Pierre Souvestre & Marcel Allain - Ein Zug verschwindet / Fantômas

  • Die Autoren:
    Pierre Souvestre ( 1874 – 1914 ) und Marcel Allain ( 1885 – 1969 ) war ein französisches Autorenduo, das vor rund hundert Jahren die Buchserie um den Super-Bösewicht Fantômas kreierte. Dabei wurde jeden Monat eine Geschichte mit exakt 400 Seiten auf den Markt geworfen, womit man beruhigt von Massenware sprechen kann.

    Inhalt: (Klappentext)
    Fantômas wir 100! Und er ist quicklebendig, der Herr des Grauens, der Meister des Schreckens, der Mann mit der Maske, der schwebend über den Dächern von Paris immer neue Gaunereien plant. Pünktlich zum Jubiläum erscheint der erste Band mit Abenteuern des unsterblichen Verbrecherkönigs: ein Leckerbissen der Kriminalliteratur, der mit Nervenkitzel und schwarzem Humor nicht geizt. Alle Fäden des Geschehens laufen in einem Zug zusammen, der den Zirkus Barzum zu seinen Gastspielen befördern soll. Erste Station der Tournee ist Köln, wo ein längerer Aufenthalt geplant ist. Ganz ungeplant verläuft hingegen die Weiterreise , als Fantômas den Führerstand der Lok betritt, um seinem Gegenspieler Inspektor Juve zu entkommen…

    Meine Meinung:
    Die Geschichte startet in Paris: Fantômas wird nicht grossartig vorgestellt – jeder Kriminelle in Frankreich kennt den König der Gauner, und keiner würde sich weigern für ihn zu arbeiten. Fürst Wladimir und Sir Harrysson sollen bestohlen werden, die eine ordentliche Summe Bargeld bei sich tragen. Allerdings bleiben die beiden nicht in Paris, und nun habe wir diverse Handlungsstränge, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben: Inspektor Juve steckt in Bordeaux, um ein Gangsterpäärchen festzunehmen, Héléne (Fantômas Tochter, wie wir hundertfach erfahren) ist in Antwerpen und muss wegen Mordverdachts quer durch Europa fliehen, ihr Freund, der Journalist Fandor, wähnt sie im fernen Afrika und macht sich auf den Weg dorthin, Fantômas und seine Kumpanen stecken wegen eines Streiks der Werftarbeiter auf dem Weg nach Dover fest. Irgendwie finden über die 400 Seiten die Fäden alle zusammen, wobei Logik keine Rolle spielt. Es bleibt vieles offen, aber das soll ja auch das mystische oder geniale Treiben von Fantômas unterstreichen… Das Ende hat mich dann so sehr aufgeregt, dass ich mich ehrlich frage, wie diese Buchreihe jemals erfolgreich gewesen sein konnte. [-(

    Aber mal von der abstrusen Story abgesehen (denn als Comicstrip hätte ich eine solch seichte Unterhaltung noch akzeptiert, aber 400 Seiten ???), hat mich die Art des Schreibens wirklich genervt. Wie einem Kind werden einem die einfachsten Sachen erklärt, einfältige rhetorische Fragen werden eingeworfen, die sich der Leser so garantiert nicht stellen müsste, und wie häufig darauf hingewiesen wurde, dass Héléne die Tochter von Fantômas sei…

    So dermassen viele Redundanzen, es wäre mal besser gewesen, hätte da ein Lektor nochmals drüber gelesen. Aber scheinbar hat die Zeit nicht mehr gereicht: wenn man alle 4 Wochen 400 Seiten abliefern will, dann muss man mit Füllwörtern, überflüssigen Erklärungen und Rückblenden arbeiten, und darf sich nicht mit einer Nachbearbeitung aufhalten oder schauen, was der Kollege parallel geschrieben hat.

    Mein Fazit: Halb so schlimm, dass der Verlag nur diesen ersten Band neu herausgegeben hat.

  • @Nungesser
    schade. Als ich gerade "Fantomas" in der Überschrift war, habe ich gespannt deine Rezension angeklickt. Mit dem Film-Fantomas verbinde ich Erinnerungen an Familien-Fernsehabende, und normalerweise ist das Buch besser als der Film.


    Dass es sich um literarische Massenware handelt, wusste ich nicht. Ein 400 Seiten-Buch jeden Monat :shock: - wie macht man das?
    Danke für die Info.

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • @Marie
    Ja, ich hatte auch schöne TV-Erinnerungen an die Fantômas-Filme und war sogar begeistert zu sehen, dass es eine ganze Romanteihe ist. Und inhaltlich hätte die Story viel hergegeben, und Logikfehler wären mir auch egal gewesen - ich betrachte die Reihe mal als Unterhaltungsliteratur à la James Bond und ähnliches.
    Aber man merkt dem Text leider zu stark an, dass er nur "herunter gehuddelt" wurde...


    Ach ja: Gemäss einem Artikel der NZZ vom 24. Aug 2011 ging das mit dem Schreiben so:


    Zitat

    Zwischen 1911 und 1913 lieferten die beiden Journalisten dem Verleger Arthème Fayard monatlich einen 400-Seiten-Roman. In der ersten Woche entwarfen sie Story und Kapitelüberschriften, in den Wochen zwei und drei sprachen sie ihre Parts unabhängig voneinander aufs Wachswalzen-Diktafon, für gegenseitige Lektüre und Korrekturen blieben angeblich nur zwei Tage der letzten Woche – so viel zur oft bestaunten Durchschlagsgeschwindigkeit des heutigen Literaturbetriebs.

  • @Marie
    Ja, ich hatte auch schöne TV-Erinnerungen an die Fantômas-Filme und war sogar begeistert zu sehen, dass es eine ganze Romanteihe ist. Und inhaltlich hätte die Story viel hergegeben, und Logikfehler wären mir auch egal gewesen - ich betrachte die Reihe mal als Unterhaltungsliteratur à la James Bond und ähnliches.
    Aber man merkt dem Text leider zu stark an, dass er nur "herunter gehuddelt" wurde...

    Auch für mich gehören die Filme mit Louis de Funès zu den Erinnerungen, die ich mit dem Begriff "schöne Kindheitsmomente im Familienleben" verbinde, was aber bei näherer Betrachtung schon wieder etwas völlig anderes über den für mich damalig gängigen Begriff "Familienleben" durchblicken lässt - dies nur, weil man so oft liest und hört, um wieviel besser alles früher gewesen sein soll ... Außerdem gehören für mich in die gleiche Sparte der Erinnerung auch Heinz-Rühmann- und Peter-Alexander-Filme (aber jetzt spare ich mir besser Kommentare in Bezug auf "peinlich" :uups: ). Ich habe also keine Ahnung, ob ich diese "Fantômas"-Filme heute noch ansehen könnte, ohne mich in Agonie zu winden - muss ich mal ausprobieren ...


    Ach ja: Gemäss einem Artikel der NZZ vom 24. Aug 2011 ging das mit dem Schreiben so:


    Das ist ja brutal :shock: , aber eine interessante Info, Danke. Das war ja praktisch das Äquivalent von soundsovielen Indiebüchern, wie sie heute als Ebooks erscheinen, und die mir mit ihren so oft ramschigen Plots, unzureichend ausgearbeiteten Erzählebenen, Orthografie-, Grammatik- und Satzzeichenfehlern, fast nicht existenten Charakterzeichnungen etc. etc. erst richtig klar gemacht haben, was für eine enorm gute Arbeit Lektoren und Verlage heutzutage eigentlich leisten - wir als Leser können das ja gar nicht wahrnehmen, wieviel da wohl oft genug an Manuskripten umgearbeitet wird, bevor ein Buch auf den Markt kommt.

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • @Nungesser: Weißt Du noch etwas mehr über die Form der originalen Veröffentlichung? So richtig finde ich nichts im Netz darüber - außer: ein Roman pro Monat. Aber ich vermute, dass die Geschichten als Feuilleton-Roman in Fortsetzungen veröffentlicht wurden. Ich lese ja auch gerade einen Fantomas-Roman ("Mord in Monte Carlo"). Ich finde ihn zwar ganz unterhaltsam, aber kann ihn auch nicht gut "am Stück" lesen. Mein Buch hat genau 30 Kapitel, die alle immer ungefähr 13 Seiten lang sind. Das ergibt ja quasi einen Monat mit einem leicht zu bewältigenden Tagespensum. Ich lese oft nur ein Kapitel pro Tag. Da ich noch zwei andere Bücher lese, vergeht manchmal auch mehr als ein Tag, bis ich mit Fantomas weitermache. Und in dieser zerstückelten Leseweise finde ich das ständige Wiederholen von Informationen, das nochmalige Erinnern an vorherige Vorgänge, Personen und Zusammenhänge sehr hilfreich, um wieder "rein zu kommen". Für eine "Romanfassung" könnte man aber tatsächlich einiges an Geplänkel und Rekapitulieren rauswerfen.
    Und noch einen Deine Eindrücke kann ich bei meinem Fantomas-Roman bestätigen: Auch hier stellen sich Fandor und Juve oft Fragen und stellen Vermutungen an, die dem Leser so nicht kämen - oder sie kommen einfach nicht auf die leichtesten Lösungen, so dass es schon etwas lächerlich wirkt. Das Spiel mit der Erwartung und dem Einräumen eines Wissensvorsprungs für den Leser funktioniert nicht so gut, für moderne Leser jedenfalls. Man müsste mal die alten Fantomas-Stummfilm-Serials sehen, die vor einiger Zeit alle bei arte gezeigt wurden ... :)

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Manner "Das Mädchen auf der Himmelsbrücke" (82/151)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 57 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Kuhl "Helenes Familie" (23.04.)

  • Nein, leider habe ich keine weiteren Infos zur Form der Veröffentlichung als das, was bspw. Wikipedia hergibt. Und leider gibt es auch keine zusätzlichen Angaben im Buch, obwohl es ja zum 100-jährigen Jubiläum ganz schick neu aufgelegt wurde... Gut zu wissen, dass Du mit einem anderen Fantômas-Roman meine Eindrücke bestätigen kannst - für mich wars das dann mit der Romanreihe.
    So als Fortsetzungsroman mit vielen, kleineren Unterbrechungen kann die Geschichte - so wie Sie verfasst ist - noch Sinn machen. Aber ich lese halt am Liebsten ein Buch am Stück und nichts nebenher, und dann war der Stil mit Wiederholungen und einfältigen, rhetorischen Fragen, einfach enttäuschend. Die ganz alten Schwarz-Weiß-Filme kenne ich nicht und würde ich mir bei Gelegenheit auch gerne im TV anschauen.

  • war sogar begeistert zu sehen, dass es eine ganze Romanteihe ist.


    Ich hab sie sogar schon zusammengestellt, kann aber nur zwei deutsche Titel zu immerhin 43 Bänden finden, da muss mir mal sehr fad sein, dann stell ich sie ein. :lol:

    :study: Ich bin alt genug, um zu tun, was ich will und jung genug, um daran Spaß zu haben. :totlach: na ja schön langsam nicht mehr :puker: