Zum Autor:
Theodor Storm (geboren am 14.09.1817 in Husum, gestorben am 04.07.1888 in Hanerau-Hademarschen) war ein bedeutender deutscher Lyriker und Schriftsteller des bürgerlichen Realismus. Sein Werk umfasst unter anderem 58 Novellen und die wohl bekannteste seiner Erzählungen ist „Der Schimmelreiter“, ein Spätwerk, welches im April 1888 veröffentlicht wurde.
Storm stammte aus einer alten holsteinischen Patrizierfamilie, der Vater war Advokat. Er besuchte die Gelehrtenschule in Husum, dann ein Gymnasium in Lübeck. Anschließend studierte er von 1837-1842 Jura in Kiel und Berlin und wurde 1843 Rechtsanwalt in Husum. Storm wurde 1867 Amtsrichter und 1879 Amtsgerichtsrat.
Zum Inhalt:
Bereits als Kind zeigt der ungewöhnlich begabte Hauke Haien Interesse an der Deichbaukunst. Er verdingt sich als Kleinknecht beim alten Deichgrafen und wird bald zu dessen rechter Hand. Kurz nachdem der alte Deichgraf gestorben ist, heiratet Hauke die Tochter. Dadurch gelingt ihm der gesellschaftliche Aufstieg vom einfachen Knecht zum neuen Deichgrafen, doch das schafft ihm einige Neider. Als er den umfangreichen und kostspieligen Bau eines sichereren Deiches durchsetzt, der ein verbessertes, von ihm ersonnenes neuartiges Profil erhalten soll, schlägt ihm aus dem Dorf Konservatismus entgegen. Während des Deichbaus verstärkt sich der Widerstand. Aberglaube läßt ihn und seinen Schimmel in den Augen der Dorfbevölkerung zu einer unheimlichen Gestalt werden.
Zermürbt von der Feindseligkeit, versäumt er es, einen Schaden am Deich reparieren zu lassen. Die nächste Sturmflut bringt die Katastrophe,
der Deich bricht an der Schwachstelle; er und seine Familie kommen im Wasser um.
Meine Meinung:
Diese Geschichte ist durch und durch geprägt von nordfriesischen Elementen: die Landschaft (insbesondere die Deiche und das Drumherum), die oft bedrohliche Natur und die damit verbundenen Bestrebungen, die konservative und bockige Bevölkerung im Dorf vor zukünftigen Sturmfluten zu schützen. Was ich faszinierend fand, ist die Zusammenführung von verschiedenen Grundthemen: das Mystische, Gespenstische und oftmals auch Grausige
(z. B. die These, dass in einem Deich, der lange halten soll, etwas Lebendiges verbaut werden muss – es werden ein lebendes Kind bzw. ein kleiner Hund erwähnt)
und auf der anderen Seite die technischen, rechnerisch kühlen Aspekte, die beim Deichbau eine Rolle spielen. Genauso zerrissen ist die Hauptfigur des Deichgrafen Hauke Haien. Einerseits gut zu Frau und dem geistig behindertem Kind, aber dann oft übertrieben aggressiv gegenüber Mensch und Tier. Ein Getriebener, der stets auf der Suche nach gesellschaftlicher Anerkennung und Bewunderung ist. Sei es die Durchsetzung des Riesenprojektes (Deichbau) und später dann der einwandfreie Erhalt des Wunderwerkes und der Schutz der Familie bzw. Dorfbewohner – Hauke Haien gibt alles, auch im Angesichts von Anfeindungen und sonstigen Widerständen. Dabei ist er ein überaus arroganter Mann, der sich stets seiner Umwelt gegenüber geistig überlegen sieht und der schließlich
tragischerweise aufgrund eines charakterlich untypischen Fehlers sein Verderben findet.
Ich bin nun wahrlich kein Novellen-Experte, kann aber sagen, dass ich diese Erzählung rundum als stimmig und in sich geschlossen empfunden habe und sie mich bis zum Schluss auf keiner Ebene enttäuscht hat. Die friesische Atmosphäre, die Charaktere, die Dramatik und schließlich das verheerende Ende – alles hat mich in seinen Bann gezogen!
Gerade die Zwiespältigkeit des Deichgrafen und der zuvor erwähnten technischen/mythischen Thematik hat es mir angetan.
Ich muss allerdings gestehen, dass ich nicht immer gut nachvollziehen konnte, wo sich Haien draußen in der Natur gerade befunden hat, weil mir die vielen Begriffe, die die Stellen rund um den Deich bezeichnen, nicht vertraut sind. Das hat aber das Lesevergnügen kaum gestört.