Nino Haratischwili - Das achte Leben (Für Brilka)

  • Inhalt:
    Georgien, 1900: Mit der Geburt Stasias, Tochter eines angesehenen Schokoladenfabrikanten, beginnt dieses berauschende Opus über sechs Generationen. Stasia wächst in der wohlhabenden Oberschicht auf und heiratet jung den Weißgardisten Simon Jaschi, der am Vorabend der Oktoberrevolution nach Petrograd versetzt wird, weit weg von seiner Frau. Als Stalin an die Macht kommt, sucht Stasia mit ihren beiden Kindern Kitty und Kostja in Tbilissi Schutz bei ihrer Schwester Christine, die bekannt ist für ihre atemraubende Schönheit. Doch als der Geheimdienstler Lawrenti Beria auf sie aufmerksam wird, hat das fatale Folgen ...
    Deutschland, 2005: Nach dem Fall der Mauer und der Auflösung der UdSSR herrscht in Georgien Bürgerkrieg. Niza, Stasias hochintelligente Urenkelin, hat mit ihrer Familie gebrochen und ist nach Berlin ausgewandert. Als ihre zwölfjährige Nichte Brilka nach einer Reise in den Westen nicht mehr nach Tbilissi zurückkehren möchte, spürt Niza sie auf. Ihr wird sie die ganze Geschichte erzählen: von Stasia, die still den Zeiten trotzt, von Christine, die für ihre Schönheit einen hohen Preis zahlt, von Kitty, der alles genommen wird und die doch in London eine Stimme findet, von Kostja, der den Verlockungen der Macht verfällt und die Geschicke seiner Familie lenkt, von Kostjas rebellischer Tochter Elene und ihren Töchtern Daria und Niza und von der Heißen Schokolade nach der Geheimrezeptur des Schokoladenfabrikanten, die für sechs Generationen Rettung und Unglück zugleich bereithält.
    "Das achte Leben (Für Brilka)" ist ein epochales Werk der auf Deutsch schreibenden, aus Georgien stammenden Autorin Nino Haratischwili. Ein Epos mit klassischer Wucht und großer Welthaltigkeit, ein mitreißender Familienroman, der mit hoher Emotionalität über die Spanne des 20. Jahrhunderts bildhaft und eindringlich, dabei zärtlich und fantasievoll acht außergewöhnliche Schicksale in die georgisch-russischen Kriegs- und Revolutionswirren einbindet.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Die Autorin:
    Nino Haratischwili, geboren 1983 in Tbilissi, ist preisgekrönte Theaterautorin und -regisseurin (mit bislang 17 Uraufführungen, u.a. am Thalia-Theater). 2010 wurde ihr der Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis verliehen. Ihr Romandebüt Juja (2010) war auf der Longlist des Deutschen Buchpreises sowie auf der Shortlist des ZDF-aspekte-Literaturpreises und gewann 2011 den Debütpreis des Buddenbrookhauses Lübeck. Im selben Jahr wurde sie für ihren zweiten Roman Mein sanfter Zwilling (2011) mit dem Preis der Hotlist der unabhängigen Verlage ausgezeichnet. Zuletzt erschien ihr Einakter "Die zweite Frau" in der Anthologie Techno der Jaguare – Neue Erzählerinnen aus Georgien (FVA 2013). Für ihren neuen Roman Das achte Leben (Für Brilka)erhielt sie ein Grenzgänger-Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung für Recherchen in Russland und Georgien. Die Autorin lebt in Hamburg.
    (Quelle: Verlagsseite)


    Meine Meinung:
    Erzählt wird die Familienchronik einer georgischen Familie über einige Generationen,sowie georgische Geschichte,beginnend Anfang 20.Jahrhundert, endend 2006.
    Aufgeteilt ist das Buch in acht Abschnitte (Buch 1, Buch 2..) und jeder Abschnitt widmet sich einem Familienmitglied.
    2006: Das jüngste Familienmitglied Brilka kehrt nicht mit ihrer Tanzgruppe nach Tiflis zurück, sondern setzt sich in Amsterdam ab. Ihre Tante Niza, die in Berlin lebt, soll sie aufspüren. Nachdem Niza sie gefunden hat, erzählt sie Brilka ihre Familiengeschichte, beginnend im Jahre 1900, der Geburt der Ururgroßmutter Stasia.
    Die Schicksale der Einzelnen werden durch die geschichtlichen Ereignisse beeinflusst und die Autorin schafft es, jedes Familienmitglied glaubwürdig und lebendig zu beschreiben - sei es Stasia, deren Traum eigentlich Tänzerin war; Christine, deren Gesicht durch ein Säureattentat entstellt wird; Kostja, der zum Familientyrannen wird oder Kitty, die nach einem traumatischen Erlebnis ins Exil geht, um dort eine erfolgreiche Sängerin zu werden.
    Das Geheimrezept der Familie für heiße Schokolade, das von Generation zu Generation an die Frauen der Familie weitervererbt wird, sollte man vielleicht auch erwähnen.
    Der Roman ist ein vielschichtiger, lebendiger und opulenter Roman, der seinen Spannungsbogen über 1279 Seiten hält, dabei historische Fakten vermittelt und eine schicksalsreiche Familiengeschichte erzählt.
    Selten hat man ein Buch in Händen, das einen so "gefangen nimmt" und man sich ein Zeitfenster sucht, um weiterlesen zu können. Und man könnte immer weiter darüber berichten, aber besser ist: selber lesen!
    Für die Recherche hat Nino Haratischwili ihre Theaterarbeit zurückgestellt, hat in Archiven gestöbert und ist nach Russland und Georgien gefahren, um dort mit Zeitzeugen zu sprechen.
    Eine Passage aus dem Buch spiegelt den Romanaufbau gut wieder:


    " Ein Teppich ist eine Geschichte. In ihr verbergen sich wiederum unzählige andere Geschichten. (....)Das sind alles einzelne Fäden. Der einzelne Faden ist wiederum auch eine einzelne Geschichte.(....) Du bist ein Faden, ich bin ein Faden, zusammen ergeben wir eine kleine Verzierung, mit vielen anderen Fäden zusammen ergeben wir ein Muster. Die Fäden sind alle verschieden, (...) Die Muster sind einzeln schwer zugänglich, aber wenn man sie im Zusammenhang betrachtet, dann erschließen sich viele fantastische Dinge." Zitat s. 30

  • Von der Wunschliste zog das Buch ja recht schnell bei mir ein und diesen Sommerurlaub hat es mich begleitet und in sich hineingezogen. Anders und besser kann ich es gar nicht ausdrücken. :D
    Über den Inhalt und die Autorin brauche ich nichts mehr zu sagen, dass hat Conor ja schon bestens getan. Nur vielleicht so viel: auch wenn jedes Buch einem anderen Familienmitglied gewidmet ist, so bedeutet es doch stets nur die Verschiebung des Fokus innerhalb des ganzen Familiengefüges - trotzdem bleibt es stets eine Betrachtung der Familie im Ganzen und das macht es für mich noch interessanter als wenn die Kapitel streng ihr Augenmerk auf nur eine einzelne Person - einen einzelnen Faden des Teppichs - richten würde. Denn in einer Familie kann man nie einen allein ohne den Kontext der anderen betrachten. Und das achte Buch - tja, das ist was ganz besonderes :D:thumleft::applause:


    Der Prolog schien mir anfangs noch ein wenig konfus, aber rückblickend ist er genau richtig, denn schließlich erzählt hier die Tante ihrer Nichte die Geschichte ihrer Familie und passiert es uns nicht auch im Erzählen einer längeren Geschichte, dass wir mal leicht konfus anfangen bis wir den roten Faden erwischen und die Geschichte ihren Lauf nimmt? Aber mit Buch 1 entwickelte sich sofort ein Sog, der mich ständig und dauernd und immer tiefer in diese georgische Familiengeschichte hineinzog. Die Autorin versteht es derart wunderbar, den Leser in diese Familie aufzunehmen, die Spannung zu halten, das Interesse an diesen so unterschiedlichen Menschen aufrecht zu erhalten, auch wenn man manches Mal dem einen oder anderen vielleicht die Pest an den Hals wünscht oder auch mal versucht ist, das Buch wieder zuzuklappen wegen der Grausamkeiten, die während vieler Jahrzehnte unter russischer, v.a. stalinistischer, Diktatur passieren - nie will man aufhören, stets ist da dieses "Ich muss wissen wie es weitergeht", dass einen das Buch nicht aus der Hand legen lässt. Ganz große Kunst, wirklich beeindruckend und ein Leseerlebnis, dass dieses Buch wohl zu meinem Jahreshighlight werden lässt - und ich habe dieses Jahr einige sehr gute Bücher gelesen.


    Ganz nebenbei - wie es so beim Erzählen auch passiert - stellt die Autorin immer wieder die historischen Bezüge her, so dass man beim Lesen immer wieder weiß, wo genau in der Historie man sich grad bewegt, und ganz oft war bei mir dann auch der Gedanke aufgekommen "stimmt, das war ja damals so und so" - so erhält der Leser noch einen kleinen Abriss der sowjetischen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das fand ich wirklich auch hilfreich, denn vieles vergisst man ja obwohl man es sogar selbst "miterlebt" hat durch die Nachrichten.


    Ich kann mich nur Conors Worten anschließen:

    Und man könnte immer weiter darüber berichten, aber besser ist: selber lesen!

    :thumleft:


    PS: die Aufmachung des Buches ist übrigens derart wunderschön und liebevoll und handwerklich ausgezeichnet (das Buch fällt aufgrund der tollen Bindung einfach auf, ohne dass man es offen halten muss oder die Seiten wieder nach oben stehen, wie es bei sehr dicken Bücher häufig der Fall ist), dass der sehr hohe Preis für die gebundene Ausgabe für mich absolut gerechtfertigt ist. Wer mehr sehen möchte, hier findet Ihr ein paar Fotos dazu :wink:

  • Ich versuche jetzt mal, noch unter dem Eindruck des Buches, (soeben beendet) meinen Leseeindruck zu formulieren. Ich glaube, ich kann das mit Worten nur schwer beschreiben.


    Ich hab es durch @Squirrels Begeisterung als sie dieses Buch las und in verschiedenen Threads davon erzählte auf meine Wunschliste gesetzt und es mir dann als ebook aus der Onleihe besorgt.
    Da ich Familiengeschichten welche sich über viele Jahre und Generationen erstrecken eh gern lese, dachte ich, das ist durchaus etwas für mich. SO eine Geschichte hatte ich allerdings nicht erwartet.


    Normalerweise mag ich so Aufteilungen in Bücher bzw. Kapitel für jeweilge Personen nicht wirklich. Das hat mich bspw. in George R.R. Martins "Eis und Feuer-Saga" irgendwie gestört. Kaum hat man sich in einen Handlungsstrang um eine Person eingelesen, wird man durch einen neuen Strang jäh heraus gerissen, Das stört den Lesefluß. In diesem Fall war das aber überhaupt nicht so. Weil es a) sehr chronologisch aufgebaut war und b) wirklich, wie die Autorin sagt, wie in einem Teppich miteinander verwoben ist.


    Die Charaktere sind sehr gut ausgearbeitet, man fühlt sich dieser Familie so nah, fast als würde man dazu gehören.
    Da gibt es sympathische, einem weniger sympathische aber irgendwie fügen sie sich zu einer festen Einheit. Ich weiss gar nicht wie ich das ausdrücken soll. Da ist kein Charakter gänzlich allein dastehend, von den anderen losgelöst. Alle und alles ist miteinander verbunden, bis zum Schluß. Auch die Verbindung zu den Lebensgeschichten der Charaktere der Vergangenheit ist immer gegeben. Dadurch wirkt es so unwahrscheinlich stimmig und als Ganzes.
    Auch die historischen Ereignisse fügen sich sehr gut ein.


    Die Erlebnisse der Charaktere sind sehr unterschiedlich, sehr vielschichtig. Und oftmals geht die Autorin an Grenzen des Aushaltbaren. Weil man mitleidet mit ihnen und ihren Erfahrungen.
    Manchmal hab ich geheult wie ein Schloßhund und musste innehalten, es zur Seite legen weil ich das Gelesene erst einmal für mich verarbeiten musste. Und manchmal, auch gerade zum Schluß hin, liefen einfach nur die Tränen und ich hab weitergelesen.
    Ich hatte es ja schon im "Ich lese gerade" -Thread geschrieben, mich hat diese Zerissenheit der Menschen die jeder auf seine eigene Art durchlebt, unwahrscheinlich berührt. Vielleicht auch, auch wenn sich das seltsam anhört, ich mich manchmal selbst in bestimmten Situationen wiedererkannt habe. Diese Unstetigkeit, diese Suche nach etwas... Oftmals auch dieses Verdrängen, dieses Nicht-Zulassen-Wollen von Gefühlen als Selbstschutz.
    Obwohl mich dieses Buch emotional so berührt hat wie lange keines, habe ich es zu keiner Zeit, trotz manchmal schlimmer Ereignisse, als deprimierend empfunden. Im Gegenteil. Es hat mich zum Nachdenken angeregt und auch dazu, sich selbst zu reflektieren. Ich glaube, mehr kann ein Buch kaum, oder ?


    Der Erzählstil der Autorin ist flüssig, leicht und trotzdem sehr tief. Poetisch oft. Niemals anstrengend. Mich hat sie abgeholt und mitgenommen auf eine Reise durch Jahrzehnte und Lebensgeschichten. Und mag es pathetisch klingen, auch ein Stück auf die Reise zu mir selbst. Unglaublich :pray:
    Man kann es nicht wirklich beschreiben, das muss man einfach selbst lesen.


    Ich wünschte mir mehr, sehr viel mehr solcher Bücher. Das sind welche, die in Erinnerung bleiben, die man nicht nach ein paar Monaten vergessen hat. Volle Sternenzahl.


    Mein Jahreshighlight 2015 !! :love::thumleft:

  • @Jessy1963 es freut mich sehr, dass Dir das Buch auch so ausnehmend gut gefallen hat :friends: Wenn man so begeistert ist von einem Buch wie ich von diesem, dann hofft man ja auch immer, dass es den anderen dann auch so geht wenn sie es durch die eigene Begeisterung angesteckt in die Hand nehmen. :uups:

  • Wenn man so begeistert ist von einem Buch wie ich von diesem, dann hofft man ja auch immer, dass es den anderen dann auch so geht wenn sie es durch die eigene Begeisterung angesteckt in die Hand nehmen.

    Ja, ich weiss. Und manchmal ist man dann enttäuscht wenn der/die Andere diese Begeisterung dann doch nicht so empfinden kann. Nein, in diesem Fall ging es mir ganz genauso wie Dir :)

  • Ich habe mir wahrlich Mühe gegeben mit dem Roman, mich immer wieder motiviert dran zu bleiben, vor allem wegen der vielen positiven Stimmen, die ich im Hinterkopf hatte, aber gestern Abend war endgültig Schluss. Gekommen bin ich bis Buch 4. Sprachlich habe ich schon früh Abstriche gemacht und über vieles hinweg gelesen, was man besser hätte ausdrücken können. Ich hätte mir mehr Feingefühl gewünscht, mehr Raum für Zwischentöne und weniger Pathos. Ich kann Büchern dann trotzdem etwas abgewinnen und sie mit Genuss weiterlesen, wenn sie mich gut unterhalten und inhaltlich in ihren Bann ziehen. Der berühmte Funke muss halt überspringen, dann ist so ein Schmöker etwas Feines, gerade jetzt an langen Winterabenden. Leider ist der Funke nicht übergesprungen, zumindest nicht so, dass ich Lust auf weitere 900 Seiten gehabt hätte. :-k

    :montag: Judith Hermann - Daheim


    "Sehnsucht nach Liebe ist die einzige schwere Krankheit, mit der man alt werden kann, sogar gemeinsam."
    (Bodo Kirchhoff: Die Liebe in groben Zügen)


  • Ich kann mich den positiven Eindrücken größtenteils anschließen. „Das achte Leben (Für Brilka) ist wirklich ein besonderes Buch, das mich auch nach dem Beenden der Lektüre lange beschäftigt hat. Die Autorin erzählt auf eine eindrucksvolle Weise die Geschichte der Familie Jaschi. Die Familiengeschichte wird gekonnt mit den politischen und gesellschaftlichen Umständen Georgiens und der Sowjetunion verwoben. Der Prolog ist einer der besten, die ich je gelesen habe. Die erste Hälfte fand ich grandios und ich dachte schon, dass es ein 5 Sterne Buch wird. Aber leider haben ein paar Dinge das Lesevergnügen geschmälert und die anfängliche Begeisterung etwas gedämpft. Ab der zweiten Hälfte bekam ich nämlich das Gefühl, dass das Leben dieser Familie über Generationen hinweg, nur aus Schicksalsschlägen und dysfunktionalen,zerstörerischen Beziehungen besteht, aus denen keiner etwas lernt. Fast keiner der Protagonisten schafft es eine funktionierende Beziehung zu führen und damit meine ich nicht nur Ehe/Liebesbeziehung, sondern auch alle anderen Beziehungen (Väter-Töchter, Mütter-Töchter, Geschwister untereinander, Freundschaften usw.) enden in kleinen oder großen Katastrophen. Selten oder kaum schafft es jemand Glück oder Zufriedenheit (im privaten Leben; beruflich gibt es durchaus Erfolge) zu erleben. Ich nehme an, dass es von der Autorin so gewollt ist. Schließlich geht es in ihrem Buch um Leben unter schwierigen politischen und gesellschaftlichen Umständen und um ein Jahrhundert, das, nicht nur in Georgien, durch Konflikte, Kriege, Unterdrückung, Verfolgung, Unruhen und Umbrüche geprägt ist. Und obwohl es zugegebenermaßen zum Jahrhundert passt, haben mich diese ständigen Schicksalsschläge irgendwann ermüdet. Nach Hunderten von Seiten voller Leid, Schmerz, Qual und Zerrissenheit fiel es mir schwer weiterhin mit den Protagonisten mitzufühlen. Ich hatte nämlich das Gefühl, dass es sich ständig wiederholt. Mag sein, dass es so ist, wie die Autorin schreibt,„Geschichten wiederholen sich manchmal, Brilka, und überschneiden sich, auch dem Leben geht manchmal die Fantasie aus, das kann man ihm nicht vorwerfen.“ ,aber mir wäre es an einigen Stellen anders lieber gewesen.
    Hinzu kommt, dass die Personen über die wichtigen Dinge kaum oder gar nicht miteinander reden. Wenn sich zwei Personen in einem Konflikt befinden, wird die zwar die „richtige Antwort“ im Kopf formuliert („Und ja, sie hätte ihm sagen müssen, dass...“), aber am Ende wird das Gegenteil gesagt oder gar nichts. Natürlich gibt es Situationen im Leben, in den man nicht das Richtige/die Wahrheit sagen kann/will, aber hier passiert es ständig, in fast allen Beziehungen. Aber vielleicht denkt die Autorin genauso, wie ihre Protagonistin....“In guten Büchern und Filmen wird herumgeredet, es wird gelitten, verfehlt und bereut.“ In diesem Fall ist sie sehr konsequent. Es wird herumgeredet, gelitten, bereut und das über Generationen hinweg. Manchmal war es mir zu viel Drama und zu viel Gefühlschaos.
    Jetzt habe ich so viel Text geschrieben und man könnte fast den Eindruck gewinnen, dass mir das Buch nicht gefallen hat. Aber das Gegenteil ist der Fall. Ich wollte nur begründen, warum es von mir, im Gegensatz zu meinen Vorschreibern, leider „nur“ 4- :bewertung1von5: gibt.
    Auch wenn mich ein paar Dinge gestört haben (die rein subjektive Eindrücke sind), hatte ich nie das Gefühl, dass ich nicht weiterlesen möchte, denn in vielerlei Hinsicht ist das Buch ein Meisterwerk (Sprache, Figuren, erzählerisches Können). Es ist intensiv, bildgewaltig, mitreißend, unterhaltsam und spannend!

  • Wenn man so begeistert ist von einem Buch wie ich von diesem, dann hofft man ja auch immer, dass es den anderen dann auch so geht wenn sie es durch die eigene Begeisterung angesteckt in die Hand nehmen.

    Mich habt ihr ja mit eurer Begeisterung zum Lesen dieses Buches verführt - und ich danke euch herzlich dafür. :friends: Ich habe heute dieses tolle, spezielle, wunderbare Buch beendet und stehe noch ganz unter dem Eindruck dieser Familiengeschichte, kann es auch noch gar nicht so richtig in Worte fassen.
    Die einzelnen Familienmitglieder sind durchweg nachvollziehbar beschrieben, ihre Entwicklung, ihre Charaktere und ihre Befindlichkeiten. Einige mochte ich, einige nicht so - es hat mich aber bei allen interessiert, wie ihre eigene und die gesamte Familiengeschichte weitergeht.
    Sehr schön fand ich die Einbindung der geschichtlichen Ereignisse, vordergründig in Georgien und der ehem. Sowjetunion, aber auch in Europa. Ich mag es sehr, wenn mir in einem Roman auch Geschichte nähergebracht wird ohne dass es mit dem sog. erhobenen Zeigerfinger ist. Manches an den historischen Ereignissen wurde mir in meiner Schulzeit anders bzw. gar nicht gelehrt. Auch das fand ich sehr bemerkenswert.
    Die Idee der Autorin mit Buch 8 ist sehr gelungen.
    Obwohl mir insgesamt etwas zu viel Pathos und zum Ende des Buches 7 ein klein wenig zu viel Selbstreflexion vorkamen, hat das meinen Lesegenuss und auch den Lesefluss überhaupt nicht gestört, sodass dieses absolut lesenswerte Buch von mir die volle Bewertungspunktzahl - :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: - erhält.


    Ich bin sonst keine Rezi.-Schreiberin, also entschuldigt bitte, wenn diese Zeilen euch etwas wirr erscheinen. Aber bei diesem Buch musste ich meinen Eindruck einfach schriftlich mitteilen. :D

    :study:




    Es gibt viele Wege zum Glück. Einer davon ist, aufhören zu jammern.

    Albert Einstein

  • Es ist jetzt schon einige Zeit her, dass ich das Buch beendet habe, und immer noch schwirrt es ab und an in meinen Gedanken herum. Auch der Umfang meiner Lesenotizen, die für den nachfolgenden Leseeindruck herhalten, zeugt von einem bleibenden Eindruck der Geschichte. Es ist also definitiv etwas geblieben von dem Buch. :thumleft:


    Anfangs las es sich etwas sperrig, aber irgendwann hatten mich die Geschichten und Charaktere gepackt. Irgendwann in der Mitte, ab Buch Elene, habe ich zunächst etwas den Faden bzw. Bezug zu den Charakteren verloren, das gab sich aber wieder, als bekannte Gesichter auftauchten. Man sollte also einfach dranbleiben, auch wenn vielleicht die ein oder andere Länge oder ein unbekannter Charakter auftaucht. Gar nicht gefallen haben mir allerdings die Passagen mit der ominösen Schicksals-Schokolade – so etwas ist echt nicht mein Ding, sein Schicksal auf etwas anderes, wie z. B. Schokolade, zu schieben. :roll:


    Meiner Meinung nach herrschte eine ziemlich schwermütige Grundstimmung im Buch. Selbst schönen und positiven Erlebnissen fehlt die Leichtigkeit und das Positive - niemand wird als einfach nur glücklich beschrieben…Intensiv? – Ja! Eindringlich? – Ja! Leidenschaftlich? –Ja! Aber glücklich, fröhlich und gelöst? - Nein. Eher sind die Figuren tragisch. Vielleicht hängt es mit der Stimmung im Land zusammen und mit den Schrecken, die geschahen. Vielleicht auch, weil die Geschichte von einer Person erzählt wird, die es erlebt hat und demnach auch subjektiv bewertet. :-k


    Das Buch rief einige Erinnerungen an meine eigene Kindheit hervor. Bei Nizas Schilderungen über typische Kindheitserinnerungen (Ferienlager, Pionieruniform, Tigerbalsam, Tschiburaschka (das sowjetische Pendant zum Monchichi), Mischa Bär, Kaugummi mit Kaffee Geschmack :puker: , Trainingsanzüge aus Polyestern usw.), stellte sich bei mir total der Aha-Effekt ein. :idea:


    Es ist ein sehr intensives Buch mit vielschichtigen Charakteren. Selbst wenn man einige Figuren nicht mag, wirken sie doch menschlich in ihren Handlungen und mit ihren Fehlern und Eigenheiten. Jeder einzelne hinterlässt beim Leser seine Spur. Das hat die Autorin sehr gut herausgearbeitet. Wirklich bittere Tränen habe ich über das Schicksal einer Protagonistin vergossen, die ich so sehr ins Herz geschlossen habe. :cry: Ich war so fassungslos, völlig von der Rolle und richtig sauer auf die Autorin, was ich sehr lange schon nicht mehr erlebt habe.


    Und auch jetzt noch, einige Wochen später, empfinde ich beim Gedanken an das Buch vor allem Bedauern über das Leben und Schicksal einiger Charaktere – fast so als wären es „echte“ Menschen gewesen, die einen im Leben berührt haben und um deren Schicksal es mir auch heute noch sehr leid tut.


    Ein sehr tiefgründiges, intensives und lohnendes Leseerlebnis. :applause:

    Liebe Grüße,
    Tine


    :study: Ken Follett - Die Waffen des Lichts

    :study: Taylor Jenkins Reid - Daisy Jones & The Six

  • Das Buch habe ich nun auch durchgelesen. Mehrere Wochen habe ich dafür benötigt, zunächst voller Begeisterung die ersten Kapitel verschlungen, aber so ab dem vierten Buch habe ich dann parallel auch andere Bücher gelesen, dieses Buch immer weniger gern in die Hand genommen. Zunächst einmal - wirklich schlecht ist es nicht. Es ist eine interessante Familienchronik, dargestellt anhand von 8 Protagonisten und vielen Nebendarstellern. Allerdings hatte ich mir von dem Buch etwas mehr historischen Bezug zwischen der Geschichte Georgiens, dem Aufstieg und Fall des Kommunismus und eben der Familie gewünscht:

    Ganz nebenbei - wie es so beim Erzählen auch passiert - stellt die Autorin immer wieder die historischen Bezüge her, so dass man beim Lesen immer wieder weiß, wo genau in der Historie man sich grad bewegt, und ganz oft war bei mir dann auch der Gedanke aufgekommen "stimmt, das war ja damals so und so" - so erhält der Leser noch einen kleinen Abriss der sowjetischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

    Das hat Squirrel schön beschrieben. Die Geschichte spielt vor dem Hintergrund des untergehenden Zarenreiches, dem Stalinismus, etc, ist aber nicht das Thema. Die einzelnen Familienmitglieder sind betroffen von Säuberungsaktionen, andere profitieren und haben eine kommunistische Karriere. Aber die historischen Bezüge dazu fand ich mager. Im Gegenteil, die Autorin streut regelmässig Aufzählungen irgendwelcher welthistorischen Ereignisse im Zeitraffer ein, damit der Leser den ungefähren zeitlichen Kontext wieder herstellen kann, aber wen interessiert es, ob es Elvis Todesjahr war oder welche Filme gerade im Kino liefen, wenn doch keine Person in dem Roman davon betroffen ist. Umgekehrt werden Stalin und Lawrenti Beria gar nicht namentlich gennant, obwohl sie für die Menschen eine grosse Rolle spielen.

    Sprachlich habe ich schon früh Abstriche gemacht und über vieles hinweg gelesen, was man besser hätte ausdrücken können. Ich hätte mir mehr Feingefühl gewünscht, mehr Raum für Zwischentöne und weniger Pathos.

    Da stimme ich Siebenstein zu. "Pathos" und "pathetische Erzählweise" klingt leider rasch etwas abwertend. Nichts gegen gefühlvolle Beschreibungen und etwas Dramatik in der Geschichte, aber über 1280 Seiten war mir die Sentimentalität doch zuviel. Da hat natürlich jeder eine andere Balance, aber mir waren die ständigen Schicksalsschläge übertrieben, da wurden die Gefühle mit der grossen Kelle verabreicht, und irgendwann wurde es mir zu unglaubwürdig. (Von den Schokoladengeschichten mal abgesehen, über die ich still hinweggelesen habe - solche Komponenten "Magischen Realismus" sind einfach nichts für mich)

    Die erste Hälfte fand ich grandios und ich dachte schon, dass es ein 5 Sterne Buch wird. Aber leider haben ein paar Dinge das Lesevergnügen geschmälert und die anfängliche Begeisterung etwas gedämpft. Ab der zweiten Hälfte bekam ich nämlich das Gefühl, dass das Leben dieser Familie über Generationen hinweg, nur aus Schicksalsschlägen und dysfunktionalen,zerstörerischen Beziehungen besteht, aus denen keiner etwas lernt.

    Ich hatte es erwähnt, die Schicksalsschläge dieser Familie waren gehäuft: jede Vergewaltigung und jeder One-Night-Stand endet mit einer Schwangerschaft, nahezu Jede(r) in der Geschichte verfällt dem Alkohol, man kommt einfach nicht zur Ruhe. Persönlich habe ich die zweite Hälfte des Buches "genossen" wie die Folgen einer Vorabendserie. Wenn nichts Besseres herumlag, las ich darin zur Unterhaltung weiter, und das ist keineswegs negativ gemeint. Wirklich interessiert hatte mich leider niemand mehr in der Familie. Mir wäre ein engerer Bezug zur Geschichte Georgiens lieber gewesen, hier hat die Familienchronik deutlich Vorrang, aber da hat natürlich jeder Leser andere Präferenzen.

  • Ich trau mich ja kaum, etwas zu schreiben nach all den Elogen oben. Aber Sophie A. hat einiges erwähnt, was für mich am Buch wichtig war und Nungesser hat es schon ziemlich auf den Punkt gebracht.

    So nach ca. 800 Seiten habe ich mich fast nur noch geärgert. Es war eine ewige Jammerei, es war alles, aber auch wirklich alles schlecht. Acht Generationen und es gab keinen, der auch nur ein wenig persönliches Glück erleben durfte. (Ich habe viele Jahre als Therapeut mit dem "narrativen Ansatz gearbeitet, der -sehr verkürzt- besagt, dass das Leben so empfunden wird, wie man es sich selbst erzählt, hier im Buch dürfen dann erleben, wie Depressive sich ihr leben erzählen).

    Ich finde es ja grundsätzlich ganz okay, wenn ein Buch die negativen Seiten einer Zeit, eines Landes oder von Personen erzählt, aber hier ist die Sichtweise so verengt, dass irgendwann mein Mitleid mit den handelnden Personen aufgebraucht war.

    Ich habe auch fast nichts über Georgien erfahren, was ich schade fand. Die historischen Zusammenhänge wurden nur so ein bisschen dahingeworfen, ohne zu erhellen und eigentlich auch ohne wirklichen Bezug zu den handelnden Personen. Die hätten auch unter anderen Leben gelitten.

    In der epischen Breite wäre es ja evtl. mit den Buddenbrooks zu vergleichen. Aber im Vergleich sieht man dann auch gut die qualitativen Unterschiede. Tiefe beim Beschreiben von Personen kann nur entstehen, wenn man auf die vielen Facetten der Protagonisten eingeht, gut und schlecht, hell und dunkel. Wenn man sieht, wie Menschen wachsen und lernen können, wie sie mit Traumata lernen umzugehen. In diesem Buch aber ist jedes Trauma eine nicht mehr heilbare Wunde, die weiter in den Abgrund weist. Wenn getanzt, gesungen und getrunken wird im Buch oder gespielt, dann ist die Freude daran nicht erwähnenswert, der Blick richtet sich konsequent und eisern auf die düsteren Aspekte der Situation. Über so viele Generationen kein erfüllender beglückender Sex, das kann doch einfach gar nicht wahr sein.

    Mein Eindruck: Die Autorin wollte so richtig tief in die Gefühlswelt von Menschen eintauchen, aber ihr fehlt einfach die literarische Größe, dies als großes Bild zu entwerfen und so blieb sie bei den oberflächlich beeindruckenden Schicksalsschlägen.