Michael Köhlmeier- Zwei Herren am Strand

  • „Mein Vater war als Kind Chaplin und Churchill begegnet, beiden in unserer kleinen Stadt, beiden zur gleichen Zeit; sie waren auf ihn aufmerksam geworden, hatten sich mit ihm abgegeben und hatten ihn gelobt.“

    Sein ganzes Leben lang wird der Vater von Michael Köhlmeier sein Interesse und seine Begeisterung für Winston Churchill nicht verlieren. Er wird Englisch lernen um Churchills Biografie des 1. Duke of Marlborough zu lesen, für die dieser den Nobelpries für Literatur erhielt.
    Und irgendwann wird er, früh verwitwet, eine eigene Biographie über Winston Churchill zu schreiben beginnen. Als Köhlmeiers Vater 1974 an einem Symposion zum 100 Geburtstag Churchill teilnimmt, lernt er William Knott kennen – „The very private Private Secretary to a very prime Prime Minister“- und beginnt in der Folge mit Knott eine zehn Jahre anhaltende Brieffreundschaft, die bis zum Tod Knotts hielt und insgesamt über 1000 Seiten umfasst.

    Selbst lange Jahre als Clown neben seinem früheren Hauptberuf als Lehrer in einem Gymnasium insbesondere an Wochenenden tätig, entwickelte Michael Köhlmeier ein intensives Interesse an der Person und der Arbeit Charlie Chaplins und durch die Arbeit seines Vaters auch an dessen ungewöhnlicher Freundschaft zu Winston Churchill.
    Ich nehme an, dass der nun vorliegende Roman über diese Freundschaft zweier berühmter Männer im Kopf von Köhlmeier schon in dem Augenblick Gestalt annahm, als er die gesammelte Dokumente der Brieffreundschaft seines Vaters mit William Knott gelesen hatte, nachdem sie ihm nach dessen Tod in die Hände gefallen waren

    Nun, 2014, hat er die Idee umgesetzt und einen faszinierenden Roman geschrieben. Zwei berühmte Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, freunden sich an und versprechen sich bei einem langen Spaziergang am Strand, immer für einander da zu sein, wenn der schwarze Hund nach ihnen schnappt. Den schwarzen Hund kannten sie beide. Immer wieder hatte sowohl Chaplin als auch Churchill mit Phasen schlimmer Melancholie und Depression zu kämpfen.

    Michael Köhlmeier beschreibt in seinem Roman nicht nur die Phasen dieser Freundschaft bis zu ihrem Höhepunkt, als Chaplin in London an seinem Film „Der große Diktator“ zu verzweifeln droht, Churchills mutiger Kampf gegen Hitler durch eine schwere Depression bedroht ist, und sie beide sich zum wiederholten Mal gegenseitig vom schwarzen Hund retten.

    Nein, er schildert auch das Leben und das Schaffen beider Männer von den zwanziger Jahren bis zum Höhepunkt des Zweiten Weltkriegs. Mit einer wunderbaren und mit viel Phantasie ausgestatteten Sprache spannt Köhlmeier einen Bogen über das 20. Jahrhundert. In der Geschichte des ungleichen Paares Chaplin und Churchill und ihrer immer wieder bedrohten Freundschaft entwickelt er die Geschichte des 20.Jahrhunderts zwischen Kunst und Politik, zwischen genialer Komik und schrecklichem Ernst.

    Es ist ein Roman, den man nicht mehr aus der Hand legen möchte, ein Roman, der handelt von zwei Männern, deren Größe und Tatkraft, deren Mut und Durchhaltevermögen, deren Kreativität und Hybris (ja, die kommt auch nicht zu kurz) man erst spät zu würdigen wusste. Er ist eine gelungene Mischung zwischen einer Doppelbiografie, einer Filmgeschichte und einer literarischen Dokumentation einer der zentralen Phasen des 20.Jahrhunderts. Zwei Männer, der Künstler und der Politiker, kämpfen mit ihren je eigenen Mitteln ihren Kampf gegen den inneren schwarzen Hund und gegen den äußeren Feind Hitler.

    Das Buch hat zu Recht die Nominierung für den Deutschen Buchpreis 2014 verdient.

  • :huhu:
    Ich habe das Buch vor einiger Zeit in einer schönen MLR gelesen und möchte nun auch hier meine Meinung dazu äußern.


    Was mir wirklich sehr gut gefallen hat war der Schreibstil, Köhlmeier ist für mich ein wahrer Geschichtenerzähler und er versteht es auch hier sehr gut ein so schwerwiegendes Thema so leicht zu vermitteln. Besonders die ersten beiden Kapitel sind reich an schönen und zitierwürdigen Sätzen, die man auch gern mehrmals liest. Manche Sätze sind auch so einfach und - wenn aus dem Kontext gerissen - so belanglos, aber beim Lesen wiegen sie so schwer und beschreiben die ganze Verzweiflung der Person.


    Die Problematik einer Depression fand ich in dem Buch sehr schön dargestellt, weil man wirklich ein gutes Gefühl bekommt von der Verzweiflung, den irregeleiteten Gedanken, den Selbstzweifeln, den Sorgen, die es auch bei Familienmitgliedern auslöst (auch wenn letzteres eher nur gestreift wurde). Aber irgendwie habe ich mir mehr erwartet. Chaplin und Churchill schließen einen Pakt, wollen sich helfen den schwarzen Hund zu bändigen und bis auf wenige Szenen wird nicht wirklich auf den gemeinsamen Kampf eingegangen. Auf die Sinnlosigkeit des Lebens, die Chaplin in diesen Phasen so quält, wird später überhaupt nicht mehr eingegangen. Das hat mir persönlich fast am meisten gefehlt. Dass das dritte Kapitel äußerst zäh war (wegen der für mich großteils belanglosen Familiengeschichte Churchills) und das vierte und fünfte einen auch nicht wirklich mitreissen konnten, wäre nicht gar so tragisch gewesen, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass es einen roten Faden gibt. Dass der Pakt, den sie schlossen auch dem Leser zugänglich gemacht worden wäre.


    Zu den zwei Charakteren möchte ich noch sagen, dass mir der fiktive Chaplin äußerst sympathisch war. Er wurde so menschlich und authentisch, mit all seinen Ecken und Kanten dargestellt, dass mir diese Figur wirklich sehr ans Herz gewachsen ist. Mit Churchill dagegen konnte ich leider wenig anfangen. Da bin ich auch gespannt wie es anderen dabei ging.


    Fazit: Es ist kein schlechtes Buch aber ich würde es weder für den Buchpreis nominieren noch auf jeden Fall weiterempfehlen. Wenn ich jetzt an das Buch zurückdenke, dann denke ich an die ersten zwei Kapitel, die wirklich unsagbar schön waren, und ich denke an Chaplin, seine Freundschaft zu Churchill und die Zähne des schwarzen Hundes. Zieht man die unerfüllte Sehnsucht nach mehr Tiefe und die Zähigkeit der zweiten Hälfte ab, bleiben immer noch gute :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb: Sterne übrig.

    "Von allen Welten, die der Mensch erschaffen hat, ist die der Bücher die Gewaltigste."
    Heinrich Heine


      :study:

  • Ich habe ebenfalls an besagter Leserunde teilgenommen und in deren Rahmen also auch "Zwei Herren am Strand" gelesen. Vorweg muss ich sagen, dass es mein erstes Buch von Michael Köhlmeier war.
    Anhand zweier äußerst schillernder, skuriler und phasenweise auch kontroverser Persönlichkeiten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts - Charlie Chaplin und Winston Churchill - beschäftigt sich Köhlmeier mit dem grossen und schweren Thema Depression. Die Wahl der beiden Protagonisten gefiel mir äußerst gut, beide wurden mir im Verlaufe des Romans sehr symphatisch: der Clown der Leinwand und der knorrige, streitbare Politiker.
    Die Rahmenhandlung des Ich Erzählers und seines Vaters bettete die beiden gekonnt ein in ein faszinierendes Spiel aus Fakten, Fiktion und Vermutungen, welches sich wie ein roter Faden auf allen Ebenen durch das Buch zog. Dabei wechselt Köhlmeier geschickt zwischen den einzelnen Ebenen, so dass sie ineinander verschmelzen und der Leser sich ein ums andere Mal fragt: Ist das jetzt erfunden, oder beruht es auf Fakten. Von dieser Frage sollte man sich allerdings nicht leiten lassen, sonst könnte man enttäuscht sein oder sich zu sehr auf diese für einen Roman eigentlich unwesentliche Frage konzentrieren.
    Köhlmeier schafft es mit seinem Schreibstil, seinem Blick für Situationskomik und der tollen Wechselwirkung von Tragik und Komik eine Leichtigkeit auf das schwere Thema Depression zu legen, die mich sehr überrascht hat. Stellenweise kam der Übergang zwischen Schmunzeln und Nachdenklichkeit so abrupt, das man beim Lesen fast erschrecken konnte.
    Gerade diese beiden Tatsachen machen für mich den Reiz des Buches aus - einerseits das Spiel Fakten - Fiktion, andererseits die Leichtigkeit, mit der er über ein schweres Thema schreibt. Wenn man das Buch mit der Erwartung auf einen Roman liest und keine biografischen Genauigkeiten erhofft, dann stelle ich eine absolute Leseempfehlung fest.
    Ich habe es genau unter dieser Prämisse gelesen und absolut genossen, daher :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

    "Imagination, rather than mere intelligence, is the truly human quality."


    "Chaos is found in greatest abundance wherever order is being sought. It always defeats order, because it is better organized."

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    :study:

    Alex Haley - Roots

    Andrew Jefford - Whisky Island

    Randale Munroe - What if 2


    :bewertung1von5: 2024: 5 :bewertung1von5:

  • Über den Autor:
    Michael Köhlmeier wurde 1949 in Hard am Bodensee geboren und lebt heute in Hohenems/Vorarlberg. Er studierte Germanistik und Politologie in Marburg sowie Mathematik und Philosophie in Gießen und Frankfurt. Michael Köhlmeier schreibt Romane, Erzählungen, Hörspiele und Lieder und trat sehr erfolgreich als Erzähler antiker und heimischer Sagenstoffe und biblischer Geschichten auf. Er erhielt für seine Bücher zahlreiche Auszeichnungen, u.a. mit dem Rauriser Literaturpreis, dem Johann-Peter-Hebel-Preis, dem Manès-Sperber-Preis, dem Anton-Wildgans-Preis und dem Österreichischen Würdigungspreis für Literatur.
    (Quelle: Rezension von Karthause zu "Joel Spazierer")


    Buchinhalt:
    Auf den genauen Inhalt gehe ich nicht weiter ein, das haben meine Vorredner bereits getan. Nur kurz noch zum Erzählerstrang: Köhlmeier führt den fiktiven „privaten Privatsekretär“ William Knott ein, der angeblich den Briefwechsel führt mit dem Vater des Autors. Dieser fiktive Erzähler und der Privatsekretär werden immer wieder verwirrend als reale Personen dargestellt, der Briefwechsel als vorliegende Dokumente behandelt. Auf die Dauer hat mich das irritiert, denn es ist schnell klar, dass dem eben doch nicht so ist.


    Meine Meinung:
    Mir erging es beim Lesen wie Schokopraline: die ersten beiden Kapitel haben mich total gefesselt, sowohl stilistisch als auch von der Geschichte her. Stilistisch liest sich dieses Buch hier viel leichter als „Die Musterschüler“ (ein 600-Seiten-Dialog non-stopp), die ich letztes Jahr gelesen habe – Köhlmeier schreibt leicht, fesselnd, spannend, mit vielen Bildern und Farben.


    Aber danach habe auch ich das Gefühl, dass Köhlmeier den roten Faden in der Geschichte verloren hat. Vielleicht ist es ja meine falsche Erwartung, dass sich das Buch in der Haupthandlung um die Depressionen Chaplins und Churchills und ihren gemeinsamen Kampf gegen den „schwarzen Hund“ dreht. Fairerweise muss gesagt werden, dass das so nicht im Klappentext geschrieben wird – aber unterschwellig wurde bei mir diese Erwartung geweckt. Und diese Erwartung wurde dann nicht erfüllt.
    Das dritte Kapitel fand ich persönlich extrem konfus obwohl sich die Fakten um Churchills Familie als durchaus wahr herausstellten (ich konnte es doch nicht unterlassen, die Fakten zu recherchieren und zu überprüfen). Aber dieses Durcheinanderwirbeln von Menschen, Theorien, Fakten und Wirklichkeit und dann wieder dieses Nase-drehen weil es eben doch alles nur wieder erfunden scheint – das ist nicht mein Stil oder mein favorisiertes Erzählen einer Geschichte.... ausgestiegen bin ich dann beinahe als auch noch Adorno mit einbezogen wurde. :roll:


    Zwar greift Köhlmeier in den weiteren beiden Kapiteln wieder die Personen Churchill und Chaplin auf und ganz am Ende taucht der schwarze Hund auch wieder auf – aber das war mir persönlich dann zu wenig. Diese Kapitel konzentrieren sich hauptsächlich auf die unterschiedliche Art und Weise, gegen Hitler zu kämpfen – und davon mag auch einiges auf wahren Fakten beruhen – aber irgendwie war für mich die Luft raus aus der Geschichte......


    Ich habe bei diesem Buch gelernt, dass Geschichten, in denen Fakten, Wirklichkeit und Illusionen über reale Persönlichkeiten derart verwebt und verflochten werden, nicht meinem Beuteschema entsprechen. Ich persönlich bleibe in Zukunft lieber wieder bei entweder rein erfundenen Geschichten und Romanen oder bei sehr gut recherchierten und fundierten historischen Romanen bzw. Biografien. Natürlich sind Dialoge und viele Aspekte in diesen Büchern auch erfunden, aber auf einer anderen Ebene und es wird nicht versucht, sie als wahre und belegbare Fakten darzustellen und dann wieder ins Irreale zu ziehen.


    Mein Fazit:
    Wenn ein Leser in der Lage ist, so wie Mojoh mit der Vermischung von Wahrheit und Illusion so locker umzugehen und sich nicht irritieren zu lassen, dann hat er vermutlich auch Spaß an diesem Buch. Legt ein Leser Wert auf gut recherchierte Fakten ohne Spiel mit Wahrheit und Lüge so wie ich, dann sollte er davon die Finger lassen. Die Entscheidung muss nun jeder für sich treffen – ich denke, das ist gut möglich mit diesen vielen Facetten und Gedanken über ein und dasselbe Buch, die sich in unserer schönen gemeinsamen Leserunde bereits sehr schnell gezeigt haben.

  • Ich war und bin bei Euren Kommentaren bisher (aber vielleicht habe ich auch etwas in der Leserunde verpasst?) etwas verwirrt, weil Ihr ausschließlich vom Aspekt der Depression bei diesen beiden Genies sprecht. Bei Winston Churchill wußte ich es aber ziemlich sicher, und schloß es daher auf Chaplin, schlug jetzt einfach mal mit den Stichworten bei google nach und fand meine Ahnung bestätigt: beide waren manisch-depressiv. Das ist aber ein Unterschied zu einer reinen Depression. Zu schnell werden diese beiden Veranlagungen (die auch nochmals verschieden gelagert sein können mit Schwerpunkten bei eher depressiven, oder eher maniszchen Phasen) zusammengeschmissen.


    Gibt es dazu im Buch eine Stellungnahme, oder ist wirklich "nur" vom Hund die Rede? Wer möchte kann hier: Kay Redfield Jamison - Meine ruhelose Seele. Die Geschichte einer manischen Depression. eine Rezi aus ersten Büchertreffzeiten von mir zu diesem Thema finden?

  • Gibt es dazu im Buch eine Stellungnahme, oder ist wirklich "nur" vom Hund die Rede?


    Im Buch selbst wird nicht unterschieden und das Manische auch nicht zum Thema gemacht auch wenn es bei Chaplin spürbar / lesbar war. Mich hat es aber auch aus dem Grund nicht so gestört, weil ich davon ausging, dass nicht die himmelhochjauchzenden Phasen die sind, gegen die man ankämpfen will, sondern die, wenn man direkt nach dem Hoch ins absolute Tief stürzt, dass einem ja, nach der Erhebung ja noch tiefer erscheint. Ich weiß jetzt nicht ob ich deine Frage richtig verstanden und beantwortet habe, wenn nein, melde dich bitte. ^^

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      :study:

  • @tom leo im Buch ist immer nur die Rede vom "schwarzen Hund", also von der depressiven Phase bis hin zum versuchten Selbstmord. Der Spoiler von Schokopraline bezieht sich auf eine Szene in Chaplins Haus an Silvester, während der er kurz vorm Selbstmord steht und den letzten Schritt dann doch nicht geht (wirklich eindrucksvoll beschrieben). Die manische Seite kommt nicht wörtlich vor, würde aber auf jeden Fall wesentlich besser zu den beiden Charakteren passen. Beide Männer waren ja auf der anderen Seite immer extrem schaffend, Churchill im politischen und schriftstellerischen Bereich und auch im Privatleben, Chaplin in seinen Filmen. Das wird auch durchaus so beschrieben, aber nie in Bezug gesetzt zur depressiven Phase im Leben der Männer. Da hat Köhlmeier also ganz sicher den einen Teil der Krankheit zumindest wörtlich verschwiegen oder (im schlechtesten Fall) nicht genau genug recherchiert.

  • Vielen Dank für Eure Antworten. Sie gehen auf meine derzeitigen Fragen ein. Ich fragte mich, ob man wirklich getrennt von der Manie einfach nur die Depression erzählerisch darstellen kann. Eventuell sind die genialen Züge der Beiden besser bekannt und brauchen keine Lobeshymnen, dennoch wäre es noch interessanter gewesen herauszustellen, wie diese scheinbar gegensätzlichen Polen zueinander im Verhältnis stehen, ja, eventuell tritz ihrer Gegensätzlichkeit aufeinander zuführen.


    Bei der Depression scheint das Selbstdestruktive absolut klar auf dem Tisch zu liegen (selbst da kann man sich fragen, ob es in leichten Formen der Depression auch gewisse Chancen geben kann?). Andererseits scheint beim Manischen das Himmelhochjauchzende auf etwas rein Positives hinzuweisen. Nun, klar wissen wir um die Geniestreiche dieser zwei Herren. Dennoch führt auch eine hochmanische Phase, gleitend, eben in ein selbstzerstörerisches, oder zumindest sehr schwer erträgliches (für andere und später auch für sich selbst) Verhalten. Am Ende einer manischen Phase stehen zB als Zeichen die Schlaflosigkeit, Ruhelosigkeit, Aufgeriebenheit, der Verlust der Kontrolle des Trieblebens und jedweden normal vorsichtigen Verhaltens, eventuell verbunden mit Allmächtigkeitsideen etc etc...


    Schade, dass der Autor etwas Verwirrung stiftet? Ich halte es aber mal im Hinterkopf fest...

  • Da hat Köhlmeier also ganz sicher den einen Teil der Krankheit zumindest wörtlich verschwiegen oder (im schlechtesten Fall) nicht genau genug recherchiert.


    Ich reite wieder einmal auf seinem Verwirrspiel zwischen Wahrheit und Fiktion herum. Köhlmeier hat einen Roman und kein Bulletin über die Krankheiten von Churchill und Chaplin und auch kein Buch mit biografischem Anspruch geschrieben. So wie vieles eben Halbwahrheiten sind, ist auch auch die beschriebene Depression beider nicht so, wie sie sich in der Realität zugetragen hat. Es ist sein Stil, der sich durch all seine Romane zieht. Es verbietet sich deshalb förmlich, selbst Recherche zu betreiben. Man muss das Buch nehmen und akzeptieren, was mir auch nicht unbedingt gelungen ist. Für Köhlmeiers Romane gilt, alles kann wahr sein, aber nichts muss wahr sein. Nie und nimmer glaube ich, dass Köhlmeier nicht ausreichend recherchiert hat.

  • Ich reite wieder einmal auf seinem Verwirrspiel zwischen Wahrheit und Fiktion herum.


    Es ist sein Stil, der sich durch all seine Romane zieht.


    Das kannst Du ganz sicher besser beurteilen als ich, denn Du hast schon viel mehr von Köhlmeier gelesen. :wink:


    Man muss das Buch nehmen und akzeptieren, was mir auch nicht unbedingt gelungen ist.


    Mir halt so überhaupt nicht - aber das liegt ja durchaus auch an mir und dem von mir bevorzugten Stil eines Buches. Andere mögen es ja durchaus. :)


    Nie und nimmer glaube ich, dass Köhlmeier nicht ausreichend recherchiert hat.


    Das habe ich als schlechteste Möglichkeit genannt, aber wirklich glauben tu ich es eigentlich auch nicht…. trotzdem bleibt dann bei mir die Frage, warum er sich nur mit dem einen Teil der Erkrankung befasst und nicht mit dem andren? Aber ich glaube, ich hatte einfach die falschen Erwartungen an das Buch - meine Erwartungen und seine Intention passen einfach nicht zusammen.

  • Ob Märchenonkel* und Sagenerzähler Köhlmeier hier seine eigene Sage basteln wollte? Man nehme Personen aus der Realität, setze sie zueinander in Beziehung und stricke ihnen eine kleine Fiktion auf den Leib. Vielleicht reiht sich die Geschichte dann eines Tages zwischen Siegfried, Homer und den Grimmschen Hexen ein und wird weiter überliefert???
    Anders kann ich mir kaum erklären, warum er Personen aus der Zeitgeschichte (meiner und Köhlmeiers jedenfalls) so verhackstückt.


    Ich habe das Buch interessiert und fasziniert gelesen und mich dabei sehr sehr unbehaglich gefühlt.
    Interesse und Faszination: Köhlmeier schreibt geläufig und leichter lesbar als in einigen seiner anderen Romane, stilistisch sicher und lebhaft.
    Ich lese seine Bücher äußerst gern. Chaplin halte ich für ein Genie, und ich empfinde sowieso Hochachtung vor ihm, und mit Churchill habe ich mich im Rahmen des Lesens beschäftigt.
    Die Gedanken, die der Autor seinen Figuren überstülpt, hallen auch nach dem Lesen nach. An der literarischen Qualität des Buches habe ich also nichts zu kritteln.


    Unbehagen: Nachdem ich während der ersten 20, 30 Seiten ständig nach Google griff, um den historischen Kontext, bzw. Köhlmeiers Schilderungen nach ihrem Wahrheitsgehalt zu überprüfen, und das Meiste als Phantasie des Autors entdeckte, beschloss ich, das gesamte Buch unter den Aspekten der Fiktion und Köhlmeiers Erfindungsreichtums zu lesen. Das ging bis zur Hitlerzeit gut, dann fing mein Hirn an, sich zwischen realem Geschehen und Buch zu verknoten.


    Die Frage bleibt, was erlaubt ist. Ich tue mich schon schwer mit historischen Figuren, denen Sätze in den Mund gelegt werden, die sie vielleicht hätten sagen können, die aber niemand mehr verifizieren kann. Doch hier wird unverblümt mit realen Menschen gespielt. Vielleicht würde ich das Ganze nicht so problematisch finden, könnte ich das Buch erst in 200 Jahren gelesen haben, wenn Chaplin und Churchill weit zurückliegende Historie sind.


    Einige Feuilleton-Artikel preisen das Buch und belächeln diejenigen, die sich am fehlenden Wahrheitsgehalt stören. Gut, dann lasse ich mich belächeln und vergebe feige drei Sterne.



    *nicht abwertend gemeint, ich höre ihm sehr gern zu

    Bücher sind auch Lebensmittel (Martin Walser)


    Wenn du einen Garten und eine Bibliothek hast, wird es dir an nichts fehlen. (Cicero)



  • Nach « Madalyn » war dies mein zweites Buch von Herrn Köhlmeier. Ich wusste im voraus, dass dieses Buch eine Mischung aus Fiktion und Realität ist und habe versucht, mich darauf einzulassen, was mir aber leider nicht so ganz gelungen ist.


    Das Buch ist gut und flüssig geschrieben, konnte mich aber nicht so recht fesseln und ich habe für die Lektüre relativ lange gebraucht. Die vielen, mir grösstenteils unbekannten, Namen haben mich genervt. Auch wusste ich nie genau, in welchem Jahr ich mich nun befand. Für mich war das einfach zuviel Durcheinander.


    Der Autor hat gut recherchiert und die Idee zum Buch war sicher gut, aber ich hatte dennoch etwas anderes erwartet. Die beiden Protagonisten waren mir sympathisch, aber ich kann dennoch leider nur :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5: vergeben.

    ☆¸.•*¨*•☆ ☆¸.•*¨*•☆ La vie est belle ☆¸.•*¨*•☆☆¸.•*¨*•☆

  • Ich war eigentlich durch Eure Kommentare vorgewarnt. Aus persönlichen Gründen interessierte mich besonders die Thematik Genie-Depression. Beide verkörpern das, Churchill und Chaplin, und dies wird mehrmals erwähnt und ausgearbeitet, hier der grösste Politiker, da der grösste Schauspieler/Clown.


    Doch ich hatte unterschätzt, was Ihr ebenfalls unterstreicht, nämlich das Verwirrspiel mit Fakten, Realität einerseits und Fiktion, Phantasie andererseits. Und obwohl ich das Buch eigentlich sehr gut fand, auch sprachlich etc, kann ich ebenfalls nur skeptisch beobachten, wie hier mit zwei historischen Persönlichkeiten Köhlmeier umgeht. Ja, darf man das???


    Insofern verwirrte dreieinhalb Sterne.


    Sicherlich sind aber viele historische Fakten an sich gesichert, insbesondere da, wo man die beiden vielleicht nicht zusammenbringt?! Beide Gestalten gefielen mir von je (obwohl Churchill etwas Zerstörerisches an sich hatte, aber eventuell notwendig in seiner und Englands Position), und ich lernte noch einiges hinzu (zumindest bei Churchill). Interessant.


    In einem geschickten Schachzug führt der Autor seinen Ich-Erzähler und dessen Vater ein, die beide als ebenfalls vom "Schwarzen Hund" - Betroffene etwas tun, sich etwas vornehmen um dieser Traurigkeit zu entgehen.


    Allerdings frage ich kritisch an, ob ein Vorsatz genügt?