Thomas Raab – Still. Chronik eines Mörders

  • Klappentext:
    Nur eines verschafft Karl Heidemann Erlösung von der unendlichen Qual des Lärms dieser Welt: die Stille des Todes. Blutig ist die Spur, die er in seinem Heimatdorf hinterlässt. Durch sein unfassbar sensibles Gehör hat er gelernt, sich lautlos wie ein Raubtier seinen Opfern zu nähern, nach Belieben das Geschenk des Todes zu bringen. Und doch findet er nie, wonach er sich sehnt: Liebe. Bis er auf einen Schatz stößt. Ein Schatz aus Fleisch und Blut. Ein Schatz, der alles ändert.


    Autor (laut amazon):
    Thomas Raab, geboren 1970, lebt nach abgeschlossenem Mathematik- und Sportstudium als Schriftsteller, Komponist und Musiker mit seiner Familie in Wien. Zahlreiche literarische und musikalische Nominierungen und Preise, zuletzt "Buchliebling" 2011 und Leo-Perutz-Preis 2013. Die Kriminalromane rund um den Restaurator Willibald Adrian Metzger zählen zu den erfolgreichsten in Österreich. Zwei davon wurden im Sommer 2014 für die ARD-Degeto verfilmt (mit Robert Palfrader in der Hauptrolle) und werden Anfang 2015 ausgestrahlt.


    Allgemeines:
    Erscheinungsdatum 15. Januar 2015 Droemer Verlag
    Hardcover mit 368 Seiten
    Unterteilt in drei Teile:
    1.Glaube
    2.Liebe
    3.Hoffnung
    Insgesamt 67 Kapitel


    Inhalt des Buches:
    Erzählt wird das Leben des Karl Heidemann. Er wird erzählerisch begleitet von seiner Geburt bis zu seinem Tod. Schon zu Anfang seines Lebens erleidet Karl unsägliche Schmerzen durch sein empfindliches Gehör. Schon als Neugeborenes sucht er die Stille und entkommt dem Lärm nicht. Nur in den Armen seines Vaters findet er Ruhe und Geborgenheit. Dies frustriert natürlich seine Mutter und die ganze Dorfschaft, da der Vater erst des Abends nach Hause kommt und Karl den ganzen Tag brüllt. So fängt es früh an, dass Karl von allen mit Ablehnung und Abscheu gestraft wird. „Kind des Dämons“ und weitere Ausdrücke werden hinter verschlossenen Türen gemurmelt, die Karl jedoch schnell zu verstehen lernt.
    Die Zurückweisung Karls treibt seine Mutter in den Selbstmord. Karl ist zugegen und ist erstaunt über die liebevolle Umarmung des Todes. Keine Qualen mehr auf dem Gesicht seiner geliebten Mutter, nur Frieden.
    Daraufhin nimmt der Weg des Karl Heidemann seinen Lauf und die Suche nach der Anmut und der Funktionsweise des Todes beginnt. Leichen, liebevoll des Lebens enthoben, pflastern dabei seinen Weg. Doch dann lernt er Marie kennen und hinterfragt das erste Mal sein Leben.


    Eigene Meinung:
    Wer einen blutigen Krimi oder einen fulminanten Thriller erwartet, den wird dieses Buch nicht glücklich machen. Dennoch hat mich eben deshalb dieses Buch so in den Bann gezogen.
    Tatsächlich liest sich dieses Buch mehr wie eine Biographie, statt eines Krimis.
    Der Versuch der Aufklärung der Morde durch den Kriminalbeamten Horst Schubert steht kaum im Mittelpunkt.
    Eher untypisch beschreibt der Autor seine Protagonisten. Karl zum Beispiel ist fett, verstört, leidet ständig unter dem Lärm und Horst Schubert, gänzlich ohne Körperbehaarung, weder am Kopf, noch dort, wo sich die Augenbrauen befinden. Dies macht den Ermittler sogar zeitweise eher unsympathisch und der Leser reagiert mit Ekel.
    Durchaus interessant fand ich es, wie der Autor mit der Sympathie des Lesers spielt. Man empfindet nämlich durchaus Mitleid mit Karl und das fast zu jedem Zeitpunkt.Verständlich sind Karls Morde aus seiner Sicht und der Leser entwickelt selbst einen Zwiespalt, wie er nun selbst handeln würde.
    Sehr angetan war ich auch vom Sprachstil. Er kommt bildgewaltig daher und grenzt schon fast an Poesie. Dennoch liest sich das Buch flüssig, sobald man sich darauf eingelassen hat.


    Fazit:
    Ein auf andere Weise fesselndes Buch, eher biographisch, als kriminalistisch ausgelegt mit vielen zum eigenen Nachdenken anregenden Abschnitten. Ich konnte es kaum aus der Hand legen. Eine klare Leseempfehlung von mir! :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

  • Leichen, liebevoll des Lebens enthoben, pflastern dabei seinen Weg.


    :totlach:


    Tatsächlich liest sich dieses Buch mehr wie eine Biographie,


    Beruht die Handlung dieses Romans auf einer tatsächlichen Begebenheit?


    Das Cover ist jedenfalls genial! :thumleft:

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Beruht die Handlung dieses Romans auf einer tatsächlichen Begebenheit?


    Das Cover ist jedenfalls genial!


    Das Cover ist super und einer der Gründe, warum es mir überhaupt aufgefallen ist :)
    Ich denke nicht, dass es auf einer wahren Begebenheit beruht, denn das hat mich natürlich auch interessiert, aber den einzigen Karl Heidemann, den ich per Suche finden konnte, war einer, der im zweiten Weltkrieg den Nazis geholfen hat. Aber da gibt es kaum Paralellen, die zu der Geschichte passen.


    Und zu deinem ersten Zitat von mir:
    Ich weiß nicht, wie ich es anders schreiben soll^^ Karl hat eine ganz andere Auffassung vom Tod als wir. Für ihn ist der Tod eine Erlösung des Lebens. Er glaubt damit den Menschen Gutes zu tun.

  • Ich weiß nicht, wie ich es anders schreiben soll^^


    Das hast Du sehr gut -und sicher total treffend -beschrieben, es klingt nur so lustig. :friends:


    aber den einzigen Karl Heidemann, den ich per Suche finden konnte, war einer, der im zweiten Weltkrieg den Nazis geholfen hat. Aber da gibt es kaum Paralellen, die zu der Geschichte passen.


    Es könnte nach einem wahren Fall mit veränderten Namen geschrieben sein, so wie z.B. Andrea Maria Schenkel es macht.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998

  • Es könnte nach einem wahren Fall mit veränderten Namen geschrieben sein, so wie z.B. Andrea Maria Schenkel es macht.


    Das mag natürlich sein, allerdings hab ich auch dazu nichts gefunden (hab aber nur mal eben schnell gesucht. Ich werd mich mal weiter erkundigen, auf Herrn Raabs Homepage wurde ich auch nicht fündig.
    Allerdings hab ich mir den Umschlag des Buches nochmal angesehen und unter der inneren Klappenangabe steht Folgendes:


    Zitat

    Die Geschichte eines Mörders:
    Fallstudie, Psychogramm, literarisches Porträt.


    Interessant, aber immer noch nicht eindeutig. Literarisches Porträt... also doch erfunden oder eben anders erzählt? :-k

  • Der Wiener Sänger, Komponist und Autor Thomas Raab hat vor Jahren mit seinem Restaurator Willibald Adrian Metzger und dessen Lebenspartnerin Danjela Djurkovic aus Kroatien literarische Figuren erschaffen, die nach schon vier Bänden nicht nur zu den originellsten der deutschsprachigen Krimiszene gezählt werden müssen, sondern auch zu den erfolgreichsten. Mit seinem speziellen Spürsinn und in einer wie selbstverständlichen, oft völlig sprachlosen Kooperation mit seiner Herzensdame Danjela nimmt Willibald Adrian Metzger, auch kurz nur "der Metzger" genannt, randständige Phänomene seines Alltags wahr und spürt sensibel ihre Unstimmigkeit.


    Dann verfolgt er zielstrebig die zunächst noch lockeren und unzusammenhängenden Fäden und stößt mit großer Regelmäßigkeit ziemlich bald in die Mitte eines kriminellen Geschehens vor, das für Thomas Raab immer auch ein Stück seiner österreichischen Heimat und Kultur ist, die er dann mit scharfem und bissigem Humor beschreibt.
    Thomas Raab hat einen Stil, in den man sich verliebt, er spielt mit den Worten, hat einfach Freude an ungewöhnlichen Formulierungen und Sprachspielen, mit denen er nicht selten seine Kritik ummantelt.


    Mit diesen Leseerfahrungen nahm ich Thomas Raab neues Buch mit dem Titel „Still. Chronik eines Mörders“ in die Hand und war schon nach wenigen Seiten sicher, dass sich Thomas Raab mit diesem wunderbaren Sprachstil, der zeigt, was man mit deutschen Sprache alles machen und ausdrücken kann, welche Poesie und Kraft in ihr steckt, wenn man sie denn beherrscht, noch einmal selbst übertroffen hat. Bis zum Ende eines spannenden und absolut unter die Haut gehenden Buches habe ich diesen Eindruck auf keiner einzigen Seite verloren.

    Erzählt wird die Geschichte von Karl Heidemann, geboren 1982 als Sohn einer lauten und exaltierten Mutter, eines wohlwollenden aber schwachen Vaters in einem kleinen Dorf in Österreich mit all den Sozialstrukturen, die sensible Menschen zerstören können.

    Karl schreit unaufhörlich. Was niemand zunächst weiß, er tut es, weil er ein extrem sensibles Gehör hat und die Welt ihm eigentlich von Anfang an zu laut und zu viel ist. Er schreit schon als Baby seinen Schmerz in die Welt hinaus, und schon bald wird er von seinen Eltern in den Keller in die Sauna gebracht. Dort in einer regelrechten kindlichen Eremitenexistenz findet er zu sich, auch zu der Stille in sich selbst.

    Karl ist ein hochintelligentes Kind, das spürt der pensionierte Nachbar, ein ehemaliger Lehrer sofort und erklärt sich bereit, mit ihm zu arbeiten, weil an einen normalen Schulbesuch gar nicht zu denken ist. Mit wenig Erfolg allerdings, Karl emotionale Bildung bleibt rudimentär. Er entwickelt sich zu einen Soziopathen besonderer Art, einem, mit dem der Leser bei allen furchtbaren Taten, die er fortan begehen wird, immer auch so etwas wie Sympathie empfindet.

    Schon bei seiner ersten Begegnung mit dem Tod stellt er fest, dass in diesem Moment, wenn der Tod eintritt, das für den betreffenden Menschen die größtmögliche Stille und deshalb eine Erlösung darstellt. Er stellt regelrechte Forschungen an und beginnt schon als Kind eine Spur von Leichen hinter sich herzuziehen. Niemand ahnt zunächst etwas, außer einem Kommissar, der ihm lange Jahre auf der Spur bleiben wird. Denn Karl verlässt schon bald sein Dorf und seine Heimat, zieht herum, tötet und erlöst und irgendwann, weil er alle Schlechtigkeiten der Menschen hört, wird er auch zum problematischen Richter. Irgendwann lernt er die taubstumme Marie kennen, sein Spiegelbild, die er in sich trägt, auch als er sie verlassen muss und irgendwann in Italien in einem Kloster landet und dort aufgenommen wird. Eine Taubheit vortäuschend, findet er dort seinen Frieden und wird in dem Altenheim, das die Mönche betreuen, zu einem Friedens-und Todesengel zugleich.

    Er mutiert zu einem bekannten Künstler, der in seinen Figuren immer wieder Marie abbildet, aber auch die Gesichter der Menschen, die er getötet hat.

    Als er nach dem Tod seines Mentors irgendwann beschließt zurückzugehen nach Österreich um seine Marie zu finden, treibt der Roman auf ein sehr überraschendes Ende zu, das man nie erwartet hätte.

    „Still“ ist ein Buch mit viel psychologischer Raffinesse, sprachlich auf allerhöchstem Niveau. Es ist ein wahrhaft berauschendes Leseerlebnis, es wühlt den Leser und begeistert ihn immer wieder mit seiner sprachlichen Virtuosität.

  • Lebensweg und Weltsicht eines Massenmörders:


    Still – Chronik eines Mörders von Thomas Raab beschreibt das Leben Karl Heidemanns, beginnend mit dem Leben seiner Eltern, seiner eigenen Schwangerschft und Geburt am 6.12.1982 bis hin zu seinem Tod.


    Karls Eltern leben in einem kleinen Ort namens Jettenbrunn, sind dort schon vor Karls Geburt eher Außenseiter. Sein Vater Johann, einfach gestrickt und still ( Nutztier aller erster Güte für die Einwohner Jettenbrunns) und seine Mutter Charlotte ( lieb und freundlich, aber für das Dorf eine akustische Plage, die schmerzhaft mit Ausdauer redete, als liefen ihr Zeit und Zuhörer davon) freuen sich unendlich über die Schwangerschaft und auf ihr Kind. Nach der Geburt wird es noch einsamer um die Familie Heidemann, den Karl läßt sich troz aller verzweifelter Versuche Charlottes kaum beruhigen und wird als Schreikind abgestempelt. Ruhe und Frieden findet er bei den stillen Spaziergängen mit seinem Vater, beim Baden... und, nachdem sein Vater als Ursache des Ganzes Karls übersensibles Gehör ausmacht, baut er ihm in bester Gesinnung den Keller als Wohnraum um. Karl genießt die Stille, wächst heran, erhält im Keller Privatunterricht und gilt als sehr intelligent. Über Jahre hört er die Gespräche, Gedanken, und kleinsten Geräusche des Ortes und kennt die Sehnsüchte der einzelnen Einwohner. Nie ist er Bösem ausgesetzt und fremd sind ihm selber auch böse Absichten.


    Als Neunjähriger erlebt er, wie seine betrunkene und depressive Mutter sich im Dorfweiher ertränkt und ihr Gesicht nach ihrer Bergung so entspannt und glücklich aussieht, wie er sie noch nie erlebt hat. Für ihn steht fest: Etwas Großartiges, Befreiendes, Verzauberndes und Beglückendes muß im Augenblick des Todes stattfinden. Der Tod ist das größtmögliche Geschenk an das Leben.


    Mit dieser Erkenntnis setzt er sich zeitlebens auseinander, will als „Todesengel“ eigentlich nur Frieden und Glück verbreiten und „schenkt“ vielen diesen Frieden.... bis er einen Schatz findet, der alles verändert....


    Das Buch ist in drei große Abschnitte unterteilt: Glaube, Liebe, Hoffnung undes gibt einige Gedichte, die passend eingefügt wurden. Unglaublich einfühlsam wird Karl beschrieben; man kann seine Lebensumstände und Entwicklung sehr gut nachvollziehen. Besonders interessant und beeindruckend fand ich, wie Karl Gesagtes, ganz anders als erwartet, versteht und verinnerlicht, mit einer kindlichen und reinen Treue glaubt und wortwörtlich nimmt, seine Logik und Weltsicht ganz schlüssig darauf basiert. Es fällt schwer, ihn als „Monster“ zu sehen, eher ist er Sympathieträger, dem man Mitgefühl entgegenbringt. Besonders nachdenklich stimmt es, als Karls Lebensumstände sich für eine Zeit derart verändert haben, dass sein Geschenk wohlwollend entgegengenommen und auch gewünscht wird....


    Nicht nur inhaltlich fesselnd und zutiefst beeindruckend, sondern auch sprachlich bild- und wortgewaltig, manchmal poetisch, zieht das Buch den Leser in seinen Bann. Ich konnte es kaum aus der Hand legen, so fesselnd war es, Karls Lebensgeschichte zu lesen, die doch an vielen Stellen Moral und Weltsicht auf den Kopf stellt und zum Nachdenken anregt. Ein einzigartiges Buch, dass auch noch nach dem Lesen weiterwirkt....


    Eines der besten Bücher, die ich in letzter Zeit gelesen habe, vielleicht sogar das Beste.

  • Ich habe mich mit diesem Buch stellenweise sehr schwer getan und dann wieder war es ganz wunderbar und schön zu lesen. Es hinterlässt bei mir zwiespältige Gefühle, was nicht unbedingt etwas Schlechtes sein muss.
    Es fängt bereits bei dem Schreibstil an, kurz, prägnant, fast abgehackt, aber dennoch poetisch an manchen Stellen, kreativ und schön gleichzeitig. So besonders der Stil ist, so nervig kann er leider dann auch werden. Es ist mein erstes Buch von Thomas Raab, deswegen kann ich nicht beurteilen, inwieweit er diesen Stil sonst benutzt, es vielleicht sein Markenzeichen ist? Jedoch passt er sehr gut zu den Szenen, in denen Karl quasi der Erzähler ist, wenn von Karls Seelenleben die Rede ist, er beschreibt den Zustand Karls sehr gut. Aber immer dann, wenn von anderen Figuren die Rede ist, das Dorf beschrieben wird, der Kommissar zum Einsatz kommt passt er nicht mehr und nutzt sich ab.
    Es gibt Passagen und Szenen, die mir sehr gut gefallen haben, die ich gerne gelesen habe. So z.B. die Beschreibungen aus Karls Kindheit und Jugend, das Dorf und seine Bewohner oder

    Sie sind berührend, fast liebevoll erzählt. Hier legt die Handlung Pausen ein und als Leser hat man das Gefühl, Karl besser zu verstehen, ihn sogar zu mögen und seine Taten fast mit einem Lächeln zu begleiten.
    Für mich wurde es mit dem Buch immer dann schwierig, wenn Karl "sinnlos" tötet.

    Die Figur Karl ist dadurch für mich nicht schlüssig erklärt und in meinen Augen macht es sich der Autor da auch etwas zu einfach. Auch das Ende gefällt mir so nicht und empfinde ich fast als unpassend.

    Kann man sicherlich so machen, finde ich aber ein Stück weit zu kitschig.

  • Missverstandener Mörder auf der Suche nach Stille..


    Karl Heidemann kommt am 6. Dezember des Jahres 1982 in Jettenbrunn zur Welt. Doch scheint etwas mit dem kleinen Wesen nicht in Ordnung zu sein, denn es schreit unaufhörlich und wird nur ruhiger, wenn es mit seinem stillen Vater alleine ist. Die Erklärung, Karl sei ein Schreikind, wie es immer wieder mal vorkäme, befriedigt seine Eltern jedoch nicht. Sie suchen Hilfe und finden doch keine, dabei legt das Problem direkt vor ihnen, ja umgibt sie alle. Es ist der Lärm der Welt, der dem Kind solche Qualen bereitet, denn Karl kommt mit einem unglaublich sensiblem Gehör zur Welt. Er hört den Herzschlag seines Vaters, das Fließen seines eigenen Blutes, die schrille Stimme seiner Mutter, das von ihr um ihn zu beruhigen gesungene Kinderlied, mit dem sie nur das Gegenteil erreicht.
    Auch als die Eltern endlich um den Grund für Karls Schmerzen wissen, weil sie ihr Kind beobachtet haben, ausprobiert haben, wie er sich wann verhält, erleichtert es das Zusammenleben nicht. Zwar versuchen sie, ihm seine Qualen etwas zu lindern, ihn vom Lärm der Welt zu beschützen, indem sie ihm ein Kinderzimmer im Keller einrichten, abgeschottet von der Welt, abgeschieden von Gleichaltrigen, von fremden Menschen überhaupt, jedoch bleibt Karls Liebe zu seiner Mutter aus, was sie sehr belastet. Sie hatte sich so auf das gemeinsame Kind gefreut und wird nun so enttäuscht. Kein Wort der Zuneigung, das er ihr entgegen bringt und wenn sie mit ihm alleine ist, ist sie einfach überfordert. Fatal ist auch, dass Karl vollkommen unterschätzt und missverstanden wird. Er ist keineswegs unterentwickelt, nein, er ist sogar sehr intelligent, doch gewinnt er im Laufe seiner Kindheit einfach einen anderen, von Mitmenschen nicht nachvollziehbaren, Blick auf die Dinge. Einen Blick auf Leben und Tod.
    Den Tod sieht er als Geschenk an. Stille und Erlösung für die Menschen dieser Welt. Und er ist bereit, sie ihnen zu geben. Ohne einen bösen Gedanken. Zunächst. Denn ein Mensch soll dies alles ändern.


    Es ist faszinierend zu lesen, wie sich aus einem kleinen heranwachsenden Kind ein Mörder entwickelt, und wie er von allen missverstanden wird. Denn er mordet nicht aus Hass, Eifersucht, Rache, Habgier, oder sonstigen niederen Beweggründen, sondern viel mehr aus Liebe und weil er Ratschläge oder Sprüche seiner Mitmenschen wörtlich nimmt.. Man versteht, was er denkt und fühlt, bemittleidet ihn und bedauert, dass es so mit ihm gekommen ist. Man fragt sich, wie man ihn vor dieser Weltsicht hätte "bewahren" können. Denn er begreift seine Taten nicht, sieht nur den aus dem Tod resultierenden Frieden.
    Mir gefällt die Idee des Buches sehr gut und auch den Protagonisten finde ich gelungen. Er ist vielschichtig und macht einige Veränderungen durch, entwickelt sich weiter, wenn auch nicht immer vorteilhaft.


    Auch der Schreibstil ist sehr besonders, da er auch etwas Ruhiges ausstrahlt und die Stille im Buch einfängt und um einen hüllt, sobald man mit dem Lesen beginnt.
    Jedoch, und das ist für mich mit Abstand der größte Kritikpunkt dieses Buches, wird der Schreibstil immer wieder durch Fehler gebrochen. Ob Namen, die zwischendurch mal falsch und dann wieder richtig geschrieben werden, oder die Grammatik nicht ganz stimmt, oder es sich einfach um einen Rechtschreibfehler handelt. Eigentlich sehe ich über so etwas hinweg, vor allem wenn die in dem Buch erzählte Geschichte so gelungen ist wie diese. Allerdings waren es wirklich genug Fehler, um mir zeitweise die Lust am Weiterlesen zu nehmen.. Denn das machte es immer schwieriger, sich auf das Buch zu konzentrieren.. Einige Passagen musste ich deswegen mehrmals lesen, da es ist bei diesem Buch wichtig ist, die einzelnen Handlungen gut zu verstehen, da jede einzelne für die Entwicklung der Geschichte von großer Bedeutung ist.



    Alles in allem ein wirklich weiterzuempfehlendes Buch, dass den Leser berührt und beeindruckt. Man kann sich in die Lage und die Gedanken, sowie Gefühle Karl Heidemanns hineinversetzen und sie sogar nachvollziehen. Womit ich selbstverständlich nicht gutheißen meine, aber seine Taten sind aus seiner Sicht so logisch, verständlich und nicht verwerflich. Der Schreibstil ist auch sehr packend und manchmal poetisch.

  • Beruht die Handlung dieses Romans auf einer tatsächlichen Begebenheit?


    Ich war am 2.3. bei einer Lesung von Thomas Raab und dabei hat er erzählt, wie es zu der Figur kam. Die Figur Karl Heidemann und die Geschichte sind fiktiv, aber es gibt einen Menschen, der Thomas Raab dazu inspiriert hat, sie zu erfinden. Diese Geschichte hat er in seiner gewohnt charmanten, lustigen Art erzählt. Solltet ihr die Möglichkeit haben, Thomas Raab live zu erleben, nutzt sie. Er ist einfach umwerfend und ein wahrer Entertainer.


    Er war vor 13 Jahren mit seiner Frau in Griechenland und hat am Strand einen sehr seltsamen jungen Mann beobachtet, der ihnen beiden wohl nicht so ganz geheuer war. Raab hat wohl damals schon begonnen, diese Geschichte in seinem Kopf entstehen zu lassen. Und immer war es dieser stille, bucklige, unheimliche, junge, alte Mann, der Pate für Karl gestanden hat.

  • Solltet ihr die Möglichkeit haben, Thomas Raab live zu erleben, nutzt sie. Er ist einfach umwerfend und ein wahrer Entertainer.


    Thomas Raab liest auf der Leipziger Buchmesse am Freitag um 14:30 Uhr in Halle 3 - ich hab fest vor, dorthin zu gehen und Du hast meinen Entschluss grad nochmal bestätigt :D

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Zum Inhalt wurde hier ja schon alles erzählt. Mir hat das Buch sehr gut gefallen, ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lesen. Die Sprache hat einen mitgezogen, man wollte unbedingt wissen wie es weitergeht.
    Was mir aufgefallen ist: zwischenzeitlich habe ich mich leicht an "das Parfum" von Patrick Süsskind erinnert gefühlt, Karl liebt die Stille, er tötet nicht um Leben zu nehmen, sondern um Frieden zu geben. Auch Jean-Baptiste Grenouille tötet nicht um des Mordens willen, sondern wegen den Düften.
    Ich kann das Buch jedem empfehlen, ich bin froh, dass ich es im Rahmen einer Wanderbuchrunde lesen durfte. Von mir gibt es :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten. (Albert Einstein)


  • Thomas Raab liest auf der Leipziger Buchmesse am Freitag um 14:30 Uhr in Halle 3 - ich hab fest vor, dorthin zu gehen und Du hast meinen Entschluss grad nochmal bestätigt :D


    Ich hab es geschafft und wirklich die Lesung besucht: Thomas Raab ist ein sehr sympathischer Autor, der sowohl beim Lesen seines Buches als auch im Gespräch mit einem Verlagsmitarbeiter offen und sehr angenehm wirkte und überzeugte. Seine Nervosität merkte man ihm überhaupt nicht an - die haben wir nur durch Zufall mitbekommen, weil der Autor mitsamt dem Verlagsmitarbeiter und seiner Agentin hinter uns stand während wir auf die Lesung warteten :) Das machte ihn uns gleich noch sympathischer.

    viele Grüße vom Squirrel



    :study: Joseph Roth - Hiob

    :study: Mike Dash - Tulpenwahn


  • Was mir aufgefallen ist: zwischenzeitlich habe ich mich leicht an "das Parfum" von Patrick Süsskind erinnert gefühlt,


    Ja, diese Assoziation habe ich auch hergestellt. Obwohl ich sagen muss, "Still" gefällt mir um einiges besser als "Das Parfum"...


    Ich hab es geschafft und wirklich die Lesung besucht: Thomas Raab ist ein sehr sympathischer Autor, der sowohl beim Lesen seines Buches als auch im Gespräch mit einem Verlagsmitarbeiter offen und sehr angenehm wirkte und überzeugte. Seine Nervosität merkte man ihm überhaupt nicht an - die haben wir nur durch Zufall mitbekommen, weil der Autor mitsamt dem Verlagsmitarbeiter und seiner Agentin hinter uns stand während wir auf die Lesung warteten Das machte ihn uns gleich noch sympathischer.


    Freut mich sehr, dass du das auch so empfunden hast. Ich habe schon einige Lesungen von ihm erlebt und war jedesmal begeistert von seiner Offenheit und seiner angenehmen, lustigen, sympathischen Art.

  • Kurzbeschreibung:
    Nur eines verschafft Karl Heidemann Erlösung von der unendlichen Qual des Lärms dieser Welt: die Stille des Todes. Blutig ist die Spur, die er in seinem Heimatdorf hinterlässt. Durch sein unfassbar sensibles Gehör hat er gelernt, sich lautlos wie ein Raubtier seinen Opfern zu nähern, nach Belieben das Geschenk des Todes zu bringen. Und doch findet er nie, wonach er sich sehnt: Liebe. Bis er auf einen Schatz stößt. Ein Schatz aus Fleisch und Blut. Ein Schatz, der alles ändert.
    Ein berauschendes Leseerlebnis, aufwühlend, soghaft, eine virtuose literarische Komposition, die sich konsequent in den Dienst des Erzählten stellt.


    Das Ehepaar Johann und Charlotte Heidemann lebt in einem kleinen Dorf in dem jeder jeden kennt, sie lieben sich, sind glücklich und möchten ihrem Eheglück mit Nachwuchs eine Krone aufsetzen. Und der Nachwuchs stellt sich ein, aber mitnichten auf die Weise, die sie sich erwünscht haben, denn der kleine Karl schreit der Welt, in die er geboren wird, vom ersten Augenblick an entgegen. Nichts und niemand kann ihn beruhigen, bis sein Vater entdeckt, dass es seinem geliebten Sohn gut tut, wenn er mit ihm in den Wald spaziert, wo nichts zu hören ist, außer dem Rauschen des Windes und dem Plätschern des Weihers. Er entdeckt, dass Karl ein außergewöhnlich sensibles Gehör besitzt und schrecklich am permanenten Lärm der Welt leidet. Ein Lärm, den er mit seiner Schreierei noch erhöht, was ihm aber natürlich nicht klar ist.
    Karl schottet sich ab, von seinen Eltern gleich wie vom Rest der Welt. Er stellt fest, dass es im Keller des Elternhauses so still ist, wie er es möchte und zieht sich dorthin zurück. Unterrichtet wird er von seinem pensionierten und an den Rollstuhl gefesselten Nachbarn. Die beiden verbindet eine besondere Beziehung und der Nachbar ist Karls einziger Freund; der einzige, der ihn versteht.
    Die verzweifelten Versuche Charlottes, Zugang zu ihrem Kind zu finden, sind ebenso traurig wie erfolglos. Sie flüchtet in einen Sog aus Alkohol, Medikamenten und in eine Affäre mit dem Dorfarzt.
    Als Karl im Teenageralter an einer sehr intensiv beschriebenen Stelle feststellt, dass der Tod den Menschen Erlösung und Frieden zu bringen scheint, nimmt er sich als Lebensziel, diese Erlösung und diesen Frieden in die Welt zu bringen. Tieren gleichermaßen wir Menschen.
    Der Polizist Horst Schubert ahnt schnell, wie der Hase läuft und folgt Karl auf dessen Flucht durch Nacht und Wälder. Auf seinem Weg trifft Karl seine große Liebe Marie; er stellt fest, dass mit dem Tod eines Menschen auch anderen Menschen zu Erlösung verholfen werden kann nicht nur dem getöteten; er findet eine Art Heimat in einem Kloster und verbringt einige Jahre dort, bis er sich auf den Weg macht, Marie wiederzusehen.


    Dieses Buch ist ein ganz besonderes, der Schreibstil einzigartig und beinahe schon poetisch, die Charaktere speziell und atypisch. Ein Buch, das unter die Haut geht. Ein echtes Highlight am (österreichischen) Literaturhimmel und ein Tipp nebenbei: Sollte man die Möglichkeit haben, Thomas Raab live zu erleben, sollte man sie unbedingt nutzen, denn es ist jedes Mal ein ganz besonderes Ereignis, ihn zu erleben.

  • Thomas Raab: Still - Chronik eines Mörders
    Kategorie: Literatur
    Preis DE 19.99 €
    Seiten: 368
    ISBN: 978-3-426-19956-5


    Nur eines verschafft Karl Heidemann Erlösung von der unendlichen Qual des Lärms dieser Welt: die Stille des Todes. Blutig ist die Spur, die er in seinem Heimatdorf hinterlässt.
    Durch sein unfassbar sensibles Gehör hat er gelernt, sich lautlos wie ein Raubtier seinen Opfern zu nähern, nach Belieben das Geschenk des Todes zu bringen. Und doch findet er nie, wonach er sich sehnt: Liebe. Bis er auf einen Schatz stößt. Ein Schatz aus Fleisch und Blut. Ein Schatz, der alles ändert.
    Ein berauschendes Leseerlebnis, aufwühlend, soghaft, eine virtuose literarische Komposition, die sich konsequent in den Dienst des Erzählten stellt
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    Detailliert aber immer grausig fesselnd und diabolisch packend. Von der ersten bis zur letzten Seite bleibt es unheimlich, sich vorzustellen, dass solche Menschen tatsächlich existieren. Eine "Chronik des Grauens", die ihres gleichen sucht. Es gibt ja nun eine Unmenge an Büchern über Serienmörder, seien diese nun psychopathisch veranlagt oder nicht. Der Fan ist gesättigt und dadurch auch kaum noch zu beeindrucken. Soll heißen: Wirklich gute Krimis gibt es immer seltener. Was Raab aber aus diesen durchaus bekannten Zutaten macht, hebt sich beeindruckend deutlich aus der Masse der Killer-Thriller ab. Man glaubt es zunächst kaum, die Figuren sind wunderbar ausgearbeitet, obwohl die Protagonisten dann doch ein oder zwei Klischees zu viel in einer Person vereinigen.
    Der ganz große Pluspunkt dieses Buches liegt aber in der Konstruktion der Geschichte. Viele Krimis und Thriller kranken ja daran, dass sie interessante Rätsel konstruieren, diese dann aber so komplex werden, dass der Autor sie zum Schluss selbst nicht mehr lösen kann und der Schluss des Buches dann enttäuschend ausfällt. Raab macht dagegen alles richtig. Von der Suche nach Hinweisen auf das nächste Opfer über die Aufdeckung der Identität des Mörders bis hin zum Finale des Buches.


    Raab schafft mit geringen Mitteln eine gute Atmosphäre, ohne dabei zu schwafeln, das Buch ist fantastisch schön geschrieben in einem Stil der packt und überzeugt. Sein Schreibstil lässt sich also leicht lesen und fesselt den Leser dennoch.


    Der Aufbau des Romans, die Eindringlichkeit der Erzählung und die Mitnahme des Lesers auf jeder Seite, das geht unter die Haut. Dieses Buch ist nicht nur ein Thriller, den man mal eben liest und dann nach einiger Zeit wieder vergisst. Das Beste ist ein einfaches Ende ohne großen Wirbel und Übertreibung.


    Sicherlich gibt es hier und da Leser/innen, die das Thema des Buches zu abscheulich oder zu lang gezogen finden, aber es sei gesagt, dass ein gutes Buch auch mal "Verschnaufpausen" braucht. Diese sind auch in diesem Buch vorhanden, aber nicht so, dass es langweilig wird. Die Charakterdarstellung ist dem Autor sehr gut gelungen und auch die Geschichte ist nicht übertrieben.


    Man findet zahlreiche Momente, in denen man das Buch um keinen Preis aus der Hand legen möchte, so sehr ist man darauf aus, die weitere Entwicklung zu erfahren. Dass der geschilderte mörderische Wahnsinn in der Logik des Täters einen - wenn auch moralisch fragwürdigen - Sinn ergibt, so aber entstehen die Taten folgerichtig aus den Tiefen der kranken Täterseele.


    Man kann in gewissen Bereichen alles "miterleben" . Der Autor hat in großen Zügen Fingerspitzengefühl bewiesen und führt den Leser in eine unbekannte und atemraubende Spannung. Es ist hier und da ein wenig Brutal, aber jedem der Thriller und Krimis mag sollte das Buch gegönnt sein.


    Fazit: Nicht perfekt, nicht neu, aber doch erfrischend anders

  • Ich bin mit dem Schreibstil von Thomas Raab überhaupt nicht zurecht gekommen und habe deswegen "Still" ca. zur Hälfte abgebrochen. Dieses aufzählungsartige Aneinanderreichen von kurzen Sätzen, getrennt durch Komma, sollte wohl kunstvoll oder poetisch klingen. Ich habe es einfach nur als nervig, störend und unangenehm empfunden. Zudem hab ich keinen Zugang zur Geschichte und den Figuren gefunden, alles lief irgendwie so emotionslos ab. Schade, denn eigentlich wäre die Figur des Karl sehr interessant gewesen. Potential verschenkt würde ich da mal sagen.
    :bewertung1von5::bewertung1von5:

    :study: Matthias Bogner / Kevin Zindler - Die besten Horrorfilme des 21. Jahrhunderts

    :study: SUB: 330

  • Meine Meinung:

    Ungewöhnlich ist es, wenn ein Autor diesen Satz über seinen Protagonisten verfasst. Aber ungewöhnlich ist auch dieses Buch, welches sich für mich als ein poetischer Schatz der Literatur herausgestellt hat. Doch zunächst stellt sich die Frage, für wen ist dieser Tag ein guter Tag? Für die Mitmenschen von Karl? Für Karl selbst? Oder sogar für die Leser, die Karl fast drei Jahrzehnte seines Lebens begleiten? Aber wer genau ist denn eigentlich Karl?


    Am 6. Dezember des Jahres 1982 durchbricht ein Schrei die Stille des kleinen Dorfes Jettenbrunn in Österreich. Karl, der Sohn von Charlotte und Johannes Heidemann, hat das Licht der Welt erblickt und schreit seinen ganzen Schmerz und seine ganze Empörung darüber hinaus. Noch ahnt niemand, dass dieses Geschrei Tage und Nächte andauern soll, lediglich unterbrochen durch einen kurzen Erschöpfungsschlaf. Karls Mutter weiß sich keinen Rat mehr: Jegliche Versuche, den Jungen zu beruhigen scheitern, bewirken sogar das Gegenteil - sobald sie ihn auf den Arm nehmen möchte, wird Karls Stimme noch durchdringender.


    Nur dem Zufall ist es geschuldet, dass Karls Vater die Entdeckung macht, dass jegliches Geräusch für Karl eine Tortur ist – und sei es noch so leise. Selbst den Flügelschlag eines Schmetterlings vermag Karl zu hören. Um der kleinen Familie, vor allem aber Karl das Leben erträglich zu machen, baut der Vater den Keller kurzerhand zu einem schalldichten Bereich um und fortan ist Ruhe. Dem Familienfrieden zwar dienlich, weniger jedoch der familiären Gemeinschaft, fristet Karl lange Zeit ein Eremitendasein. Der einzige soziale Kontakt – abgesehen von seinen Eltern, besteht aus gelegentlichen Besuchen eines Nachbarn, der pensionierter Lehrer ist und Karl unterrichtet. In puncto Zwischenmenschlichkeit liegt der Junge jedoch weit zurück und kann somit auch nicht unterscheiden, was richtig oder falsch ist. Als er mit einbezogen wird, lästige Fliegen zu erlegen und der Satz fällt, dass die Plagegeister endlich tot sind und nun Ruhe ist, hat das fatale Auswirkungen. Woher soll Karl wissen, dass Töten etwas Unrechtes ist? Töten = Ruhe?


    Als die Mutter in ihren verzweifelten Versuchen ihr Kind zu lieben, auf immer mehr Ablehnung stößt, sowohl vonseiten der Dorfbewohner als auch von ihrem eigenen Sohn, beschließt sie, sich vor den Augen ihres Sohnes in einem See zu ertränken. Karl kann dieses Ereignis natürlich nicht zuordnen und ist ebenso verwirrt wie fasziniert von dem friedlichen Ausdruck auf dem Gesicht seiner toten Mutter. Nun ist er sich sicher, dass der Frieden erst im Tod zu finden ist und er verlässt sein Zuhause mit dem Vorsatz, auch anderen Menschen diesen Frieden zuteilwerden zu lassen. Karl hinterlässt eine Spur des Todes, wo auch immer er sich gerade befindet und immer in dem Glauben, richtig zu handeln. Doch er selbst vermag keinen inneren Frieden zu finden …


    „Still“ ist kein reißerischer Thriller, wie man ihn vielleicht bei einer solchen Inhaltsangabe erwarten würde. Was Thomas Raabs Roman ausmacht, ist weniger der Inhalt als die Art, wie der Autor den Weg des Mörders beschreibt, nämlich in ganz leisen Tönen – eben STILL. Hier ist der Name Programm. Und wer nun glaubt, bei einer Schneise des Todes kann es keineswegs still zugehen, der irrt gewaltig. Karl ist beileibe kein Sympathieträger, aber ich konnte gut nachvollziehen, was ihn zu diesen Taten trieb und mich nicht ganz davon freisprechen, so etwas wie Mitleid mit ihm zu haben.


    Der Leser muss sich automatisch mit dem „Kind“ Karl auseinandersetzen, das auf so tragische Art und Weise zum „Mörder“ Karl wird. Es führt kein Weg vorbei am Begreifen dieser Taten. Diesen Roman mit „Das Parfum“ von Patrick Süskind zu vergleichen ist legitim. Aber „Still“ ist durch Raabs Schreibstil so viel mehr. Die Figuren, die er geschaffen hat, sind so gut beschrieben und in Szene gesetzt, dass ich einfach nur fasziniert bin. Die große Wendung dieses Romans wird allerdings von zwei Charakteren verursacht, die ich in meiner Rezension noch gar nicht erwähnt habe. Man darf „Still“ also noch immer mit großer, erwartungsvoller Spannung lesen, ohne dass ich zu viel verraten habe. Ein großartiges Werk und mehr als fünf Sterne wert.


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    "Wirklich reich ist, wer mehr Träume in seiner Seele hat, als die Realität zerstören kann!"


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