügliches Panoptikum!


    Dieser im besten Sinne „nette" Krimi ist ein ländliches Cozy mystery im Herrenhaus ohne großen Anspruch, aber mit einigen Toten und recht lockerem Umgang mit Drogen.


    Der Autor (nach Wikipedia und andernorts): Ferry Rocker ist ein Pseudonym des linken Journalisten, Satirikers und Verlegers Hardy Worm, der 1896 in Berlin als Eberhard Friedrich Worm geboren wurde und 1973 ebendort verstarb. Seine satirische Blütezeit lag in der Weimarer Republik. 1921 erschien sein Buch „Das Bordell“ - und wurde bald verboten. Zu jener Zeit bezeichnete Hardy Worm sich als Dadaist. Er schrieb unter anderem für die „Freie Presse“ in Berlin, die Satirezeitung „Harakiri“ und die „Berliner Volkszeitung“. Er gründete das Kabarett „Die rote Nachtigall“ und verfasste Texte für das Kabarett „Wespen“. Von 1931 bis zum Februar 1933 war er Chefredakteur der Satirezeitung „Die Ente“, die dann verboten wurde. Er ging ins Exil nach Paris und veröffentlichte Texte in der Emigrantenpresse. Nach dem Zweiten Weltkrieg veröffentlichte er unter dem Pseudonym Ferry Rocker einige in mehrere Sprachen übersetzte Kriminalromane beim Münchener Goldmann-Verlag, dem berüchtigten Berliner Amsel-Verlag und dem Obelisk-Verlag aus Velden am Wörthersee, die teilweise schon in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre im Leipziger Verlag von Wilhelm Goldmann unter dem Pseudonym Lena Eschner veröffentlicht wurden, unter anderem „Schatten über Haus Fleury“ (1936), „John Kennedys Gäste“ (1936), „Das Geheimnis des Turmes“ (1936. Der Roman wurde 1947 noch in der „Grünen Reihe spannender Kriminalgeschichten“ des Obelisk-Verlages und 1953 als Goldmanns Taschen-Krimi Nr. 27 verlegt), „In einer Nebelnacht“ (1937), „Schüsse im Quartier Latin“ (1937), „Mord in Kensington“ (1937), „Die Entscheidung am Kreuzweg“ (1939), „Der Tiger vom Montparnasse“ (1948), „Der grüne Pfeil“ (1991). Er starb 1973 in Berlin. In der DDR erschienen postum die Bücher: „Das Hohelied vom Nepp“ (1978), „Rund um den Alexanderplatz“ (1981) und „Streifzüge eines Ironikers“ (1982).

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Manner "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" (54/151)


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    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)