Bernhard Schlink - Der Vorleser (ab 01.11.2014)

  • Ich spoiler jetzt mal meine Vermutung


    Zitat Sympatie Dixer

    Zitat

    Wie kommst du darauf?
    Ich selbst hatte eher auf irgend eine Form der sozialen Persönlichkeitsstörung spekuliert. Irgend etwas, das Hannas Gefühlswahrnehmung beeinträchtigt und sie Emotionen kaum erfahren und überhaupt nicht weitergeben lässt. Aber deine Theorie klingt durchaus auch sehr plausibel.


    Naja, wie gesagt, ich habe eine ganz ähnliche Situation auf der Arbeit erlebt und durch diese Situation bin ich schon ins grübeln gekommen. Allerdings habe ich jetzt schon weiter gelesen.....

  • Hallo zusammen,


    heute ist es auf der Arbeit ein wenig stressig, daher nur ganz schnell nebenbei hier meine Eindruck zu den nächstebn Kapiteln.


    Teil II


    Kapitel 9
    Die anderen Mitangeklagten hängen Hanna jetzt als Hauptschuldige ganz hoch auf, um sich selber zu retten. Hanna gibt sogar zu, den Bericht über den Brand geschrieben zu haben. Allerdings verstehe ich das nicht so genau, denn sie widerspricht doch sonst immer sofort, wenn et5was nicht der Wahrheit entspricht. Allerdings in Bezug auf meine Vermutung von gestern, würde sie wahrscheinlich alles zugeben, damit ihr Geheimnis nicht ans Licht kommt. Aber warum, warum kann sie es nicht zugeben, wovor hat sie Angst?


    Kapitel 10


    Michael erinnert sich nicht an die Tage, die er er mit der Aufarbeitung des Seminars verbringen sollte, er kann sich nur daran erinnern, wie er die Sonntage in der Umgebung verbracht hat. Mit den Farben und Gerüchen der Natur.
    Aber jetzt stellt er meine Vermutung in den Fokus, auch er ist der Meinung, dass Hanna nicht lesen und schreiben kann. ER versteht es nicht, dass sie versucht sich der harmlosen Bloßstellung als Analphabetin entzieht und lieber als Verbrecherin dargestellt wird. Und in diesem Punkt muss ich ihm Recht geben. Warum nimmt sie die Verbrechen auf sich und nimmt sich so eines viel schlimmeren Schicksals an, als sie als Analphabetin hätte? Was geht in solch einem Menschen vor. Ich hoffe wir bekommen von Hanna selbst darauf eine Antwort.


    Kapitel 11
    Wie schon gesagt, die Mitangeklagten hängen Hanna als Hauptschuldige auf, sie gibt zu was stimmt und bestreitet, was nicht stimmt. Bis sie in diesem Kapitel aufgibt. Ich glaube sie gibt aus Verzweiflung einfach auf und nimmt das Schicksal an. Michael überlegt5, dem Richter seine Vermutung über Hanna zu schildern. Seite 132

    Zitat

    Mit der Energie, mit der sie ihre Lebenslüge aufrechthielt, hätte sie längst lesen und schreiben lernen können.

    Welch wahre Worte er da spricht oder besser denkt. Wie groß muss Hannas Scham sein, nicht zugeben zu wollen, dass sie nicht lesen und schreiben kann. Irgendwie wünsche ich mir von Michael, dass er Hanna anspricht und ihr sagt, dass es nicht schlimm ist nicht lesen und schreiben zu können und das er ihr hilft.


    Kapitel 12
    Michaels Vater wird als Philosoph mit in die Entscheidungsfindung eingebunden. Allerdings hilft er Michael nicht so recht weiter, denn er rät ihm mit Hanna zu sprechen, und das scheint ihn ja große Überwindung zu kosten. Aber warum? will er ihr nicht helfen? Er macht sich Gedanken darum, dass sie etwas zugibt, was sie nicht getan hat, aber er ist anscheinend nicht5 Mann genug das Gespräch mit ihr zu suchen und ihr zu helfen?

  • 9

    Allerdings verstehe ich das nicht so genau, denn sie widerspricht doch sonst immer sofort, wenn et5was nicht der Wahrheit entspricht. Allerdings in Bezug auf meine Vermutung von gestern, würde sie wahrscheinlich alles zugeben, damit ihr Geheimnis nicht ans Licht kommt. Aber warum, warum kann sie es nicht zugeben, wovor hat sie Angst?


    Für mich ist es auch unerklärlich, dass eine Person, die geschildert wurde, dass sie sonst jede Kleinigkeit im Prozess richtigstellt, hier so offenkundig anders handelt. Letzten Endes müssen wir uns mit der Erklärung der folgenden Kapitel, Vertuschung ihres Analphabetismus aus Scham, abfinden. Mag sein, dass es tatsächlich Menschen gibt, die einen subjektiv stark empfundenen Makel so um jeden Preis vertuschen wollen. Persönlich nachempfinden kann ich es aber nicht.


    10

    Warum nimmt sie die Verbrechen auf sich und nimmt sich so eines viel schlimmeren Schicksals an, als sie als Analphabetin hätte? Was geht in solch einem Menschen vor. Ich hoffe wir bekommen von Hanna selbst darauf eine Antwort.


    Darauf hoffe ich auch.
    Interessant an dem Kapitel finde ich noch: Obwohl Michael sich nun sicher ist, dass Hannas Verschwinden aus seinem Leben nichts mit ihm zu tun hatte, fühlt er sich immer noch schuldig.
    Und gleich zu Beginn des Kapitels finden wir die Bestätigung, dass er mehr wegen der Begegnung mit Hanna als wegen des eigentlichen Seminars so in der Beschäftigung mit den Prozessen aufgeht. Während er den Verlauf der Prozesstage ja detailliert beschreibt, kann er sich an das eigentlich zentrale des Seminars, die freitägliche wissenschaftliche Diskussion der beobachteten Dinge, überhaupt nicht mehr erinnern.


    11

    Michael überlegt5, dem Richter seine Vermutung über Hanna zu schildern.


    Er scheint sich seiner Vermutung sehr sicher zu sein, wenn er diesen Schritt erwägt. Warum er überhaupt überlegt, entgegen ihrem Verhalten zu ihrem Schutz tätig zu werden, obwohl sie ihn ja selbst aus ihrem Leben ausgeschlossen hat, ist mir nicht ganz nachvollziehbar. Selbst wenn sie sich irgendwann damit abfinden könnte, dass jemand sich in ihr Leben einmischt - könnte sie das gerade von ihm akzeptieren?
    Aber diese Abwägung ist vermutlich zu sehr aus ihrer Perspektive gedacht. Wenn er noch in seinen Gefühlen für sie verstrickt ist, kann es gut möglich sein, dass er so weit überhaupt nicht denkt.


    12

    Michaels Vater wird als Philosoph mit in die Entscheidungsfindung eingebunden. Allerdings hilft er Michael nicht so recht weiter


    Ja und nein. Zunächst mal schreibt der ältere Erzähler Michael aus der Rückschau ja, dass gerade diese Diskussion eine Sternstunde im Verhältnis zu seinem Vater gewesen sei, auch wenn sie in einer Handlungsaufforderung gipfelt, der Michael nicht nachkommen kann und will, und in Verlegenheit endet, weil das persönliche Verhältnis von beiden Seiten als unbefriedigend erlebt wird.
    Die philosophischen Ausführungen, dass Glück keine Handlungsmaxime sei, sondern Würde und Freiheit bestimmend seien und damit das autonome Subjekt im Zentrum steht, finde ich durchaus interessant und auch passend. Aber moralisch nicht hinter Hannas Rücken tätig werden zu dürfen, enthebt ihn natürlich nicht von der Aufgabe, ihr selbst mittels einer Diskussion die Entscheidung über Handlungsalternativen nahezulegen.


    denn er rät ihm mit Hanna zu sprechen, und das scheint ihn ja große Überwindung zu kosten. Aber warum?


    Ich sehe drei Gründe, warum dieses Gespräch nicht zustande kommen wird.
    Vor allem ist es Michaels emotionale Verunsicherung gegenüber Hanna. Irgendwie liebt er sie unbewusst ja noch immer, und da er sich seiner Gefühle nicht sicher sein kann, ist er selbst auch nicht sicher, sondern verunsichert, und will deshalb die direkte Begegnung mit Hanna, zumal unter vier Augen, vermeiden.
    Zweitens kann man mit den philosophischen Kategorien des Vaters argumentieren: Wenn Würde und Freiheit zentral sind, muss man auch Hannas freie Entscheidung, die Beziehung und den Kontakt zu Michael abzubrechen, respektieren. (Das berücksichtigt natürlich in keinster Weise, dass durch die Art der Beendigung des Verhältnisses gerade seine Würde und Freiheit zutiefst missachtet worden sind. Er konnte sich nicht frei entscheiden, ob die Beziehung fortdauert oder beendet wird; somit war das Ende für ihn entwürdigend.)
    Und schließlich gibt es sicher auch ganz praktische Hinderungsgründe: Das Besuchsrecht bei politischen Gefangenen in NS-Prozessen der Nachkriegszeit war mit Sicherheit sehr restriktiv. Warum sollte ausgerechnet Michael zur Hauptangeklagten vorgelassen werden? (Für seine innere Ablehnung eines Gesprächs mit Hanna spielt das aber sicher keine Rolle.)

    :study: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi

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    denn Jungen tun ja nie etwas Nützliches."
    (Lindgren, Astrid: Wir Kinder aus Bullerbü, S. 91)

  • denn er rät ihm mit Hanna zu sprechen, und das scheint ihn ja große Überwindung zu kosten. Aber warum?


    Sympatie-Dixer

    Zitat

    Ich sehe drei Gründe, warum dieses Gespräch nicht zustande kommen wird.
    Vor allem ist es Michaels emotionale Verunsicherung gegenüber Hanna. Irgendwie liebt er sie unbewusst ja noch immer, und da er sich seiner Gefühle nicht sicher sein kann, ist er selbst auch nicht sicher, sondern verunsichert, und will deshalb die direkte Begegnung mit Hanna, zumal unter vier Augen, vermeiden.
    Zweitens kann man mit den philosophischen Kategorien des Vaters argumentieren: Wenn Würde und Freiheit zentral sind, muss man auch Hannas freie Entscheidung, die Beziehung und den Kontakt zu Michael abzubrechen, respektieren. (Das berücksichtigt natürlich in keinster Weise, dass durch die Art der Beendigung des Verhältnisses gerade seine Würde und Freiheit zutiefst missachtet worden sind. Er konnte sich nicht frei entscheiden, ob die Beziehung fortdauert oder beendet wird; somit war das Ende für ihn entwürdigend.)
    Und schließlich gibt es sicher auch ganz praktische Hinderungsgründe: Das Besuchsrecht bei politischen Gefangenen in NS-Prozessen der Nachkriegszeit war mit Sicherheit sehr restriktiv. Warum sollte ausgerechnet Michael zur Hauptangeklagten vorgelassen werden? (Für seine innere Ablehnung eines Gesprächs mit Hanna spielt das aber sicher keine Rolle.)


    Vielen Dank für Deine Erklärung lieber Dixer, damit wird jetzt mit meinen wirren Gedanken ein Schuh draus für mich. Aber entspann Dich nicht, ich stelle bestimmt noch mehr Fragen.... ?(


    Teil II Kapitel 13-17


    13
    Früher waren noch andere Zeiten, da wurden die zu vernehmenden Personen anscheinend noch vor Ort besucht und somit macht das halbe Gericht erstmal einen Betriebsausflug nach Israel mit Sightseeing, das ist doch mal was!!! Beim Lesen mußte ich mit dem Kopf schütteln, aber ich denke sowas wird es durchaus heute auch noch geben, wenn auch die meisten Zeugen vor Gericht geladen werden, um vernommen zu werden. Michael will die Zeit ganz fürs Studium nutzen, allerdings gelingt ihm das nicht, denn egal was er macht er sieht Hanna vor sich. Interessant finde ich, dass er von einer guten Hanna und von einer bösen Hanna spricht und auch träumt. In seinen Träumen hat es oft einen sexuellen Hintergrund.Ich denke, da wird klar, dass er sich gefühlstechnisch noch lange nicht von ihr getrennt hat, denn träumt man solche Träume von einem Menschen für den man nichts empfindet?
    14
    Ja, Kapitel 14, wieder so ein Kapitel, bei dem ich genug Fragezeichen habe. Der Mann der ihn mit nimmt Richtung KZ, spricht aus Michaels Sicht die Wahrheit, aber er scheint Täterwissen zu besitzen, denn als Michael ihn als Täter hinstellen will, wirft er ihn raus! Oder ist er ein Opfer gewesen und reagiert deshalb so empört auf die Aussage von Michael.
    15
    Michael besucht das KZ erneut, aber er kann es sich nicht vorstellen, wie es war. Er will Hanna und das Verbrechen verstehen aber auch verurteilen, und genau da liegt der Knackpunkt für mich, denn wenn er sich für das Verstehen entscheidet, muss er sich aus meiner Sicht für Hanna entscheiden. Will er es allerdings verurteilen, dann muss er sich gegen Hanna stellen. Beides will er nicht wirklich und auch seiner Erläuterung dazu kann man sehr gut verstehen, eine Entscheidung trifft er allerdings meiner Meinung nach nicht. Die Szene mit den Männer am Tisch und der alten Mann mit der Prothese kann ich nicht recht deuten, war das nur dämliches Kneipengehabe, oder steckt mehr dahinter?
    16
    Endlich geht er zum Richter, aber außer sich die Lebensgeschichte von diesem anzuhören unternimmt er nichts. Hat er gekniffen, weil er Hanna bestraft sehen wollte? Ich hätte es dem Richter gesagt, denn wenn ich Jura studieren würde, wollte ich doch, dass den Menschen Recht geschieht und sich nicht vier Schuldige hinter einer verstecken können.
    17
    Urteilsverkündung: Hanna lebenslänglich, die anderen vier sind mit Freiheitsstrafen davon gekommen! War das in Michaels Sinne? Hanna trägt ein Kostüm, das fast wie eine Uniform aussieht.Will sie damit klarstellen, dass sie trotz ihrer Widersprüche zu ihrer Tat steht und auch immer noch hinter der Naziideologie steht? Oder will sie sich damit von den anderen vier Mitangeklagten hervorheben und zeigen, wer der Chef war? Oder hat es aus Hannas Sicht keine tieferen Hintergründe? Die Empörung der Zuschauer geht gänzlich an ihr vorbei. Mich betrübt das ein wenig, denn ich denke ihr geschieht irgendwie Unrecht, denn die anderen hätten die gleiche Strafe wie sie verdient. Michael hofft auf einen Blick von Hanna, aber er geht leer aus.

  • 9


    Für mich ist es auch unerklärlich, dass eine Person, die geschildert wurde, dass sie sonst jede Kleinigkeit im Prozess richtigstellt, hier so offenkundig anders handelt. Letzten Endes müssen wir uns mit der Erklärung der folgenden Kapitel, Vertuschung ihres Analphabetismus aus Scham, abfinden. Mag sein, dass es tatsächlich Menschen gibt, die einen subjektiv stark empfundenen Makel so um jeden Preis vertuschen wollen. Persönlich nachempfinden kann ich es aber nicht.


    Genau das war der Punkt, den ich vor ein paar Tagen angesprochen hatte. Immerhin beschäftigt sich der Erzähler teilweise mit dieser Frage, im Film wird das ziemlich übergangen. Und das macht das so seltsam. Ich hatte vorher schon keinen großen Bezug zu Hanna, aber jetzt ist es wirklich eine Ablehnung.
    Der Punkt, dass sich Michael Gedanken macht, ob er eingreifen soll oder nicht, kommt mir auch neu vor. Ich muss den Film jetzt nochmal sehen, aber nach meinem Gefühl hat das dort gefehlt.



    14
    Ja, Kapitel 14, wieder so ein Kapitel, bei dem ich genug Fragezeichen habe. Der Mann der ihn mit nimmt Richtung KZ, spricht aus Michaels Sicht die Wahrheit, aber er scheint Täterwissen zu besitzen, denn als Michael ihn als Täter hinstellen will, wirft er ihn raus! Oder ist er ein Opfer gewesen und reagiert deshalb so empört auf die Aussage von Michael.


    Die Szene mit den Männer am Tisch und der alten Mann mit der Prothese kann ich nicht recht deuten, war das nur dämliches Kneipengehabe, oder steckt mehr dahinter?

    Irgendwie sind diese Szenen seltsam. Sie stehen in keinem direkten Zusammenhang zu Hanna. Soll es einen Eindruck der Gesellschaft vermitteln? Soll Michael dadurch in Szene gesetzt werden? Auf einmal kommt ja nur er vor, aber auch nicht richtig. Er erzählt, was er sieht und hört, auch was er ab und an denkt, aber die Gefühle fehlen mir etwas.

    "All we have to decide is what to do with the time that is given to us."

  • Irgendwie sind diese Szenen seltsam. Sie stehen in keinem direkten Zusammenhang zu Hanna. Soll es einen Eindruck der Gesellschaft vermitteln? Soll Michael dadurch in Szene gesetzt werden? Auf einmal kommt ja nur er vor, aber auch nicht richtig. Er erzählt, was er sieht und hört, auch was er ab und an denkt, aber die Gefühle fehlen mir etwas.


    Aer wenn Michael durch diese Abschnitte in Szene gesetzt werden soll, dann frage ich mich in welche? Hast Du einen Ansatz dazu im Kopf, denn die Idee finde ich nicht schlecht. Soll er damit als kindlich denkend oder naiv dargestellt werden? Ich komme in diese Szenen und ihr Zusammenhänge nicht recht hinein.

  • Aer wenn Michael durch diese Abschnitte in Szene gesetzt werden soll, dann frage ich mich in welche? Hast Du einen Ansatz dazu im Kopf, denn die Idee finde ich nicht schlecht. Soll er damit als kindlich denkend oder naiv dargestellt werden? Ich komme in diese Szenen und ihr Zusammenhänge nicht recht hinein.


    Ich dachte, ihr hättet vielleicht eine Idee dazu. :pale: Eigentlich konnte ich mit den Szenen auch nichts anfangen und das war der einzige Einfall, den man weiter verfolgen könnte.

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  • Ich dachte, ihr hättet vielleicht eine Idee dazu. Eigentlich konnte ich mit den Szenen auch nichts anfangen und das war der einzige Einfall, den man weiter verfolgen könnte.


    Puh, haben die anderen Ansätze, ich bin gerade echt ratlos, bis auf die Szene in der Kneipe eventuell. Da will er ja dem anscheinend gemobbten alten Herrn vor den anderen retten und wird dadurch zum Gespött, dass die Situation anscheinend so iniziert war. Gespiegelt auf sich könnte ich mir vorstellen will er dem ungerecht widerfahrendem Mann helfen und die Hilfe wird nicht gewollt, wie z.B. auch Hanna seine Hilfe im Prozess nicht will. Aber noch mehr habe ich dazu nicht im Kopf....

  • Vielen Dank für Deine Erklärung lieber Dixer, damit wird jetzt mit meinen wirren Gedanken ein Schuh draus für mich. Aber entspann Dich nicht, ich stelle bestimmt noch mehr Fragen...


    Das sind ja nur meine unfertigen Gedanken, keine richtigen Erklärungen. Aber schön, wenn es dir weiterhilft. Ich hoffe auf weitere Fragen... und Antworten von euch auf meine Fragen. :-,


    13

    Früher waren noch andere Zeiten, da wurden die zu vernehmenden Personen anscheinend noch vor Ort besucht und somit macht das halbe Gericht erstmal einen Betriebsausflug nach Israel mit Sightseeing, das ist doch mal was!!!


    Wenn ich das richtig weiß, war das eine Sonderregelung für Verfolgte des Nazi-Regimes, insbesondere für Juden, die sich nach 1945 in Israel angesiedelt hatten, weil man sie nicht unter den Druck setzen wollte, für die Aufarbeitung des Unrechts notwendig wieder in den "Täterstaat" einreisen und ihren ehemaligen Peinigern leibhaftig gegenüberstehen zu müssen.


    Ich denke, da wird klar, dass er sich gefühlstechnisch noch lange nicht von ihr getrennt hat


    Solange Phantasien von ihr ihn richtig anmachen: definitiv noch lange nicht!


    14

    Ja, Kapitel 14, wieder so ein Kapitel, bei dem ich genug Fragezeichen habe.


    Die beiden Episoden (Autofahrer und Holzbein) rund um den Besuch im Struthof haben bei mir auch mehr Fragezeichen aufgeworfen als dass ich irgend einen erkennbaren Zusammenhang finden hätte können. Das einzige was ich dieser Episode entnehme: Die Frage nach Tätern und Opfern der Nazi-Zeit, eventueller Schuld und Verstrickung, ist eine äußerst emotionale und provoziert heftige Reaktionen.


    15

    Beides will er nicht wirklich und auch seiner Erläuterung dazu kann man sehr gut verstehen, eine Entscheidung trifft er allerdings meiner Meinung nach nicht. Die Szene mit den Männer am Tisch und der alten Mann mit der Prothese kann ich nicht recht deuten, war das nur dämliches Kneipengehabe, oder steckt mehr dahinter?


    Ja, dieses unentschlossene Verweilen zwischen Verstehen und Verurteilen ist symptomatisch für seine komplette Gefühlswelt bezüglich Hanna, und sie ist, solange er sich nicht für eine Seite entscheidet, zum Scheitern verurteilt. Natürlich ist es - gerade als Jurist - wichtig, alles zu prüfen und abzuwägen. Aber irgendwann muss dann eben auch eine Entscheidung fallen.


    Die Szene mit den Männern lässt bei mir auch zunächst große Fragezeichen zurück.

    Irgendwie sind diese Szenen seltsam


    Gespiegelt auf sich könnte ich mir vorstellen will er dem ungerecht widerfahrendem Mann helfen und die Hilfe wird nicht gewollt, wie z.B. auch Hanna seine Hilfe im Prozess nicht will.


    Das finde ich noch eine angemessene Übertragung. Sie will seine Hilfe nicht, weil die Situation für sie nicht bedrückend ist, sie im Gegenteil auch, symbolisiert durch das Lachen, im Einklang mit dieser Situation ist.


    Im Übrigen: Ist euch aufgefallen, dass bei der Beschreibung des Konzentrationslagers im ersten Abschnitt zweimal das Wort "freundlich" erscheint? Das passt für mich überhaupt nicht zusammen. Beim ersten Mal bin ich zusammengezuckt. Beim zweiten Mal kam der Verdacht auf, dass dies Absicht sei.e


    16

    Endlich geht er zum Richter, aber außer sich die Lebensgeschichte von diesem anzuhören unternimmt er nichts.


    Da muss ich ehrlicherweise sagen: Ich war enttäuscht, dass er doch geht, aber wieder fehlt ihm am Ende der Mut, seine Gefühle nicht zwischen verschiedenen Stellungen hin- und herummäandern zu lassen, sondern den einmal eingeschlagenen Weg konsequent zu verfolgen. So kneift er wieder, was mich noch mehr enttäuscht hat.
    Trotzdem fühlt sich Michael nach dem Gespräch mit dem Richter befreit und die Last fällt von ihm ab. Das ist mir gänzlich unverständlich.


    17

    Will sie damit klarstellen, dass sie trotz ihrer Widersprüche zu ihrer Tat steht und auch immer noch hinter der Naziideologie steht? Oder will sie sich damit von den anderen vier Mitangeklagten hervorheben und zeigen, wer der Chef war? Oder hat es aus Hannas Sicht keine tieferen Hintergründe?


    Auch hier wieder ein großes Fragezeichen. Was steckt dahinter? Eine bewusste Provokation aus ideologischen Gründen schließe ich für mich aus, dafür erscheint sie mir zu naiv. Aber ob es aus anderen Gründen bewusst war oder einfach unbewusster Zufall... keine Ahnung. :cry:


    Mich betrübt das ein wenig, denn ich denke ihr geschieht irgendwie Unrecht, denn die anderen hätten die gleiche Strafe wie sie verdient.


    Mein Gerechtigkeitsempfinden ist durch das Urteil auch verletzt. Ausschließlich die bessere Verteidigungsstrategie mildert bei gleichem Tatbestand die Strafe. Das sollte nicht passieren.


    Puh, zwei Teile von drei vorbei, und ich habe immer noch Mühe, mir ein Bild von Hannas Persönlichkeit zu machen. Ich bin gespannt, ob nun Erklärungen oder gar Lösungen angeboten werden.
    Seid ihr noch im Plan oder sollen wir nach diesem zweiten Teil wieder einen Tag pausieren?

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  • Trotzdem fühlt sich Michael nach dem Gespräch mit dem Richter befreit und die Last fällt von ihm ab. Das ist mir gänzlich unverständlich.

    Das verstehe ich auch nicht. Er macht nicht mal den Ansatz einer Erklärung. Womit rechtfertigt er sein beruhigendes Gefühl? Der Richter hat so viel geredet, dass er nicht dazwischenkam?


    Puh, zwei Teile von drei vorbei, und ich habe immer noch Mühe, mir ein Bild von Hannas Persönlichkeit zu machen. Ich bin gespannt, ob nun Erklärungen oder gar Lösungen angeboten werden.

    Geht mir genauso: Im ersten Teil wirkte sie unnahbar, wobei ihr seltsames Verhalten im Nachhinein ihrem Scham erklärt wird. Im zweiten Teil dagegen ist sie mir befremdlich geworden. Ihre Vergangenheit, auch wenn sie nicht alleine schuldig ist, ist für mich nicht zu verzeihen. Michael erwähnt einmal, dass sie sich nur bei Siemens gemeldet habe, um ihr Geheimnis zu bewahren, aber als Tausch dafür Menschen in den Tod schicken? Die Erklärung macht es für mich nicht besser.

    Seid ihr noch im Plan oder sollen wir nach diesem zweiten Teil wieder einen Tag pausieren?

    Lesen schaffe ich, schreiben nur vielleicht. Wir können aber gerne.

    "All we have to decide is what to do with the time that is given to us."

  • Teil III Kapitel 1-4


    1
    Die Zeit nach dem Prozeß betäubt er sich mit seinem Studium und riskiert bei einem Skiurlaub Kopf und Kragen, und zwar ganz bewußt. Ich denke er tut das um festzustellen, ob der körperliche Schmerz ihn über seinen Schmerz um Hanna bringen kann und ob er noch in der Lage ist nach der langen Betäubung durch den Prozeß etwas zu fühlen.
    2
    Michael heiratet Gertrud, als diese ein Kind von ihm erwartet, aber es fühlt sich für ihn alles nicht richtig an, denn Gertrud ist nicht Hanna und er spricht zwar bei seiner Liebe zu Hanna immer in der Vergangenheit, aber die Liebe zu Hanna ist immer noch da, sonst würde er sein Zusammensein mit Gertrud ja nicht mit dem Zusammensein mit Hanna vergleichen. Als er sich scheiden läßt spricht er aber nicht davon, dass er seine Frau, gedanklich mit Hanna betrogen hat, sondern er spricht nur davon, dass sie ihre Tochter betrogen haben. Schade finde ich, dass er bei der Liebe zu seiner Tochter Julia nicht merkt, dass es eine reinere Liebe gibt, als die zu Hanna.
    3
    Als der Professor seines Seminars stirbt, geht er zur Beerdigung und trifft eiene Mitstudenten wieder, der ihn ganz offen fragt was zwischen Hanna und ihm gelaufen ist, aber Michael hat noch nicht mal jetzt den Mumm zu sagen, was damals war. Er verleugnet Hanna wieder und haut ab, ohne eine Antwort auf die Frage zu geben.
    4
    Er kann sichnicht entscheiden, was er mit seinem fertigen Studium anfangen soll und findet die Lücke des Rechtshistorikers, denn er will nicht wie Hannas Anwälte oder gar wie der Richter werden.

  • Hallo zusammen,
    da morgen der Umzug eines Freundes ansteht und ich das Buch gestern beendet habe, werde ich hier jetzt die letzten Kapitel zusammenfassen.


    Teil III Kapitel 5 - Ende


    Hanna dominiert noch immer Michaels Gedankenwelt und so liest er für sie auf Kasetten, die er ihr ins Gefängnis schickt. Ich finde diese Geste sehr schön, denn er zeigt ihr und auch dem Leser, dass es ihm und auch Hanna um das Vorlesen ging und auch weiterhin geht. Nach achtzehn Jahren wird Hannas Gnadengesuch stattgegeben und sie soll aus dem Gefängnis entlassen werden. Die Gefängnisdirektorin nimmt zu Michael Kontakt auf, da er der einzige Mensch ist, mit dem sie Kontakt hatte. Michael koordiniert und kümmert sich um alles was Hanna laut der Gefängnisdirektorin nach ihrer Entlassung braucht. Er kümmert sich um Job und Wohnung, aber er ist nicht in der Lage sie zu besuchen. Hanna antwortet auf seine Kasetten mit Nachrichten, woran er sieht, dass sie mit ihm und durch ihn das Lesen und auch schreiben lernt. Aber er antwortet ihr nie persönlich darauf, er wahrt noch immer die Distanz zwischen ihnen.
    Als er sie dann doch besucht, sieht er eine alte Frau vor sich, Hanna hat sich gehen lassen und duftet nicht mehr so wie damals, alles an ihr ist eine alte Frau geworden, aber ihre Stimme ist jung geblieben. Laut Michael selber hat er Hanna eine Nische, aber keinen Platz in seinem Leben gegeben, das sehe ich allerdings anders, denn sie war immer ein Teil von ihm.
    Hanna nimmt sich das Leben noch bevor sie aus dem Gefängnis entlassen wird. Michael ist schwer bestürzt und kämpft im Beisein der Gefängnisdirektorin gegen seine Tränen an. Der Verlust eines geliebten Menschen ist immer schwer, aber für ihn wird es schwerer, da er die Bilder zwischen der jungen Hanna und der alten Frau in Einklang bringen muss. Geliebt hat er sie immer, aber idealisiert hat er die junge Hanna. Hanna vermacht ihm Geld, dass er der Überlebenden Tochter aus dem Prozeß bringen soll, und das tut er auch.
    Diese Frau denkt Hanna möchte sich durch das Geld Absolution kaufen, aber Michael steht für Hanna ein und bittet um Anerkennung für sie. Die Frau fragt ihn nach ihrem Verhältnis zueinander und plötzlich, zum ersten Mal spricht er von ihrer Beziehung. Das Geld wird an eine jüdische Vereinigung gespendet und er besucht Hannas Grab nur einmal. War er nicht bei der Beerdigung?

  • Tut mir leid, mir ist unvorhergesehen meine Terminplanung über den Haufen geworfen worden, so dass ich die letzten beiden Tage hier nicht posten konnte. Ich bin aber vom Lesepensum im Plan, habe heute also bis III, 8 gelesen und werde das Buch morgen beenden. Über das bereits gelesene werde ich gleich noch nachposten. Sorry! :uups:

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  • Und dann ist der Laptop abgestürzt... :pale:
    Also erst heute, aber dafür das große Paket, ganzer Teil III.


    Ihre Vergangenheit, auch wenn sie nicht alleine schuldig ist, ist für mich nicht zu verzeihen. Michael erwähnt einmal, dass sie sich nur bei Siemens gemeldet habe, um ihr Geheimnis zu bewahren, aber als Tausch dafür Menschen in den Tod schicken?


    Das ist wirklich unerklärlich und auch nicht zu verzeihen. Ich hatte gehofft, zumindest mehr von Hanna zu verstehen, aber auch das fällt mir schwer. Die Distanz bleibt auch im dritten Teil. Irgendwie geht es im ganzen Buch zwar um Hanna, aber so richtig greifbar wird sie nie. Allerdings kann das natürlich an der Erzählperspektive liegen und einfach Zeichen dafür sein, dass Michael auch zutiefst verunsichert ist, seine verschiedenen Erfahrungen mit, Erkenntnisse über und Emotionen für Hanna nicht zusammen bringt. Unbefriedigend ist es trotzdem, auch wenn ich dem Schlusskapitel recht geben kann: "stimmig" ist es so, zumindest für mich.


    1

    Ich denke er tut das um festzustellen, ob der körperliche Schmerz ihn über seinen Schmerz um Hanna bringen kann und ob er noch in der Lage ist nach der langen Betäubung durch den Prozeß etwas zu fühlen.


    Er schreibt ja auch ausdrücklich, dass danach dann die Betäubung überwunden war. Insofern sehe ich das auch so.
    Wichtig erscheint mir in diesem Kapitel noch seine Bemerkung zur 68er-Generation. Für ihn ist durch die Prozessbeobachtung das Thema Vergangenheitsbewältigung schon "weiter", so dass er die pauschalen Verurteilungen der Elterngeneration durch viele Studenten nicht mehr teilen kann. Er sieht das nun deutlich differenzierter, sieht, dass die Schuld gerade seiner Familie und auch vieler anderer Familien blass und zu vernachlässigen ist gegenüber der Schuld, die Hanna auf sich geladen hat, die er also eigentlich moralisch verurteilen will und müsste, was er aber emotional nicht schafft.


    2

    Schade finde ich, dass er bei der Liebe zu seiner Tochter Julia nicht merkt, dass es eine reinere Liebe gibt, als die zu Hanna.


    Nach diesem Kapitel war ich sehr frustriert. Das ist für Michael also die Geschichte seiner Ehe und seiner Familie, gerade mal ein knappes Kapitel, und damit ist alles erzählt? Warum ist es ihm nie gelungen, wie andere seine erste Liebe als Erfahrung abzulegen, und sich neu auf Liebe, womöglich ganz andere Qualitäten von Liebe einzulassen? Für mich scheint da etwas von Hannas emotionaler Armut auf ihn abgefärbt zu haben und seine Liebesfähigkeit verkümmert zu sein. Oder wie seht ihr das?


    3

    Er verleugnet Hanna wieder und haut ab, ohne eine Antwort auf die Frage zu geben.


    Interessant fand ich hier vor allem, dass offenbar jeder der Studenten aus dem KZ-Seminar bemerkt hatte, dass zwischen Hanna und Michael eine besondere Beziehung bestand, ohne dass dieser sich dessen bewusst war.
    Wieder läuft er davon, und mein Eindruck ist: in die Vergangenheit hinein. Er flüchtet in die Vergangenheit, in die Erinnerung an eine Zeit, als das Aufspringen auf Straßenbahnen noch möglich war, als Schaffnerinnen mitfuhren, als Hanna Schaffnerin war. In dieser Erwähnung des anachronistischen Neben-der-Bahn-Herrennens-als-könne-man-immer-noch-Aufspringen steckt für mich die Flucht in die Vergangenheit der Rechtsgeschichte, wie sie dann im folgenden Kapitel berichtet wird, schon vorgeformt und angedeutet.


    4

    findet die Lücke des Rechtshistorikers


    Dass Michael nach den Erfahrungen des Kriegsverbrecher-Prozesses Zweifel hegt an der Gerechtigkeit, die durch Ankläger, Verteidiger oder Richter gefunden werden, kann ich gut nachvollziehen. Dass es ihn so lähmt nicht. Eigentlich wären das, so finde ich, perfekte Voraussetzungen, um einen dieser Berufe zu ergreifen, allen Anfängern aber bereits einen wichtigen Erfahrungswert voraus zu sein, nämlich begriffen zu haben, dass es ein objektives Urteil nie geben kann, weil man immer nur aus seiner eigenen subjektiven und ausschnittsweisen Wahrnehmung heraus handeln kann.
    Er flüchtet also in die Geschichte, zumal die Rechtsgeschichte des Dritten Reiches. Na danke, ich hätte gedacht, davon hat er jetzt genug.
    Er entwickelt eine zyklische Geschichtsauffassung, dass das Ziel der Entwicklung auch in der Rechtsgeschichte sei, wieder am Ausgangspunkt anzulangen, um sich aufs Neue zu wandeln und aufzubrechen. Ich hoffe nicht, er meint damit, das Dritte Reich wird wiederkehren...


    5

    Ich finde diese Geste sehr schön, denn er zeigt ihr und auch dem Leser, dass es ihm und auch Hanna um das Vorlesen ging und auch weiterhin geht.


    Ja, das hat etwas sehr Anrührendes.


    6

    Hanna antwortet auf seine Kasetten mit Nachrichten, woran er sieht, dass sie mit ihm und durch ihn das Lesen und auch schreiben lernt. Aber er antwortet ihr nie persönlich darauf, er wahrt noch immer die Distanz zwischen ihnen.


    Wenn ich es richtig verstanden habe, begreift er die Zusammenhänge, dass sie mit und durch ihn und seine Kassetten lesen und schreiben lernt, erst in ihrer Zelle nach ihrem Tod. Zu diesem Zeitpunkt merkt er nur, dass sie lesen und schreiben gelernt hat, was ihn verständlicherweise in Freude versetzt.
    Dass er ihr daraufhin nicht unmittelbar, ja sogar niemals, schriftlich antwortet, verstehe ich überhaupt nicht. Wenn ich an vielen anderen Stellen, wo er sich ihr gegenüber schuldig fühlt oder gefühlt hat, nicht überzeugt bin, dass er wirklich Schuld auf sich geladen hat: Hier hätte er meiner Meinung nach anders handeln sollen und müssen. Das ist der Moment, wo er Hanna in eine "Nische" verbannt, wie er es in Kapitel 8 nennt.


    7

    Die Gefängnisdirektorin nimmt zu Michael Kontakt auf, da er der einzige Mensch ist, mit dem sie Kontakt hatte.


    An dieser Stelle hatte ich - unabhängig von jeder unverzeihlichen Schuld - wirklich Mitleid mit Hanna. Offenbar lebt sie also wirklich seit Jahren, Jahrzehnten vollständig ohne persönliche Beziehungen. Mag sein, dass dies durch ihre Art verschuldet ist; mag sein, gerade umgekehrt ist ihre Persönlichkeit durch diesen Mangel an Nähe und Emotion geprägt worden. Auf jeden Fall wünsche ich das niemandem.
    Michael bringt diese Erkenntnis, dass er Hannas einziger Kontakt ist, auch durcheinander. Aber er glaubt offenbar, dem trotzdem aus dem Weg gehen zu können, indem er zwar oberflächlich alles regelt, sich aber nicht einer direkten Kontaktaufnahme stellt.


    8

    Laut Michael selber hat er Hanna eine Nische, aber keinen Platz in seinem Leben gegeben, das sehe ich allerdings anders, denn sie war immer ein Teil von ihm.


    Klar war sie immer ein Teil von ihm, aber ich habe schon den Eindruck, dass er sehr darauf bedacht war, diesen Teil zwar als "seine große Verletzung" lebendig zu halten und zu pflegen, ihm gleichzeitig aber nicht zu viel Platz zu geben, schon gar keinen Freiraum, um sich weiterzuentwickeln, Hanna selbst auf Distanz zu halten. Ich kann das Bild von der Nische sehr gut nachvollziehen.


    9
    Michael macht sich in der Woche zwischen seinem Besuch bei Hanna und ihrer Entlassung selbst Stress, um nicht über das Treffen im Gefängnis nachdenken zu müssen. Einen Tag vor ihrer Entlassung telefonieren sie. Sie stellt dabei fest, dass er immer noch eher plant als spontan ist. Er stellt fest, dass ihre Stimme immer noch - anders als ihr Aussehen - jung wirkt.


    10

    Hanna nimmt sich das Leben noch bevor sie aus dem Gefängnis entlassen wird.


    Das hat mich beim Lesen kalt erwischt. Für mich war das vorher nicht absehbar. Warum stellt eine Gefangene ein Gnadengesuch, wenn sie dann den Gang in die Freiheit doch nicht antreten möchte?
    War es, wie ihre letzte Bemerkung am Telefon über Michaels Charakter in Abgrenzung zu ihrem andeuten könnte, eine nicht geplante, sondern spontane Tat? Ist bei Michaels Besuch im Gefängnis so viel falsch gelaufen, dass hier Gründe für ihren Entschluss zu finden sind? Ist es eine langjährige Enttäuschung über Michaels Distanz? Oder doch eine späte Folge der sie verfolgenden Schuld? Es gibt keinerlei Hinweis, und ich habe keine Ahnung, wie ich das einordnen soll.
    Auffällig finde ich, dass beider Lektüre um unterschiedliche Aspekte von Hannas Vergangenheit kreisen. Während wir von Michael schon früher erfahren haben, dass er alles zum Thema Analphabetismus gelesen hat, findet sich in Hannas Zelle eine kleine Fachbücherei zu NS-Verbrechen und Konzentrationslagern.


    11

    Diese Frau denkt Hanna möchte sich durch das Geld Absolution kaufen, aber Michael steht für Hanna ein und bittet um Anerkennung für sie.


    Auch hier muss ich sagen: Ich kann die Frau gut verstehen. Keine Summe wird das aufwiegen können, was Verfolgten des Nazi-Regimes widerfahren ist. Geld von einer Täterin annehmen kann sich dann anfühlen, wie wenn diese sich dadurch von ihrer Schuld loskaufen möchte, auch wenn es gar nicht so gemeint war. Die gefundene Regelung scheint mir da ein guter Kompromiss zu sein.
    Michaels Einstehen für Hanna, die Erzählung seiner ganzen Geschichte mit Hanna: Hier endlich kann er sich ganz seiner Vergangenheit stellen. Was denkt ihr, liegt das an seiner Gesprächspartnerin oder daran, dass Hanna nun tot ist?


    12

    War er nicht bei der Beerdigung?


    Das hat mich auch irritiert. Ich hätte mir erhofft, dass er nach ihrem Tod wenigstens ein "gesundes" Verhältnis zu Hanna entwickelt und ihr den Raum einräumt, den sie latent in seinem Leben immer eingenommen, den er ihr aber nie zugestanden hat. Besuch der Beerdigung, regelmäßige Besuche am Grab... Dass sich das Thema Hanna für ihn komplett erledigt hat, nehme ich ihm nicht ab. Sonst hätte er nicht mit zehn Jahren Abstand noch ihre gemeinsame Geschichte niedergeschrieben, auch wenn der Entschluss dazu direkt nach ihrem Tod gefasst wurde.
    Michael endet die Geschichte als bestimmende Geschichte seines Lebens, die für ihn nun stimmig zum Abschluss gekommen ist.


    Alles in allem: zentral erscheint für mich immer wieder die Frage nach der Schuld, sowohl im politisch-juristischen Sinne (Hannas Verbrechen während der Nazi-Zeit) als auch im persönlich-moralischen Sinne (Verlauf der Beziehung und Trennung) und deren gegenseitige Beeinflussung. Das finde ich gekonnt verschränkt. Auch wenn manche Leerstellen in der Charakterzeichnung bleiben, bin ich so doch insgesamt ziemlich zufrieden mit dem Buch. Wie sich das in Sternen quantifizieren lässt, möchte ich noch ein wenig überdenken.
    Zum Nachdenken regt das Buch mich auf jeden Fall an. Die Thematik werde ich sicherlich noch eine Weile im Kopf bewegen. Ich habe mich nun auch entschlossen, nach dem Buch in zwei Interpretationshilfen für Schüler dazu hineinzuschauen. Wenn ich dort erhellende Erläuterungen finde und es euch noch interessiert, werde ich das gerne hier posten.


    Vor allem interessieren mich aber noch eure Meinung, Kommentare, Antworten und Fragen.

    :study: Hoffmann, E. T. A.: Das Fräulein von Scuderi

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    "Lasse, Bosse und Ole saßen neben Fräulein Lundgrens Bücherregal und lasen die ganze Zeit,
    denn Jungen tun ja nie etwas Nützliches."
    (Lindgren, Astrid: Wir Kinder aus Bullerbü, S. 91)

  • Ich habe dieses Wochenende ein Blockseminar, deshalb bin ich bisher nicht zum posten gekommen, aber im Großen und Ganzen habt ihr alles geschrieben, was mir auffiel. Die Anmerkung, dass beide - Michael und Hanna - sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, wo sie "versagt" haben, finde ich sehr interessant. Danke @Sympathie-Dixer, das wär mir nicht aufgefallen.
    Ich habe im Zitate-Thread übrigens drei aus den letzten 5 oder 6 Kapiteln gepostet, falls ihr es noch nicht gesehen habt.


    Mir hat das Buch recht gut gefallen, auch wenn ich weder Hanna noch Michael wirklich verstehen konnte. Letzterer bietet zwar irgendwann in den letzten Kapiteln eine Art Erklärung, aber eigentlich stellt sich die ganze Zeit nur die Frage, warum er nicht anders handelt.
    Die Hauptintention habe ich auch noch nicht gefunden. Dafür stimmt die Geschichte im Nachhinein sehr traurig, denn ein paar Monate eines 15jährigen bestimmen sein ganzes Leben. Und wer ist Schuld daran?

    "All we have to decide is what to do with the time that is given to us."