Ulrich Raulff - Wiedersehen mit den Siebzigern: Die wilden Jahre des Lesens

  • Der Inhalt:
    Geschichten von der letzten Printtankstelle vor der Datenautobahn: Mit Witz und Charme besichtigt Ulrich Raulff die Epoche der 70er-Jahre und gewinnt diesem theoriebesessenen und anarchielustigen Jahrzehnt Erkenntnisse ab, die es freiwillig nicht preisgeben wollte: ein kleines Porträt der »Generation Theorie«.
    Die 70er-Jahre begannen in den USA am 18. August 1969 in Woodstock, sie führten über Vietnam nach Europa und endeten mit dem Tod Michel Foucaults am 25. Juni 1984 in Paris: Ulrich Raulff, nimmt jung, belesen, unerfahren in Marburg Abschied von den unergiebigen Auseinandersetzungen um Theorien und Revolutionen, die nie stattfinden sollten. Wenige Jahre nach dem Tod Adornos wechselt er als »Flakhelfer der 68er« nach Paris und findet intellektuell und existenziell zu sich selbst. Nachdenklich und ironisch erkundet er die 70er-Jahre und eine ganze Generation, die sich, auf der Flucht vor den Ideologien des 20. Jahrhunderts, mit unbändiger »Lust am Lesen« dem Strukturalismus in die Arme warf. In atmosphärisch dichten Beschreibungen schildert er seine Begegnungen mit Foucault, Roland Barthes und anderen Heroen und Schurken jener Zeit. [Quelle: Verlag]


    Der Autor:
    Prof. Dr. Ulrich Raulff, geboren 1950, Studium der Philosophie und Geschichte. Promotion in Marburg 1977. Habilitation an der Humboldt-Universität Berlin 1995. Seit 1994 Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; seit 1997 Feuilletonchef. Seit 2001 Leitender Redakteur im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Im Sommer 1996 Fellow des Getty Research Institute in Santa Monica (USA), im Winter 2003/2004 Fellow des Wissenschaftskollegs in Berlin. Seit November 2004 Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach und seit November 2005 Mitglied im Präsidium des Goethe-Instituts. Träger des Anna-Krüger-Preis des Wissenschaftskollegs in Berlin für wissenschaftliche Prosa (1996), des Hans-Reimer-Preis der Aby-Warburg-Stiftung in Hamburg (1997) und des Preises der Leipziger Buchmesse 2010 für Kreis ohne Meister. Stefan Georges Nachleben (Sachbuch). [Quelle: Verlag Klett-Cotta]


    Das Buch:
    Da ich immer schon wissen wollte, wie es bei den studierenden Geisteswissenschaftlern zuging, und was so alles hinter den romantischen Fassaden der deutschen Universitätsstädte geschah, hat dieses Buch einen Teil meiner Neugier befriedigt. Hier geht es bewusst ums name dropping, um persönliche Anekdoten von Ulrich Raulff mit diesen Intellektuellen in den 1970er Jahren, aber auch dem Jahrmarkt der Eitelkeiten der Älteren.


    Ulrich Raulffs Marburger Studienjahre werden zu Wanderjahren, deren Stationen Paris, London, Berlin heissen. Die Vordenker sind nicht mehr Max Weber, Sigmund Freud, Oswald Spengler, Th. W. Adorno, sie nennen sich nunmehr Michel Foucault, Gilles Deleuze, Roland Barthes, Georges Duby, Jacques Le Goff, Jacques Derrida, Pierre Bourdieu. Wer eine vielfältige Kultur schätzte, die nicht bereits auf den Markt schielte, kam in den 70ern nicht umhin zu sagen: «Vive la France!»


    Angelpunkt dieses Geisteslebens ist das Buch:

    Zitat

    Ich las wie ein Kind meiner Zeit, Zeitschriften, Fotokopien, Taschenbücher, bedrucktes Papier in jeder Form und Stärke. Es gab noch keine »neuen Medien«. Pausenlos waren wir in den alten unterwegs. Der Stopp an der letzten Printtankstelle vor der datenautobahn zog sich in die Länge.


    Die Biotope dieses emporstrebenden Geisteslebens sind die Bibliotheken – die Pariser Bibliothèque Nationale, jene der Sorbonne, Sainte-Geneviève am Place du Panthéon, die Bibliothèque Fornay im Hotel des Sens – alle werden sie treffend skizziert. Glänzend die Schilderung Ulrich Raulffs stundenlangen Stöberns:

    Zitat

    Auch in der Bibliothèque Fourney hatte man Zugang zu den Bücherregalen, konnte man stöbern und sich immer weiter verlieren, im Vertrauen auf das Gesetz der guten Nachbarschaft, demzufolge das richtige Buch immer das Buch daneben ist.


    Alles in Allem ist das Buch über Die wilden Jahre des Lesens eine Sammlung an Miniaturen, Kleinoden der Erinnerung, als Lesen und Leben dem Studium gleichkamen, Lesen als Leben galt. Es macht Freude der Causerie über die geistige Entwicklung eines heutigen Intellektuellen zu folgen, eben der Generation, die nicht mehr zu den 68ern gehört, und die demnächst - halt morgen schon - in Pension geschickt wird. Eine vergnügliche Lektüre!