Halldór Laxness – Sein eigener Herr / Unabhängige Menschen / Sjálfstætt fólk

  • Zum Inhalt (in eigenen Worten):
    Bjartur, der schon immer den Traum besessen hatte, einmal selbst einen Hof zu besitzen, hat sich viele Jahre lang als Schafsknecht verdingen müssen, um seinem Herrn endlich einen kleinen Hof abkaufen zu können, der bereits jahrzehntelang brach und unbewohnt lag, weil er bereits seit Jahrhunderten im Rufe stand, vom Spuk böser Geister heimgesucht zu werden.
    Der Kleinbauer verlangt von sich selbst und seinen Familienmitgliedern ein eintöniges Leben voll unmenschlich harter Arbeit ab, damit seine Schafe gedeihen können und damit er seinen Hof schuldenfrei bekommen kann.
    Bjartur, der selbst das beste Beispiel für die unkultivierte Sturheit der kleinen Bauern Islands im eben beginnenden 20. Jahrhundert darstellt, sieht sein Leben stets mit neuen Widrigkeiten konfrontiert, wie sie nur in den Schichten der mittellosen Bevölkerung aufzutreten scheinen, nie aber bei den affluenten Großbauern und Händlern, die über die Preise für Schafe und lebensnotwendige Güter praktisch selbst bestimmen können. Für die Kleinbauern jedoch ist ein finanziell sorgenfreies und in seinen Grundbedürfnissen abgesichertes Leben praktisch unmöglich, und somit auch die Wahrscheinlichkeit für wirtschaftliches Wachstum und damit ihrer eigenen Unabhängigkeit.
    Dann fasst die Idee der in England zur Zeit der Industrialisierung entstandenen Genossenschaften auch in Island Fuß: endlich scheint man die Kleinbauern in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung mit den nötigen Mitteln zu unterstützen. Der Weg in die Prosperität scheint endlich freigegeben – doch alles hat zwei Seiten, und wer wirklich wirtschaftlichen und finanziellen Nutzen aus dem ökonomischen Modell der Genossenschaften zu ziehen vermochte, davon handelt Halldór Laxness Roman Sein eigener Herr / Unabhängige Menschen





    Zum Autor (aus meiner Rezension zu Die Islandglocke kopiert):
    Halldór Kiljan Laxness ,geboren als Halldór Guðjónsson, wurde am 23. April 1902 in Reykjavík geboren und verstarb am 8. Februar 1998 in Reykjalundur bei Mosfellsbær. Er war ein isländischer Schriftsteller und wurde 1953 mit dem Weltfriedenspreis und 1955 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Zu seinen Werken zählen unter anderem Atomstation, Salka Valka, Sein eigener Herr, Am Gletscher und Das wiedergefundene Paradies. Interessant erscheint mir die Tatsache, dass Laxness als Anhänger marxistisch-kommunistischer Lehren in der ehemaligen DDR zuerst übersetzt wurde und dort wesentlich größere Beachtung fand als in der Bundesrepublik.





    Meine Meinung zum Buch:
    Island um 1900: Wesen und Weltanschauung isländischer Kleinbauern sowie ihrer innerfamiliären Ordnung, mit unzähligen Problemen bei der Bewirtschaftung ihrer Höfe und der Aufzucht ihrer Schafe, ihre wirtschaftlichen Abhängigkeit von Großbauern und Händlern, ihre Ernährung, Kleidung, Bildung, ihre Beziehung zu den alten Sagen und Aberglauben sowie der christlichen Religion, das ist das große Thema in Halldór Laxness Roman Sein eigener Herr / Unabhängige Menschen.
    Obwohl mir die Figur in seinem Stolz verbohrten und sturen Schafsbauern Bjartur alles andere als sympathisch erschien, weil er das Wohlergehen seiner Familie dem Wohl der Schafe und seinem Stolz auf seine Selbstständigkeit immer hintan stellt, war Überdruss bei diesem Roman für mich einfach nicht drin – zu sehr geht es um die Grundsatzfrage wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit, die mich in einer Lektüre regelmäßig in Leidenschaft versetzt.
    Außerdem schildert Laxness die Lebensumstände von Bjarturs Familie, einschließlich Baumaterialien und Aufriss ihres Grassodenhauses, die Unterbringung des Viehbestandes, die Witterungsverhältnisse, die Ernährung, Kleidung usw. mit einer unglaublichen Detailfülle, sodass die Phantasie im Leser von alleine mitbaut, Schafe sucht, Heu wendet, friert, die Nässe spürt, verdorbenen Trockenfisch schmeckt, Kaffee riecht etc. Sein eigener Herr / Unabhängige Menschen ist eines der wenigen Bücher, das mich endlich wieder einmal Seitenanzahlen und äußeres Umfeld völlig haben vergessen lassen.


    Auch die verschrobene Sprache der Kleinbauern und die beschränkt-naive Redeweise der einzelnen Figuren, aus deren Sicht in der dritten Person erzählt wird, passt sehr gut ins Bild, das Laxness von dieser Schicht der ländlichen Bevölkerung zeichnet, wenngleich die etwas einfältige Mentalität auf den modernen Menschen irritierend wirken mag. Aber es steckt auch einiges an Humor darin, wie Halldór Laxness die einzelnen Charaktere in seinem Buch auftreten lässt. Begeistert hat mich auch und vor allem die Deutlichkeit der wirtschaftlichen und finanziellen Abhängigkeit der einfachen Leute von Großbauern und reichen Händlern, von denen sie geradezu systematisch ausgebeutet wurden, sodass ich mich zeitweilig fragen musste, ob das Leben auf einem eigenen Hof einem Dasein als Knecht gegenüber denn wirklich als sozialer Aufstieg zu werten sein sollte.


    Und dann die große wirtschaftliche Chance: Laxness, der sich lange Zeit selbst als Anhänger sozialistischer Lehren betrachtete, schildert die Idee der Genossenschaften als das sehr einfach verständliche Konzept, das sie im Grunde ist. Überhaupt muss man sagen, dass sich Island zur damaligen Zeit in der Einfachheit seiner wirtschaftlichen Transaktionen extrem gut als Beispiel eignet, um wirtschaftliche und soziale Beziehungen und die jeweiligen Unterschiede aufzuzeigen und daraus resultierend auch die wirtschaftspolitischen Auswirkungen der neu gegründeten Genossenschaften auf das Leben in den verschiedenen sozialen Schichten.
    Dass dem Autor das gesundheitliche und wirtschaftliche Wohlergehen der breiten isländischen Bevölkerung am Herzen lag, ist im Buch deutlich zu spüren, er gibt sich jedoch nicht der Illusion hin, dass die Einführung sozialistischer Grundideen den kleinen Menschen nur Vorteile gebracht hätten. Halldór Laxness scheint an ausnahmslos allem mindestens zwei Seiten erkannt zu haben, wodurch er seinen Lesern Bevormundung erspart und ihrer eigenen Kritikfähigkeit stattgibt.


    Ich glaube, dass man, trotz aller Globalisierung, sogar gewisse Analogien zur unserer heutigen gesellschaftlichen Situation und ihrer wirtschaftlichen Entwicklung erkennen kann, z.B. die stetige Erweiterung der sozialen Schere, Verbreiterung der unteren sozialen Schichten, partielles Wegbrechen des Mittelstandes (in den Bjartur und die anderen Kleinbauern im Buch mehr oder weniger vergeblich aufzusteigen trachten), intentionierte Angebotsmonopolisierung, etc. , was dieses Buch für mich noch ein Quentchen interessanter hat werden lassen.


    Meines Erachtens kann man in unseren Tagen seine Zeit wesentlich sinnloser und gelangweilter verbringen, als Sein eigener Herr von Halldór Laxness zu lesen. :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertungHalb:

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
    in Herzog

  • Das 1934 und 1935 in zwei Teilen erschienene isländische Original trägt den Titel Sjálfstætt fólk. Der erste Teil erschien in einer deutschen Übersetzung sogar ziemlich prompt unter dem Titel Der Freisasse, wurde jedoch 1936 gleich wieder verboten.
    Gelesen habe ich eine deutsche Erstausgabe aus dem Jahre 1962 mit einer Übersetzung aus dem Dänischen von Thyra Dohrenburg mit dem Titel Unabhängige Menschen. 1968 erschien die viel bekanntere von Hubert Seelow direkt aus dem Isländischen übertragenen Übersetzung unter dem Titel Sein eigener Herr.

  • Gelesen habe ich eine deutsche Erstausgabe aus dem Jahre 1962


    Wie bist Du an eine so alte Ausgabe gekommen? Ich habe das Buch jetzt auf meinen Merkzettel der Bücherei gesetzt, sie haben eine Ausgabe von 1992.

    "Books are ships which pass through the vast sea of time."
    (Francis Bacon)
    :study:
    Paradise on earth: 51.509173, -0.135998


  • Wie bist Du an eine so alte Ausgabe gekommen? Ich habe das Buch jetzt auf meinen Merkzettel der Bücherei gesetzt, sie haben eine Ausgabe von 1992.


    Frag' besser nicht :lol: - das war wieder mal so ein Fall von kreativer Dummheit: ich hatte nämlich Sein eigener Herr schon seit ewigen Zeiten auf meiner amazon-Wunschliste stehen. Die Abfrage auf einer Gebraucht-Bücherseite hat u.a. Unabhängige Menschen zutage gebracht, und ich Idiot habe die beiden Titel nicht mit einander in Verbindung gebracht, sondern dachte, ich bekäme etwas ganz besonders Seltenes von Halldór Laxness geboten (typischer Fall von bücherwahnbedingter Unfähigkeit :lol: ), weswegen ich auch bereit war, etwas mehr zu zahlen ... Im Endeffekt bereue ich es nicht, die Ausgabe ist sehr sehr pfleglich behandelt worden, der Schnitt hat im hinteren Teil sogar beim Öffnen der Seiten geknistert (ich nehme an, dieses Buch war vorher noch nie zu Ende gelesen worden), aber wenn ich bei Verstand gewesen wäre, hätte ich die Hubert Seelow-Übersetzung genommen, keine Frage.

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    Saul Bellow, (1915-2005 ), U.S. author,
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  • @Hypocritia hat eine sehr gute Rezension zu dem Roman geschrieben, aber bevor ich ihr weiter unten mit meiner Stellungnahme weiter beipflichten werde, möchte ich doch einen Flüchtigkeitsfehler von ihr korrigieren:

    1968 erschien die viel bekanntere von Hubert Seelow direkt aus dem Isländischen übertragenen Übersetzung unter dem Titel Sein eigener Herr.

    Ehre wem Ehre gebührt: Hubert Seelow hat zwar vieles von Laxness übersetzt, aber 1968 hatte der zu dieser Zeit knapp 20-jährige Seelow erst geplant an der Uni Nordische Philologie zu studieren (gemäss Wiki). Die Übersetzung von "Sein eigener Herr" besorgte damals Bruno Kress. Diese Übersetzung ist auch heute noch die in der Werksausgabe des Steidl-Verlags verwendete; Hubert Seelow schrieb allerdings ein Nachwort.

    Obwohl mir die Figur in seinem Stolz verbohrten und sturen Schafsbauern Bjartur alles andere als sympathisch erschien

    Ja, sympathisch ist wirklich keine Person in diesem Roman. Wer also Identifikationsfiguren benötigt, um eine Erzählung gut zu finden, sollte die Finger davon lassen. Dennoch gelingt es Laxness hervorragend, Bjartur (aber auch die anderen Familienmitglieder, Bauern, etc) detailliert zu beschreiben, nicht völlig entmenschlicht darzustellen, sondern Mitleid und Anteilnahme zu erzeugen. Die Motive mögen ja passen: Bjartur verlangt auch von sich selbst Vieles ab, damit seine Nachkommen freie Menschen sein können, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen. Die Bauernromantik in vielen Romanen in jener Zeit hatte ja häufig eine mystische Verklärung des Bauerndaseins. Man denke da an Knut Hamsuns "Segen der Erde", wo der fleissige Landmann Isak ganz auf sich gestellt "ein Paradies" schafft, tugendhaft lebt, auch ziemlich eigenbrötlerisch, aber alles Schlechte ist nur in der Zivilisation zu finden; sie lenkt die Menschen vom rechten Leben ab. Und Laxness nimmt die gleiche Ausgangslage (fleissiger Bauer beginnt ein selbständiges Leben auf abgelegener Weide), kommt aber zu einem ganz anderen Ergebnis, übt Kritik an der bisherigen Darstellung. Insofern ist es wirklich interessant, beide Erfolgsromane miteinander zu vergleichen. Schreiben konnten Beide exzellent (Laxness und Hamsun), aber politisch hatten sie eine ziemlich unterschiedliche Weltanschauung.
    Während Hamsun, der später aktiv für den Nationalsozialismus eintrat, für "Segen der Erde" 1920 den Literaturnobelpreis erhielt, wurde dem Anhänger marxistisch-kommunistischer Lehren Hamsun der erste Teil des Romans (noch als "Der Freisasse") von den Nationalsozialisten verboten.

    Aber es steckt auch einiges an Humor darin, wie Halldór Laxness die einzelnen Charaktere in seinem Buch auftreten lässt.

    Tatsächlich war ich überrascht, wie viel Humor in dem Buch steckt und wie leicht es sich auch dadurch lesen lässt. Laxness hatte seine Mitmenschen sehr gut beobachtet und konnte sie wohl auch sehr pointiert darstellen. Ich habe noch nicht viel von Laxness gelesen, aber ich kann "Am Gletscher" empfehlen, wenn man seinen Humor, ja eigentlich beissenden Spott, mag.

  • Prima Bemerkungen! Danke!

    Während Hamsun, der später aktiv für den Nationalsozialismus eintrat, für "Segen der Erde" 1920 den Literaturnobelpreis erhielt, wurde dem Anhänger marxistisch-kommunistischer Lehren Hamsun der erste Teil des Romans (noch als "Der Freisasse") von den Nationalsozialisten verboten.

    ... und da ist Dir, glaube ich, ein Tippfehler unterlaufen, nicht wahr?