Boris Akunin - Fandorin / Azazel

  • Ich habe einen interessanten jungen Mann kennengelernt, den ich euch hier vorstellen möchte: Es ist Erast Fandorin, Anfang 20, lebt in Moskau im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts.


    Aus Amazon kopiert:
    Was bringt einen jungen begabten Studenten des Rechts aus bestem Hause dazu, sich in einem öffentlichen Park Moskaus inmitten von Spaziergängern zu erschießen? Für den Chef der zuständigen Kriminalabteilung der Moskauer Polizei ist der Fall klar: Eine fatale Mischung von Dekadenz, Langeweile und grundlegender Orientierungslosigkeit haben den armen Studiosus erst auf die schiefe Bahn und dann um den Verstand gebracht. Doch sein jüngster Untergebener, Erast Fandorin, eigentlich nur als Protokollant dem Bürodienst zugeteilt, gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden -- zu Recht, denn der tragische Selbstmord bleibt kein Einzelfall.
    Gesegnet mit einem wachen Verstand und einer gehörigen Portion Mut und Mutterwitz stellt Fandorin seine eigenen Ermittlungen an und stößt schon bald auf viele ungelöste Fragen, die einigermaßen beunruhigend sind. Warum haben alle Opfer ihr Vermögen einer dubiosen Stiftung für Waisenkinder hinterlassen? Und was hat die ebenso schöne wie geheimnisvolle Amalia alias Kleopatra damit zu tun, in deren Salon die männliche Jeunesse dorée Moskaus sich tödlichen Spielen hingibt? Fandorins waghalsige Untersuchungen bringen ihn nicht nur immer wieder in Gefahr, sie führen ihn schließlich quer durch Europa auf die Spur einer weltumfassenden Verschwörung.


    Krimi-Couch sagt dazu:
    Dabei erzählt Boris Akunin aus einer fast väterlichen, liebevollen Perspektive. Immer etwas verschmitzt, weit genug vom Geschehen, um sich als Leser ein eigenes Bild zu machen, nah genug, um den jungen Russen bei seinen Abenteuern lieb zu gewinnen. Dass Akunin seinen Protagonisten mag, schlägt sich auch in der Handlung nieder: Einer Katze mit neun Leben gleich, schafft es Fandorin immer wieder, den Kopf im wahrsten Sinne des Wortes aus der Schlinge zu ziehen. Messerattacke, russisches Roulette, verschnürt in die Themse geworfen, Bombenexplosionen. Der Detektiv ist ein Steh-auf-Männchen.
    Somit gibt Akunin seiner Story durchaus einen Hauch von Action. Jedoch: Akunins Erstling um Erast Fandorin ist kein Krimi, der einem die Haare zu Berge stehen lässt. Auch ein Vergleich mit dem britischen Meisterdetektiv Sherlock Holmes, wie ihn so manche Kritiker gezogen haben, hinkt. Fandorin fehlt die Genialität seines Kollegen von der Insel. Er ist sicherlich bemüht, beeindruckt jedoch nicht durch brilliante Gedankengänge. Auch sucht der Leser das Schaurige, das Mysteriöse, das Unvorhersehbare vergebens.


    Es machte mir Spaß, den Krimi zu lesen, wenn ich auch nicht in den lauten Jubel der meisten Kritiker ausgebrochen bin. Gefallen haben mir die "russische Atmosphäre", der Aufbau der Geschichte und die Art, wie Fandorin sich von Erkenntnis zu Erkennis durchbeißt und der Verschwörung auf die Schliche kommt. Probleme hatte ich mit Fandorins ständigem Entkommen aus den unmöglichsten Gefahren; Assoziationen zu James Bond (dem Fandorin ansonsten überhaupt nicht ähnelt) kamen auf. Auch die Weltverschwörungstheorie tut ihr übriges dazu.
    Der Schluss ist ein absoluter Schock!!!


    Insgesamt hat das Buch mich neugierig auf die weiteren Bände gemacht.


    Marie

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • :lechz: Ich bin durch Zufall über Fandorin gestolpert - und bin ausgesprochen glücklich über diesen Fund!
    Innerhalb von zwei Tagen hatte ich das Buch durch. Der Autor versteht es, Spannung aufzubauen und dem Leser Fandorin, den Jungspunt, der noch etwas grün hinter den Ohren ist, näher zu bringen. Man steht direkt neben ihm, wenn er im Laufe der Geschichte an seinen Aufgaben wächst, das Leben, Liebe und Intrigen kennen lernt.
    Der Schreibstil ist m.E. doch ziemlich typisch für einen russischen Autor - fesselnd, poetisch, schön!
    Ich freue mich auf die nächsten Folgen und weitere Geschichten mit Fandorin, den Nachwuchskriminalisten, der nicht makellos ist und den die kleinen Fehler äußerst sympathisch machen!

  • Ich habe vor mehren Jahren schon ein paar spätere Bände der Reihe gelesen, den ersten aber nie. Nachdem es nun die eBook Version für wenige Geld gibt, habe ich zugeschlagen... :wink:


    Moskau, 1876: Mitten in einem belebten Park, vor den entsetzten Augen einer jungen Frau, erschießt sich ein Student.
    Erast Fandorin ist der der Kriminalpolizei in Moskau noch ein richtiger Grünschnabel. Doch das sich ein Student aus reichem Elternhaus einfach so erschießt, daran glaubt er nicht. Großzügig erteilt ihm sein etwas schwer fälliger Vorgesetzter die Erlaubnis zu eigenen Ermittlungen. Und so darf der unerfahrene Schriftführer durch Moskau laufen (für eine Kutsche fehlt ihm das Geld) und befragt diverse Persönlichkeiten.


    Wie sich der Fall entwickelt ist schon ziemlich abstrus, tut aber dem Krimivergnügen keinen Abbruch. Am Anfang beginnt die Handlung noch etwas schleppend, doch das ändert sich bald. Der Schreibstil ist wunderbar. Sehr flüssig, leicht und immer mit einem Augenzwinkern geschrieben. Vor allem aber haben mir die Beschreibungen des Moskau um 1876 sehr gut gefallen, ich hatte die Stadt lebhaft vor Augen.


    Erast Fandorin ist verarmt und er schämt sich auch dafür, das er sich nicht so viel leisten kann wie andere. Verbittert ist er deshalb aber nicht, obwohl er doch allen Grund dazu gehabt hätte. Denn schließlich ist das Vermögen nur weg, weil sein Vater nicht von den Spielkarten lassen konnte. In mancher Hinsicht ist er naiv und man merkt daran, wie jung er noch ist. So lässt er sich am Anfang auch von der Werbung begeistern und gibt fast ein ganzes Monatsgehalt für ein Korsett aus, das einiges verspricht:


    Zitat


    Neues aus Amerika: Das Korsett
    LORD BYRON
    aus festem Fischbein -
    für Männer, die schlank sein wollen.
    Schmale Taille, breite Schultern! (S. 12)


    Gleichzeitig erinnert seine Kombinationsgabe ein bisschen an Sherlock Holmes. Nur ohne die Geige, Kokain und Watson. ;)


    Fazit: Historischer Krimi aus Russland; zuerst etwas zäh, doch das ändert sich schnell. Alles in allen ein gelungener Auftakt für eine Serie.

  • Ich war ja von diesem ersten Band etwas enttäuscht. Allerdings bei weitem nicht so sehr, dass ich der gesamten Reihe keine Chance geben werde. Ich fand, dass der Roman erstaunlich wenig Zeit- und Lokalkolorit enthält für einen Thriller, der im Russland des 19. Jahrhunderts spielt. Zu historischen Romanen, die in bestimmten Kulturkreisen spielen, greift man als Leser ja wohl, wenn man Lust auf die Schilderung landestypischer Örtlichkeiten, kultureller Sitten und gewissermaßen auf "antiquierte" Begebenheiten und entsprechende dramatische Handlungen hat, für die Ort und Zeit mit Bedacht gewählt wurden, weil die Geschichte sich nur oder am besten vor diesem Hintergrund erzählen lässt. Jedenfalls griff ich aus diesem Grund zu diesem historischen Kriminalroman - und war dann wie gesagt, etwas enttäuscht.


    Der Roman folgt einer einer zwar simplen, wenn auch im Grunde erfolgreichen, doch wenig abwechslungsreichen Spannungsdramaturgie (mir geht es da ähnlich wie @Marie): Der Held gerät andauernd in äußerst ausweglose Cliffhanger-Situationen. Ich musste das eine oder andere mal an trashige Kino-Serials der 1930er-Jahre denken, denen ich allerdings viel abgewinnen kann. Dennoch führten mich auch diese kulturell-narrativen Verweise etwas weg vom 19. Jahrhundert, hin zu Bulldog Drummond, Charlie Chan oder Mr. Moto.


    Die Geschichte wird eher ruhig (man könnte auch sagen: behäbig) erzählt, dabei aber freundlich und interessant genug aufbereitet zum Dranbleiben. Insgesamt fällt dieser erste Teil der Thriller-Reihe um Erast Fandorin (der gerne - zuerst wahrscheinlich vom Verlagsmarketing - als russischer James Bond bezeichnet wird) vor allem inhaltlich, trotz viel versprechendem Ausgangskniff, eher wenig ins Gewicht. Aber erste Teile von Krimireihen haben es ja oft schwer. Ich bin allen Einwänden zum Trotz gespannt auf die Nachfolgeromane.


    Nur gute :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: Sterne.

    White "Die Erkundung von Selborne" (103/397)

    Everett "God's Country" (126/223)


    :king: Jahresbeste: Gray (2024), Brookner (2023), Mizielińsky (2022), Lorenzen (2021), Jansson (2020), Lieberman (2019), Ferris (2018), Cather (2017), Tomine (2016), Raymond (2015)

    :study: Gelesen: 55 (2024), 138 (2023), 157 (2022), 185 (2021), 161 (2020), 127 (2019), 145 (2018), 119 (2017), 180 (2016), 156 (2015)70/365)
    O:-) Letzter Kauf: Martinson "Schwärmer und Schnaken" (15.04.)

  • Mario

    Hat den Titel des Themas von „Boris Akunin - Fandorin / Azazel / Азазель“ zu „Boris Akunin - Fandorin / Azazel“ geändert.