Charles Dickens - Bleak House (ab 24.11.2014)

  • Am 24. November startet unsere Leserunde zu "Bleak House" von Charles Dickens. Wenn ich niemanden übersehen habe, sind wir bisher vier Teilnehmer:


    @Hypocritia
    @sonham
    @taliesin
    @daniii


    Weitere Mitleser sind natürlich herzlich willkommen. Das Lesepensum können wir ja noch besprechen. Ich freu mich! :bounce:

    :study: John Steinbeck - East of Eden

    :study: Frank Witzel - Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969

    :montag: Veronica Roth - Rat der Neun

    :musik: Claire North - Die vielen Leben des Harry August


    "There is freedom waiting for you, on the breezes of the sky, and you ask 'What if I fall?'
    Oh but my darling, what if you fly?"
    (Erin Hanson)

  • Ja wunderbar. Freue mich auf Montag. Ich lese diese Ausgabe...........

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


    :study: Haruki Murakami - Die Stadt und ihre ungewisse Mauer

    :study: Joseph Roth - Hiob (MLR)

  • Hallo Leute,


    ich beginne dann mal mit dem ersten Kapitel, das ich gerade mit großem Vergnügen beendet habe.


    Kapitel 1 - In Chancery


    Wir befinden uns in London an einem trüben Novembertag irgendwann Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. So bildhaft wie Dickens diesen Novembertag beschreibt,
    ist man geneigt die Heizung ein paar Stufen höher zu stellen. Die Beschreibung vom allles verschleiernden Nebel und dem Matsch, der überall die Straßen bedeckt ist
    hervorragend gelungen. Genauso trüb und undurchsichtig ist dann auch der Gerichtsprozess mit dem sich der Lordkanzler und wie Dickens so schön schreibt, eine ganze
    Armee von Anwälten, Schriftführern, sowie beinahe schon Generationen von Beteiligten herumschlagen. Der >Court of Chancery< an dem all dies stattfindet, kommt in
    Dickens Beschreibung nicht gut weg, oder besser, es scheint ein fast schon teuflischer Ort. (S. 15)


    Zitat

    This is the Court of Chancery; which has its decaying houses and its blighted lands in every shire; which has its worn-out lunatic in every madhouse, and its dead
    in every churchyard; which has its ruined suitor with his slipshod heels and threadbare dress, borrowing and begging through the round of every man`s aquaintance; which
    gives to monied might the means abundantly of wearing out the right; which so exhausts finances, patience, courage, hope; so overthrows the brain and breaks the heart;
    that there is not an honourable man among its practitioners who would not give - who does not often give - the warning, "Suffer any wrong that can be done you, rather
    than come here!"


    Starker Tobak und ein Schelm, der Bezüge zu modernen Zeiten herstellt, oder?


    Dann wendet sich Dickens dem Fall zu, der verhandelt wird. Das hat schon satirische Züge und man möchte fast schmunzeln, wenn da nicht die Tatsache wäre, dass
    dieser Fall schon so viel Leid und Unglück in die Welt gebracht hätte. Jarndyce and Jarndyce ist mittlerweile zur Farce geworden und eine Lösung nicht in Sicht. (S.16)


    Zitat

    The little plaintiff or defendant who was promised a new rocking-horse when Jarndyce and Jarndyce should be settled, has grown up, possessed himself of a real
    horse, and trotted away into the other world.


    Das dieser ganze Gerichtshof einem zu langen Witz gleicht, bestärkt Dickens dann auch durch zwei recht skurrile Figuren am Rande. Die alte Dame, die von morgens
    bis abends im Gerichtssaal steht und von der niemand weiß, zu welchem Fall sie nun gehört und für die sich im übrigen auch niemand interessiert. Der Herr der oft mal
    vorbeikommt und ab und an >MyLord> in den Saal ruft und nicht weiß, das er für den Lordkanzler nicht existent ist. All dies macht die Szene im Gerichtssaal beinahe
    surrealistisch.


    So geht auch dieser Tag im Gericht vorüber, ohne das irgendetwas Greifbares passiert. Alles bleibt im Nebel............


    Ein tolles erstes Kapitel und ich bin gespannt, wie es jetzt weitergeht. Da hilft nur :study:


    lg taliesin :winken:

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  • Toll im Vorwort auch, dass er ewig viel über Selbstverbrennung schreibt und dann sagt, er habe in diesem Buch die romantische Seite des Lebens betont :-D


    Beim Lesen der Beschreibung darüber, wie lang dieser Fall sich schon hinzieht, hat man ein sehr gutes Gefühl dafür bekommen, weil auch die Schilderung entsprechend zäg und ausschweifend war :-)


    Oder Mr Tangle (schon allein der Name!), der sich am besten mit de Fall auskennt, aber irgendwie nicht so recht weiß, wen er da als Zeugen geladen hat.


    Herrlich! Ich lese das Kapitel gleich ein zweites Mal, weil ich es so gellungen finde!

  • Ich konnte mich gestern leider so gar nicht richtig auf das erste Kapitel konzentrieren, mein Kopf war irgendwie ganz woanders, ich glaube, da ist viel an mir vorbeigegangen :-? Was ich sehr schade finde, da mir sowohl die Beschreibung des Nebels als auch des Prozessirrsinns sehr gut gefallen haben.
    Ich habe das Buch jetzt mit zur Arbeit gebracht und werde mich in der Mittagspause den ersten beiden Kapiteln widmen und mich dann noch mal zu Wort melden.

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  • So, zweiter Versuch. Ich hab das zweite Kapitel gleich mitgelesen :)


    Kapitel 1 - Im Kanzleigericht


    Zitat

    "Dieses Ungeheuer von Prozeß ist im Verlauf der Zeit so verwickelt geworden, daß sich kein Mensch auf Erden mehr darin zurechtfinden kann. Die Parteien verstehen ihn am wenigsten, und nicht einmal zwei Kanzleigerichtsadvokaten können fünf Minuten davon sprechen, ohne nicht schon über die Vorfragen gänzlich uneinig zu werden."

    S. 15
    Da ich beruflich mit Gerichtsurteilen bzw. Kommentaren und Anmerkungen dazu zu tun habe, musste ich doch sehr schmunzeln, als ich den Verlauf von Jarndyce contra Jarndyce gelesen habe. Oder eben gerade nicht den Verlauf, den ja anscheinend keiner mehr so wirklich rekapitulieren kann, sondern dieses Monster, zu dem der Prozess inzwischen geworden ist, der sich selbst irgendwie ad absurdum führt. Natürlich ist in der modernen Juristerei so etwas niemals nie nicht denkbar O:-) *hust*


    So bildhaft wie Dickens diesen Novembertag beschreibt, ist man geneigt
    die Heizung ein paar Stufen höher zu stellen. Die Beschreibung vom allles verschleiernden Nebel und dem Matsch, der überall die Straßen bedeckt ist hervorragend gelungen.


    Das finde ich auch! Man konnte sich das beim Lesen richtig gut vorstellen und ich habe direkt meine Teetasse zu mir rangezogen :montag:


    Kapitel 2 - In der vornehmen Welt
    Wird das erste Kapitel noch mit Nebel eröffnet, bekommen wir hier nun Regen, und nicht zu knapp, alles ist nass und aufgeweicht, man spürt die Feuchte beim Lesen fast selbst in den Knochen und kann gut verstehen, warum Lady Dedlock, die noch darüber hinaus tödlich gelangweilt ist, auf dem Landsitz die Segel streicht und in ihre Stadtwohnung zurückkehrt, bevor es weiter nach Paris geht. Als "durch und durch vornehm" beschreibt Dickens sie (S. 23), sie strahlt auch eine gewisse Kühle aus, die das unterstreicht, wie ich finde. Mit ihr lernen wir offenbar eine der zahllosen am Prozess Beteiligten kennen, wirklich interessiert ist sie am Fortgang aber auch nicht, sondern eher ermüdet. Auch ihr Mann, Sir Leicester (übrigens eine Liebesheirat, wie ausdrücklich betont wird), ist so gelangweilt von den Ausführungen des Anwalts, dass er einfach einnickt. Das unterstreicht noch einmal schön die Farce, zu der das Ganze verkommen ist.
    Auch vom Anwalt, Mr. Tulkinghorn, bekommt man ein sehr plastisches Bild, wie ich finde: ernst und vorschriftsmäßig kommt er daher, das ist keiner, der abends in der Kneipe Amüsement sucht oder alberne Witzchen reißt.


    Trotz der Einstiegsschwierigkeiten (ich hab in letzter Zeit einfach zu wenig "Forderndes" gelesen und bin wohl etwas eingerostet :pale: ), habe ich die beiden Kapitel nun mit großem Vergnügen gelesen, in jedem Satz steckt etwas, und die drei im zweiten Kapitel vorgestellten Personen sind direkt unglaublich echt und greifbar geworden. Besonders gut gefällt mir der unterschwellige Humor, ich finde, es gibt so viele Stellen, aus denen man geradezu ein Schmunzeln des Autors herauslesen kann.


    Edit: Wenn ich so drüber nachdenke, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich um den Jarndyce-Fall geht - vielleicht führen die Dedlocks einen ganz anderen Rechtsstreit? :-k Ich kann grad nicht nachsehen - wird das irgendwo explizit erwähnt? Oder hab ich vorschnelle Rückschlüsse gezogen?

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  • Wenn ich so drüber nachdenke, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich um den Jarndyce-Fall geht - vielleicht führen die Dedlocks einen ganz anderen Rechtsstreit?


    Müsste nachschauen, aber ich glaube, die hängen in der Kostensache drin, um die es an diesem Tag ging.


    Und ob "Dedlock" wohl was mit "Deadlock" zu tun hat? :)


    Ich hab mich in diesem kapitel mehrfach sehr amüsiert, vor allem am Ende, als es ihr nicht sehr gut geht und ihr Mann sagt, sie habe sich aber auch wirklich sehr gelangweilt :D

  • habe ich die beiden Kapitel nun mit großem Vergnügen gelesen, in jedem Satz steckt etwas, und die drei im zweiten Kapitel vorgestellten Personen sind direkt unglaublich echt und greifbar geworden. Besonders gut gefällt mir der unterschwellige Humor, ich finde, es gibt so viele Stellen, aus denen man geradezu ein Schmunzeln des Autors herauslesen kann.


    Das Dickens die Welt der vornehmen Leute sofort mit der Welt des Gerichtshofs vergleicht, spricht ja schon Bände hinsichtlich seiner Einstellung. Er sagt zwar, dass in
    beiden Welten auch Gutes existiert, schränkt das aber sofort wieder ein. Der sehr feine Humor mit dem Dickens hier arbeitet, hat auch immer eine leicht ironische Seite. (S.20)


    Zitat

    There is much good in it; there are many good and true people in it; it has its appointed place. But the evil of it is, that it is a world wrapped up in too
    much jeweller`s cotton and fine wool, and cannot hear the rushing of the larger worlds, and cannot see them as they circle round the sun. It is a deadened world
    and its growth is sometimes unhealthy for want of air.


    Für solche Passagen möchte man den Autor glatt umarmen. Was er schreibt, galt damals und gilt auch heute, nach über 150 Jahren noch.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

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  • Gestern wollte ich posten und hatte bereits einiges geschrieben, als mich meine Feinmotorik im Stich gelassen hat und ich wieder mal ungewollterweise ein paar Seiten im BT zurückgeblättert habe, sodass alles wieder weg war - leider. Auf ein Neues also ...


    Kapitel 1 - In Chancery

    Diese Stelle habe ich auch markiert – sieht nicht so aus, als hätte Dickens großes Vertrauen in die Justiz im England des 19. Jahrhunderts gehabt ...


    Toll im Vorwort auch, dass er ewig viel über Selbstverbrennung schreibt und dann sagt, er habe in diesem Buch die romantische Seite des Lebens betont :-D

    Das war mir gar nicht aufgefallen, dass der letzte Satz im Vorwort in einem seltsamen Gegensatz zum vorherigen Absatz steht – aber es wirkt wirklich komisch.
    Da ich das Buch jetzt schon zum zweiten Mal lese, kann ich aber schon mal vorsichtig sagen, dass die versprochene Romantik aber tatsächlich nicht zu kurz kommen wird.
    Ich hatte gar nicht mehr in Erinnerung, dass Dickens gleich im Vorwort mit der Hoffnunglosigkeit einiger Rechtsstreitigkeiten loslegt.


    Oder Mr Tangle (schon allein der Name!), der sich am besten mit de Fall auskennt, aber irgendwie nicht so recht weiß, wen er da als Zeugen geladen hat.

    Gut, dass Du das mit den Namen und ihren Bedeutungen bringst – bei einigen Namen ist die Anspielung ja nicht zu übersehen.


    Mir fiel Dickens Erwähnung von „parsimony of the public“ gleich zu Anfang im Vorwort komisch auf, dass der einzige Makel (und ein ziemlich nichtiger noch dazu), der dem „Court of Chancery“ (= Oberster Gerichtshof?) anzurechnen sei, ein manchmal schleppender Fortschritt sei, und dies sei außerdem in der „Sparsamkeit der öffentlichen Hand“ begründet? Das meint Dickens doch ironisch, oder? Es sind schließlich meistens (immer) die Rechtsverdreher, die mit ihren tausenderlei Widersprüchen und Einwänden und neuen Dokumenten alles verkomplizieren, und nicht die Richter, die die Öffentlichkeit repräsentieren, oder? Und Anwälten kann es schließlich nur recht sein, je mehr sich alles in die Länge zieht, denn so kann man mehr und mehr in Rechnung stellen, oder sehe ich das falsch?


    Kapitel 1 - Im Kanzleigericht

    S. 15Da ich beruflich mit Gerichtsurteilen bzw. Kommentaren und Anmerkungen dazu zu tun habe, musste ich doch sehr schmunzeln, als ich den Verlauf von Jarndyce contra Jarndyce gelesen habe. Oder eben gerade nicht den Verlauf, den ja anscheinend keiner mehr so wirklich rekapitulieren kann, sondern dieses Monster, zu dem der Prozess inzwischen geworden ist, der sich selbst irgendwie ad absurdum führt. Natürlich ist in der modernen Juristerei so etwas niemals nie nicht denkbar *hust*

    Na, jetzt bin ich ja beruhigt, da die Frau vom Fach hiermit all unsere Bedenken vom Tisch kehrt. :wink:


    Kapitel 2 - In der vornehmen Welt
    Als "durch und durch vornehm" beschreibt Dickens sie (S. 23), sie strahlt auch eine gewisse Kühle aus,

    Genau diese Stelle habe ich auch markiert - Dickens hat eine sehr scharfe Zunge, was die Charakterisierung der verschiedenen Figuren angeht. My lady Dedlock beschreibt er als:

    Zitat

    an exhausted composure, a worn-out placidity, an equanimity of fatigue not to be ruffled by interest or satisfaction, are the trophies of her victory. She is perfectly well-bred. If she could be translated to heaven tomorrow, she might be expected to ascend without any rupture.


    Meine Güte, wenn die Frau sich so unter Kontrolle hat, dass sie noch nicht einmal das Auffahren in den Himmel zur Äußerung eines Glücksgefühls hinreißen würde, dann hat sie sich wohl doch vielleicht ein bisschen zu sehr unter Kontrolle?
    Witzig fand ich auch die Beschreibung des Londoner Stadthauses der Deadlocks:

    Zitat

    fairy-land to visit, but a desert to live in.

    Solche Leute kennen wir doch auch zur Genüge, oder? Menschen, die unbedingt ihre Autos, ihr tolles Haus und ihr tolles Aussehen ständig bewundert sehen möchten, bei denen man sich aber am liebsten schnellstmöglich wieder verabschieden möchte, weil das einfach total langweilige und humorlose Charaktere sind, und man sich sehr gut vorstellen kann, wie bedrückend lahm ihr Alltag aussehen muss, weil sie einfach null geistreich sind.


    Auch vom Anwalt, Mr. Tulkinghorn, bekommt man ein sehr plastisches Bild, wie ich finde: ernst und vorschriftsmäßig kommt er daher, das ist keiner, der abends in der Kneipe Amüsement sucht oder alberne Witzchen reißt.

    Und wieder ist Dickens absolut bissig:

    Zitat

    He is of what is called the old school – a phrase generally meaning any school that seems never to have been young.


    Und dann dieser Satz:

    Zitat

    He receives these salutations with gravity and buries them along with the rest of his knowledge.

    Da kommt einem doch das kalte Grausen, finde ich, bei so einem, der nie irgendwie positiv oder mit Infos über sich selbst zu Unterhaltungen beiträgt, aber alles über alle anderen weiß, oder?


    Edit: Wenn ich so drüber nachdenke, bin ich mir gar nicht mehr so sicher, ob es wirklich um den Jarndyce-Fall geht - vielleicht führen die Dedlocks einen ganz anderen Rechtsstreit? Ich kann grad nicht nachsehen - wird das irgendwo explizit erwähnt? Oder hab ich vorschnelle Rückschlüsse gezogen?

    Ich glaube auch, dass im Zusammenhang mit der unklaren Erbschaftsangelegenheit von my lady Dedlock der Fall nicht erwähnt wurde – aber es ist an dieser Stelle eh‘ nicht so wichtig, ob es sich um den Jarndyce-Fall handelt oder nicht, finde ich.


    Und ob "Dedlock" wohl was mit "Deadlock" zu tun hat?

    Davon bin ich fest überzeugt. My lady hatte ja anscheinend keine tolle Herkunft, als sie ihren zwanzig Jahre älteren Mann geheiratet hat, im Gegenteil, sie war ja „ohne Familie“ (wenn da irgendeine alteingesessene adlige, aber ausgestorbene Familie in ihrer Herkunft im Spiel gewesen wäre, hätte der Autor dies doch sicherlich erwähnt, oder?). Für sie war die Heirat wohl ein grandioser gesellschaftlicher Aufstieg. Dass dieses protzige Milieu mit der Zeit seinen Reiz verlieren und langweilig werden würde, damit hat sie dabei bestimmt nicht gerechnet. Und so wurde aus dem „united in wedlock“ eben ein „deadlock“, eine Sackgasse eben. "Nomen est omen" scheint für Dickens ein bisschen eine witzige Macke zu sein?

    » Unexpected intrusions of beauty. This is what life is. «


    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Ich habe mir jetzt zusätzlich zur Kindleausgabe die gedruckte Ausgabe bestellt. Ich will da Zettel reinkleben und anstreichen - so toll finde ich dieses Buch :-)

  • Kapitel 3 (A Progress)


    Herr Dickens überrascht uns in diesem Kapitel mit einem Perspektivwechsel und lässt eine Ich-Erzählerin ihre Geschichte erzählen. Das Mädel wird von einer Patentante
    aufgezogen und direkt zu Anfang wird dem leser klar, was schlechte Erziehung für Auswirkungen haben können. Die Kleine erscheint fast völlig ohne Selbstbewusstsein
    und sie stellt, trotz einer sehr schönen Selbstbeobachtung, am Ende der Passage diese sofort wieder in Frage. (S. 28)


    Zitat

    I had always rather a noticing way - not a quick way, O no! - a silent way of noticing what passed before me, and thinking that I should like to understand it better.
    I have not by any means a quick understanding. When I love a person very tenderly indeed it seemes to brighten. But even that may be my vanity.


    Die Patentante isoliert das Mädchen mal abgesehen vom Schulbesuch von der Außenwelt und vermittelt ihr, dass sie eine lebenslange Schuld mit sich herumtragen wird.
    Fragen des Mädchens nach Vater und Mutter werden ignoriert. Nur die Aussage, dass die Mutter Schande auf sich geladen hat steht im Raum.
    Trotzdem versucht sie die nie lächelnde verbitterte alte Frau noch in Schutz zu nehmen und gibt sich selbst oder den Umständen die Schuld. (S. 28)


    Zitat

    She was always grave and strict. She was so very good herself, I thought, that the badness of other people made her frown all her life.


    Na ja, lange musste ich mich über die fiese Schrulle nicht aufregen, denn Dickens hat ein Einsehen und beendet ihr Leben. Da sie nun völlig mittellos dasteht kommt
    überraschenderweise Mr. Jarndyce ins Spiel, der ihr durch den Anwalt >Conversation Kenge> (was für ein Name) mitteilen lässt, das ein Platz in einem Heim namens
    Greenleaf für sie bereitsteht, so dass ihre Ausbildung gesichert ist.
    Esther fühlt sich recht wohl in diesem Heim und verbringt dort 6 glückliche Jahre. Auf Geheiß des Lordkanzlers wird sie nach London geschickt um als Begleitperson
    einer jungen Lady zu arbeiten. Mr. Jarndyce vom Bleak House hat alles arrangiert.


    Einiges erscheint mir etwas rätselhaft. Was Herr Jarndyce so genau tut, ist noch nicht ganz klar, aber ich denke das wird sich noch aufklären. Für Esther scheint es auf
    jeden Fall eine bessere Zukunft zu geben, als von der Schrulle prophezeit. Auf jeden Fall ist der Handlungsfaden aufgenommen und Esther wird wohl eine wichtige Rolle
    in der Geschichte spielen.

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  • Findet ihr die Szene in Kapitel 4 eigentlich auch so seltsam, wo Esther in der Kustche fährt und dieser seltsame, dick eingepackte Mann sie anspricht? Nicht nur, dass er sehr komisch ist. Mich irritiert auch, dass Esther dieses Pastetenteilchen, das sie angeboten bekommt, ablehnt:


    Zitat

    “Now, look here!” he said. “In this paper,” which was nicely folded, “is a piece of the best plum-cake that can be got for money — sugar on the outside an inch thick, like fat on mutton chops. Here’s a little pie (a gem this is, both for size and quality), made in France. And what do you suppose it’s made of? Livers of fat geese. There’s a pie! Now let’s see you eat ’em.”
    “Thank you, sir,” I replied; “thank you very much indeed, but I hope you won’t be offended; they are too rich for me.”
    “Floored again!” said the gentleman, which I didn’t at all understand; and threw them both out of window.


    a) wieso transportiert er Essen unter seinen Umhängen? :lol:
    b) wieso lehnt sie sie als "too rich" ab? Wortspiel? :-k


    Habe zwar schon weitergelesen, hänge im Kopf aber immer noch an dieser Stelle fest :D

  • Der sehr feine Humor mit dem Dickens hier arbeitet, hat auch immer eine leicht ironische Seite.


    Oh ja, und er gefällt mir immer besser :)


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    Und genau so kommen mir die Dedlocks auch vor, schnarchlangweilig - gerade im Vergleich mit dem, was wir im folgenden Kapitel über Esthers Leben erfahren, das doch trotz aller traurigen Umstände viel lebendiger erscheint.


    Die Kleine erscheint fast völlig ohne Selbstbewusstsein
    und sie stellt, trotz einer sehr schönen Selbstbeobachtung, am Ende der Passage diese sofort wieder in Frage. [...] Die Patentante isoliert das Mädchen mal abgesehen vom Schulbesuch von der Außenwelt und vermittelt ihr, dass sie eine lebenslange Schuld mit sich herumtragen wird.


    Arme Esther, mir tat sie beim Lesen sehr leid. Gerührt hat mich ihre Verbindung zu der Puppe, der sie all ihre Gedanken mitteilt, weil sie sonst niemanden hat. Und sehr symbolisch fand ich dann das Begräbnis der Puppe, ihrer einzigen Freundin, als sie in ihr neues Leben aufbricht. Und tatsächlich geht es von da an ja aufwärts, von sechs schönen Jahren berichtet Esther, die im Übrigen bei Weitem nicht so geistlos und nichtssagend daherkommt, wie sie von sich selbst zu denken scheint. Ich finde, ihre Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, die du ja auch schon erwähnt hast @taliesin, ziemlich gut, ein Zeichen, dass Esther alles andere als oberflächlich ist.


    Einiges erscheint mir etwas rätselhaft. Was Herr Jarndyce so genau tut, ist noch nicht ganz klar, aber ich denke das wird sich noch aufklären. Für Esther scheint es auf
    jeden Fall eine bessere Zukunft zu geben, als von der Schrulle prophezeit.


    Sehr rätselhaft, auf jeden Fall - ich frage mich auch, wie Mr Jarndyce ausgerechnet auf Esther gekommen ist, in welcher Verbindung er zu ihr steht, denn es ist ja offenbar keine verwandtschaftliche.


    Habe zwar schon weitergelesen, hänge im Kopf aber immer noch an dieser Stelle fest


    Ich fand die Stelle auch merkwürdig, habe aber erst mal gar nicht so viel reingelesen wie du. Allerdings scheint Dickens ja nicht irgendwelche Ereignisse "just for fun" ins Romangeschehen zu werfen, daher wird es wohl eine Bedeutung haben :-k Im Deutschen sind Esther die Pastetchen übrigens "zu schwer".


    Am Ende des dritten Kapitels treffen wir noch eine alte Bekannte, die Dame mit den Dokumenten, die Dauergast im Kanzleigericht ist :wink:

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  • Allerdings scheint Dickens ja nicht irgendwelche Ereignisse "just for fun" ins Romangeschehen zu werfen, daher wird es wohl eine Bedeutung haben Im Deutschen sind Esther die Pastetchen übrigens "zu schwer".


    Ich denke, dass Herr Dickens hier bewusst eine Zweideutigkeit einbringt. To rich, im Sinne von "für die Reichen" und auch im Sinne von "zu fett" oder "zu schwer".
    Den Herrn in der Kutsche fand ich schon recht interessant, weil er auch ein paar passende Worte zu Mr. Rachael bereit hatte. (S. 37)


    [quote]"Con-found Mrs. Rachael, said the gentleman!" Let her fly away in a high wind on a broomstick! :loool: [quote]


    Sehr treffend und vielleicht treffen wir diesen witzigen Menschen ja noch einmal wieder.

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  • Kapitel 4 (Telescopic Philanthropy)


    Esther, Ada und Richard können erst am nächsten Tag nach Bleak House reisen und es steht eine denkwürdige Übernachtung bei Mrs. Jellyby an, eine Dame die
    im wahrsten Sinne des Wortes menschenliebe aus der Ferne betreibt. Mrs. Jellyby kümmert sich so intensiv um Angelegenheiten in Afrika, dass es ihr wohl völlig
    entgeht, dass die Kinder die sie betreut in Schmutz und Elend leben. Niemand kümmert sich wirklich um die Kids. Selbst Esther merkt, dass hier keine guten
    Zustände herrschen, aber sie entschuldigt Mrs. Jelleby, da die Dame sich ja um ein edles Werk in weiter Ferne kümmert. Esther erscheint mir manchmal etwas zu
    gut und auch ein wenig naiv. Man muss ihr allerdings zugestehen, dass sie ohne zu zögern sofort da ist, wo Hilfe benötigt wird. Und bei Jelleby`s wird sie dringend
    benötigt.


    Es gibt am Ende des Kapitels noch eine sehr interessante Szene. Die Tochter von Mrs. Jellyby kommt abends zu Esther und beklagt sich bitterlich über ihr Leben in
    diesem schmutzigen und vernachlässigten Haus. Da kommt Esther mit ihrer immer vermittelnden Art nicht weiter. Die Tochter stößt sie ziemlich deutlich mit der Nase
    auf die Zustände im Hause Jellyby, die Esther ja wohl kaum übersehen haben kann. (S. 62)


    Zitat

    "It`s disgraceful, she said. You know it is. The whole house is disgraceful. The children are disgraceful. I`m disgraceful. Pa`s miserable, and no wonder!
    Priscilla drinks - she`s always drinking. It`s a great shame and a great story, of you, if you say you didn`t smell her to-day. It was as bad as a public house, waiting
    at dinner; you know it was!"


    Am nächsten Morgen wacht Esther in bitterer Kälte auf, geweckt von dem vor Kälte zitternden kleinen Peep. Die "ach so charakterstarke" Mrs Jellyby setzt ganz klar falsche
    Prioritäten.


    Ach ja, die angeblich verrückte alte Dame aus dem Gerichtssaal taucht auch wieder auf, wenn auch nur in Esthers Traum. Ich denke, da warten noch einige Überraschungen
    auf uns, denn sonst würde Dickens sie nicht wiederholt erwähnen.

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    William Shakespeare


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  • Mrs Jellyby kümmert sich ganz großartig um den Anbau von Kaffee aus ihrem bequemen Leben heraus in Afrika, während ihre eigenen Kinder fast in Dritte-Welt-Verhältnissen leben.
    Ist sie überfordert mit den Kindern? Läuft sie davon? Wie viele sind es eigentlich? Woher kommt das Geld? Wieso bleibt ihr Mann so passiv?


    Aber der Bezug zur heutigen Zeit ist erschreckend. Es gibt viele Menschen, die sich um das Wohl armer Menschen in fremden Ländern kümmern, ohne zu sehen, wie es um die Leute in ihrer nächsten Nähe steht.

  • Woher kommt das Geld? Wieso bleibt ihr Mann so passiv?


    Ich denke mal, dass Geld kommt von reichen Gönnern, die mehr Interesse am Kaffeeanbau als an der Förderung von Kindern haben. Mr. Jellyby wirkt wie ein
    gebrochenner Mann, der lange schon aufgegeben hat um sein Heim zu kämpfen.

    Wir sind der Stoff aus dem die Träume sind und unser kleines Leben umfasst ein Schlaf.

    William Shakespeare


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  • Huhu, meine lieben Mitleser - ich bin am Wochenende leider gar nicht zum Lesen gekommen, weil ich in der alten Heimat einen 40. Geburtstag gefeiert habe :tanzensolo: Der ging dann so lang, dass mir irgendwie eine komplette Nacht Schlaf abhanden gekommen ist und ich mich gestern nicht in der Lage gesehen habe, Dickens zu lesen :sleep: Wird heute zum Feierabend aber nachgeholt :study:

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    (Erin Hanson)

  • :huhu: ihr Lieben,


    ich bin schon etwas weiter im Buch, warte aber jetzt bis ihr wieder bei seid und poste dann wieder los.

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