Pierre Souvestre & Marcel Allain - Mord in Monte Carlo / La Main Coupée

  • Fantômas ist die Hauptfigur einer Folge von zunächst 32 Kriminalromanen, die das französische Autorenduo Pierre Souvestre und Marcel Allain zwischen Februar 1911 und September 1913 in Fortsetzungen und im Monatstakt veröffentlichte. Nach dem Tod Pierre Souvestres im Jahr 1914 verfasste Marcel Allain zwischen 1926 und 1963 noch weitere Fantômas-Abenteuer (die Zahl schwankt zwischen elf und 14), so dass insgesamt mindestens 43 Romane vorliegen.


    Wer ist Fantômas?


    Fantômas ist ein maskierter Superverbrecher, fiktionaler Archetypus des Bösen und skrupelloser Bürgerschreck, der sich außerhalb jeder gesellschaftlichen Ordnung stellt – eine faszinierende Mischung aus Turbokapitalist, anarchistischem Freigeist und proto-faschistischem Größenwahn. Er ist ein einfallsreicher und brutaler Meister der Verkleidung


    Der Roman „Fantômas: Mord in Monte Carlo“ wurde im November 1911 als zehnte Episode unter dem Titel „La Main Coupée“ veröffentlicht. Die französische Neuausgabe vom Januar 1933 trägt den Titel „Fantômas à Monaco“. Die erste vollständige deutsche Übersetzung nach der Erstausgabe von 1911 besorgten Erika Tophoven-Schöningh und Pierre Villain im Jahr 1986 für den „gerhardt Verlag Berlin“. Mir lag die Lizenzausgabe für die Büchergilde Gutenberg und dem Buchclub Ex Libris vor, die kein Veröffentlichungsdatum trägt.


    Hintergrund: Feuilletonromane


    Die originalen Fantômas-Geschichten wurden zunächst als Feuilletonromane veröffentlicht, was lange Zeit für viele Romane gängige Praxis der Erstveröffentlichung war. Diese Form der Veröffentlichung ist nicht trivialen Stoffen vorbehalten gewesen, auch wenn sie sich für aktionsreiche Genregeschichten mit kurzen Spannungsbögen und Cliffhangern besonders eignete. Auch heute als Weltliteraten bekannte Autoren schrieben Feuilletonromane, unter anderem Gustave Flaubert, Leo Tolstoi, George Sand, Fjodor Dostojewski oder Honoré de Balzac. Oftmals folgten später Buchveröffentlichungen, die ggf. eine straffende Bearbeitung erfuhren.


    Die deutsche Buchausgabe von „Fantômas: Mord in Monte Carlo“ basiert auf der französischen Erstausgabe als Feuilletonroman, so sind die kurzen Spannungsbögen erhalten geblieben: Jedes Kapitel steht gewissermaßen für sich. Der Roman besteht aus 30 Kapiteln, die alle immer ungefähr 13 Seiten lang sind, so dass man, falls man jeden Tag ein Kapitel liest, nach einem Monat mit der vollständigen Geschichte durch ist. Mein Meinung eignet sich die Erzählweise, die eben für eine Fortsetzungsgeschichte in der Zeitung gewählt wurde, auch nur sehr schlecht dazu, den Roman hintereinanderweg zu lesen, da selbst in aufeinanderfolgenden Kapiteln oftmals Handlungsverläufe zusammengefasst werden, um einem so den Wiedereinstieg in die Geschichte zu erleichtern. Man hat es also mit viel Redundanz zu tun, was den Lesefluss hemmt. Wenn man den Roman allerdings in zerstückelter Leseweise mit längeren Pausen dazwischen liest, dann finde ich das ständige Wiederholen von Informationen, das nochmalige Erinnern an vorherige Vorgänge, Personen und Zusammenhänge wiederum oft sehr hilfreich und weitaus weniger störend.


    Inhalt


    Ein junger Lebemann gewinnt wie durch Zauberhand die unglaubliche Summe von 600.000 Francs im Kasino von Monte Carlo, besteigt den Zug nach Nizza und wird prompt ermordet. Der Direktor der Spielbank bittet Paris um polizeiliche Unterstützung. Die Sûreté schickt den berühmtesten ihrer Kommissare: den Geheiminspektor Juve. Sein guter Freund, der Journalist Jerôme Fandor, macht sich auf der Jagd nach einer guten Story ebenfalls auf ins sonnige Fürstentum. Dann wird auf den Eisenbahnschienen zwischen Marseille und Monaco eine abgetrennte Hand entdeckt – etwas später eine andere auf dem sagenumwobenen Roulettetisch Nummer 7 platziert. Juve und Fandor versuchen, den Mord aufzuklären – oder wenigstens zunächst zu ermitteln, wem die Hände gehören -, stochern aber lange Zeit im Dunkeln. Weitere mysteriöse Geschehnisse verwirren die Lage zusätzlich. Was hat der russische U-Boot-Kommandant Iwan Iwanowitsch, der genau 600.000 Francs verspielt hat, mit der Angelegenheit zu tun? Warum lässt er plötzlich die Kanonen seines Kriegsschiffes, das vor der Küste vor Anker liegt, das Kasino ins Visier nehmen? Wird sich selbst der kühle Denker Juve in den lüsternen Fängen der Spielsucht verirren? Und handelt es sich bei der hübschen Denise in Wirklichkeit vielleicht gar um Hélène, die Tochter von Fantômas, dem unfassbaren Superverbrecher, dem Meister aller Schrecken, dem König des Entsetzens?


    Mein Leseeindruck


    Auch wenn der Roman vergnüglich und kurzweilig startet und viele hübsche Szenen aneinander reiht, war ich über die gesamte Lesezeit von 360 Seiten hinweg dann doch enttäuscht. Fandor und Juve kommen oftmals nicht auf die leichtesten Lösungen, so dass sich manche Handlungsverläufe eher lächerlich ausnehmen. Das Spiel mit der Erwartung und dem Einräumen eines Wissensvorsprungs für den Leser funktioniert oft nicht besonders gut, für moderne Leser jedenfalls. Auch wird die Männerfreundschaft zwische Juve und Fandor oft in übertrieben pathetischen Tönen geschildert, die eher an ein Liebespaar denken lassen. Ein theatralisches Buch mit viel Augenaufreißen und großen Gesten! Mysteriöse Vorgänge werden aufgebauscht, dann schnell erklärt und gleich wieder fallengelassen, sie interessieren nur für den schnellen Effekt. Auch die meisten der vielen Nebenfiguren werden nach guter Einführung – es sind wirklich einige tolle Typen darunter, über die man gerne Näheres erfahren hätte (na, zum Glück scheint es sich wenigstens bei dem gewitzten Landstreicher Bouzille und der stets alkoholisierten Engländerin Daisy Kissmi um wiederkehrende Figuren zu handeln) - irgendwann lustlos links liegen gelassen, stehen nur noch als Staffage herum. Die Erzählung folgt überwiegend Juve und Fandor, mit denen der Leser von Station zu Station hetzt. Fantômas tritt dagegen kaum in Erscheinung. Wer hoffte, die Abenteuer an der Seite des flamboyanten Superverbrechers zu erleben, wird enttäuscht. Überhaupt hat man als Leser wohl mehr davon, wenn man die Erwartung fallen lässt, einen gut durchdachten, spannenden Kriminalroman in exquisiten Kulissen und mediterraner Atmosphäre zu lesen, sondern eher mit einem kulturwissenschaftlichen Interesse an populären Mythen und Trivialliteratur an die Sache herangeht. Außerdem kann ich nur noch einmal unterstreichen, den Roman möglichst in Fortsetzungen zu lesen, vielleicht am besten wirklich verteilt über einen ganzen Monat.



    Die Autoren (anhand Wikipedia – deutsch und französisch – sowie coolfrenchcomics.com):


    Pierre Wilhem Daniel Souvestre, geboren am 1. Juni 1874 in Plomelin, gestorben am 26. Februar 1914 an einer Lungenstauung, war Rechtsanwalt, Journalist und Schriftsteller. Gemeinsam mit Marcel Allain als Assistent verfasste er 32 Fantômas-Romane sowie Romane der Spionage-Reihe Naz-en-l'air. Außerdem war der motorsportbegeisterte Bretone auch einer der ersten Verfasser einer Geschichte des Automobils.


    Paul Marie Edmond Marcel Allain, geboren am 15. September 1885 in Paris, gestorben am 25. August 1969 in Saint-Germain-en-Laye, war Journalist und Schriftsteller. Nach dem Tod Pierre Souvestres fügte er der Romanfolge um den Superverbrecher Fantômas noch weitere Bände hinzu. Ende der Zwanzigerjahre entwickelte er die Reihe Tigris, in der es ebenfalls um einen Superbrecher und Meister der Verkleidung geht. Anfang der Dreißigerjahre erfand er außerdem Fatala, eine weibliche Fantômas-Variante, sowie „Miss Teria“, einen weiblichen Geheimagenten. Insgesamt schrieb er mehr als 400 Romane.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "Die Bäume" (214/365)


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    :study: Gelesen: 43 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Esch "Supercool" (24.03.)

  • Hier eine französische Ausgabe von 1973 unter dem Titel der Erstveröffentlichung von 1911. Im Jahr 1933 wurde der Roman auch als "Fântomas à Monaco" veröffentlicht.

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  • Ich hab nur 42 gefunden, könntest du mir die fehlenden noch melden. :lol:

    Würde ich ja gerne, aber das ist gar nicht so einfach :wink: 14 zusätzliche Nachzügler-Romane nennt die deutsche Wikipedia als Zahl, aber gelistet werden mehrheitlich nur 11 (somit 43 insgesamt, siehe zum Beispiel den französischen Wikipedia-Eintrag). Ist die Zahl 14 vielleicht nur ein Fehler?! Marcel Allain schrieb später auch zwei (?) Romane über den Superschurken Férocias, der sich als Nachfolger von Fântomas ansah. Hier soll Fântomas laut "coolfrenchcomics.com" auch einen (oder mehrere?!) Cameo-Auftritte haben. (Das wären also die Romane "Férocias" und "Le Prix du sang /The Price of Blood", wahrscheinlich beide 1933, Neuausgabe 1946). Aber selbst mit den beiden (wenn man sie zählen möchte) käme man nicht auf 46, sondern nur auf 45. Ein großes verwirrendes Rätsel! :lol:


    PS: Zwischen Deiner Nummer 11 und 12 scheint noch dieser Roman zu fehlen: Le Magistrat cambrioleur (1912; 1933 als "Le Juge Fantômas" wiederveröffentlicht).

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