Boris Akunin - Das Geheimnis der Jadekette / Die Betkette aus Nephrit 1 / Nefritovye chetki 1 / Нефритовые чётки

  • Inhalt (laut amazon.de):
    Mit Charme und Bravour löst der beliebte russische Ermittler spannende Fälle in Moskau, St. Petersburg und anderswo. Ob ein erschlagener Aniquitätenhändler, ein verschwundenes adliges Fräulein oder eine grausige Selbstmordserie bei den Altgläubigen im winterlichen Norden - Fandorin ermittelt mit erstaunlicher Kombinationsgabe und großem kriminalistischen Talent. Fandorin hat seinem Schöpfer zu phänomenalem Erfolg und riesigen Auflagen verholfen.


    Über den Autor (laut amazon.de):
    Boris Akunin ist das Pseudonym des Moskauer Philologen, Kritikers, Essayisten und Übersetzers aus dem Japanischen Grigori Tschchartischwili (geb. 1956). 1998 veröffentlichte er seine ersten Kriminalromane, die ihn in kürzester Zeit zu einem der meistgelesenen Autoren in Russland machten. Heute genießt er in seiner Heimat geradezu legendäre Popularität. 2001 wurde er dort zum Schriftsteller des Jahres gekürt, seine Bücher wurden in 30 Sprachen übersetzt.


    Meine Meinung:
    Die Kriminalliteratur gehört heute nicht unbedingt zu den Genres, in denen ich mich oft bewege, aber als ich mir einen kurzen Ausschnitt aus dem Buch vorlesen ließ, griff ich kurzerhand selbst danach, weil ich unbedingt wissen wollte, wie es weitergeht. Das Lesevergnügen habe ich immer noch vor Augen, obwohl bereits einige Zeit verstrichen ist - Akunin konnte mich definitiv für sich gewinnen.


    Obwohl es sich hier bereits um den 12. Band der Reihe um seinen Helden Fandorin handelt, hatte ich keinerlei Verständnis- oder Einstiegsschwierigkeiten. Deshalb kann ich interessierten Lesern sogar dazu raten, sich diesem Werk zu widmen, wenn sie ausprobieren möchten, ob ihnen die Hauptreihe liegen könnte. Bei Das Geheimnis der Jadekette handelt es sich nämlich um eine Kurzgeschichtensammlung, die mit einer Vielfalt an Handlungsvariationen, Erzählerperspektiven und Schauplätzen glänzt. Jede Geschichte hat Akunin an berühmte Autoren und ihren Stil angelehnt. Inwieweit Parallelen zu erkennen sind, kann ich nicht beurteilen, da ich von den meisten Autoren (leider) noch nichts gelesen habe, aber es ist sicherlich eine schöne Hommage, die Bücherliebhaber zu schätzen wissen.


    Wenn man sich mit der Hauptfigur nicht anfreunden kann, so sieht es meistens schlecht aus. Zum Glück konnte ich Erast Fandorin sehr schnell ins Herz schließen. Er ist überaus authentisch, weil er sich zwar mit seinem klaren und messerscharfen Verstand deutlich von der Masse abhebt, doch ansonsten auch nicht fehlerfrei ist. Man bekommt einen tiefen Einblick in sein Innenleben: Was bewegt ihn? Was sind seine Wünsche und Abneigungen? Wie steht er wozu? Auch ist er ein sehr angenehmer und umgänglicher Mensch, der sich ab und zu zurückhält, aber für Überraschungen gut ist. Besonders sympathisch macht ihn das Stottern. Meistens sind Protagonisten von Sprachproblemen ja nicht unbedingt betroffen. Hier rundet es das Bild perfekt ab.


    Fandorins Diener Masa habe ich ebenfalls schnell liebgewonnen. Er ist eine unerlässliche Hilfe bei Fandorins Arbeit, sagt, was er zu sagen hat, und nimmt großen Einfluss auf die jeweilige Stimmung, da er deutlich expressiver ist. Man muss ihn einfach mögen und ohne ihn kann ich mir Fandorins Alltag nicht mehr vorstellen.


    Worum handelt es sich nun bei den Kurzgeschichten?

    • Die titelgebende Geschichte, Das Geheimnis der Jadekette, ist dem Autor Robert van Gulik gewidmet, der unter anderem auch im alten China angesiedelte Kriminalromane verfasst hat. Die Geschichte schildert die Umstände, bei denen Fandorin an den Jaderosenkranz kommt, der eins seiner Attribute ist und ihm beim Nachdenken hilft. Das Geschehen wird (wie sollte es auch anders sein?) von chinesischen Motiven dominiert. Überaus gut gefallen hat mir die Ungewissheit, wieso jemanden eine Kette interessieren sollte, die im Grunde wertlos ist.
    • Table talk 1882 ist von Edgar Allan Poe inspiriert worden und beschäftigt sich mit einem Kriminalfall, den Fandorin im Gespräch mit Zeugen löst. Erstaunlich ist dabei, dass auch sie keine Primärquellen sind, sondern nur darlegen, was sich andere Leute erzählen. Da das Verbrechen in einem relativ geschlossenen Raum stattgefunden hat, kann Fandorin schlichte Logik anwenden und den Fall plausibel lösen. Bei der Geschichte bietet es sich an, den Täter mitzuraten, da nur eine begrenzte Zahl an Personen in das Verbrechen verwickelt war.
    • In Aus dem Leben der Späne, angelehnt an Georges Simenons Werk, zeigt sich Fandorin mal in einer anderen Gestalt. Um einen Mord aufzuklären, lässt er sich an den Tatort - hier eine Abteilung in einer Firma - schmuggeln und observiert die mutmaßlichen Täter, d.h. die Arbeiter. Normalerweise lebt er in ganz anderen Verhältnissen, da er ein hohes Gehalt hat, aber die Anpassung an den Durchschnitt hat mir hier überaus gut gefallen, weil man einen Einblick in das Leben in einfachen Verhältnissen bekommt.
    • Die Skarpea des Baskakows, gewidmet Arthur Conan Doyle, hebt sich von den anderen Geschichten dadurch ab, dass nicht Fandorin selbst zu den Ermittlungen reist, sondern ein Gehilfe. Ich musste auch nicht selten schmunzeln und an Doyles Watson denken, als ich die deduktiven Fähigkeiten des guten Mannes hier nachverfolgen durfte. Im Vergleich dazu (aber nicht nur!) ist Fandorin ein wahrer Meister seines Handwerks. :loool: Gefallen hat mir auch die mysteriöse Sage von der Riesenschlange, die eine Familie irgendwann heimsuchen soll. Aber Schlangen fallen ja bekanntlich nicht vom Himmel...
    • Patricia Highsmith ist ein Vorbild für die Entstehung von Ein Zehntel Prozent gewesen. Der Fall scheint unlösbar, weil der Täter scheinbar nichts mit dem Opfer zu tun hat. Doch dann kommt die Macht des Zufalls ins Spiel! In dieser Geschichte ist besonders die Sicht des Täters von Interesse, in die durch einen Wechsel der Erzählperspektive ein Einblick gewährt wird.
    • Vor dem Ende der Welt, inspiriert von Umberto Eco, ist eine der blutigsten Kurzgeschichten, in der Menschen einem religiösen Fanatismus zum Opfer fallen und reihenweise den Tod finden. Dabei zieht Fandorin mit ein paar Gefährten durch mehrere Dörfer Russlands, bis er schließlich den Täter überführen kann. In diesem Zusammenhang ist vor allem der historische Hintergrund mit der angestrebten Volkszählung (bei Russlands Weiten ein gewaltiges Vorhaben) von Interesse, die das Land auf den Zug der Modernität aufspringen lassen sollte. Mich hat die Geschichte schockiert und in Atem gehalten. Vor allem am Ende wird einem ganz anders. 8-[ Anzumerken sei außerdem, dass Fandorin in dieser Geschichte in Russland bereits nicht mehr erwünscht ist. Die Hintergründe lassen sich wohl der Hauptreihe entnehmen, für das Verständnis der Geschichte sind sie nicht relevant.

    Fazit:Wer gute Unterhaltung sucht, ist hier an der richtigen Adresse. Die Kurzgeschichten sind alle so verschieden wie Tag und Nacht, sodass man sich auf eine bunte Palette voller geheimnisumwobener Rätsel vor dem Hintergrund Russlands im 19. Jahrhundert freuen darf. :thumleft:

    :jocolor: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa // Norman Davies (Projekt)



    You cannot open a book without learning something. - Konfuzius

  • Der Titel der Originalausgabe lautet: Нефритовые четки. Diese enthält neben den sechs vorgestellten Kurzgeschichten vier weitere. Drei davon wurden auf Deutsch im Sammelband Das Halsband des Leoparden veröffentlicht.

    :jocolor: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa // Norman Davies (Projekt)



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  • Hört sich vielversprechend an und wurde auf meine WL gesetzt. Mal sehen, ob ich es mir noch rechtzeitig für die Weltreise besorgen kann und dieses Buch mein eigentliches Vorhaben "RAsputin" zu lesen ersetzt.

    :study: Audre Lorde: Sister Outsider (eBook)

    :study: Joseph Roth: Hiob (eBook) - MLR

    :study: Thomas Chatterton Williams: Selbstportrait in Schwarz und Weiss - Unlearning Race



    „An allem Unrecht, das geschieht, ist nicht nur der Schuld, der es begeht, sondern auch der, der es nicht verhindert.“

    Erich Kästner

    "Das fliegende Klassenzimmer"


    Warnhinweis:
    Lesen gefährdet die Dummheit

    :study:

  • Es freut mich, dass ich deine Wunschliste bereichern konnte, @terry. :thumleft: Auf deine Meinung dazu wäre ich sehr gespannt!

    :jocolor: Verschwundene Reiche: Die Geschichte des vergessenen Europa // Norman Davies (Projekt)



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  • Dazu gibt es noch einen zweiten deutschen Titel:
    Das Geheimnis der Jadekette / Die Betkette aus Nephrit / Nefritovye čëtki / Нефритовые чётки

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker: