Stephen King - Der Anschlag / 11/22/63

  • Klappentext
    Jake Epping lebt ein normales Leben, bis sein Freund Al ihm ein großes Geheimnis enthüllt: Er kennt ein Portal, das in das Jahr 1958 führt. Und Al gewinnt ihn für eine wahnsinnige Mission. Jake soll in die Vergangenheit zurückkehren und das Attentat auf John F. Kennedy vereiteln, um den Gang der Geschichte positiv zu korrigieren. Und so beginnt für Jake ein neues Leben in einer für ihn neuen Welt. Es ist die Welt von Elvis und JFK, von großen amerikanischen Autos und beschwingten Highschool-Tanzveranstaltungen. Es ist die Welt des gequälten Einzelgängers Lee Harvey Oswald, aber auch die der Bibliothekarin Sadie Dunhill, die Jakes große Liebe wird - eines Lebens, das gegen alle normalen Regeln der Zeit verstößt. Und je näher Jake seinem Ziel kommt, den Mord an Kennedy rückgängig zu machen, desto bizarrer wehrt sich die Vergangenheit dagegen - mit aller gnadenlosen Gewalt, die sich auch gegen Jakes neue Liebe richtet...


    Rezension
    "Der Anschlag" von Stephen King - puh, wo soll ich da anfangen? Erstmals gelesen habe ich diesen Roman während meines Sommerurlaubs 2012. 1080 Seiten verschlungen innerhalb von fünf Tagen, was für mich ein enormer Rekordwert ist (ja, ich weiß, die ganzen "Ich habe einen kompletten Zyklus innerhalb einer Nacht ausgelesen"-Menschen können darüber nur lächeln, aber das ist mir egal). Es war mein erster King, da ich absolut kein Horrorfan bin und King'sche Romane bisher ausschließlich in dieser Kategorie abgespeichert hatte. Die Inhaltsbeschreibung von "Der Anschlag" klang aber so gar nicht nach Horror, ganz im Gegenteil, es klang nach der Thematik, die mich stets am meisten fasziniert: Zeitreisen. Da ergriff ich die Gelegenheit, mich persönlich vom viel gelobten und allseits umjubelten Schreibstil dieses Jahrhundert-Autors zu überzeugen. Und was soll ich sagen? Es gelang ihm mühelos mich in seinen Bann zu ziehen.


    Ich verstehe jeden, der an diesem Buch bemängelt, es sei zu ausufernd, zu detailliert in seinen Beschreibungen, zu oft auf Irrwegen abseits der eigentlichen Handlung unterwegs. All das stimmt. Allein, es machte mir überhaupt nichts aus. Kings Sprache, die Charaktere, die er erschafft, die Zeit und die Welt, die er beschreibt, sind so lebendig, so fesselnd, dass man einen kompletten Film in seinem Kopf erlebt. Man sagt, gute Autoren sind Geschichtenerzähler, die ihre Leser vergessen lassen, dass sie eine Geschichte lesen. Das tut King voll und ganz. Ich wurde komplett in das Buch hineingezogen. Dass man innerhalb der Geschichte dann auf weitere Geschichten stößt, die sich um Lehrer, Liebe, Theateraufführungen und durchgeknallte Ehemänner drehen, stört ganz und gar nicht, sofern man bereit ist sich auf Jake Eppings Erlebnisse komplett einzulassen, sind sie eine Bereicherung. Zumal das alles immer wieder garniert ist mit der Zeitreisethematik, die über die meiste Strecke weniger im Vordergrund steht, als mehr wie eine Art Zuckerguss alles ebenso unscheinbar wie süß umhüllt.


    Ebenfalls großartig sind die "Harmonien", die Kings Figur immer wieder erlebt, manche offensichtlich, manche versteckt. Kleine Details, die den Unterschied, die ein tolles Buch noch ein bisschen toller machen. Feinheiten, die viele Bücher vermissen und die die Faszination am Ende noch länger währen lassen.
    Man merkt also, ich war äußerst begeistert von diesem Roman. So sehr, dass er selbst über ein Jahr danach immer noch irgendwo in den hintersten Ecken meines Kopfs präsent war und seine Kreise zog - was ja als solches schon Kompliment genug für ein Buch ist; wieviele Romane verschwinden nach den vier großen ENDE-Lettern im Nirvana der Großhirnrinde? - bis ich mich schließlich dazu entschloss, noch mal in die Welt von 1958-1963 einzutauchen - diesmal in Form des Hörbuchs. Für einen Spottpreis von unter 10 Euro, über den ich im Anblick dieses fast 32 Stunden-Werks positiv überrascht war, begleitete mich David Nathan, Johnny Depps Deutsches Akustik-Ego, fast fünf Wochen lang auf dem Weg zur Arbeit, so dass ich meine Rezension nun auch auf das Hörbuch beziehen kann.
    David Nathan war zum Glück die perfekte Wahl als Vorleser dieses Romans. Ich bin sehr kritisch was die Sprecher von Hörbüchern angeht, aber Nathan verkörpert Jake Epping so gut, dass ich schon Johnny Depp in der Rolle des aus der Zeit gefallenen Englischlehrers vor meinem geistigen Auge sah. Er erzählt spannend, kräftig, emotional und bringt auch die übrigen Charaktere durch ein vielfältiges Repertoire an Stimmen sehr gut rüber. Ich würde ja sagen, er erweckt das Buch zum leben, wenn das Buch ansich nicht schon lebendig genug wäre - und meine es als Kompliment für beide. Ab und zu werden die Pausen zwischen zwei Sätzen, die ich eigentlich eher zwischen zwei Kapiteln erwartet hätte, etwas zu lang, aber das reicht bei weitem nicht aus um dafür einen Stern abzuziehen.


    Volle fünf Sterne (und zehn, wenn das ginge) für Roman und Hörbuch, für Autor und Sprecher, für Idee und Umsetzung; für eine Geschichte, die die austauschbare, vollkommen geistlose wie uninspirierte Der/Die/Das-Titelübersetzung „Der Anschlag“ absolut nicht verdient hat. Zehn Punkte Abzug dafür dem Lektorat – aber das ist ein gänzlich anderes Thema.


    :bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5::bewertung1von5:

    "I went down the road, the road was a-muddy.
    I stubbed my toe, my toe was a-bloody.
    You all there?
    Count two an three an four an fi'!
    My true love's a butterfly!"


    aus "Der Anschlag" von Stephen King